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Tausend Aufbrüche Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren DEUTSCHER SACHBUCHPREIS 2024
Tausend Aufbrüche
Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren


DEUTSCHER SACHBUCHPREIS 2024

Christina Morina

Siedler-Verlag
EAN: 9783827501325 (ISBN: 3-8275-0132-6)
400 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 14 x 22cm, September, 2023

EUR 28,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Sachbuchpreis als Sachbuch des Jahres 2024!

»Christina Morina nutzt bisher wenig beachtete Quellen, um zu zeigen, wie unterschiedlich sich das Demokratieverständnis in Ost- und Westdeutschland seit den 1980er Jahren entwickelt hat. Morina liefert mit diesem Buch überraschende und notwendige Impulse für die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen. Ihr Buch riskiert viel, ohne zu polarisieren - Demokratie ist Prozess, kein Zustand.« (Aus dem Urteil der Jury)

Die Ost-West-Debatte der Deutschen ist oft von gegenseitigem Unverständnis und Zuspitzungen geprägt. Christina Morina vermeidet die übliche Frontenbildung und rückt - anhand vieler bisher unerforschter Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen und Flugblätter - die Demokratievorstellungen und das Selbstverständnis ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Ost und West seit den 1980er Jahren in den Fokus. Indem die Autorin die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik und die Demokratieanspruchsgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik miteinander verzahnt, kann sie maßgebliche Unterschiede und wechselseitige Bezüge im Staats- und Politikverständnis herausarbeiten.

Dabei entsteht ein differenziertes Bild: Viele Bewohner der DDR identifizierten sich mit ihrem Land und dessen »volksdemokratischen« Idealen, blieben dem Staat und seinen Institutionen gegenüber jedoch skeptisch. Diese Staatsferne gepaart mit einem oft provinziell-utopischen Bürgersinn, dessen Potentiale nach der Vereinigung weitgehend ungenutzt blieben, wirkt bis heute nach. Im Zusammenspiel mit einem wiedererstarkenden Nationalismus im Westen entstand so nicht zuletzt auch der Nährboden für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Christina Morinas Buch offenbart die Grenzen der westdeutschen Liberalisierung ebenso wie die Vielfalt der ostdeutschen Demokratieaneignungsversuche - ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der gegenwärtigen prekären Lage der Demokratie.

Christina Morina ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus, in der politischen Kulturgeschichte des geteilten und vereinigten Deutschlands sowie in dem Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis. Christina Morina studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik an den Universitäten Leipzig, Ohio und Maryland (USA) und wurde 2007 mit einer Arbeit über den Krieg gegen die Sowjetunion in der deutsch-deutschen Erinnerungskultur promoviert. Sie war von 2008 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2017 erschien bei Siedler 'Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte'. Für 'Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren' erhielt sie 2024 den Deutschen Sachbuchpreis.
Rezension
Wie hat sich die deutsche Demokratie seit den 1980er Jahren, insbesondere seit der deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 entwickelt? Wie sind das Verhältnis und der Unterscheid zwischen Ost und West auch 35 Jahre nach dem Mauerfall zu erklären? Und wie erklärt sich die Stärke eines wiedererstarkenden Nationalismus und Populismus insbesondere im Osten der Bundesrepublik? Diesen Fragen geht die Autorin anhand vieler bisher unerforschter Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen und Flugblätter nach mitsamt der damit verbundenen Demokratievorstellungen ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Ost und West. Dadurch treten maßgebliche Unterschiede und wechselseitige Bezüge im Staats- und Politikverständnis hervor. Die Staatsferne vieler DDR-Bürger setzte sich in der Bundesrepublik fort und nährt bis heute Distanz und Mißtrauen gegenüber dem Staat und unterstützt die prekäre Lage unserer Demokratie.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung:
Demokratiegeschichte in integrierter Perspektive 9

»1989« in der deutschen Demokratiegeschichte 14
Eine politische Kulturgeschichte »von unten« 17
Historisierung und Gegenwart der Demokratie 20

1 Staat, Bürger, Sein:
Was heißt es, Staatsbürger/-in zu sein? 29

Vom Untertan zum Staatsbürger.
Eine kurze deutsche Ideengeschichte 32
»Der Staat bin auch ich.«
Staatsbürgervorstellungen in der Bundesrepublik 45
Eine Frage der Mündigkeit.
Staatsbürgervorstellungen in der DDR 61

2 Zweierlei Demokratie:
Land der zwei Republiken 79

Aus Ruinen. Demokratie als Anspruch und Fiktion 83
Lernerfahrung. Demokratie als westdeutscher Möglichkeitsraum 92
Imagination des Politischen.
Demokratiediskurse in der DDR 108

3 Tausend Aufbrüche:
Frühling im Herbst 129

»Wir alle«. Öffentlichkeit und Gesellschaft
in Ostdeutschland vor dem Mauerfall 134
Deutsch-deutscher Frühling.
Die Demokratieideen der »friedlichen Revolution« 146
Aufbruch der Alternativen.
Von der Konsensdiktatur zur Konsensdemokratie? 171

4 Geteilte Demokratie:
Ankunft in der Berliner Republik 179

Suche nach Überschaubarkeit.
Das letzte Jahr eines geteilten Landes 187
Maß und Mitte jenseits von Bonn.
Selbstfindung einer Republik 192
Verfassungsfragen. Das Ringen um Grundgesetz
und »ostdeutsche Lage« in den 1990er Jahren 217

5 Umbruch, Aufbruch, AfD:
Ambivalenzen der Demokratie in der Ära Merkel 237

Demokratie ohne Wunder.
Eine andere Geschichte der Einheit 243
Demokratie als Drohung.
Der Aufstieg des Rechtspopulismus
in deutsch-deutscher Perspektive 249
Die ostdeutsche Kanzlerin
und das Repräsentationsparadox 266

Fazit:
Jenseits der »inneren Einheit« 289

Dank 311
Abkürzungsverzeichnis 314
Anmerkungen 315
Abbildungsverzeichnis 370
Literaturverzeichnis 371
Register der Personen sowie der politischen Gruppen und Initiativen 397