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Der Osten und das Unbewusste
Wie Freud im Kollektiv verschwand
Andreas Petersen
Klett-Cotta
EAN: 9783608987201 (ISBN: 3-608-98720-7)
352 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 13 x 21cm, März, 2024, mit Abbildungen
EUR 25,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Pawlow statt Freud oder wie der Osten die Psychoanalyse verbannte
Andreas Petersen verfolgt die historischen Linien des Unbewussten in Ost und West. Er beschreibt, wie die Tiefenpsychologie in der Sowjetunion zunächst gefördert und dann in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts vollständig verworfen wurde. Während es in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem »psychological turn« kam, blieb das Unbewusste in Osteuropa offiziell tabu. Dies galt bis 1989 - mit Folgen bis in die Gegenwart.
Ausgehend von Freuds Entdeckung des Unbewussten vollzog sich in den USA und dann in Westeuropa im 20. Jahrhundert ein »psychological turn«, der in einer Neupositionierung von Individuum und Gesellschaft mündete. Selbstverwirklichung und Glücksversprechen durch Individualisierung wurden zum prägenden Gesellschaftsmodell für die Nachkriegsgesellschaften. Und der Osten? Nach einem anfänglich starken Interesse an Tiefenpsychologie und Analyse wurden unter Stalin alle individualpsychologischen Ansätze verbannt und durch die rein biologistische Theorie von Ivan Pawlow ersetzt. Andreas Petersen zeichnet diese weniger bekannte, doch gesellschaftlich eminent folgenreiche Entwicklung plastisch nach, auch anhand charakteristischer Biographien von Analytikern, Klinikärzten und Psychologen, die harten Kämpfen und Verfolgungen ausgesetzt waren. Die zunehmende Entfremdung zwischen Ost und West hat ihre Wurzeln auch in der unterschiedlichen psychohistorischen Prägung.
Rezension
Wie hat sich Psychoanalyse in Ost und West entwickelt? Das ist das zentrale Thema dieses Buchs. Das Fazit lautet: Die zunehmende Entfremdung zwischen Ost und West hat ihre Wurzeln auch in der unterschiedlichen psychohistorischen Prägung. Nach einem anfänglich starken Interesse an Tiefenpsychologie und Analyse wurden unter Stalin alle individualpsychologischen Ansätze verbannt und durch die rein biologistische Theorie von Ivan Pawlow ersetzt. Während es in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem »psychological turn« kam, blieb das Unbewusste in Osteuropa offiziell tabu. Sigmund Freuds Erkenntnisse führten in den westlichen Gesellschaften zu einem »psychological turn«. In den Staatsideologien der kommunistischen Gesellschaften des Ostblocks subsumierte man das Unbewusste unter der Kategorie »Idealismus« und ließ Freud sukzessive im Kollektiv verschwinden, - allerdings durchus sehr unterschiedlich in den verschiedenen Ostblock-Staaten, wie diese Darstellung zeigt. Individualisierung und Fokussierung auf Innerlichkeit sowie die Psychologisierung der Gesellschaft sind, wie die Krisen der westlichen Welt zeigen, kein Garant für gesellschaftlichen Fortschritt. Der einst befreiende Impetus tiefenpsychologischer Ansätze ist zu einem Instrument der Selbstoptimierung in der Leistungsgesellschaft geworden.
Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Prolog 9
1 Budapest-Wien- USA : Vom Nukleus einer neuen Anthropologie
Lilly Hajdu – der weibliche Weg der Budapester Schule 13
Wiener Allianzen 42
Gemeinschaftsgefühl überall 60
2 Moskau: Die Schaffung des Neuen Sowjetmenschen
Aron Borissowitsch Salkind – der pädologische Antisexer 75
Strukturaufbau 86
Allmachtsphantasien 93
Kinderheim-Laboratorium 99
Der Untergang 103
Der Große Terror 109
Iwan Pawlow – Leben ohne Emotion 113
3 BRD : Die durchtherapeutisierte Gesellschaft
Alexander Mitscherlich – der Popularisierer 139
Demokratieaufbau 145
Krankenkassenumschlag 152
Vom Gang nach Innen 155
4 Osteuropa: Sowjetischer Nachvollzug
Dietfried Müller-Hegemann – tödliche Schlaftherapie 169
Osteuropäische Parallelitäten 203
Tschechoslowakei – Kindswohl 205
Bulgarien – vom Luxus der Selbstbeobachtung 216
Rumänien – Verbot ohne Verbot 227
Polen, Baltikum, Ukraine, Belarus – doppelte Auslöschung 237
Jugoslawien – Selbstbestimmung und Terror 253
Ende der Sowjetunion – von einer Zeit vor Freud 261
Anhang
Dank 269
Anmerkungen 273
Ausgewählte Literatur 325
Bildnachweis 343
Register 345
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