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Queere jüdische Gedichte und Geschichten
in homosexuellen Zeitschriften zwischen 1900 und 1932
Janin Afken, Liesa Hellmann (Hrsg.)
Hentrich & Hentrich
EAN: 9783955656140 (ISBN: 3-9556561-4-4)
238 Seiten, kartoniert, 17 x 24cm, März, 2024, 14 Abbildungen
EUR 24,90 alle Angaben ohne Gewähr
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Rezension
„Queere jüdische Gedichte und Geschichten“, herausgegeben von Janin Afken und Liesa Hellmann, ist ein vielstimmiger, eindrucksvoller Band, der Räume öffnet – literarisch, historisch, politisch und spirituell. Die Anthologie versammelt Texte, die in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit genau das sichtbar machen, was der Titel verspricht: ein queeres jüdisches Erzählen, das sich nicht festlegen lässt, sondern sich durch Bewegung, Brüche und Selbstbehauptung auszeichnet.
Die Herausgeberinnen schaffen mit diesem Band einen Raum für Stimmen, die im deutschsprachigen Literaturbetrieb und in öffentlichen Diskursen oft marginalisiert oder unsichtbar bleiben. Dabei ist das Spektrum der Texte bewusst weit gefasst: historische Texte stehen neben zeitgenössischen, poetische Fragmente neben autobiografisch geprägten Kurzgeschichten, experimentelle Formen neben klassischer Lyrik. Es ist diese Mischung, die den Band so lebendig, aber auch so fordernd macht.
„Queere jüdische Gedichte und Geschichten“ ist kein „einfaches“ Buch – und will es auch nicht sein. Es verlangt ein aufmerksames, manchmal tastendes Lesen, das sich auf unterschiedliche Erfahrungen, Perspektiven und Sprachwelten einlässt. Gerade darin liegt seine große Stärke: Es gibt keine lineare Erzählung, keine abschließende Deutung, sondern eine Sammlung von Stimmen, die in ihrer je eigenen Weise von Identität, Zugehörigkeit, Begehren und Ausgrenzung erzählen – oft leise, manchmal wütend, immer persönlich.
Im Schulunterricht kann dieser Band eine wertvolle Ergänzung sein – besonders in höheren Jahrgangsstufen und in Kontexten, in denen Diversität, Erinnerungskultur und queere Lebensrealitäten reflektiert werden. Die Texte eignen sich weniger für eine breite Lektüre im Klassenverband, aber sehr wohl für projektorientierte Arbeitsformen, für kreative Zugänge, für forschendes Lesen. Sie laden dazu ein, neue Perspektiven einzunehmen und über Kategorien wie Religion, Geschlecht, Herkunft und Sprache neu nachzudenken.
Didaktisch interessant ist auch die Möglichkeit, den Band im interdisziplinären Kontext zu nutzen – etwa im Zusammenspiel von Deutsch, Geschichte, Religion und Ethik. Einzelne Gedichte oder Kurzgeschichten bieten Anlass für Gespräche über jüdische Geschichte, queeres Leben heute und das Verhältnis von individueller Erfahrung und kollektiver Erinnerung.
„Queere jüdische Gedichte und Geschichten“ ist ein mutiger, wichtiger Band. Er stellt keine einfachen Fragen – und gibt keine einfachen Antworten. Aber er zeigt, was Literatur kann: Räume schaffen, in denen Unerhörtes hörbar und Unsichtbares sichtbar wird. Für den Unterricht braucht es Offenheit, Sensibilität und die Bereitschaft, sich irritieren zu lassen – dann kann dieses Buch zu einem besonderen Lernmoment werden.
Verlagsinfo
In der Kaiserzeit und Weimarer Republik entstand die erste queere Subkultur der Welt und mit ihr eine diverse Zeitschriftenkultur, die eine nie dagewesene Fülle an queerer Literatur hervorbrachte. Jüdische Aktivist:innen, Schriftsteller:innen und Ärzt:innen prägten die homosexuelle Emanzipationsbewegung maßgeblich. Doch in den queeren Zeitschriften sind direkte Bezüge zu jüdisch-queerem Leben auffallend selten. Stets von Zensur bedroht, etablierten sich Codes wie die Farbe Lila, das Veilchen, der Freund und die Freundin, um tabuisierte und kriminalisierte Liebe zu erzählen. Auch Bezüge zum Judentum und Jüdischsein entfalteten sich oft nur in Andeutungen und Symbolen. Mal treten die biblischen Gestalten Esther, Joseph und Ruth als Vorfahr:innen queerer Lebensentwürfe auf, mal folgen die Geschichten ihren Protagonist:innen in die Bars, Fabriken und auch Synagogen der modernen Metropole Berlin.
Die Anthologie versammelt erstmals eine Bandbreite an Texten aus homosexuellen Zeitschriften, die zwischen 1900 und 1932 erschienen und das Verhältnis von Queerness und Jüdischsein in den Blick nehmen. Die Geschichten, Gedichte und Artikel erzählen von Aushandlungsprozessen innerhalb der Bewegung, von den Bedrohungen durch eine von Homophobie und Antisemitismus geprägte Gesellschaft, aber immer auch von den utopischen Räumen, die Literatur zu schaffen vermag.
Janin Afken
studierte deutsche Literatur und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie promovierte 2022 zu Eigenzeiten in der lesbisch*feministischen Literatur der BRD und DDR in den 1970er und frühen 1980er Jahren im Rahmen des Projekts Cruising the 1970s: Unearthing Pre-HIV/AIDS Queer Sexual Cultures (2016–2019). In ihrem zweiten Buch befasst sie sich mit den diskursiven Verstrickungen von Lesbianism und Jewishness in literarischen Darstellungen der Figur Ruth, Esther und Erika in der Weimarer Republik.
Derzeit forscht sie in dem Projekt Queer Reading – eine Methodologie sowie in dem Projekt Queer Theory in Transit. Reception, Translation, and Production of Queer Theory in Polish and German Contexts.
Liesa Hellmann
studierte deutsche Literatur und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin (2012–2018). Nach einem journalistischen Volontariat ist sie seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiter*in an der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualität der Humboldt-Universität, zunächst im Projekt Jewish Homosexual Modernism in the German speaking World and Mandatory Palestine/Israel (1890–1945), seit Mai 2023 im Projekt Queer Reading – eine Methodologie: Deutsche Literatur im Zeitalter des Paragraphen 175. In ihrer Dissertation erforscht sie die ästhetischen Dimensionen der literarischen Ko-Konstruktion von Jüdischsein und Sexualität in den Zeitschriften der ersten queeren Emanzipationsbewegung (1890–1933).
Inhaltsverzeichnis
Editorische Notiz 9 Vorwort 11 KAISERREICH
O. A.: David und der heilige Augustin, zwei Bisexuelle.
In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1900). 34
Frau M. F.: Wie ich es sehe.
In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (1901). 42
Edwin Bab: Frauenbewegung und männliche Kultur.
In: Der Eigene (1903). 49
Ludwig Meidner: Du loderndes Haupt.
In: Agathon (1917). 63
Kurt Hiller: Nacht und Morgen.
In: Agathon (1917). 68
Alfred von Lieber: Joseph.
In: Agathon (1917). 72
Ludwig Meidner: Fragment von der Winterqual.
In: Agathon (1918). 74
WEIMARER REPUBLIK
O. A.: Neue Heldentaten der Wiener Hakenkreuzler.
In: Wiener Morgenzeitung (05.02.1923). 82
Magnus Hirschfeld: Betrachtungen zur Reichstagswahl. In: Der Hellasbote (1924). 88
Walter Sthamer: Der Jude.
In: Die Fanfare (1924). 99
Toni Brand: Frida geht aus!
In: Das Freundschaftsblatt (1925). 102
O. A.: Das Gebet im Walde.
In: Die Insel (1926). 106
Der Einsiedler: Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
In: Die Freundschaft (1927). 108
Maria Linden: Die Rache.
In: Frauenliebe (1927). 118
Karl Alexander: Ahasver.
In: Das Freundschaftsblatt (1927). 124
Ewald Leboni: David und Jonathan.
In: Die Freundschaft (1928). 127
Hanna Blumenthal: Gedenken an Ruth.
In: Die Freundin (1928). 134
O. A.: Esther.
In: Frauenliebe (1928). 139
Marie-Luise von Bancels: Blume vom Toten Meer.
In: Ledige Frauen (1928). 142
O. A.: Schöne Männer.
In: Die Freundschaft (1929). 145
Hans Markow: Der steinerne Gott.
In: Der Eigene (1930). 148
Demona: Gefunden.
In: Die Freundin (1930). 156
Selli Engler: Die kleine Jüdin.
In: Die Freundin (1931). 160
Annette Eick: Tag des Buches 1931.
In: Garçonne. Junggesellin (1931). 166
Ilse Bennewitz: In memoriam Eva Rems.
In: Die Freundin (1931). 169
O. A.: In aller Kürze.
In: Jüdische Rundschau (11.03.1932). 176
Magnus Hirschfeld [und Dunek Schmid]: Zufriedene Menschen auf Väterscholle.
In: Die Stimme (1932). 178
Heinz Hugo Jöker: Ein Junge sucht die Liebe.
Eine Erzählung aus dem Leben der Unverstandenen.
In: Das Freundschaftsblatt (1932). 183
Kontaktanzeigen 218
Literaturverzeichnis 224
Abbildungsverzeichnis 235
Danksagung 236
Über die Herausgeber*innen 237
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