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Das Böse und die Theodizee Eine philosophisch-theologische Grundlegung.
Das Böse und die Theodizee
Eine philosophisch-theologische Grundlegung.




Friedrich Hermanni

Gütersloher Verlagshaus
EAN: 9783579053912 (ISBN: 3-579-05391-4)
361 Seiten, kartoniert, 15 x 22cm, 2002

EUR 34,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Was ist das Böse und warum ist es in der Welt?

Klärungen zum Fundamentalproblem des Glaubens

Was ist das Böse?

Warum ist es in der Welt?

Kann man trotzdem an Gott glauben?

Das sind die fundamentalen Fragen, die diese ambitionierte Untersuchung beschäftigen. In der Auseinandersetzung mit den abendländischen Großtheorien von der Antike bis in die Gegenwart entwirft Friedrich Hermanni eine unter Gegenwartsbedingungen überzeugende Theorie des Bösen und der Theodizee.



Friedrich Hermanni, Privatdozent Dr. phil., Pfarrer, ist Dozent für Systematische Theologie an der Kirchlichen Hochschule Bethel und für praktische Philosophie an der Fachhochschule Südwestfalen.
Rezension
Das Theodizeeproblem im engeren Sinne stellt sich innerhalb eines theistischen Bezugsrahmens dar und besteht in der Frage, ob die drei folgenden Annahmen zugleich wahr sein können:

(1) Es gibt Übel in der Welt.
(2) Gott existiert, und er ist sittlich vollkommen.
(3) Gott existiert, und er ist allmächtig und allwissend.

Ein Theist hält alle diese drei Aussagen für wahr; der Theismusgegner jedoch bestreitet deren Vereinbarkeit, in dem er Gottes Allgüte und Allmacht wie folgt näher bestimmt:

(4) Ein allgütiges Wesen verhindert jedes Übel, soweit es das kann.
(5) Ein allmächtiges Wesen kann jedes Übel verhindern, wenn es will.

Für den Theismusgegner schließen sich die Existenz der Übel in der Welt und die Existenz eines theistischen Gottes gegenseitig aus. Da die Existenz von Übeln in der Welt nicht bestreitbar ist (Annahme 1), so ist für den Theismusgegner entweder die Annahme (2) oder (3) oder beide preiszugeben.

Wie jedoch kann trotz der unbestreitbaren Übel in der Welt dennoch an einem theistischen Gottesbild, das Allmacht und Allgüte Gottes impliziert, festgehalten werden?
Dies ist die Frage, der Friedrich Hermanni in seiner Habilitationsschrift über die Theodizee nachgehen und einer überzeugenden Beantwortung zuführen will.

Der erste Hauptteil befasst sich dabei mit der Frage, was überhaupt "das Schlechte" ist. In Auseinandersetzung mit der Privationslehre eines Augustins oder Thomas', nach der das Schlechte ein 'Mangel an Gutsein' ist, da alles, was ist, auch gut ist, will Hermanni die dem Guten real entgegengesetzte Wirklichkeit des Schlechten hervorheben.

Der zweiten Hauptteil setzt sich mit dem Sinn des Schlechten in der Welt auseinander: sind nach Leibniz alle faktischen Übel in der Welt für deren Optimalität - sie ist ja die bestmögliche Welt aller möglichen Welten - konstitutiv (kosmologische Teleologisierung der Übel), da sie in der wirklichen Welt durch die Güter, die aus ihnen folgen, überkompensiert werden, so sieht Hegel in ihnen ein notwendiges Moment in der Fortschrittsgeschichte des "absoluten Geistes", in der dieser zu sich selbst kommt. Mit diesen beiden Teleologisierungen des Schlechten setzt sich Hermanni dabei kritisch auseinander.

Der dritte Haupteil schließlich liefert Hermannis eigenen Lösungsvorschlag für das Problem, ob und wie es angesichts des Bösen und der Übel in der Welt dennoch vernünftig ist anzunehmen, daß ein allmächtiger, allwissender und allgüter Gott existiert. Dabei profiliert er seinen Lösungsversuch, der dem von Leibniz nahesteht, in Auseinandersetzung und Abgrenzung zu den Alternativpositionen des Atheismus (aufgrund der Übel in der Welt gibt es keinen [theistischen] Gott), zur "Theologie des leidenden Gottes" bei J. Moltmann und H. Jonas (Gott ist nicht allmächtig, sondern selbst dem Leiden ohnmächtig unterworfen) und zur sog. "Free-Will-Defense" (die Übel in der Welt bestehen aufgrund der moralischen Freiheit des Menschen, als ihr "Preis" sozusagen).


Hermanni kommt dabei zu folgendem Schluss:

(1) Ein theistischer Gott würde eine unübertrefflich gute Welt schaffen und daher alle Übel verhindern, ohne die die Welt besser wäre.

(2) Die wirkliche Welt ist unübertrefflich gut, und unter den faktischen Übeln gibt es keine, ohne die sie besser wäre und die insofern sinnlos sind.

Der Theismus ist also mit die Faktizität von Übeln in der Welt vereinbar, es gibt keine bessere Welt als diese unsere ("No-Better-World-Defense"). Doch ist Annahme (2) nicht nur logisch möglich, sondern auch empirisch belegbar? Gibt es unter den faktischen Übeln in der Welt nicht augenscheinlich auch solche, die schlichtweg sinnlos sind und ohne die die Welt besser wäre? Diese Frage ist nach Hermanni empirisch nicht zu entscheiden, da der Mensch dazu auf dem Standpunkt der Allwissenheit stehen müsste. Sein Fazit lautet:
"Da der Theismus mit der Faktizität von Übeln logisch vereinbar und da es empirisch nicht zu erkennen ist, ob es unter den faktischen Übeln sinnlose gibt, liefern die Übel in der Welt keinen theoretisch zwingenden oder plausiblen Grund, den Glauben an einen allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott zugunsten einer theologischen [z.B. eben die Rede vom leidenden Gott] oder atheistischen Alternative [aufgrund der Übel in der Welt gibt es keinen Gott] aufzugeben."

Hermanni überzeugt mit seinem Lösungsvorschlag, gerade auch in seiner Ehrlichkeit bezüglich der empirischen Unentscheidbarkeit über den "Sinn" bzw. die "Sinnlosigkeit" der wirklichen Übel. Die Studie ist logisch stringent und schlüssig aufgebaut und eignet sich sehr gut dazu, sich einen kompetenten Überblick über diese sehr schwierige Problematik zu verschaffen. Bei der Behandlung der Theologie des leidenden Gottes hätte man zwar die Konzeption von Kazoh Kitamori ("Theologie des Schmerzes Gottes") zumindest erwähnen können bzw. wäre bei der Auseinandersetzung mit der "Free-Will-Defense" ein Eingehen auf die geniale Jugendschrift Schleiermachers ("Von der Freiheit") wohl von Nutzen gewesen; jedoch ist dies keineswegs dieser philosophisch-theologischen Grundlegung abträglich.
Wittgenstein schrieb einmal: "worüber man nicht reden kann, sollte man lieber schweigen". Auch wenn die Problematik einer jeden Antwort auf die Frage nach dem unendlichen Leid und dem Sinn des Bösen in der Welt evident ist - die Theologie darf hier dennoch nicht einfach schweigen. Friedrich Hermanni konnte hier überzeugend das Schweigen brechen und zum Nachdenken anregen.

Gerhard Schreiber, Mitarbeiter für Lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 11
Einleitung 13


Erster Hauptteil : Ontologie des Malum

I. Die Ausarbeitung der Privationslehre durch Augustin 31
1. Vom Manichäismus zur Privationslehre 31
2. Plotins und Augustins Privationslehre 36
2.1 Explikation eines spätantiken Konsenses 37
2.2 Substantielle oder parasitäre Beraubung? 41
2.3 Privation und Negation 44
3. Die Privationslehre als Basis der Ontotheologie 45
3.1 Die privationstheoretische Begründung des Seinsoptimismus 45
3.2 Die privationstheoretische Begründung des Schöpfungsglaubens 48
4. Untaugliche Einwände gegen die Privationslehre 52
5. Übersetzungsanhang: AUGUSTIN, Über die Sitten der katholischen
Kirche und die Sitten der Manichäer (II, i, i - 7, 10)57

II. Die Verteidigung der Privationslehre durch Anselm von Canterbury 63
1. Präzisierung und ontotheologische Begründung der Privationslehre 64
2. Das Malum und die Sprache (das referenztheoretische Argument) 67
3. Das Malum und der Schrecken (das affekttheoretische Argument) 74
4. Wirksamkeit und Zurechenbarkeit des Bösen (das kausaltheoretische Argument)76

III. Die Vollendung der Privationslehre durch Thomas von Aquin 81
1. Omne ens est bonum. Kritik der Transzendentalienlehre 81
1.1 Die ideologische Begründung der Transzendentalitätdes Guten 83
1.2 Die theologische Begründung der Transzendentalität des Guten 87
1.3 Die perfektionistische Begründung der Transzendentalität des Guten 90
2. Thomas' Theorie des Malum und seine Theodizee 95
2.1 Die Privationsthese 96
2.2 Die Trägerthese 98
2.3 Die Kausalthese 100
2.4 Die Antidualismusthese 103
2.5 Die thomasische Theodizee 107

IV. Die Positivität des Malum 114
1. Die Positivität des Malum physicum 114
1.1 Rekonstruktion und Kritik der thomasischen Schmerztheorie 115
1.2 Der Schmerz und die Positivität des physischen Übels 120
2. Die Positivität des Malum morale 126
2.1 Die Positivität des Bösen im Rahmen der Privationslehre 126
2.2 Die radikale Positivität des Bösen und die Überwindung der Privationslehre 132

V. Neuzeitliche Alternativen zur Privationslehre 138
1. Die Negationstheorie des Malum 138
1.1 Von der Privations- zur Negationstheorie (Leibniz)138
1.2 Ein Schein von Heiterkeit (Spinoza und der mittlere Schelling) 141
2. Die Realitätstheorie des Malum 146
2.1 Das Malum als positive Negativität (Kant)146
2.2 Das Böse als positive Verkehrtheit (Schelling)150
3. Die Inversion der Privationstheorie (Schopenhauer)154


Zweiter Hauptteil: Teleologie des Malum

I. Kosmologische Teleologisierung (Leibniz)163
1. Logische und metaphysische Grundlagen 165
1.1 Logische Subjekte, Substanzen und mögliche Welten 165
1.2 Der Gottesgedanke und die Wahl der bestmöglichen Welt 171
1.3 Die logische Kontingenz und die moralische Notwendigkeit der Welt 175
1.4 Der Maßstab für den Vollkommenheitsgrad möglicher Welten 179
2. Die Übeltheorien 182
2.1 Einleitung 182
2.2 Freiheit und Übel 185
2.3 Die Privationslehre 192
2.4 Die kosmologische Teleologisierung 197
2.5 Die Kompensationstheorie 206
3. Kritische Würdigung 210
3.1 Abweichungen von der Privationslehre 210
3.2 Der hypothetische Charakter der kosmologischen Teleologisierung
und der Kompensationstheorie 213

II. Geschichtsphilosophische Teleologisierung (Hegel)220
1. Die Negativierung des Paradieses 223
2. Die Lehre vom Sündenfall und der Begriff des Bösen 226
3. Die Notwendigkeit des Bösen 229
4. Kritische Überlegungen 233


Dritter Hauptteil: Theologie des Malum. Grundlinien einer Theodizee

I. Das Theodizeeproblem und die Versuche, es zu umgehen 239

II. Schwierigkeiten mit der Rede vom leidenden Gott 243
1. Die trinitätstheologische Rede vom leidenden Gott (J. Moltmann)243
1.1 Zwischen Theismus und Atheismus 243
1.2 Trinitarische Kreuzestheologie 245
1.3 Aporien 248
2. Der Mythos vom leidenden Gott (H. Jonas)253
2.1 Abschied vom allmächtigen Gott 253
2.2 Der Mythos vom leidenden und werdenden Gott 254
2.3 Inkonsistenzen und Begründungslücken 258

III. Problempräzisierung und Lösungsaussicht 261

IV. Das logische Theodizeeproblem. Ein Lösungsvorschlag 266
1. Der theistische Gott und die unübertrefflich gute Welt 266
1.1 Die Tradition der optimistischen Weltdeutung 266
1.2 Die Lösung des logischen Theodizeeproblems 269
1.3 Einwände und alternative Theodizeeversuche 272
2. Die Möglichkeit einer unübertrefflich guten Welt 279
2.1 Der thomasische Einwand 279
2.2 Die Möglichkeit einer wertmaximalen Welt als notwendige Konsequenz des Theismus 285
2.3 Zur Pluralität wertmaximaler möglicher Welten 290

V. Schwierigkeiten mit der Free-Will-Defense 292
1. Ist das Böse der notwendige Preis der Freiheit? 292
2. Freiheit, Determinismus und Verantwortung 306

VI. Das empirische Theodizeeproblem. Erkenntniskritische Reflexionen 315
1. Der Charakter des empirischen Theodizeeproblems 315
1.1 Das empirische Theodizeeproblem und die Gottesbeweise 319
1.2 Kriterien der Weltbewertung 320
2. Schwierigkeiten mit der Weltverbesserung 323
2.1 Optimierung durch Wunder? 325
2.2 Optimierung d urch andere Gesetze? 329


Literatur 335

Personenregister 355