Welcher Schriftsteller aus dem Münsterland darf seit mehr als 50 Jahren seine Bücher im schweizerischen „diogenes“-Verlag veröffentlichen? Welches Mitglied des PEN-Zentrum Deutschland ließ sich mehr als 30 Jahre Zeit für seinen aktuellen größeren Prosaband? Welcher Filmemacher ist Mitbegründer der Georg-Groddeck-Gesellschaft in Baden-Baden und lebt auch in der Kurstadt, seiner Wahlheimat? Die Antwort auf diese Fragen lautet Otto Jägersberg. Der 1942 im westfälischen Hiltrup, das seit 1975 zur Stadt Münster gehört, geborene und aufgewachsene Schriftsteller legte bereits 1964 mit seinem Debüt „Weihrauch und Pumpernickel. Ein westphälisches Sittenbild“ sein erfolgreichstes Werk vor, das von Arno Schmidt wegen „viel gewagter Derbheit“ gelobt wurde. 2015 erschien 30 Jahre nach seinem letzten Gedichtband sein neuer, lesenswerter mit dem bezeichnenden Titel „Keine zehn Pferde“.
Ein Jahr später legte Jägersberg seine Prosasammlung „Die Frau des Croupiers“ vor, die eine lockere Zusammenstellung unterschiedlicher Textsorten enthält: biographische Erinnerungsskizzen, historische Miniaturen, Anekdoten, Gedankenspiele, Kürzest- und Kurzgeschichten, Erzählungen. Diese Schriften, welche mindestens eine Satzlänge und höchstens 30 Seiten aufweisen, haben eine Varietät von Themen zum Gegenstand: alltägliche, historische, literarische, regionale u.a. Alle diese Texte von Jägersberg zeichnen sich durch feinsinnigen Humor, ungewöhnliche Verbindungslinien sowie unterschiedlich graduierte Überraschungsmomente aus. Die Titelgeschichte des Buches beispielsweise handelt von einem jugendlichen Bankräuber mit Wollmütze, der einer besonderen Pädagogik zur Einsicht bedarf. In der historischen Miniatur, Anekdote und Kürzestgeschichte „Bayreuth“ geht es um Bauten schützendes Bier. Wer Interesse an solchen Texten „westfälisch“ bzw. „westfälisch-badischer“ bzw. „badischer“ Literatur hat, die unterhaltsam sind und zugleich zum Denken anregen, also im besten Sinne „Cognitainment“(Han) bieten, dem sei der neue Prosaband von Otto Jägersberg „Die Frau des Croupiers“, 2016 erschienen bei „diogenes“, zur Anschaffung empfohlen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Otto Jägersbergs vielgestaltige Prosa ist beides: hinreißend einfach und lustvoll komplex. Und von einer Präzision, die sowohl poetisch als auch rasend komisch sein kann. Der kürzeste dieser neuen Texte ist einen Satz lang, der längste dreißig Seiten. Es sind Kalendergeschichten, Erzählungen, Erinnerungsskizzen aus deutscher Vergangenheit, Begebenheiten aus dem Leben von Dichtern, Denkern und Verbrechern, Kürzest-Essays, Phantasien, Anekdoten, Berichte und Beobachtungen. Und auch einmal ein Fundstück wie dieses, in einem Buchantiquariat: »Balzac, ›Das Chagrinleder‹, mit Deckelsignet und Kopfgoldschnitt. Auf dem Vorsatzblatt die Widmung: ›Lies dies, Bestie, oder stirb! Alfred.‹ 120 Euro.« Solches zu finden ist schon Erfindung: nur ein Beispiel für die realitätsgesättigte Kunst des Erzählers Otto Jägersberg.

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