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Fußball als Religion? Eine lebensweltanalytische Ethnographie
Fußball als Religion?
Eine lebensweltanalytische Ethnographie




Hans-Ulrich Probst

Transcript
EAN: 9783837661101 (ISBN: 3-8376-6110-5)
346 Seiten, paperback, 15 x 23cm, Februar, 2022

EUR 48,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Fußball begeistert, bringt Menschen zusammen und bestimmt das Leben vieler Fans. Doch kann er auch als Religion verstanden werden? Hans-Ulrich Probst präsentiert die vielfältigen Sinn- und Bedeutungsdimensionen, die in der Fußballfankultur sichtbar werden. Neben ethnographischen Einblicken in unterschiedliche Fangruppen bindet er die Ergebnisse seiner empirischen Studie in aktuelle (fan-)soziologische, ritual- und religionstheoretische Diskurse ein. So ergibt sich ein vertieftes Verständnis nicht nur für die Fußballfankultur, sondern auch für die Dynamiken im Feld der Religion.

Hans-Ulrich Probst, geb. 1988, arbeitet seit 2021 als wissenschaftlicher Assistent im Fachbereich Praktische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er hat in Berlin, Jerusalem und Tübingen Evangelische Theologie und Judaistik studiert.
Rezension
Was ist eigentlich unter Religion heute zu verstehen, wenn Fußball mittlerweile auch in der Umgangssprache als Religion bezeichnet wird? Wie läßt sich das Feld der Religion in der Spätmoderne bestimmen? Dass Fußball z.B. mit seinen Call-and-response-Gesängen Liturgie-Äquivalenzen zum Gottesdienst auf zeigt ist in religionswissenschaftlicher Perspektive seit langem bekannt und auch, dass Fußball für Fans (=Gläubige) jedenfalls eine Transzendenz (aus dem Alltag heraus) darstellt. Diese Studie verbindet ethnographische Arbeit mit Ansätzen der empirischen Religionsforschung: Erstens wird auf Grundlage einer langfristigen ethnographischen Forschung die Lebenswelt unterschiedlicher Fangruppen dicht beschrieben. Dann werden die Ergebnisse ins Gespräch mit fansoziologischen Debatten gebracht. Abschließend wird argumentiert, welche Formen einer gelebten Religion nun unter Fans erkennbar sind. Welche Rolle spielen Rituale und Vergemeinschaftung unter Fans? Welche Bedeutung wird dem von Fans zugemessen? Wie bewältigen Menschen in der Spätmoderne die Herausforderung, deutend Sinn im eigenen Leben zu erkennen? Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität in Tübingen als Dissertation angenommen.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagworte:
Religion, Fußball, Fan, Ritual, Fankultur, Kontingenzbewältigung, Diskurs, Popkultur, Religionssoziologie, Sportwissenschaft, Religionswissenschaft, Kulturanthropologie

Geringfügig überarbeitete Dissertationsschrift. Diese wurde im Sommersemester 2021 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen.

zur Reihe:
Editorial
Religion ist ein Kulturphänomen. Sie zeigt sich in Kunst und Gesellschaft, in Ethos und Recht, in Sprache, Konsumkultur, Musik und Architektur. Eine Deutung spätmoderner Religion wird sich darum immer auch auf weitere Segmente der Gegenwartskultur einlassen müssen. Dies gilt auch und gerade aus der Perspektive der Religionsforschung innerhalb und außerhalb von Theologie. Jenseits der überkommenen polarisierenden Orientierungen am isolierten Subjekt oder am dogmatischen Normenkanon rückt Religion als dynamische Ausdrucksform performativer Praxis ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Religionswissenschaft, Praktische Theologie und Kulturwissenschaft stellen sich dieser Aufgabe in je spezifischen Theoriezugriffen. Dabei werden Differenzen und Deutungskonflikte, Geltungsansprüche und Übergänge kenntlich gemacht und aufgeklärt. Denn die Frage nach religionskulturellen Formaten korreliert mit der nach religiösen Traditionen, theologischen Normierungen und sozialen Zuschreibungen. Diskurse zu Religion werden so in Bezugnahme auf religionstheoretische Fragehorizonte zum Gegenstand interdisziplinären Austauschs – empirisch, philologisch und historisch vergleichend.
Die Bände dieser neuen Reihe widmen sich in unterschiedlicher Weise kulturellen Phänomenen und deuten sie semiotisch und ästhetisch in ihrer geschichtlich gewordenen Gestalt. Im Horizont fachlich gebundener Herangehensweisen wissen sich die Herausgeberin und die Herausgeber in besonderer Weise der Frage nach der Relevanz ihres Gegenstands verpflichtet.
Die Reihe wird herausgegeben von Klaus Hock, Anne Koch und Thomas Klie.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

I Einleitung: »Das scheint mir keine schlechte Art, die Ewigkeit herumzubringen« 11

II (Fußball-)Fans in der Literatur 19

1. Fußball als Religion? 19
2. Fans als Gegenstand sozialwissenschaftlich-empirischer Forschung 28
3. Forschungsdesiderat 33

III Methodologie und angewandte Methoden 35

1. Verortung in der qualitativen Sozialforschung 35
2. Methodologie 37
2.1 Wissenssoziologie und Sozialkonstruktivismus 37
2.2 Konzept der Lebenswelt 40
2.2.1 Lebenswelt in der Wissenssoziologie nach Schütz 40
2.2.2 Kleine soziale Lebenswelten 42
2.3 Konsequenzen für die qualitative Sozialforschung 44
3. Das Konzept der Ethnographie 45
3.1 Spezifika der lebensweltanalytischen Ethnographie 48
3.2 Methoden der Datenerhebung in der lebensweltanalytischen Ethnographie 50
3.2.1 Feldarbeit 50
3.2.2 Fanforum 54
4. Analyse und Interpretation 56
4.1 Auswertung des Datenkorpus 56
4.2 Interpretationsrahmen: Grounded Theory 57
5. Aufbau der Arbeit 58

IV Von den Blauen – in der kleinen sozialen Lebenswelt der Fans 61

1. Erste Entscheidungen 61
1.1 Forschungsethische Entscheidungen 61
1.2 Auswahl der Stuttgarter Kickers 62
1.3 Eine heterogene Fanszene 63
1.4 Auswahl konkreter Phänomene im Feld 65
2. Wissen als Ressource von Sinn- und Bedeutung unter Fans 66
2.1 Geschichte des »Blauen Adels« 67
2.2 Auf Degerlochs Höhen zuhause 73
2.3 Kickers-Magazin, Kickers-TV und Waldau-Radio 76
2.4 Mitgliedschaft im Verein 79
2.5 Fanprojekt e.V., der*die Fanbeauftragte und der*die Sicherheitsbeauftragte 80
3. Wie ich einer von den Blauen wurde 82
3.1 Einfach mal dabei 82
3.2 Ein erstes gemeinsames Bier, oder: »haben wir kein Bock drauf« 83
4. »Entscheidend is’ auf’m Platz«? 87
4.1 Zwischen teilnahmslos und ekstatisch 88
4.2 Die Spieltage im Blick 90
4.2.1 Wochen- und Jahresplanung 90
4.2.2 Drähte laufen heiß 91
4.2.3 »Der kann ja doch rennen«: Trainingsbesuche 93
4.2.4 Choreos und Banner vorbereiten 95
4.3 Der Anpfiff rückt näher 96
4.3.1 Der Übergang vollzieht sich 96
4.3.2 Zwischenstopp bei »Paule« 116
4.4 Im Stadion: Entscheidend is’ neben dem Platz! 122
4.4.1 Wer steht eigentlich wo? 122
4.4.2 Die Vereinshymne: »Ein Ruf aus tausend Kehlen« 128
4.4.3 Auf den Rängen 130
4.4.4 Schlusspfiff! Wie nun weiter? 166
4.5 Nachbereitungszeit 175
4.5.1 Die Erfahrungen werden ausgetauscht 175
4.5.2 »Auf den Acker« 181
4.6 Zwischenfazit 185
5. China wird zur Bedrohung des ehrlichen Fußballs 186
5.1 Hintergrund: Die Pläne des DFB 187
5.2 Reaktionen in der Fanszene der Stuttgarter Kickers 189
5.3 Die bedrohte Ordnung des »traditionellen« Fußballs 195
6. Aufkleber und Tags in der Fanszene 198
6.1 Style-Writing, andere Graffiti und Sticker 199
6.2 Orte für Graffiti und Aufkleber im Fußballkontext 201
6.2.1 Machtbeweis im Stadion 201
6.2.2 Bahnhöfe, Züge und Kneipen 205
6.3 Bedeutungsebene von Graffiti und Aufklebern 211
7. Gespräche jenseits des Spieltags 212
7.1 Das Leben am Stammtisch 213
7.2 Die Abstiegstrauerfeier 220
7.3 Es geht weiter: eine Saisoneröffnungsfeier 222
7.4 Themen der Ultraszene 224
7.5 Besprechungen der Ultras in der »Bude« 227
8. Das »blaue Herz« schlägt: Lebensrettung bei den Kickers 229
8.1 Kommunikation und Bewerbung der Stammzellen-Typisierung 230
8.2 Die Typisierung unter dem Vereinslogo 232
9. Die Kickers zwischen den Generationen 236
10. Freundschaften und Abschied vom Feld 241

V Fans, Rituale und Vergemeinschaftung:
Ein fansoziologischer Theorieblick 245

1. Theoretische Perspektiven auf Fans 248
1.1 Was sind Fans? 248
1.2 Ritualisierte Vergemeinschaftung in der posttraditionalen Fan-Gemeinschaft 250
1.2.1 Die dynamische Gestaltung eines Spieltags als Übergangsritual 253
1.2.2 Fans als »posttraditionale Gemeinschaft«? 260
2. Zusammenfassung: Heterogene Fangruppen und Fans 266
2.1 Vielfalt eines Fanobjektes 267
2.2 Die Andersheit von Raum und Zeit 269
2.3 Wissensdimensionen und Emotionen in Fangemeinschaften 270

VI Religionstheorien und Fragen der Praktischen Theologie 275

1. Einleitung 275
2. Nach dem Ende der »Säkularisierungstheorie«: Wohin steuert Religion? 276
3. Aspekte der Veränderung von Religion 279
3.1 Religion als Identitätskonstitution und Weltansicht 280
3.2 Religion als Kultur der sinnstiftenden Welt- und Selbstdeutung 288
3.2.1 Fans im Blick der Seelsorgelehre 295
3.3 Sakralisierungen unter Fans 298
3.3.1 Der Spieltag hat Priorität im Kalender 304
3.3.2 Das Stadion als individuelle Heimat 305
3.3.3 Spieler*innen als Objekte fragiler Valorisierungen 306
3.3.4 Besondere repräsentative Gegenstände als Ausdruck der Selbstsakralisierung 308
3.3.5 Zusammenfassung: Sakralisierung des Fan-Seins 309

Zusammenfassung 311

Literatur- und Abbildungsverzeichnis 323
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