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Zwischen Synoptikern und Gnosis - ein viertes Evangelium
Studien zum Johannesevangelium und zur Gnosis
Roland Bergmeier
Reihe: Novum Testamentum et Orbis Antiquus/Studien zur Umwelt des Neuen Testaments (NTOA/StUNT)
Vandenhoeck & Ruprecht
EAN: 9783525593660 (ISBN: 3-525-59366-X)
160 Seiten, hardcover, 16 x 24cm, 2015
EUR 59,99 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Zwei grundlegende Fragen der johanneischen Forschung drängen sich dem Exegeten immer wieder auf: Wie ist das Verhältnis des vierten Evangeliums zu den Synoptikern, wie das zur spätantiken Gnosis zu bestimmen? Die These, die Roland Bergmeier entwickelt und zu verteidigen versucht, setzt beide Fragen- und Themenfelder zueinander in Beziehung. Von der Gnosis ist das Johannesevangelium, typologisch und inhaltlich betrachtet, noch nicht berührt. Das hat auch historische Gründe. Wohl war 1Tim 6,20 für den Bischof Irenäus von Lyon Anlass und Grundlage, die Häresien, die er beschrieb, Gnosis zu nennen und als gnostische Irrlehre zu brandmarken, aber weder die Stelle selbst noch die Pastoralbriefe insgesamt belegen schon einen gnostischen Zusammenhang oder Hintergrund. Literarisch betrachtet steht Johannes überdies, mehr als viele glauben wollten, in nachprüfbarem Kontakt mit den drei Synoptikern, die er auf ihm ganz eigene Weise weiterentwickelt zu einem vierten Evangelium. In diesem Sinn ist das Evangelium zwar kein synoptisches mehr, trägt aber auch noch keine gnostischen oder auch antignostischen Züge. Beispielhaft für das Verhältnis zu den Synoptikern stehen Untersuchungen wie die zur Rede vom Kommen zu Jesus oder zum johanneischen Zeugnisthema.
Die gnostischen Studien betreffen Fragen zu Dualismus und Eschatologie, zur epochalen Bedeutung valentinianischer Heilsauffassung, aber auch zur inhaltlichen Veränderung des Johanneischen, wenn es in den Strudel gnostischer Auslegung gerät. Im großen Streit um das Verständnis des Logospsalms von Joh 1,1–18 kommt der religionsgeschichtlichen Ortsbestimmung der frühjüdischen Weisheit grundlegende Bedeutung zu. Sie weist zwar Verbindung zu spätantiken mythischen Themen auf, gehört aber nicht einem zusammenhängenden Mythos an, zu dessen tragender Figur sie allererst in ihrer gnostischen Metamorphose umgestaltet wird.
Dr. theol. Roland Bergmeier ist evangelischer Religionslehrer und Mitglied der Studiorum Novi Testamenti Societas (SNTS).
Rezension
Nicht selten beschäftigen Promotionsthemen den Verfasser ein Leben lang; man hat sich so sehr in ein Thema vertieft und dazu eine eigenständige These entwickelt, dass man mehr oder minder intensiv die weitere Debatte verfolgt. Das gilt auch für dieses Buch und dieses Thema: Das Johannesevangelium und seine mögliche Affinität zur Gnosis sind ein klassisches Thema neutestamentlicher Forschung. 40 Jahre nach seiner religionsgeschichtlich-exegetischen Heidelberger Dissertation "Glaube als Gabe nach Johannes" sucht der Autor seine damalige These mit der hier anzuzeigenden Veröffentlichung zu überprüfen und sieht mittlerweile deutlich mehr Bezug des Joh zu den Synoptikern, die er als "Prätexte" des Joh begreift. Von der Gnosis ist das Johannesevangelium noch nicht berührt; literarisch betrachtet steht Johannes in nachprüfbarem Kontakt mit den drei Synoptikern, die er auf ihm ganz eigene Weise weiterentwickelt. Eigentlich besteht das Buch aus vier (vgl. Inhaltsverzeichnis) ursprünglich selbständig konzipierten Aufsätzen.
Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Novum Testamentum et Orbis Antiquus/Studien zur Umwelt des Neuen Testaments (NTOA/StUNT)
Die Reihe NOVUM TESTAMENTUM ET ORBIS ANTIQUUS (NTOA) wird von Martin Ebner (Bonn), Max Küchler (Fribourg), Peter Lampe (Heidelberg), Stefan Schreiber (Augsburg), Gerd Theißen (Heidelberg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) herausgegeben und hat zum Ziel, die vielfältige Umwelt des Neuen Testaments mit wissenschaftlicher Prägnanz und interdisziplinärer Methodik aufzuarbeiten und für das Verständnis des Neuen Testaments und des antiken Judentums auszuwerten.
Die Series Archaeologica (SA) entspricht dem Ziel der Reihe auf besondere Weise, indem sie die Umwelt des Neuen Testaments aus erster Hand anhand archäologischer Materialien darbietet. Sie veröffentlicht originale Ausgrabungsberichte, Korpora von Fundobjekten und ikonographische, numismatische und epigraphische Studien.
NTOA und NTOA.SA richtet sich an Bibliotheken, Archäologen, Historiker, Orientalisten und Altertumswissenschaftler. Sie ist international, überkonfessionell und erscheint in deutscher, englischer und französischer Sprache.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
I. Das vierte Evangelium in seiner Stellung zwischen Synoptikern und Gnosis 10
1. Gnosis und Neues Testament 10
1.1 Die Gegner in den Pastoralbriefen 12
1.1.1 Zur Vorstellung von einer frühjüdischen Gnosis 12
Exkurs zu J. Lahe, Gnosis und Judentum 14
1.1.2 „Jüdische Fabeleien“ und die Fabeleien von einer jüdischen Gnosis 18
1.2 Die „Gnosis“ der Gegner in den Pastoralbriefen 20
1.3 Fremdbestimmte Deutungen der Gegner 23
1.4 Wurzeln des Gegnerbildes in den Pastoralbriefen 32
2. Johannesevangelium und Gnosis 33
2.1 Gnosisnähe und Dualismus 33
2.2 Sackgasse einer vermeintlichen Alternative 37
2.3 Fragen zu den Quellen des Johannesevangeliums 42
2.4 Von der Gnosis zu den Synoptikern 50
3. Die Rede vom „Kommen zu Jesus“ 54
4. Zusammenfassung 61
5. Bibliographie der mit Kurztitel angeführten Literatur 63
II. Die Bedeutung der Synoptiker für das johanneische Zeugnisthema
Mit einem Anhang zum Perfekt-Gebrauch im vierten Evangelium 69
Zusammenfassung und Ergänzung 69
1. Synoptische Zeugnisse im Johannesevangelium 70
2. Literarische, nicht traditionsgeschichtliche Verwandtschaft 76
3. Das Zeugnis des Johannes in 19,35 83
Anhang
Beobachtungen zur Perfektverwendung im vierten Evangelium: Das skripturale Perfekt 88
a) Bezug auf Synoptikertexte 93
b) Bezug auf die Schriften 95
c) Das Johannesevangelium selbst ist geschriebener Text 97
III. „Königlosigkeit“ als nachvalentinianisches Heilsprädikat 102
1. Problemskizze 102
2. Valentinianische Heilssystematik 104
3. Vollkommenes Heil als Königlosigkeit 107
4. Abasileutos und Anarchos 109
5. Abasileutos jenseits der Demiurgen-Sphäre 111
Anhang A 113
Zu E.H. Pagels, Conflicting Versions of Valentinian Eschatology : Irenaeus’ Treatise vs. The Excerpts from Theodotus, HThR 67 (1974), 35–53 113
Anhang B 119
Zu E. Mühlenberg, Wieviel Erlösungen kennt der Gnostiker Herakleon?, ZNW 66 (1975), 170–193 119
Anhang C 122
Zu neueren Arbeiten über die Fragmente des Herakleon 122
1. Deutung von Herakleons Menschenklassen im Streit 122
2. Zum Verständnis des Ausdrucks „Ort der Mitte“ 124
3. Bibliographische Ergänzung zu den Literaturhinweisen in Anhang C 126
IV. Weisheit – Dike – Lichtjungfrau 127
1. Mythos und Weisheit 127
2. Einzige Bleibe der Weisheit – in Israel oder nur bei den Engeln. 129
3. Arats Dike-Legende in jüdischer Rezeption 131
4. Rückzug von Dike und Weisheit und das Kommen der Ungerechtigkeit 133
5. Arats Jungfrau-Dike und die gnostische Lichtjungfrau 134
6. Die weisheitliche Lichtjungfrau im Manichäismus 136
Ergänzende Literaturhinweise und Notizen 137
V. Anhang 140
Register 145
Stellen 145
Namen und Sachen 160
Vorwort
Im alten Streit darüber, ob „die Gnosis“ vorchristlichen Ursprungs ist, hat sich
die Situation entspannt, geblieben ist aber die Frage, wie nahe sich an den
zeitlichen Rändern, d. h. in den Spätschriften des NT frühes Christentum und
Gnosis gekommen sein mögen, sofern es, wie manche argumentieren, Gnosis
schon unabhängig von der Existenz christlicher Gemeinden gegeben habe
oder auch, wie andere postulieren, in vom Christentum berührten Kreisen
in statu nascendi vorauszusetzen sei. Auf diesem Hintergrund, konkret in
Auseinandersetzung mit H.-F. Weiß’ umfangreicher Untersuchung „Frühes
Christentum und Gnosis“, war die seit Bischof Irenäus von Lyon namengebende
Stelle 1Tim 6,20 (Iren.haer. I 23,4) im Rahmen der Gegnerpolemik der
Pastoralbriefe zu untersuchen, ob und inwieweit sie historisch wahrscheinlich
machen kann, dass sich in der johanneischen Sprachwelt schon gnostische
Bezüge spiegeln können. Unumstößlicher Ausgangs-Befund ist aber in jedem
Fall, dass wir aus vor-irenäischer Zeit keine patristischen Belege dafür haben,
dass man statt von Häsesie und Häretikern schon von Gnosis und Gnostikern
gesprochen hätte.
In Fortsetzung und Wiederaufnahme meines Einstiegs in die religionsgeschichtliche
und exegetische Arbeit am Johannesevangelium, 1974 niedergelegt
inmeiner Heidelberger Dissertation, 1980mit demTitel „Glaube als Gabe
nach Johannes“ publiziert, fand ich es nach verschiedenen Beobachtungen
geboten, unter heute veränderten Bedingungen noch einmal der Frage
nachzugehen, ob die Gnosis Schlüssel zum angemessenen Verstehen des
vierten Evangeliums ist oder sein kann. An vielen Stellen hatte sich mir gezeigt,
dass die Annahme johanneischer Rezeption synoptischer Texte mehr
zum Verständnis beiträgt als gnostische Rundschau, abgesehen davon, dass
genuin gnostische Merkmale oder auch antignostische Polemik im vierten
Evangelium exegetisch nicht nachweisbar sind. Von daher bot sich dann auch
an, den 2006 publizierten Aufsatz „Die Bedeutung der Synoptiker für das
johanneische Zeugnisthema“ dem bisher unveröffentlichten ersten als zweiten
Teil anzuschließen, wobei zu diesem Anlass der seinerzeit gekürzte Anhang
zum Gebrauch des Perfekts im vierten Evangelium wieder erweitert und noch
ergänzt werden konnte. Ein Teil dieses Perfektgebrauchs scheint keinen anderen
Grund zu haben, als dass er sich aus literarischer Bezugnahme auf einen
synoptischen Prätext herleitet. Diese Perfektverwendung wie auch Beispiele
der Rückperspektive, die aus dem Erzählfluss des Evangeliums selbst hinausführen,
sind untrügliche Kennzeichen der Abhängigkeit von den Synoptikern,
die im Übrigen alle drei als literarische Vorgaben des vierten Evangeliums
anzusehen sind. So weit H. Thyen und ich im Blick auf Gnosis und
Literarkritik im johanneischen Feld, was meine „Studien zum religionsgeschichtlichen
Ort des prädestinatianischen Dualismus in der johanneischen
Literatur“, masch. Diss. Heidelberg 1974 betrifft, auseinanderlagen, so nahe
sind wir uns heute in der Einschätzung der Synoptiker als „Prätexte“ des
Johannesevangeliums, wie er zu sagen pflegt, gekommen. Allerdings würde
ich ihm in der zur bedingungslosen Programmatik erhobenen Einschätzung
nicht folgen wollen. Abhängigkeit von den Synoptikern muss immer auch
philologisch nachvollziehbar ausgewiesen werden.
Religionsgeschichtliche Arbeit im Umkreis johanneischer Exegese regt
gelegentlich an, umstrittene Themen um ihrer selbst willen genauer zu verfolgen
und zu untersuchen, auch wenn sie für die Exegese des vierten Evangeliums
nicht unmittelbar etwas abwerfen. Beispiele dafür sind die Teile 3 und
4, ältere Aufsätze, die aber mit aktualisierenden Ergänzungen wiedergegeben
werden. In Teil 3 geht es um die Systematik valentinianischen Erlösungsverständnisses,
in dessen Kontext die Rede von „Königlosigkeit“ zu verstehen ist
– bis hin zum Erkenntnisgewinn in Fragen der Altersbestimmung gnostischer
Texte. Der Aufsatz beleuchtet des Weiteren ein Beispiel großer gnostischer
Rezeption des Johannesevangeliums in Herakleons Johannes-Kommentar.
Dabei finden wir uns mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, erkennen
und entscheiden zu müssen, ob Herakleon den von Origenes überlieferten
und redigierten Fragmenten zufolge tatsächlich von unterschiedlichen
„Naturen“ und Heilsstufen ausgegangen ist. Deutlich auf jeden Fall zeigt
sich, wie allererst durch gnostische Rezeption der Eindruck von der johanneischen
Sprache selbst ins Gnostische changiert. Teil 4 schließlich handelt
von Recht und Unrecht, von einer Grundgestalt des Weisheitsmythos zu
sprechen, von deren Existenz als Variante eines gnostischen Offenbarer-Mythos
R. Bultmanns Johannes-Kommentar einmal ausgegangen war, insofern
die Verwandtschaft des Johannes-Prologs mit der jüdischen Weisheitsspekulation
darauf beruhen sollte, dass beide auf die gleiche Tradition als ihre
Quelle zurückgingen: die vorchristliche Tradition eines Urmensch-Erlöser-
Mythos. Aber was Bultmann aus unzusammenhängenden Texten über die
Weisheit nach dem Vorbild von Joh 1,1–18 zu deren Mythos zusammengefügt
hat, lässt sich als rein gedankliche Konstruktion der Forschung erweisen.
Die Teile 2–4 wurden in den Formalien Teil 1 „Das vierte Evangelium in
seiner Stellung zwischen Synoptikern und Gnosis“ angeglichen. Die verwendeten
Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis von RGG4
Bd. 8, XXV–XXIX. Die Bibliographie zu Teil 1 findet sich unter 1,5, die der
Teile 2–4 den ursprünglichen Publikationen entsprechend in den jeweiligen
Fußnoten. Um Geschmack am Lesen zu finden, empfehle ich Teil 1,3 „Die
Rede vom ,Kommen zu Jesus‘“, in dessen Zusammenhang die johanneische
Gestalt des Nikodemus in vielleicht noch nie gesehener Weise als literarische
Figur, gewonnen aus synoptischen „Prätexten“, wahrgenommen wird. Erst
spät, so dass sie nicht mehr dargestellt werden konnte, kam mir die Erkenntnis,
dass wohl auch der sog. Lieblingsjünger als eine rein literarische
Figur auf synoptischer Basis zu erklären sein dürfte (s. dazu die Auslegungsskizze
S. 140–143).
Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich, die Publikation meiner
Untersuchungen ermöglicht, der Evangelischen Landeskirche in Baden, zum
Druckkostenzuschuss beigetragen zu haben. Verbunden bin ich den Herausgebern
von Novum Testamentum/Studien zur Umwelt des NT für die
Aufnahme des Sammelbands in diese Reihe: den Herren M. Küchler und
J. Zangenberg, insbesondereden Herren P. Lampe und G. Theißen, ohne deren
freundliches Begleiten und Bemühen mir vielleicht doch der Atem ausgegangen
wäre.
Weingarten (Baden), im September 2014
Roland Bergmeier
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