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Vor Gott ohne Gott Freiheit, Verantwortung und Widerstand im Kontext der Religionskritik bei Dietrich Bonhoeffer und Jean-Paul Sartre. Ein Beitrag zur politischen Ethik Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 2008
Vor Gott ohne Gott
Freiheit, Verantwortung und Widerstand im Kontext der Religionskritik bei Dietrich Bonhoeffer und Jean-Paul Sartre. Ein Beitrag zur politischen Ethik


Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 2008

Klaus Harms

LIT
EAN: 9783643100351 (ISBN: 3-643-10035-3)
368 Seiten, paperback, 16 x 24cm, 2009

EUR 34,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Den gewiss großen Kontrast zwischen dem Theologen Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945) und dem Philosophen Jean-Paul Sartre (1905 - 1980) kann man nicht nur auf den Gegensatz zwischen christlichem Glauben und Atheismus festlegen. Beide Denker übten, wenn auch mit verschiedenen Argumenten, Kritik an einer eher idealistischen, bürgerlichen Religion ohne Welt. Doch was darüber hinaus hier herausgearbeitet wird, sind Analogien in ihrer existentiellen Interpretation von Freiheit, Aufrichtigkeit und Verantwortung, die sich im politischen Widerstand zu bewähren hatten. Es wird aufgezeigt, wie Bonhoeffer diese Ethik in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bis zu seiner Hinrichtung gelebt und Sartre sie während dieser Zeit in der résistance und nach dem Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung auf neue Weise demonstriert hat. Das Vermächtnis der beiden großen Denker eröffnet Perspektiven für die politische Ethik in Gegenwart und Zukunft.
Rezension
Nur auf den ersten Blick scheint die Fragestellung dieser Mainzer theologischen Dissertation eines bereits philosophisch promovierten, über 80-jährigen pensionierten Pfarrers ein wenig befremdlich: Was haben der (auf seine Weise doch recht fromme) deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945) und der atheistisch-nihilistische französische Philosoph Jean-Paul Sartre (1905 - 1980) gemein und inwiefern lassen sie sich vergleichen? Diese tiefgründige Arbeit, der man abspürt, dass sie aus wirklichem inhaltlichen Interesse und nicht aus akademischer Karrieresüchtelei verfasst ist, zeigt vielfältige Gemeinsamkeiten auf, - jenseits nur ähnlicher Geburtsjahre ... : Die existentielle Entscheidung, die Auseinandersetzung mit dem Atheismus, die je eigene Religionskritik, die politische Lebensausrichtung, die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, das Ringen um "Freiheit, Verantwortung und Widerstand" (Untertitel!), die Bedeutung für eine politische Ethik ... - Fazit: Diese Dissertation vermittelt tiefe Einblicke in beide Denkweisen!

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
An-Denken 1

I. ANNÄHERUNG, GRUNDFRAGEN, AUFGABENSTELLUNG

§ 1 Einführung 2

1. Der ungewöhnliche Vergleich 2
2. Quellen und Studien 5
2.1 Dietrich Bonhoeffer zwischen Theologie und Philosophie 5
2.2 Jean-Paul Sartre wieder entdecken 8
2.3 Simone de Beauvoirs Beitrag zu Moral und Theologie 11
3. Trennendes und Verbindendes in gemeinsamen Herausforderungen 13

§ 2 Überlegungen zur Existenzphilosophie 17

1. Begriffsklärung 17
2. Zur Geschichte der Existenzphilosophie 18
3. Das „Nein" des existentialistischen Nihilismus als Widerstand 22
4. Das „Nein" zum Humanismus. Heidegger widerspricht Sartre 24
5. Das „Nein" des Atheismus gegen einen Gott ohne Welt 27

§ 3 Existentialismus in der Theologie 33

1. Existenztheologie 33
1.1 Sören Kierkegaard: Glauben als Existenz 35
1.2 Paul Tillich: Existenz als Entfremdung 41
1.3 Karl Barth über Heidegger und Sartre 43

Zusammenfassung, Problemorientierung und Durchführung 47

II. JEAN-PAUL SARTRES RELIGIONSPHILOSOPHIE UND ETHIK

§ 1 Biographische und philosophische Voraussetzungen 52

1. Frage nach Gott als Frage nach dem Menschen 52
2. Religiöse Sozialisation im Selbstzeugnis 54
2.1 Der Mann in der Fremde 54
2.2 „Gott sah mich nicht mehr an" 57
2.3 Die Affinität zum „Heiligen" 61
2.4 „Lebenshilfe" bei Edmund Husserl und Martin Heidegger 62
2.5 Weihnachten 1940 im Gefangenenlager - Messianische Ideen 65

§ 2 Hegel, Marx und Kierkegaard 68

1. Entscheidungen 68
1.1 Ringen mit Hegel 69
1.2 Sören Kierkegaard 72
1.2.1 Abraham und die Verzweiflung 73
1.2.2 „Lebendiger Kierkegaard" 75
1.2.3 Karl Marx nicht ohne Kierkegaard lesen 78
2. Die Krise des Historischen Materialismus 80

§ 3 (Ent)-Täuschungen 82

1. Annäherung an Sartres Religionskritik 83
2. Friedrich Nietzsche, der „Tod Gottes" und die Moral 85
3. Wie das Nichts in die Welt kam 86
4. „Unglückliches Bewusstsein" 90
5. Was die Wahrheit ist 93
6. Die Religion als „Unaufrichtigkeit" 95
6.1 Das Verhalten in der „Unaufrichtigkeit" 95
6.2 Unaufrichtige Christen 99

§ 4 Gottes Schöpfung - Schöpfung des Menschen 102

1. Gott als Handwerker und sein "Brieföffner" 103
2. Des Menschen creatio ex nihilo 104

§ 5 Der Mensch, der die Freiheit ist 108

1. Der Grund der Freiheit 109
2. Projektion menschlicher Freiheit in den Gott des Descartes 110
3. Freiheit ist Angst 112
4. Dezisionismus und Determinismus? 114
5. Simone de Beauvoir und der Wille Gottes 118
6. Das Böse (,J)er Teufel und der liebe Gott") 124
7. Tod und Sterblichkeit 129

§ 6 Die Ethik als Soziaiontologie des „Daseins für Andere" 133

1. Die andere „Blickrichtung" 133
1.1 Festgelegt durch den ,3ück" des Anderen 135
1.2 Die Scham als „Sündenfall" 137
1.3 Die Schuld nach der Scham 138
1.4 Die Universalität des „Blicks" 140
2. Die religiöse Dimension des „Blicks" 142
3. Zur Kritik der Philosophie des „Blicks" 145

§ 7 Verfehlte Solidarität aus Mangel am Sein 148

1. „Wir", die Gesellschaft und das „Dasein für Andere" 148
2. In der Gruppe - ohne Gemeinschaft 150
3. Misslingendes An-und-für-sich und die Begierde Gott zu sein 153

§ 8 „Hoffnungs"-Zeichen 157

1. Die Bedeutung des Gottes Israels 157
1.1 Benny Levy 160
1.2 Der indirekte Dialog mit Emmanuel Levinas 163
2. Das Reich der Freiheit: Annäherung an Ernst Bloch 165

Zusammenfassung und Überleitung 167

III. DIETRICH BONHOEFFERS EXISTENTIELLE THEOLOGIE UND ETHIK

§ 1 Erbe und Lebensentscheidungen 172

1. „Wunderbar geborgen" - und einsam 172
2. Entscheidungen auf dem Weg des Glaubens und des Kampfes 173
3. Skepsis gegenüber Revolution 176

Exkurs: Lob des unverfälschten Bürgertums. Dichtung im Gefängnis 180

§ 2 Philosophische Phasen 183

1. Philosophische Studien 184
2. Die Frage nach der Existenz des Menschen 186
2.1 Zur Rangordnung von Existenz und Essenz 187
2.2 Auseinandersetzung mit Edmund Husserl und Martin Heidegger 191
3. Kritik am Idealismus und Humanismus 195
4. Über Atheismus und Nihilismus 197
5 Friedrich Nietzsche, der „Tod Gottes" und die „Diesseitigkeit" 199
5.1 „Neue Tafeln" gegen das „Hinterweltlertum" 202
5.2 „Sinn der Erde" 204
5.3 „Jenseits von Gut und Böse" 206
5.4 „Die ewige Wiederkehr" und das „Kind" der Hoffnung 207

§ 3 Religionskritik und die „Diesseitigkeit" christlicher Existenz 208

1. Das Ende herkömmlicher Selbstverständlichkeiten 209
1.1 Religionslose Autonomie nach der Neuzeit 209
1.2 Zweifel am „religiösen Apriori" und der „Erlösungsreligion" 214

§ 4 Gott und Mensch in der „religionslos mündigen Welt" 217

1. Durch Christus zur Mündigkeit befreit 218
2. Nachfragen 219
2.1 Zum Religionsbegriff 220
2.2 Gottes Allmacht, Gericht und die Prädestination 223
2.3 Die Geschichte als Gottes Wille 224

Exkurs: Hans Jonas und der „Gottesbegriff nach Auschwitz" 227

§ 5 Bonhoeffers Ethik der Freiheit und der Verantwortung 229

1. Die Alternative zu Sartres Sozialontologie 229
1.1 Der Mensch in der Schöpfung 230
1.2 Die Freiheit für den Anderen 233
2. Problematisches Gewissen 236
3. Stellvertretung als Opfer? 239
4. Schuld in der Nachfolge Jesu 244
5. Gemeinschaft, Staat und Gesellschaft 245
6. Philosophische Hintergründe: Hegel und Kierkegaard 248
6.1 Hegel und die Theologie des „Christus als Gemeinde existierend" 249
6.2 Sören Kierkegaard und die teure Gnade 250

Zusammenfassung und Weiterführung 252

IV. DENKEN UND HANDELN IM POLITISCHEN WIDERSTAND

§ 1 Der politische Widerstand als Grenzsituation 254

1. Zum Begriff der „Grenzsituation" 254
1.1 Karl Jaspers über die „Grenzsituation" 256
1.1.1 Was heißt „Situation"? 256
1.1.2 Der „Sprung" in die Grenzsituation 258
1.1.3 In die Enge mancherlei Widerstände getrieben 259
1.1.4 Erfahrung des Leides und des Todes 260
1.1.5 Schuld und Scheitern 261
1.1.6 Die Schuld durch Nichthandeln 263

§ 2 Jean-Paul Sartre in der Resistance 263

1. Zur Geschichte der Resistance 264
2. Von der „direkten Aktion" zum literarischen Widerstand 267
2.1 Leben im besetzten Paris 268
2.2 „Niemals waren wir freier" 269
2.3 Die sich anpassen 270
2.4 Freiheit, Schuld und Tod: Drei literarische Beispiele 273
2.4.1 „Die Fliegen" (Les mouches) 274
2.4.2 „Tote ohne Begräbnis" (Mort sans sepulture) 278
2.4.3 Simone de Beauvoir „Das Blut der Anderen" (Le sang des autres) 280
2.5 Sartres Kritik und Selbstkritik im Rückblick 283
3. Antisemitismus als Herausforderung für Sartre und Bonhoeffer 284

§ 3 Dietrich Bonhoeffer im deutschen Widerstand 289

1. Pazifismus und Widerstand 289
2. Im Untergrund der Verschwörung 292
3. Vom Mitwissen zum Mithandeln 294
4. Glaube und Ethik im Widerstand 299
4.1 Verantwortete Schuld 299
4.2 Die Gewissensprüfung 304
4.3 Die Wahl der Entscheidung im politischen Widerstand 308
5. Scheitern einer Illusion? 310
6. Die Rolle des deutschen Widerstandes im europäischen Kontext 314

V. RELIGIONSKRITIK UND ETHOS - RÜCKBLICK UND AUSBLICK

§ 1 Versuch einer zusammenfassenden Würdigung 315

1. Zum Verlauf 315
2. Brennpunkte 316
2.1 Dietrich Bonhoeffer zwischen Philosophie und Theologie 316
2.2 Der Atheismus und die „religionslose Welt" 317
2.3 „Stationen auf dem Wege zur Freiheit" und mögliche Analogien 319
2.4 Sartres Philosophie des „Blicks" und die „unaufrichtige" Religion 323
2.5 Sartre, der Marxismus und die Rolle der Gewalt 325
2.6 Revolution und Demokratie bei Bonhoeffer und Sartre 327

§ 2 Konsequenzen für die politische Ethik in vier Thesen 330

1. Gemeinsames Vermächtnis 330
1.1 Globalisierung, Religions- und Kulturbegegnung 331
1.2 Die Anderen als die Fremden 334
1.3 „Tun des Gerechten" angesichts neuer Totalitarismen 335
1.4 Das Recht auf Widerstand in der Demokratie 337

Nach-Denken 340
Abkürzungen 341
Bibliografie 343
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