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Das Fluchtparadox Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen
Das Fluchtparadox
Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen




Judith Kohlenberger

Kremayr & Scheriau
EAN: 9783218013451 (ISBN: 3-218-01345-3)
240 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, August, 2022

EUR 24,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Flucht ist ein Paradox: Man will bleiben, muss aber weg. Man sucht Sicherheit, muss dafür aber ein hohes Risiko eingehen. Man muss Recht brechen, nämlich „illegal“ Grenzen passieren, um zu seinem Recht auf Asyl zu kommen.

Judith Kohlenberger liefert eine detaillierte Analyse unseres Umgangs mit Vertreibung und Vertriebenen, nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, zeichnet die historischen Entwicklungen in rechtlicher und gesellschaftlicher Perspektive nach und zeigt, wie wir zu einer menschlichen Asyl- und Integrationspolitik kommen, wenn wir unsere moralische Verantwortung wahrnehmen und der Stärke unseres Rechtsstaats und unserer Zivilgesellschaft vertrauen.

„Auf Lesbos, in Bosnien und im Mittelmeer herrscht wissentlich herbeigeführte Rechtslosigkeit. Uns Europäer*innen kann das nicht passieren – das ist die Grundannahme, die dieses Buch nachhaltig erschüttern will.“
Rezension
Das 21. Jahrhundert wird wohl – wie das vorherige – wieder eines der Migration werden. Die Zahl der Migrant:innen, Vertriebenen und Flüchtlinge auf Welt erreicht immer neue Höchststände. Obwohl in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“(1948) und in der „Genfer Flüchtlingskonvention“(1951) universell gültige Rechte von Migrant:innen verankert sind, werden diese von den Immigrationsländern vielfach missachtet. Man denke nur an die zahlreichen Menschen, die auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer sterben, und an die katastrophalen Lebensbedingungen, in denen Menschen in den Flüchtlingslagern ausharren müssen. Zudem wird in öffentlichen und politischen Debatten mittlerweile zwischen Flüchtlingen ersten und zweiten Grades unterschieden. Während Flüchtlinge aus der Ukraine in der BRD eine Arbeitserlaubnis erhalten, sehen sich Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mit Pushbacks konfrontiert. Zurecht kann die europäische Grenz- und Migrationspolitik als widersprüchlich und unmenschlich kritisiert werden, wie es zum Beispiel die italienische Philosophin Donatella Di Cesare in ihrem Buch „Stranieri residenti. Una filosofia della migrazione“(2017) macht, welches 2021 auf Deutsch unter dem Titel „Philosophie der Migration“(2021) erschien.
Eine differenzierte Kritik an der europäischen Asyl- und Migrationspolitik lieferte jüngst auch Judith Kohlenberger (*1986) in ihrem Buch „Das Fluchtparadox. Über unseren widersprüchlichen Umgang mit Vertreibung und Vertriebenen“, erschienen 2022 im Wiener Verlag Kremayr & Scherlau. Für ihre Abhandlung wurden der österreichischen Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität Wien mehre Preise verliehen, u.a. 2023 der zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“. Der Wissenschaftlerin gelingt es in ihrer präzisen Analyse sehr gut, unterschiedliche Widersprüche der europäischen Asyl-, Außen-, Grenz- und Integrationspolitik aufzuzeigen.
Zunächst ist es schon paradox, dass Menschen, um von ihrem Asylrecht Gebrauch machen zu können, überhaupt illegal Grenzen überwinden müssen. Des Weiteren deckt Kohlenberg Verstöße europäischer Politik gegen die für alle Menschen geltenden Menschenrechte und allen Menschen zukommende Menschenwürde auf. Explizit verweist sie auf Hannah Arendts Postulat allen Menschen das grundlegende „Recht, Rechte zu haben“ zuzusprechen. Kohlenberger fordert unter Verweis auf Arbeiten des Soziologen Zygmunt Bauman von der europäischen Migrationspolitik eine „moralisch fundierte, auf der Begegnung mit dem Anderen getroffene Verantwortungsübernahme“(S. 182). Diese impliziert u.a. die Realisierung von legalen Fluchtwegen für Flüchtlinge, wofür sich auch die Initiative „COURAGE – Mut zur Menschlichkeit“ einsetzt, deren Gründungsmitglied Kohlenberger ist.
Lehrkräfte der Fächer Ethik und Politik werden durch das Buch der Kulturwissenschaftlerin geradezu aufgefordert, sich in ihrem Unterricht kritisch mit der aktuellen europäischen Migrationspolitik und problemorientiert mit einer Ethik der Migration auseinanderzusetzen. Aus eigener unterrichtlicher Erfahrung in einem Leistungskurs Ethik kann bestätigt werden, dass Oberstufenschüler:innen intensiv über Fragen der Migrationsethik diskutieren und sich zu diesen ein ethisch reflektiertes Urteil bilden können (vgl. Remme, Marcel: Recht auf Immigration – ein neues Menschenrecht? Eine Unterrichtssequenz im Ethikkurs zur Open Borders-Kontroverse. In: ZDPE 44 H. 4/2022, S. 49-62).
Fazit: Judith Kohlenberger hat mit ihrem engagiert geschriebenen Buch „Das Fluchtparadox“ einen wichtigen Beitrag zur höchst aktuellen Migrationsdebatte vorgelegt, der unbedingt Gehör verdient – in der Öffentlichkeit und in der Politik.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Judith Kohlenberger
Das Fluchtparadox
„Grundrechte kann man nicht einfach für die einen abstellen, während sie für die anderen weiter gelten. Sie sind, wie Maya Angelou, die amerikanische Schriftstellerin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung, so treffend formulierte, wie Luft: Entweder alle haben sie – oder niemand.“
Flucht ist ein Widerspruch: Man will bleiben, muss aber weg. Flucht ist traumatisierend: Man sucht Sicherheit, muss dafür aber sein Leben aufs Spiel setzen. Und Flucht (nach Europa) ist paradox: Man muss Recht brechen, nämlich „illegal“ Grenzen passieren, um zu seinem Recht auf Asyl zu kommen. Nur um sich im Aufnahmeland abermals mit widersprüchlichen Anforderungen und unerfüllbaren Zuschreibungen der Integration auseinandersetzen zu müssen.
Die Fluchtforscherin Judith Kohlenberger liefert eine detaillierte Analyse unseres Umgangs mit Vertreibung und Vertriebenen, zeichnet die historischen und rechtlichen Entwicklungen, nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine, in rechtlicher, gesellschaftlicher und individueller Perspektive nach und zeigt, wie wir zu einer menschlichen Asyl- und Integrationspolitik kommen, wenn wir unsere moralische Verantwortung wahrnehmen, kurz: wenn wir der Stärke unserer Institutionen, unseres Rechtsstaats und unserer Zivilgesellschaft vertrauen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort: Alle oder niemand 9
1. Lager 17
2. Paradoxes 25
3. Sicherheit 33
4. Schutz 55
5. Grenzen 75
6. Ausschluss 93
7. Ankunft 107
8. Aufstieg 135
9. Zugabe, oder: Applaus vom Balkon 157
10. Verantwortung 171
Danksagung 189
Anmerkungen 192