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Der abwesende Vater - Wege aus der Vaterlosigkeit
Der Fall Thomas Bernhard
Dorett Funcke
Reihe: Klinische Soziologie
LIT
EAN: 9783825802608 (ISBN: 3-8258-0260-4)
344 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2007
EUR 34,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Klinische Soziologie
Herausgegeben von Prof. Dr. Bruno Hildenbrand
"Die "klinische Soziologie" besteht in einer professionalisierten, im Namen soziologischer Theorie und vor allem Methodik durchgeführten praktischen Tätigkeit, die in konkreten Einzelfällen bezogen auf praktische Problemstellungen und Krisen dieser Einzelfälle beratend, evaluierend und evtl. interventionistisch aufgrund eines Auftrags aus der Praxis abgerufen wird."
(Ulrich Oevermann)
Diese Fallstudie ist ein hermeneutisches Meisterwerk, da die Autorin den Leser mit sicherer Hand durch das Universum einer spezifischen Welt, der Thomas-Bernhard-Welt leitet. In einem einzigen Analysegang, in dem souverän eine ungeheure Materialmasse verarbeitet ist, werden die Unterstützungsleistungen zusammengeführt, die angesichts katastrophischer Sozialisationsbedingungen, die Thomas Bernhards erste Lebensphase bestimmten, überlebenswichtig waren. Auf diese Weise wird demonstriert, was die Autorin als Aufgabe einer "komplexen" Sozialisationsforschung fordert, dass nämlich der Blick über die Kernfamilie hinaus auf alle relevanten Sozialisationsparameter erweitert werden muss.
Die Arbeit wurde mit dem Promotionspreis der Friedrich-Schiller-Universität Jena ausgezeichnet.
Rezension
Der 1931 geborene österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. Seine Biographie und entsprechend auch sein Werk sind geprägt von zwei wesentlichen Widerfahrnissen, deren erstes den Titel dieser soziologischen Studie ausmacht: dem abwesenden Vater bzw. Eltern und einer lungentuberkulösen Erkrankung. Unehelich geboren verbringt Thomas Bernhard wesentliche Teile seiner Kindheit bei den Großeltern in Wien, nach Konflikten mit der wiederverheirateten Mutter in einem nationalsozialistischen Erziehungsheim. Den leiblichen Vater lernte Thomas Bernhard nie kennen, die Mutter verstarb 1950 an Krebs: hora mortis, Frost, Die Kälte, Verstörung oder Auslöschung sind entsprechende Titel des Werks des Schriftstellers. Verletzungen und Enttäuschungen durchziehen Leben, Werk und Wirkung von frühester Kindheit an: das Gefühl, von seiner Mutter und dem Vater alleingelassen, ungeliebt, unerwünscht zu sein. - Am Beispiel Thomas Bernhards zeigt diese mit dem Promotionspreis der Universität Jena ausgezeichnete Arbeit insbesondere auf, dass der Blick einer komplexen Sozialisationsforschung über die Kernfamilie hinaus gerichtet werden muss.
Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Danksagung 9
1 Familie als Begriff im Spannungsfeld von Theorie und Praxis — Prolegomena 11
2 Die Triade als eine widersprüchliche Einheit 27
3 Methodisches Vorgehen 35
4 Der Fall Thomas Bernhard 45
4.1 Familienstrukturen als Rahmen für individuelle Sozialisationsprozesse 45
4.1.1 Der Familienstammvater mit dem generationenprägenden Habitus der Selbständigkeit.
Das bäuerliche Milieu als Ort einer „Transformation zum Identischen" (1. Generation) 45
4.1.2 Kontinuität und Wandel im individuellen Lebensverlauf mit dem Strukturmuster einer „Transformation zum Äquivalenten" (2. Generation) 53
4.1.2.1 „Die Reise in die Welt und wieder zurück" 53
4.1.2.2 „Es heißt immer nach Dalmatien " - Die Militärjahre 1850-1854 57
4.1.2.3 Eine Phase des Suchens. Die Jahre 1855 - 1863 64
4.1.2.4 „Ich heiß wohl Sepp/Bin aber kein Tepp" — „Der Butterkönig" 70
4.2 Die Reproduktion einer familialen Sinnstruktur durch Transformation eines fremdbestimmten Individualisierungsauftrages in einen selbst gewählten Bewährungsauftrag (3. Generation) 75
4.2.1 Ein zentrifugales Familienmilieu 75
4.2.2 Der fremdbestimmte Autonomieauftrag. Individualisierung ohne traditionelle Rückbindung 89
4.2.3 Eine Periode des Aufschubs 95
4.2.4 Rudolf Kasparek 102
4.2.5 Die Lebensgefährtin Anna Bernhard. „Ich habe meine Hände, Du hast Deinen Kopf' 109
4.2.6 Die Mäzenatengabe als ein „opening gift" 123
4.2.7 Die „Schemata des Zusammenseins" 138
4.3 Das sozialisatorische Dreieck in alternativer Auffüllung. Der vorstrukturierte Handlungskontext (4. Generation) 145
4.3.1 Verstrickt im Abhängigkeitsverhältnis zur Herkunftsfamilie 145
4.3.2 Das Paradies 155
4.3.3 Familiale Ausgrenzungsprozeduren 161
4.4 Thomas Bernhard — Adoleszenzkrisenbewältigung (Die Jahre 1947-1960) (5. Generation)169
4.4.1 Eine Entziehung 169
4.4.2 Der Kapellmeister Rudolf Brändle177
4.4.2.1 Herkunfts- und Biographiegeschichte 178
4.4.2.1.1 Eine erste Hypothese 178
4.4.2.1.2 Das Großeltempaar väterlicherseits 181
4.4.2.1.3 Die Bildungsgeschichte des Vaters 184
4.4.2.1 A Reparaturauftrag 188
4.4.2.1.5 Passungsgrammatik 192
4.4.2.2 DasDioskurenpaar 193
4.4.2.2.1 Beziehungsaumahme 195
4.4.2.2.2 Rettungsnische Sanatorium 202
4.4.2.2.3 Das Zusammensein in Grafenhof 208
4.4.2.2.4 Aufenthalt im Durchgang 212
4.4.3 Nach Grafenhof (1950-1960) 215
4.4.3.1 Die Ab wähl von Berufsmöglichkeiten und künstlerische Identitätsentfaltung 215
4.4.3.2 Lebenspraktische Entlastung zugunsten künstlerischen Handelns 218
4.4.4 Die Zeit der Adoleszenzkrisenbewältigung im Überblick 220
4.4.5 Ein Vergleich mit dem Großvater Johannes Freumbichler 225
4.4.6 Das Leben als Kunstwerk 230
4.5 Karl Ignaz Hennetmair 233
4.5.1 Eine Autonomiephantasie 233
4.5.2 Ein männlicher Gegenentwurf 235
4.5.2.1 Generationenzugehörigkeit 235
4.5.2.2 Herkunftsgeschichte 236
4.5.2.3 Der Weg zum Realitätenvermittler — Eine biographische Skizze 240
4.5.2.4 Zusammenfassung 243
4.5.3 Ambivalenz als Stimulans für eine andauernde Werkproduktion 244
4.5.3.1 Schwanken zwischen Sesshaftigkeit und einer mobilen Existenz 244
4.5.3.2 Komplementäre im Illusionismus 253
4.5.4 Die Erwachsenentriade als Erfahrungsort der sozialisatorischen Strukturdynamik 257
4.6 Hedwig Stavianicek 261
4.6.1 Die Strukturdramatik der Begegnungsszene 261
4.6.2 Die Welterschließende 263
4.6.2.1 Herkunftsmilieu 263
4.6.2.2 Autonomiebehauptung unter Aufrechterhaltung der Loyalität zur Herkunftsfamilie 273
4.6.2.3 Beziehungsgestaltung 281
4.6.3 Sicherung von Nähe unter Bedingungen der Unwahrscheinlichkeit - Ein Brief aus dem Jahre 1955 283
5 Über die Triade hinaus: Ein Plädoyer für eine komplexe Modellkonzeption in der empirischen Sozialisationsforschung 292
Anhang 319
Thomas Bernhard (1931-1989) 319
Rudolf Brändle (1922) 324
Karl Ignaz Hennetmair (1920) 326
Hedwig Stavianicek (1894-1984) 327
Literatur 328
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