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Der historische Jesus
John Dominic Crossan
Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406385148 (ISBN: 3-406-38514-1)
630 Seiten, hardcover, 15 x 23cm, November, 1994
EUR 34,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Über keine Figur der Weltgeschichte ist mehr und Widersprüchlicheres geschrieben worden als über Jesus. Oft traten dabei Spekulationen an die Stelle historischer Forschung. Der amerikanische Bibelwissenschaftler John Dominic Crossan untersucht in diesem Buch das Leben Jesu mit seriösen Methoden. Er stellt dar, was wir über den historischen Jesus wissen können: wer er war, was er tat, was er sagte.
Während man lange Zeit glaubte, über den historischen Jesus nicht viel mehr sagen zu können, als daß er gelebt hat und einen gewaltigen Einfluß auf diejenigen hatte, die ihm folgten, irritiert neuerdings die Vielzahl einander widersprechender Darstellungen, die namhafte Wissenschaftler vom Leben Jesu geben. Die bloße Tatsache, daß es so viele sind, weckt Zweifel an den dabei verwendeten Forschungsmethoden.
John Dominic Crossan bemüht sich daher in diesem Buch um ein transparentes, nachvollziehbares Verfahren. In allen Einzelfällen kann man nachschlagen, wie das Belegmaterial vom Verfasser eingeordnet wird. Er zeichnet das Bild des historischen Jesus neu vor dem Hintergrund der lebendig beschriebenen Umwelt jener Zeit.
Das Buch beginnt - nach einem "Vorspiel", in dem Crossan die authentischen Worte Jesu aus den Evangelien zusammenstellt, und einem kurzen forschungsgeschichtlichen "Prolog" - mit einem ersten Hauptteil, in dem an charakteristischen Einzelbeispielen die Situaion im römischen Weltreich und speziell im abgelegenen Palästina anschaulich geschildert wird. Während es hier um die politische, soziale und geistige Lage im römischen Kaiserreich geht, stellt der zweite Hauptteil die religiösen Tendenzen im Judentum der Zeit Jesu dar. In Kapiteln über Visionäre, Lehrer, Heiler, Magier, Propheten und Rebellen beschreibt Crossan religiöse Auffassungen, Haltungen und Erwartungen. Vor diesem Hintergrund entsteht ein konturenreiches Bild des historischen Jesus.
Der dritte, umfangreichste Hauptteil wendet sich dem Leben Jesu selbst zu. In detaillierten Untersuchungen beschäftigt sich Crossan zunächst mit dem Verhältnis Jesu zu Johannes dem Täufer und erörtert hier bereits die Rezeption der apokalyptischen Menschensohnvorstellung, geht dann auf Jesu Botschaft, seine Heilungen und seine Mahlgemeinschaften ein, um danach Tod, Begräbnis und die Frage der Auferweckung Jesu zu behandeln. In einem Epilog wird schließlich das Verhältnis zum Judentum und zum frühen Christentum skizziert.
Eine der zentralen Fragen in Crossans Buch lautet: Warum hat man Jesus umgebracht? Crossan sieht in Jesus einen radikalen Sozialreformer, einen Lehrer der Gleichheit aller Menschen, der die religiösen und politischen Mächte seiner Zeit dadurch herausgefordert hat, daß er predigte, jeder habe jederzeit und in seinem alltäglichen Leben Zugang zum Göttlichen. Er brach dadurch mit einem Grundprinzip der mediterranen Kultur jener Zeit: der Patronage, dem Mittler- und Klientenwesen, das die Gesellschaft durch und durch strukturierte. Dieser Bruch - symbolisiert im gemeinsamen Mahl ohne feste Tischordnung - ist viel fundamentaler, als es einzelne gesellschaftskritische Theoreme sein könnten.
John Dominic Crossan , geb. 1934, ist Professor für Bibelwissenschaften an der DePaul University Chicago. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Preisträger des American Academy of Religion Award for Excellence.
Rezension
Dies ist, nicht nur im Vergleich zu anderen Jesus-"Biographien", ein sehr spannendes Buch! Es ist auch ein argumentativ überzeugendes Werk! Zwar werden sich sehr fromme Menschen von Crossans rationalisierenden Thesen abgeschreckt fühlen, und auch den Wissenschaftlern, zumal konservativen, behutsamen, wird jede Menge Angriffsfläche für Kritik geboten. Aber niemand wird bestreiten, daß es wissenschaftlicher Mut und die Bemühung um wissenschaftliche Ehrlichkeit ist, der sich Crossan (erfolgreich) verschreibt.
Hinzu kommt der Versuch einer Methodik, die objektivere Ergebnisse erzielt: Dabei bezieht er sozialanthropologische, historische und literarische Untersuchung des Quellenmaterials gleichermaßen mit ein. Neben den common sense-Thesen der Exegese seien hier insbesondere der große Stellenwert des Thomasevangeliums (basierend auf angenommenen hohem Alter und Unabhängigkeit von den kanonischen Evangelien), außerdem die Unabhängigkeit der Didache, sowie die Existenz und Unabhängigkeit eines Kreuzevangeliums hervorgehoben.
Crossan trifft, sich auf eine Vielzahl anthropologischer Studien berufend, folgende soziohistorische Voraussetzungen, die das Jesusporträt natürlich determinieren:
- Die Annahme der ausgeprägten Hellenisierung Palästinas zur Zeit Jesu.
- Das überall gegenwärtige Patron- Klienten (Sklaven)-System mit seiner Mittlerschaft.
- Der rege Unmut der Okkupierten gegen die römischen Besatzer.
- Die sich bis nach Galiläa erstreckende Verbreitung kynischer Kreise mit ihrer charakteristischen Abneigung gegen das Gesellschaftssystem und der kynische Einfluss auf Jesus.
Einen wichtigen Aspekt in seiner Untersuchung nehmen seine Ergebnisse zum „Reich Gottes“ ein. Er unterscheidet hier zwei Modelle, die je nach Klassenzugehörigkeit (Bauern einerseits, Gefolgsklasse andererseits) dem entsprechend unterschiedlich ausfallen: Zum Einen gibt es das zukünftige oder „apokalyptische“ Modell, bei dem das überwältigende Eingreifen Gottes zur Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden auf der Erde erwartet wird, zum Anderen das gegenwärtige oder „weisheitliche“ Modell, dem ein ethisches Reich entspricht. Es ist „ewig gegenwärtig dem, der dem Ruf der Weisheit folgt.“ Im zweiten Typus ist Jesu Verkündigung anzusiedeln, wobei Jesus bei Crossan als ein analphabetischer, bäuerlicher, jüdischer Kyniker dargestellt wird.
Das Revolutionäre an Jesus ist sein Egalitarismus, sein Aufbegehren gegen das herrschende Patronatswesen, das er mit „offener Kommensalität“, also einer Tischgemeinschaft jenseits gesellschaftlicher Hierarchien und Konventionen gewissermaßen subversiv zu zerstören beginnt. Auch seine Heiler-Aktivitäten dienen diesem Zweck. Er lässt sich nicht dafür entlohnen, bleibt auch durch Wanderschaft unverfügbar, macht also keinen Heilbetrieb auf, sondern verknüpft Heilung mit Mahlgemeinschaft und bildet so eine Jüngerschaft aus „heilenden Geheilten“.
Bei seiner (wohl) ersten Jerusalemreise im Frühjahr seines Todesjahres wird Jesus wegen symbolischer Handlungen im bzw. am Tempel, vorsichtshalber von den römischen Behörden gefangengenommen und – um in der für die Römer prekären Situation des Pessachfestes ein Exempel für alle anderen potentiellen Aufrührer zu statuieren – am Kreuz hingerichtet. Den Leichnam fressen – wie bei allen Gekreuzigten – die wilden Tiere. Alles weitere geht auf das Werk von Schriftgelehrten und des Apostel Paulus zurück.
Crossans „Der Historische Jesus“ richtet sich insbesondere an Theologen. Es ist zwar allgemeinverständlich geschrieben, benutzt griechische Begriffe erklärt und in Umschrift, wird aber mit seiner Argumentationsdichte den Laien eventuell abschrecken. Für die interessierte, fachfremde Leserschaft, kann ich alternativ Crossans pointierte und packende Darstellung „Jesus. Ein revolutionäres Leben“ (ebf. Beck) empfehlen.
Gerade Studierenden kann ich raten, sich das besprochene Buch zuzulegen, da sie hier eine ausführliche, ‚reibungsintensive’ Lektüre vorfinden, die ein sehr ergiebiges Jesusporträt zu bieten hat, welches einen in intellektueller und spiritueller Hinsicht gleichermaßen inspiriert und sich wunderbar für einen Prüfungsschwerpunkt im Bereich Leben-Jesu-Forschung eignet.
Michael Simonsen, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die große zusammenfassende Darstellung:
Wer Jesus war,
was er tat,
wass er sagte.
Inhaltsverzeichnis
Vorspiel 9
Prolog 27
ERSTER TEIL
Das Reich der Mittler
1. Damals und jetzt 38
Ein freundliches Meer in feindlicher Landschaft 39 – In den Augen der anderen 45 – Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen? 52 – Vergiß mich nicht 58
2. Krieg und Frieden 71
Ein Schrein des augusteischen Friedens 72 – Mittellos, ohne väterlichen Besitz 77 – Auf Perser und Briten 79
3. Sklave und Patron 85
Soziale Schichten in Agrargesellschaften 86 -Paradoxe der römischen Sklaverei 89 – Eine antiökonomische Ideologie 93 – Die Leidenschaft des Froschkönigs für Handelsgeschäfte 97 – Eine Landkarte der Patronatsgesellschaft 104 – Das Fundament des politischen Lebens 111 – Im Himmel wie auf Erden 114
4. Armut und Freiheit 119
Diogenes oder Dädalus 121 – Frei unter Vater Zeus 124 – Mein Schuh die Fußsohle 129 – Unter der Fahne des Hundes 133
ZWEITER TEIL
Erhebung gegen die Mittler
5. Edelmann und Geschichtsschreiber 142
Wenigstens haltet die geschichtliche Wahrheit in Ehren 143 – Ich kann meine eigenen Gefühle nicht verbergen 148 – Und Gott ... stehe jetzt zu Italien 149 – Tyrannen und ihre Mordbrennerbanden 152 – Sub Tiberio Quies 153
6. Visionär und Lehrer 156
Das Kommen des fünften Königreichs 159 – Und ihr König ist der Gesalbte des Herrn 160 – Unser Blut wird gerecht sein vor dem Herrn 162 – Der Menschensohn, dem Gerechtigkeit gehört 163 – Ging sodann die höchste Macht auf die Römer über 164 – Kein Herr außer Gott 166 – Die vierte Philosophenschule 167 – Die Söhne Judas des Galiläers 173 – Verborgene Dolche und verborgene Gesichter 174
7. Bauer und Protestierer 182
Im Fortgang der Zeiten dahinvegetieren 183 – Die Drohung eines Agrarstreiks 187
8. Magier und Prophet 198
Elija und Elischa 199 – Rabbinisierte Magier 204 – Honi im Kreis 204 – Hanina, Mann der Tat 211 – Das ferne Kind 214 – Der Schlangenbiß 217 – Der Magier als Typus 222 – Den chiliastischen Traum aufführen 224
9. Bandit und Messias 237
Das ungeschminkte Gesicht des Agrarimperiums 238 – Ein Räuberhauptmann mit einer großen Schar 244 – Die Grenzen und Höhlen Galiläas 244 – Judäa – fortwährend Schauplatz römischer Streifzüge 249 – Ein Banditengeneral einer Banditenarmee 261 – Die Zeloten, wie sie sich nannten 270 – Ein König ohne Dynastie? 272 – Jeder konnte sich zum König machen 275 – Ein Purpurmantel im Tempel 280
10. Rebell und Revolutionär 285
Eingeborenenaufstände gegen Rom 286 – Eine Revolution innerhalb einer Revolution 289 – Bauernunruhen 300
DRITTER TEIL
Das Reich ohne Mittler
11. Johannes und Jesus 311
Um die Mitte des ersten Jahrhunderts 312 – Johannes und der Kommende 315 – Johannes tauft Jesus 317 – Die Botschaft des Johannes 320 – In die Wüste 321 – Größer als Johannes 323 – Der apokalyptische Menschensohn 324 – Einer wie ein Menschensohn 325 – Indirekt „Ich selbst“ sagen 328 – Mit den Wolken des Himmels kommen 330 – Jesu apokalyptische Wiederkunft 330 – Vor den Engeln 335 – Die Gefahr kennen 338 – Jakobus offenbart 339 – Ein Zeichen begehren 340 – Die unbekannte Zeit 342 – Irdischer und himmlischer Menschensohn 344 – Füchse haben ihre Gruben 345 – Herr und Sabbat 346 – Alle Sünden vergeben 347 – Kinder und Jünger klagen 349 – Offene Kommensalität 351
12. Reich und Weisheit 357
Ein Königreich der Niemande 358 – Das Reich und die Kinder 358 – Selig die Armen 362 Reich und Reichtum 368 – Ein Reich der Unerwünschten 370 – Das Senfkorn 370 – Das gesäte Unkraut 373 – Der Sauerteig 375 – Die Perle 376 – Der Schatz 377 – Ein Reich des Hier und Jetzt 377 – Wann und wo 377 – Ein Reich Gottes 379 – Das apokalyptische Reich Gottes 380 – Das Reich Gottes im Lichte der Weisheit 383 – Typologie des Reichs 388 – Vom Reich zur Liturgie 390 – Das Vaterunser 390 – Zwei als einer 393 – Gegen die patriarchalische Familie 397
13. Magie und Mahl 402
Magie als religiöses Banditentum 404 – Ein Evangelium der Wunder? 411 – Opfer eines dämonischen Imperialismus 414 – Der Beelzebulstreit 420 – Ereignis und Prozeß beim Wunder 423 – Vom Ereignis zum Prozeß 424 – Heilung eines Aussätzigen 424 – Krankheit und Sünde 428 – Heilung des Blinden 429 – Vom Prozeß zum Ereignis 431 – Heilung des fernen Knaben 431 – Erweckung des Toten 434 – Vom Wunder zum Tisch 439 – Mission 440 – Kleidung 446 – Ort 448 – Kommensalität und Tischgemeinschaft 450 – Heilen 455 – Reich 455 – Wandern 457 – Die Botschaft eine offenen Geheimnisses 461
14. Tod und Begräbnis 469
Ich werde dieses Haus zerstören 470 – Tut dies zu meinem Gedächtnis 477 – Die Passion als Erzählung 485 – Prophezeiung oder Geschichte? 486 – Unter Pontius Pilatus 492 – Der geopferte Bock 497 – Muster für eine Passionserzählung 504 – Gerettete Unschuld 508 – Niedergefahren zur Hölle 510 – Gerechtfertigtes Martyrium 512 – Ein ehrbarer Ratsherr 516
15. Auferstehung und Autorität 520
Mahl und Meer 522 – Brot und Fisch 524 – Auf Wasser gehen 531 – Menschenfischer 535 – Die Genannten und die Ungenannten 539
Epilog 548
Jesus und das Judentum 549 – Ein bäuerlicher jüdischer Kyniker 553 – Jesus und das Christentum 554
ANHANG
Anhang 1 – Anhang 7 563
Bibliographie 598
Register 616
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