Max Frischs mit dem berühmt gewordenen Satz "Ich bin nicht Stiller!" beginnenden Roman befasst sich erstmals mit dem Thema der Identität, das für den modernen Menschen des 20. Jahrhunderts zum Problem geworden ist, muss er sie doch, bar der ordnenden Strukturen vergangener Jahrhunderte und der aus ihnen erwachsenden Bindungen und Veprflichtungen, selbst suchen. Es wird zu einem, wenn nicht sogar dem charakteristischen Thema Frischs, mit dem er sich immer wieder auseinandersetzt ("Homo Faber. Ein Bericht", 1957; "Mein Name sei Gantenbein. Roman", 1964).

Der Roman gliedert sich in zwei Teile: Zunächst unternimmt der beim Versuch in die Schweiz einzureisen verhaftete Ich-Erzähler den Versuch, sein bisheriges Leben niederzuschreiben, um sich von der Identität mit Stiller, einem vor sechs Jahren verschwundenen Bildhauer, zu distanzieren. Dieses Konglomerat aus Vergangenem und Gegenwärtigem, Erfundenem (welches er seinem Gefängniswärter erzählt) und Wahrem sowie aus eigenen Erzählungen und von ihm wiedererzählten Berichten anderer Personen (wie Stillers Ehefrau Julika und seiner Geliebten Sibylle, der Frau des Staatsanwalts) bildet sieben "Hefte", gefolgt von einem "Nachwort des Staatsanwalts", das die 'Befreiung' Stillers sowie seine weitere Lebensgeschichte erzählt.

Die vorliegende Lesefassung ist, wenn auch in gekürzter Form, gelungen: Ulrich Matthes liest den ersten Teil, Stillers Aufzeichnungen, einfühlsam und schillernd, das "Nachwort des Staatsanwalts", der diese als Stillers Freund herausgibt, dagegen dann eher distanziert und kommentierend, wenn auch nicht ohne Sympathie.

Melanie Förg, Lehrerbibliothek.de

Kein anderer zeitgenössischer Roman stellt derart ehrlich die Frage nach der Identität des Menschen im 20. Jahrhundert. Bei seiner Einreise in die Schweiz wird Mister White festge-nommen, weil er für die Polizei mit dem verschwundenen Bildhauer Anatol Ludwig Stiller identisch ist. Frühere Freunde und auch seine Frau bestätigen den Verdacht. Er aber widersetzt sich dieser Festlegung: »Ich bin nicht Stiller!« Diese Identität ist ihm fragwürdig geworden, und er will sich die Freiheit der Wahl, ein anderer zu sein, erhalten.

(http://www.hoffmann-und-campe.de)

Inhaltsverzeichnis