Der Mensch sei sein „eigener Töpfer und Bildhauer“, er könne zu den Tieren entarten oder zu den Göttlichen emporsteigen. Dieses schrieb Giovanni Pico della Mirandola in seiner für den philosophischen Weltkongress 1487 geplanten Eröffnungsrede „Über die Würde des Menschen“. Seine Definition des Menschen steht für das Programm des Renaissance-Humanismus. Weitere Vertreter dieser Epoche waren zum Beispiel die Schriftsteller Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio, die Universalgenies Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci, die Maler Michelangelo und Raffael oder der Theologe und Philosoph Erasmus von Rotterdam. Historisch gesehen gab und gibt es nicht nur den Renaissance-Humanismus. Wer kann noch zu den Vertreter:innen des Humanismus gezählt werden?
Bekannte Denker:innen, Literaten und Künstler:innen wie Protagoras, Konfuzius, Cicero, Michel de Montaigne, Voltaire, Pierre Bayle, Thomas Paine, David Hume, Wilhelm von Humboldt, John Stuart Mill, Mary Wollstonecraft, Harriet Taylor Mill, Jeremy Bentham, Charles Darwin, Thomas Henry Huxley, Ludwig L. Zamenhof, Robert R. Ingersoll, Bertrand Russell, Benedetto Croce, Vashti McCollum, Wassili Grossman. Dieses jedenfalls behauptet Schriftstellerin und Kuratorin Sarah Bakewell (*1963) in ihrem neuen Buch „Humanly Possible. Seven Hundred Years of Humanist Freethinking, Enquiry and Hope“(2023). Im selben Jahr erschien das Werk in der deutschen Übersetzung von Rita Seuß unter dem Titel „Wie man Mensch wird. Auf den Spuren der Humanisten. Freies Denken, Neugierde und Glück“ bei C.H. Beck. Dort wurden auch die beiden Bestseller Bakewells auf Deutsch publiziert: Wie soll ich leben? Oder Das Leben Montaignes in einer Frage und zwanzig Antworten“(2. Aufl. 2019) und „Das Café der Existenzialisten. Freiheit, Sein und Aprikosencocktails“(4. Aufl. 2021).
In ihrem neuem essayistisch verfassten Sachbuch gelingt es der Autorin hervorragend, Grundgedanken der Humanist:innen in historischer Perspektive mit einer Prise Humor darzulegen und deren Aktualität anschaulich aufzuzeigen. So erhält man eine hervorragende Einführung in die Vielfalt humanistischen Denkens. Zurecht kann allerdings kritisch gefragt werden, ob Bakewell nicht von einem sehr weiten Humanismusbegriff ausgeht, nach welcher der Mensch im Zentrum des Denkens steht. So ist es beispielsweise fragwürdig, den Begründer des Utilitarismus, Jeremy Bentham, welcher einen quantitativen Hedonismus vertritt, als Humanisten zu deklarieren. Lehrkräfte der Fächer Philosophie und Ethik Geschichte werden durch das Buch geradezu eingeladen, sich in ihrem Fachunterricht mit humanistischen Strömungen und deren Vertreter:innen problemorientiert auseinanderzusetzen. Dazu eignet sich zur Diskussion auch die im Werk abgedruckte „Erklärung des Modernen Humanismus“ aus dem Jahre 2022 der Nichtregierungsorganisation Humanists International.
Fazit: Sarah Bakewells neues Buch „Wie man Mensch wird“ eröffnet sehr gut Denkhorizonte von Humanist:innen und demonstriert die Aktualität ihrer Überzeugungen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Bakewell, Sarah
Wie man Mensch wird
Auf den Spuren der Humanisten. Freies Denken, Neugierde und Glück von der Renaissance bis heute
Wer Entscheidungen lieber aus Verantwortung und Mitgefühl als nach Gesetzen und Geboten trifft, wer das Leben einzelner Menschen interessanter findet als kollektive Visionen, und wer davon träumt, unbekannte Welten zu entdecken, der steht, ob er will oder nicht, in der Tradition des Humanismus. Sarah Bakewell macht mit den wichtigsten Humanisten bekannt, die uns bis heute etwas zu sagen haben – von den Literaten und Künstlern der Renaissance bis zu engagierten Denkerinnen und Denkern des 20. Jahrhunderts. Ihr fesselndes, vor klugen Gedanken und ungewöhnlichen Geschichten vibrierendes Buch ist eine verführerische Einladung zu einem menschlichen – glücklichen, freien, neugierigen – Leben und Denken.
Vor 700 Jahren kam die unverschämte Idee auf, dass der Mensch im Kern gut und frei ist und dass er auf der Suche nach Glück allein mit dem Kompass der Vernunft durch stürmische Zeiten steuern kann. Sarah Bakewell macht mit den italienischen Humanisten bekannt, die diese Idee in die Welt setzten, und beschreibt, wie inspirierend deren Neugierde, Forschergeist und Optimismus bis in die Gegenwart gewirkt haben, trotz aller Anfeindungen durch Theologen, Tyrannen und Ideologen. Sie erzählt von den mutigen Lebenswegen und überraschenden Entdeckungen der Humanisten und geht so deren großer Frage nach, wie man Mensch wird. Denn wir werden zwar als Menschen geboren, aber erst in einer Welt voller Beziehungen, Geschichten, Wissen, Liedern oder Bildern können wir wirklich Mensch werden: aufgeschlossen, neugierig, frei und glücklich im Hier und Jetzt.

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