lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Der unvergessene Mantel
Der unvergessene Mantel




Frank Cottrell Boyce

Carlsen
EAN: 9783551555946 (ISBN: 3-551-55594-X)
112 Seiten, hardcover, 16 x 22cm, April, 2012

EUR 11,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In Julies Klasse ist ein Neuer: Dschingis aus der Mongolei. Und Julie soll sich ein bisschen um ihn kümmern. Dschingis hat schließlich keine Ahnung, wie man Fußball spielt, was man zum Schwimmen mitnimmt und warum man nicht den ganzen Tag in einem Fellmantel herumläuft. Dafür weiß Julie bald alles über die Mongolei, dass dort Riesenblumenbäume wachsen, dass man Adlern dort eine Mütze aufsetzt, um sie zu beruhigen, und wie warm so ein Fellmantel ist. Und sie lernt, wie man einen Dämon mit Hefeteig austrickst. Doch dann, eines Nachts, werden Dschingis und seine Familie abgeholt. Sie dürfen nicht in Liverpool bleiben, sondern müssen zurück in die Mongolei ...



Eine berührende, bezaubernde Freundschaftsgeschichte über das Schicksal eines Flüchtlingskindes, mit vierfarbigen mystischen Alltagsfotos.
Rezension
Ein neues Kinderbuch von Frank Cottrell Boyce: Wer seine viel gelobten Bücher "Millionen", "Meisterwerk" und "Galaktisch" kennt, ist sicher gespannt auf das neueste Buch, "Der unvergessene Mantel".

In die Abschlussklasse der Grundschule in Bootle kommt ein neuer Schüler: Dschingis aus der Mongolei. Die elfjährige Julie ist fasziniert. Gern nimmt sie die Rolle als "guter Ratgeber" für ihn und seinen jüngeren Bruder an: Sie zeigt ihnen, wo es das Mittagessen gibt, erklärt, was man zum Sportunterricht mitbringt und sorgt sogar dafür, dass die Jungen die Fußballregeln lernen. Umgekehrt interessiert sie sich für das Land, aus dem die beiden kommen und informiert sich über Dschingis Khan, das geheimnisvolle Xanadu und die Adlerjagd. Die Kinder kommen sich näher, Fremdes wird vertraut, aber es bleibt immer ein Geheimnis um die beiden Jungen. Warum darf Julie nicht erfahren, wo und wie sie leben? Wieso sprechen sie immer wieder davon, dass der jüngere Bruder von einem Dämon verfolgt wird, den sie auf immer wieder neue fantasievolle Weise austricksen wollen?

Manchmal zeigt Dschingis Fotos aus seiner Heimat, die Julie durch ihre Fremdheit beeindrucken. Erst nach einiger Zeit erkennt sie, dass diese Fotos neu sind und aus ihrer Stadt stammen - eine ungewöhnliche Perspektive und die Erwartungshaltung lassen das Gewohnte in einem fremden Licht erscheinen. Der Höhepunkt der Geschichte ist ein Nachmittag, an dem die drei Kinder die Schule schwänzen und durch die Umgebung streifen. Plötzlich erscheint der weite Sandstrand wie eine Wüste, aus einem Stapel gefällter Baumstämme bauen sie einen Obo, und sie finden eine Anzahl Jurten, wo sie Schattenspiele mit den Händen machen, Geschichten erzählen und essen. Als es dunkel wird, führt Julie die Jungen wieder zurück. doch als sie zu Hause ankommen, geraten die beiden in Panik und Dschingis beschimpft Julie als Betrügerin.

Julie ist vollkommen verwirrt über diesen Vorwurf. Doch am nächsten Tag in der Schule erklärt die Lehrerin, dass Dschingis und seine Familie in der Nacht abgeholt worden seien. Sie hatten keine gültigen Ausweispapiere und haben kein Asyl erhalten, sondern wurden wieder abgeschoben. Zurück bleibt nur der Fellmantel, und Julie macht sich Gedanken, wie Dschingis in der kalten Mongolei ohne ihn zurechtkommen soll.

Die Geschichte wird aus Julies Sicht erzählt; in der Rahmenhandlung besucht die erwachsene Julie ihre alte Grundschule und findet dort den Mantel von Dschingis mit einigen seiner Fotos. So werden die alten Erinnerungen wieder geweckt und Julie erzählt die Geschichte von damals. In der Gegenwart kommt es zu einem versöhnlichen Schluss: Julie stellt die Fotos auf Facebook ein und erhält eine Antwort mit einem Foto von den nun erwachsenen beiden Brüdern.

Ein Hauptthema des Buches ist die Spannung zwischen Fremdheit und Vertrautheit. Julie, die sich auf die andere Welt von Dschingis einlässt, erlebt auch in ihrer Heimat plötzlich unbekannte Aspekte. "Irgendwo bei uns in Bootle lag Xanadu, verborgen wie ein Schatz." Das Fremde ist für sie keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. Sie muss allerdings auch erfahren, dass nicht alles rosig und angenehm ist: Der "Dämon", an den sie nicht glaubt, ist für sie eher eine erfundene Figur, die das Spiel spannend macht - für Dschingis und seinen Bruder dagegen ist er die Verkörperung einer realen Gefahr. Und so erfährt Julie, vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben, von Heimatverlust, Flucht, Asyl und Abschiebung. Dass sie die Bedrohung nicht verstanden hat, macht sie sich selbst zum Vorwurf. Erst in der Rahmenhandlung kommt es nach vielen Jahren zu einem versöhnlichen Schluss.

Der kindliche Leser kann sich in Julie hineinversetzen und ihre Faszination teilen. Ohne erhobenen Zeigefinger erhält er eine politische Botschaft, die im Nachwort auch offen ausgesprochen wird: "Ein Land, das seine Staatsdiener beauftragt, Kinder mitten in der Nacht aus dem Bett zu holen und mitzunehmen, kann wohl kaum als zivilisiert bezeichnet werden." Zum Verständnis kann auch eine einfühlsame Besprechung im Unterricht beitragen.

Zu erwähnen ist noch die ungewöhnliche Aufmachung des Buches: Das Papier wirkt wie ein vergilbtes altes Schulheft, in das die ausgeblichenen Polaroids mitten zwischen den Text eingeklebt wurden. Sie machen neugierig auf den Inhalt und vermitteln Lust aufs Lesen.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 in der Sparte Kinderbuch.

M. Houf für www.lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
In Julies Klasse ist ein Neuer: Dschingis, ein Flüchtlingskind aus der Mongolei, und Julie soll sich ein bisschen um ihn kümmern. Dschingis hat schließlich keine Ahnung, wie man Fußball spielt, was man zum Schwimmen mitnimmt und dass man nicht den ganzen Tag in einem Fellmantel herumläuft. Im Gegenzug weiß Julie bald alles über die Mongolei, dass dort Riesenblumenbäume wachsen, dass man Adlern dort eine Mütze aufsetzt, um sie zu beruhigen und wie warm ein Fellmantel ist. Und sie lernt, wie man einen Dämon aus Hefeteig backt. Doch dann, eines nachts, werden Dschingis und seine Familie abgeholt. Sie dürfen nicht in Liverpool bleiben, sondern müssen zurück in die Mongolei ...