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Christliche Sexualethik
Traditionen Optionen Alternativen
Kurt Lüthi
Böhlau Wien
EAN: 9783205993223 (ISBN: 3-205-99322-5)
448 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 17 x 24cm, 2001
EUR 39,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Die traditionelle Sexualmoral ist für modernes westliches Denken an ihr Ende gelangt. Auf der Suche nach Werten wird die heutige "Erlebnisgesellschaft" mit einem Pluralismus an Meinungen konfrontiert. Was bedeutet das für die christliche Moral?
Das Buch zeigt in ausführlichen Orientierungen, dass biblische und christliche Traditionen einen sexualpessimistischen Standpunkt vertraten, bei dem Sexualität mit dem "bösen Trieb" gleichgesetzt wird und Ausdruck der Erbsünde ist. Gegen diesen Sexualpessimismus recherchiert Kurt Lüthi Gegenpositionen, die er z. B. im "Hohen Lied der Bibel", in jesuanischen Spuren und in der Sprache der Mystikerinnen findet.
Der Autor postuliert für die heutige Situation eine Ethik der Befreiung und Verantwortung in Anknüpfung an eine Befreiungstheologie für Europa: Er interpretiert Sexualität schöpfungstheologisch als "gute Gabe Gottes", "entdivinisiert" Sexualität im Sinne der jüdischen Tradition und richtet seinen Blick auf Jahwe als Liebhaber, Jahwe als Frau und die Beziehungen von Jesus zu Frauen. Der Autor plädiert für eine Kultur der Erotik, in der Recht auf Lust, auch gesellschaftlicher Randgruppen, und neue Formen der Begegnung, wie Sex im Internet, integrierbar sind. Die Prinzipien der gesellschaftlichen Solidarität und der feministischen Theologie rücken dabei in den Blick.
Kurt Lüthi, Jahrgang 1923,
em. Univ. Prof. Dr. theol. der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
Rezension
Kurt Lüthis Christliche Sexualethik ist meines Erachtens ein sehr lesenswertes, ja wichtiges Buch, macht es doch einerseits deutlich, dass die christliche Theologie nicht unerheblich an einer rigiden Sexualmoral und dem, was man im Allgemeinen „Leibfeindlichkeit“ nennt, ihren Anteil hat, aber ebenso Alternativen bieten kann. Lüthi – ausgehend von der Psychoanalyse einerseits und der Theologie der Befreiung andererseits – plädiert sogar für eine „Kultur der Erotik“. Als christliche Sexualethik will sie auch (i.S. von „u.a.“) biblisch verankert sein, wobei natürlich nur ein liberales Schriftverständnis infrage kommt, das bestimmte Aussagen relativieren oder auch negieren kann. Lüthi geht von den Gegebenheiten aus: Eine Entwicklung nachzeichnend, beobachtet er genau die gesellschaftlichen, insbesondere sexuellen Phänomene unserer Zeit (z.B. „Sex im Internet“) und lässt sie ohne die üblichen Verurteilungen stehen, kann sie kritisch würdigen, nicht aus Libertinismus, sondern aus seinem Verständnis befreiten und damit verantwortlichen, aber eben auch lustvollen Miteinanders.
Teilweise scheint mir seine exegetische Arbeit ein wenig zu oberflächlich zu sein, allerdings ist man ja exegetische Nachlässigkeit aus dem Bereich der Dogmatik/Ethik leider gewohnt. Die humanwissenschaftlichen Abschnitte sowie Lüthis Visionen vom „Christentum und Erotik (Sexualität) – Chancen einer Versöhnung“ sind dafür umso lesenswerter. Jedem Abschnitt folgt ein Literaturverzeichnis, Gold wert für jemanden, der sich gerne tiefer gehend in das Thema einarbeiten möchte.
Zu einem dionysischen Thema wie der Sexualität gehört mit Sicherheit auch der Humor, und so kann ich für meinen Teil sagen, dass ich bei der Lektüre häufig schmunzeln, gar lachen musste: z.B. wenn Lüthi von Heide-Marie Emmermann, ehemals römisch-katholische Theologin, dann Domina auf Hamburgs Reeperbahn, dann Buchautorin schreibt. Lachen auch über Lüthis Darstellung von Augustins Problemen mit der Lust: „Ihn beunruhigte die Reflexbedingtheit des männlichen Geschlechtsorgans, das sich bei sexueller Erregung gewissermaßen selbstständig macht. Augustin überlegt sich, warum es Menschen gibt, die zwar mit den Ohren wackeln können, die aber ihr Geschlechtsorgan nicht beherrschen können.“
Ich habe CHRISTLICHE SEXUALETHIK – TRADITIONEN OPTIONEN ALTERNATIVEN sehr gerne gelesen und halte es für einen wichtigen Beitrag zu einer christlichen, zeitgemäßen, befreiten und damit ‚menschlichen’ Sexualethik.
Michael Simonsen, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort: Überlegungen zu einer Sexualethik "für unsere Zeit"... 9
1. ANNÄHERUNGEN AN DAS THEMA
1.1. Individuelle Zugänge... 29
1. 2. Zugänge mit Fragen der Zeit... 35
1. 3 Theologische Zugänge... 55
2. DIE HUMANWISSENSCHAFTLICHEN ASPEKTE
2.1 Der erweiterte Begriff von Sexualität - Weichenstellungen durch die Sexualwissenschaft, durch Freud und seine Wirkungsgeschichte (Sozialisation als Sexualisation)... 61
2.2. Sexualität und anthropologische Zielvorstellungen (Identitätsfindung und Ich-Du-Begegnung)
2.3. Die sozio-kulturellen Bedingungen der Sexualität (Grundsätzliches und Methoden)... 78
2.4. Sexualität und Wandel der Zeit: Das Problem der Neuzeit... 91
2.5. Sexualität und Wandel der Zeit: Kennzeichen unserer Zeit... 94
2.6. Sexualität und Wandel der Zeit: Deutungen... 108
2.7. Ergebnisse: Sexualität als Sprache... 120
2.8. Ergebnisse: Sexualität als Spiel... 125
3. ZUGÄNGE ZU EINER THEOLOGIE UND ETHIK DER BEFREIUNG (BEFREIUNG ALS KRITISCHES PRINZIP)
3.1. Zum Vorverständnis von Befreiung und zur biblischen Akzentsetzung... 133
3.2. Das biblische Befreiungsmotiv... 135
3.3. Die Sozialgestalt der Trinitätslehre - ein systematischer Gesichtspunkt... 138
3.4. Beispiele aktueller Befreiungstheologien... 140
3.5. Überlegungen zu einer Ethik der Befreiung: Wissenschaftstheoretische Einleitung... 143
3.6. Überlegungen zu einer Ethik der Bedienung: Bedienung - Autonomie - Emanzipatorische Solidarität… 145
4. CHRISTENTUM UND SEXUALITÄT: ZUR NEGATIVEN (ANTIEMANZIPATORISCHEN) WIRKUNGSGFSCHICHTE
4.1. Religionsgeschichtliche und religionsphänomenologische Anknüpfungspunkte… 151
4.2. Alttestamentliche Materialien… 155
4.3. Neutestamentliche Materialien... 160
4.4. Vom Neuen Testament zur alten Kirche und zum Mittelalter... 163
4.5. Reformation und Neuzeit... 173
5. CHRISTENTUM UND SEXUALITÄT: ZUR POSITIVEN (EMANZIPATORISCHEN) WIRKUNGSGESCHICHTE
5.1. Alttestamentliche Materialien… 185
5.2. Neutestamentliche Materialien… 201
5.3. Zur mittelalterlichen Mystik… 208
5.4. Zu Luther und Calvin… 214
5.5. Zur Romantik: Schleiermacher als Verteidiger der Lucinde… 221
6. INTERDISZIPLINÄRE STUDIEN
6.1. Ehe und Familie im Wandel und die Fragen der alternativen Partnerschaften... 225
6.2. Probleme der Schwulen und Lesben – Probleme der Heterosexuellen mit Schwulen und Lesben... 257
6.3. Die Wiederkehr des Körpers… 268
6.4. Erfahrungen im Netz - Sex im Internet… 287
6.5. Erotische Kultur: Zärtlichkeit… 294
6.6. Erotische Kultur: Lust... 300
6.7. Erotische Kultur: Leidenschaft… 313
6.8. Androgynität - eine anthropologische Zielvorstellung... 321
7. CHRISTENTUM UND EROTIK (SEXUALITÄT) – CHANCEN EINER VERSÖHNUNG
7.1. Zugänge und erkenntnisleitende Interessen… 329
7.2. Zur alttestamentlichen Schöpfungsgschichte: Geschlechtlichkeit - eine der "guten Gaben Gottes… 335
7.3. Zwei Bildreden: Jahwe als Liebhaber - Jahwe als Frau… 344
7.4. Jesuanische Spurensuche… 351
7.5. Paulus: Trennung von Eros und Agape - oder Verbindung?... 360
7.6. Mystik - eine qualitativ neue Sprache… 366
7.7. Schleiermacher - ein Paradigmenwechsel und ein Weg in die Moderne... 370
7.8. Ethik der Befreiung: Liebes- und Situationsethik als Beispiel… 375
7.9. Ethik der Befreiung: Personenzentrierte Argumente… 377
7.10. Ethik der Befreiung: Gesellschaftliche Argumente (das "Prinzip Solidarität")… 386
NAMENVERZEICHNIS… 395
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