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Feuerbach weiterdenken
Studien zum religionskritischen Projektionsargument
Zugl.: Universität Münster, Habilitation 2011
Joachim Negel
LIT
EAN: 9783643125835 (ISBN: 3-643-12583-6)
504 Seiten, hardcover, 17 x 24cm, 2014
EUR 59,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Wohl kaum ein kritischer Einwand gegen den biblischen Gottesgedanken besitzt bis heute für die Gebildeten unter seinen Verächtern eine solch schlagende Überzeugungskraft wie der von Ludwig Feuerbach formulierte und später von Marx, Nietzsche und Freud in modifizierter Form übernommene Vorwurf der Projektion. Ist damit hinsichtlich des Gottesgedankens aber schon alles gesagt? Könnte es sich nicht vielleicht gerade umgekehrt verhalten, daß das dezidiert projektive Moment biblischen Gottdenkens auf eine Wirklichkeit verweist, die größer ist als der Mensch selbst?
Joachim Negel, 2002 Promotion, 2011 Habilitation, seit 2009 Akademischer Rat und Dozent für Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie an der Universität Marburg, seit 2011 außerdem Privatdozent für Fundamentaltheologie an der Universität Münster.
Rezension
Ein ganz wesentliches Argument des Atheismus stellt der, - von Ludwig Feuerbach im 19. Jhdt. formulierte und dann später von Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud in modifizierter Form übernommene - , Vorwurf der Projektion dar, demzufolge der Gottesglaube lediglich die (durch seine anthropologischen Defizite begründeten) Wünsche des Menschen in ein höheres Wesen projiziert, z.B. die menschliche Sterblichkeit in eine Auferstehungshoffnung umschlägt. Die hier anzuzeigende Münsteraner Habilitationsschrift stellt das Projektionsargument umfassend dar, nimmt es aber theologisch produktiv auf und sucht es weiterzudenken: Ja, Glaube ist Projektion! Gott ist eine Projektion, - aber Gott projiziert sich auch uns. Nur im Echo unserer Antwort wird uns Gott vernehmbar - so lautet die Grundthese dieser Arbeit.
Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Religion - Geschichte - Gesellschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Johann Baptist Metz, Prof. Dr. Jürgen Werbick, Prof. Dr. Johann Reikerstorfer
Die in dieser Reihe versammelten "Fundamentaltheologischen Studien" konzentrieren sich "nachidealistisch" vor allem auf jene Herausforderungen, die sich angesichts der gesellschaftlichen Wandlungen und geschichtlichen Katastrophen des 20.Jahrhunderts für die christlichen Traditionen, speziell für deren Gottesrede, unabweisbar aufdrängen. Dabei orientieren sie sich vornehmlich an Grundimpulsen der neuen Politischen Theologie (besonders als zeit- und leidempfindlicher negativer Theologie) ebenso wie an kritischen Revisionen des transzendental-idealistischen Erbes und an phänomenologisch bestimmten Begründungs- und Vermittlungsansätzen in der zeitgenössischen Theologie und Philosophie. Dieser interdisziplinäre fundamentaltheologische Diskurs richtet sich nicht nur auf die wissenschaftlich repräsentierten Bereiche der Geschichte und Gesellschaft, sondern auch auf Psychologie, Ästhetik und Literatur - immer freilich begleitet von der kritischen Frage, was die bereits an den Namen Nietzsche geknüpfte "postmoderne" Verwandlung von Metaphysik in Psychologie und Ästhetik für die Begründungsfragen der Theologie bedeuten und nicht bedeuten kann.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 11
I. „Blickt man lange ins Dunkle..."
Über Projektion, Inspiration und Offenbarung 15
1. „Die Äthiopier sagen, ihre Götter seien stumpfnasig und schwarz..." (Xenophanes) - Kleine Geschichte des Projektionsarguments 16
2. „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen" (A. Schönberg) - Inspiration als sowohl ästhetisches wie religiöses Phänomen 21
3. „Blickt man lange ins Dunkle, so ist immer etwas darin" (W.B. Yeats) - Zur wirklichkeitsschaffenden Kraft religiöser Erfahrung 26
ERSTES KAPITEL
FEUERBACHS ARGUMENT 35
II. „Das Bewusstsein des Unendlichen ist nichts Anderes als das Bewusstsein von der Unendlichkeit des Bewusstseins." - Philosophische und theologische Kontexte der Feuerbach'schen Religionskritik 41
1. Feuerbach als pantheistischer Hegelianer 42
2. Feuerbach als atheistischer Schleiermacherianer 53
III. „Eine Kritik der unreinen Vernunft" - Anmerkungen zu Feuerbachs intellektuellen und ideenpolitischen Ambitionen 67
1. Programmatischer Anspruch 67
2. Dekonstruktion des christlichen Offenbarungsglaubens 71
IV. „... den Gott aus der Menschenbrust wegsingen"? - Den Menschen in Gottes Brust hineinsingen... ? - Drei Versuche über eine Feuerbach würdige(nde) Kritik 81
1. Worin Feuerbach beeindruckt und worin er enttäuscht 82
2. Was die Theologie von einer religionskritischen Projektionstheorie zu lernen hat 85
3. Was die Vertreter einer religionskritischen Projektionstheorie von einer religionsphänomenologisch arbeitenden Theologie zu lernen haben 90
4. Gegenwärtiger Diskussionsstand; Verlauf der folgenden Studien 105
ZWEITES KAPITEL
DAS PROJEKTIONSARGUMENT WEITERDENKEN - PHILOSOPHISCH 111
V. Gefangen im Spiegelkabinett der Projektionen Nietzsches Ringen um die Wahrheit als Kampf gegen das projektive Moment der Wahrheit 113
1. „Gott ist toll! Und wir haben ihn getödtet!" Konsequenzen einer fürchterlichen Erkenntnis 115
2. „ Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen." - Zweifelhafte Soteriologie der Metapher 119
3. Weiterführende Fragen 125
VI. „Was ist Projektion anderes als Übertragung seelischer Stimmungen auf die Außenwelt?!"
Metamorphosen des religionskritischen Projektionsarguments in der Freud'schen Psychoanalyse 129
1. Projektion als Illusion 132
2. „Wir haben keine Instanz über der Vernunft!" Was aber ist Vernunft? - Zur Bedeutung von Intuition, Imagination und unableitbarer Eingebung im Vollzug der Psychoanalyse 140
3. Weiterführende Fragen 141
VII. „Das Sein prägt das Bewußtsein". Zur soziologischen Rezeption des Projektionsarguments 151
1. Kritische Relecture der Marx'schen Feuerbachkritik 154
2. Wissenssoziologische Konkretisierung einer marxistischen Relecture des Projektionsarguments
(Peter L. Berger/ Thomas Luckmann) 161
3. Weiterführende Fragen 170
DRITTES KAPITEL
DAS PROJEKTIONSARGUMENT GEGEN DEN STRICH BÜRSTEN - THEOLOGISCH 175
VIII. „Aber ja doch: Glaube ist Projektion!"
Hans-Martin Barths Versuch einer theologischen Feuerbachrezeption 177
1. Die These 177
2. Anfragen von seiten der Feuerbachexegese 183
3. Anfragen von seiten einer Theologie, die von der Metaphysik nicht lassen will 187
3.1. Welttranszendierende Jenseitigkeit. Gottes als Bedingung der Möglichkeit weltimmanenter Gotteserfahrung: Kritik der »Tod-Gottes-Theologie« 192
3.2. Der mein Bewußtsein gründende »Grund« als die meiner Immanenz vorausliegende Transzendenz 195
3.3. „In Wahrheit erfunden"? - Zur Frage nach der Wahrheitsfähigkeit des Fiktionalen 199
IX. Hermeneutik der Offenbarung. Paul Ricoeurs Theorie „metaphorischer Wahrheit" 203
1. Zur wirklichkeitsentdeckenden Kraft der Sprache 204
2. Zur sprachgenerierenden Kraft der Wirklichkeit 208
2.1. Der elliptische Ansatz: Eidetische Anthropologie und narrative Identität 213
2.2. Der reflexionsphilosophische Fokus: Selbst- und Weltentdeckung im Spiegel der Symbole 216
2.3. Der pragmatologische Kontext: Proleptische Symbolhandlung als konkrete Symbolhermeneutik (die Reich-Gottes- Gleichnisse und -Handlungen Jesu) 227
2.4. Der theologische Begründungszusammenhang: Aporetik der Symbole als Ausgangspunkt Negativer Theologie 229
2.5. Der metaphysische Vermittlungszusammenhang: Primordiale Seinsgüte und Ur-Bejahung 235
3. Seinsgüte und Projektion 240
X. Verschränkung von menschlichem Selbstbewußtsein und Gottesgedanken als religionsproduktiver Impuls. - Zur Theorie religiöser Fiktionalität bei K. Müller und D. Henrich 245
1. Konnaturalität von Erkennendem und Erkanntem: Der mein Bewußtsein gründende Grund als Bedingung der Möglichkeit eines Ineinsfalls von projektiver Selbstwahrnehmung und unableitbarer Offenbarung 246
1.1. Antagonistische Verfaßtheit menschlichen Selbstbewußtseins: Wege aus der Reflexionsfalle 246
1.2. Doppelpoligkeit menschlichen Selbstbewußtseins: Subjekt- und Personperspektive, Einmaligkeit und Einzelheit 249
1.3. Unhintergehbare Subjektivität und unverfügbarer Grund: Zum Zusammenhang von All-Einheits-Denken und Monotheismus 251
2. Bewährungsproben eines theologisch konsistenten Gebrauchs des Projektionsgedankens 263
2.1. Inkarnation 265
2.2. Reich-Gottes-Verkündigung und Osterkerygma 266
2.3. Kreuzestod und Auferstehungshoffnung 267
2.4. Denkformen des Trinitarischen 268
2.5. Zusammenfassung: Der Projektor wie Projektion gründende Grund als Rechtfertigungsinstanz
in Hinsicht auf die Wahrheitsfähigkeit theologischer Narrative. Annäherung an die Grenzlogik religiöser Wahrheit 271
3. Einwände gegen Müllers Verhältnisbestimmung von Endlichem und Absolutem 277
4. Übergang zum vierten Kapitel 285
VIERTES KAPITEL
DAS PROJEKTIONSARGUMENT VOM KOPF AUF DIE FÜSSE STELLEN - MYTHOLOGISCH-LITERARISCH 287
XI. »Der mythische Mensch ist unbegrenzt empfänglich« -Phänomenologische Annäherung an die Götterwelt der Griechen 299
1. Grundsätzliche Schwierigkeit: Was ist das eigentlich - ein Gott? 299
2. Erstes Beispiel: Die Epiphanie des Phobos 306
3. Zweites Beispiel: Die Epiphanie des Eros 312
4. Einsicht durch Leidenschaft? Kritische Befragung der gnoseologischen Voraussetzungen der Religionsphänomenologie 323
4.1. „Die Sinne denken": Mythos und Kunst als Erscheinungsweisen von Welt? (G. Picht) 323
4.2. Zwischen Ergreifung und Ergriffenheit: „Vernehmendes Denken" als wirklichkeitsgetreues Denken? (G. Krüger) 328
XII. Götterepiphanie als Ineinsfall von Findung und Erfindung welteröffnender Sprache -
Metaphorologische Annäherung an die Welt der griechischen Götter/ des biblischen Gottes 339
1. Grundsätzliche Schwierigkeit: Was ist das eigentlich - der mythische Mensch? 339
2. Götternamen (Hermann Usener) 342
3. Gottesname (Günter Bader) 351
4. »Gottes Sprache ist Sprache der Dinge; die Sprache der Dinge aber ist in der Sprache des Menschen nur vernehmbar als das Sprechende der Sprache« - Chancen und Grenzen einer theologischen Metaphorologie 368
4.1. Aufschein des Möglichen im Wirklichen: Kleine Phänomenologie metaphorischer Weltwahrnehmung 368
4.2. Er-Findung des Gottesnamens als Ineinsfall von theologia poetica und theologia revelationis 385
4.3. Theologie der Metapher als theologische Erfahrungstheorie: Problemüberhänge und Ausblick 393
XIII. Götterepiphanie als Umkehr der Einbildungskraft - Subjektphilosophische Annäherung an die Welt der griechischen Götter/ des biblischen Gottes 397
1. Selbsterkenntnis im Spiegel des anderen - Feuerbach vom Kopf auf die Füße gestellt, zum ersten: Homer 404
2. „Wie Abraham Gott entdeckte" - Feuerbach vom Kopf auf die Füße gestellt, zum zweiten: Thomas Mann 417
3. „Magdalena am Grab" oder: Die Umkehr des Blicks - Feuerbach vom Kopf auf die Füße gestellt, zum
dritten: Patrick Roth 430
3.1. „Mulholland Drive": Die Magdalenensekunde 431
3.2. „Da gingen ihnen die Augen auf.." (Lk 24,31): Österliche Blickumkehr als inspiriertes Projektionsgeschehen 442
XIV. Rückschau und Ausblick 457
1. Philosophiegeschichtlicher Kontext: Feuerbachs Religionskritik als radikalisierte Verengung subjektphilosophischen Denkens 457
2. Rückblickende Thesen 463
2.1. Erstes Kapitel (Studien II - IV) 463
2.2. Zweites Kapitel (Studien V - VII) 465
2.3. Drittes Kapitel (Studien VIII - X) 468
2.4. Viertes Kapitel (Studien XI - XIII) 474
3. Theologischer Ausblick 484
Personenregister 493
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