lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Der letzte Zug nach Moskau Zwei Freundinnen, zwei Schicksale, eine jüdische Familiengeschichte
Der letzte Zug nach Moskau
Zwei Freundinnen, zwei Schicksale, eine jüdische Familiengeschichte




Ren Nyberg

Deutscher Taschenbuch Verlag
EAN: 9783423281737 (ISBN: 3-423-28173-1)
240 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Februar, 2019

EUR 22,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
»Mutter Jüdin, aber hat die Deutsche Schule besucht.« Diese Notiz über sich fand René Nyberg eines Tages in den Unterlagen des finnischen Außenministeriums, für das er als Diplomat tätig war. Jahrzehnte später begann er, die Geschichte seiner Familie zu rekonstruieren. Seine Mutter Fanny, geboren und aufgewachsen in Helsinki, war von ihrer Familie verstoßen worden, als sie seinen Vater Bruno Nyberg heiratete, der kein Jude war. Fannys Cousine, die Musiklehrerin Mascha, die in Riga lebte, konnte mit ihrem Mann im letzten Zug nach Moskau entkommen, zwei Tage vor dem deutschen Einmarsch 1941. Sie überlebten so das große Morden. Erst lange nach dem Krieg trafen sich die Familien wirder.



Stationen einer Lebens- und Überlebensgeschichte mit starken Frauenpersönlichkeiten im Mittelpunkt und ein neuer Blick auf Nord- und Osteuropa im 20. Jahrhundert.
Rezension
Eine interessante und ungewöhnliche Geschichte seiner Familie (oder besser gesagt: den mütterlichen Teil seiner Familie) beschreibt der ehemalige finnische Diplomat René Nyberg in seinem vorliegenden Buch. Die Idee zur Forschung nach dem Stammbaum seiner Familie bekam er aufgrund eines Zufalls.

"Mutter Jüdin, aber hat die Deutsche Schule besucht." Diese Notiz, die dem Autor im finnischen Aussenministerium in die Hände fiel, weckte in ihm die Neugier, genauer nachzuforschen. Das Ergebnis seiner Nachforschungen präsentiert er dem interessierten Leser im vorliegenden Buch.
Der Geschichte der Familie nachzugehen war alles andere als einfach. Seine Mutter wurde aus ihrer Familie verstoßen, weil sie, als Tochter einer orthodox-jüdischen Familie einen Nicht-Juden heiratete und zudem zum evangelisch-lutherischen Glauben konvertierte. Von da ab war sie für ihre Eltern und ihre Brüder symbolisch "gestorben".
Die wechselvolle Geschichte der Familie Tukatsier ist die Geschichte einer jüdischen Familie, geprägt von geografischer "Unruhe", was die Aufenthalts- und Lebensorte anbelangte. Nicht untypisch in der Zeit zwischen beiden Weltkriegen und zwischen den Ideologien des nationalsozialistischen Deutschen Reiches und der restriktiven Politik der Sowjetunion unter Stalin.
So erfährt der Leser viele interessante Details zum Leben der Juden in Osteuropa und insbesondere in den baltischen Staaten (Estland, Litauen und Lettland). Hinweise zu den historischen Entwicklungen in diesen Ländern vermitteln ein sinnvolles Hintergrundwissen.
Ebenfalls leider nicht untypisch für Menschen jüdischen Glaubens in der Zeit um den Zweiten Weltkrieg, zeigt die Familiensaga alle Facetten: einige sterben (fallen den Exzessen der SS, der Reichswehr oder der Roten Armee zum Opfer), einige emigrieren in dienach Israel oder in die Sowjetunion, andere kehren später wieder zurück. Die Familie lebt weit zerstreut und dennoch gelingt ein Wiedersehen in der Nachkriegszeit, zumindest für einen kleinen Teil der Familie.

In gut lesbarer Form präsentiert der Autor eine Fülle bestens recherchierter, vielfältiger und beeindruckender Details. Für den Leser öffnet sich eine fremde und spannende Welt. Tief beeindruckend, mit welchem Mut und Überlebenswillen die jüdischen Bürger ihr tägliches Leben gestalteten. Ohne jegliche Sicherheit: was wird der morgige Tag bringen?

Dietmar Langusch, Lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
»Mutter Jüdin, aber hat die Deutsche Schule besucht.« Diese Notiz über sich fand René Nyberg eines Tages in den Unterlagen des finnischen Außenministeriums, für das er als Diplomat tätig war. Dass seine Mutter Fanny Jüdin war, hatte er selbst erst als Jugendlicher erfahren. Viel mehr wusste er lange Zeit nicht, denn es wurde in der Familie kaum darüber gesprochen. Erst Jahrzehnte später, als er Lena, die Tochter von Fannys heißgeliebter Cousine Mascha kennenlernte, die inzwischen in Israel lebte, beschloss er, der Geschichte seiner Familie nachzugehen. Er forschte in Archiven, befragte Zeitzeugen, sammelte verstreute Familiendokumente und studierte die einschlägige historische Literatur. So konnte er schließlich diese außergewöhnliche und abenteuerliche Familiengeschichte erzählen. Fanny war von ihrer jüdischen Familie verstoßen und sogar für tot erklärt worden, als sie 1937 den nichtjüdischen Finnen Bruno Nyberg heiratete. Von da an gab es über viele Jahre keinen Kontakt, obwohl alle Familienmitglieder in Helsinki lebten. Alle überlebten den Krieg, denn die Juden in Finnland blieben vor der Verfolgung verschont. Anders als in Lettland. Dort in Riga lebte Mascha mit ihrem Mann Josef und ihrer Familie. Fanny und Mascha hatten vor dem Krieg viel vergnügte Zeit miteinander verbracht. Mascha war Musikpädagogin, Josef Geiger. Die beiden bestiegen mit zwei Koffern den letzten Zug, der noch in Richtung Moskau fuhr, zwei Tage vor dem Einmarsch der Deutschen 1941. Eltern und Geschwister schlossen sich der Flucht nicht an. Sie wurden alle ermordet. Mascha und Josef jedoch überlebten den Holocaust in der Sowjetunion und kehrten gegen Kriegsende wieder nach Riga zurück. Lena wurde dort als erstes jüdisches Kind nach dem Krieg geboren. Die Familie wanderte schließlich nach Israel aus, aber Josef fühlte sich dort nicht heimisch. Den letzten Teil ihres Lebens verbrachte das Ehepaar in Berlin, als deutsche Staatsbürger. Denn Josefs Eltern waren Deutsche gewesen und er hatte nach dem Bundesentschädigungsgesetz Anspruch auf eine Rente und die deutsche Staatsangehörigkeit.

René Nyberg, 1946 in Helsinki geboren, Politikwissenschaftler und Diplomat, war von 2004 bis 2008 finnischer Botschafter in Deutschland, vorher vier Jahre finnischer Botschafter in Russland, danach als CEO des East Office of Finnish Industry tätig. Für die Geschichte seiner Familie hat er in zahlreichen internationalen Archiven recherchiert.
Inhaltsverzeichnis
Das Geheimnis unserer Familie · 11
Mischling ersten Grades · 17
Die Deutsche Schule · 22
»Mutter Jüdin, aber hat die Deutsche Schule besucht« · 30
Ein Ehrenmord in Helsinki in den 1930er-Jahren · 34
Sozialisierung in der finnischen Gesellschaft · 50
Der größte Judenstaat der Welt · 56
Drei Paradiese und eine Hölle · 68
Lettland in der Zange zwischen Russland und Deutschland · 74
»Wir haben schon einmal eine deutsche Besatzung überlebt« · 92
»Was wussten sie von dem, was in der Sowjetunion geschah?« · 107
Tief ins Hinterland · 110
Rückkehr ins leere Riga · 118
Sportpolitik und die Reise nach Riga · 134
A meschuggene Land · 153
In die Levante · 169
Wiedergutmachung für etwas, das nicht wiedergutzumachen ist · 173
Restitution · 182
Die Kreise schneiden und schließen sich · 186
Alexander Kuschner: Apoll im Schnee · 195
Über die Hintergründe dieses Buchs · 197

Anmerkungen · 205
Literaturverzeichnis · 227
Personenregister · 233