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Jungen als Bildungsverlierer Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?
Jungen als Bildungsverlierer
Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?




Klaus Hurrelmann, Tanjev Schultz (Hrsg.)

Juventa Verlag
EAN: 9783779927501 (ISBN: 3-7799-2750-0)
316 Seiten, paperback, 13 x 21cm, April, 2012

EUR 19,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In der Schule sind Jungen im Durchschnitt schlechter als Mädchen. Die Mehrzahl der Abiturienten ist heute weiblich. Auch in den Universitäten ziehen sie an den jungen Männern vorbei. Jungs sind zu „Bildungsverlierern“ geworden.

Dieses Buch diskutiert eine provokante These: Den Jungs fehlt ein männliches Rollenmodell. Die Erziehung von der Familie über die Kindergärten bis zu den Grundschulen wird von Frauen dominiert. Ist deshalb eine Männerquote in Kitas und Schulen notwendig? Namhafte Pädagogen, Wissenschaftler und Journalisten streiten mit starken Argumenten für und gegen die Quote.
Rezension
Warum sind Jungs in ihren schulischen Leistungen schlechter als Mädchen? Wenn man das nicht neuropsychologisch (weg)erklären will, dann wird man sich auch Gedanken machen müssen über gesellschaftliche Rollenzuschreibungen als mögliche Ursachen. Wer in der (Grund-)Schule tätig ist, der weiss: Die Erziehung von der Familie über die Kindergärten bis zu den Grundschulen wird von Frauen dominiert. Jungs werden wesentlich ohne männliches Rollenmodell erzogen und die (ansonsten einigermaßen aktionistische) Bildungspolitik tut nichts dagegen; denn es wird zwar massiv für Frauen in die Bundeswehr geworben, nicht aber für Männer an die Grundschulen ... Die hier anzuzeigende Streitschrift mit dem Titel "Jungs als Bildungsverlierer" diskutiert deshlab kontrovers und ausgewogen die Frage: Ist eine Männerquote in Kitas und Schulen notwendig? Namhafte Pädagogen, Wissenschaftler und Journalisten streiten mit starken Argumenten für und gegen die Quote.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die schulischen Leistungen der Jungen stagnieren seit Langem, während Mädchen und junge Frauen ihre Leistungen deutlich gesteigert haben. Diese Entwicklung könnte mit der allgemeinen Verunsicherung der männlichen Geschlechtsrolle zusammen hängen – und diese wiederum mit dem hohen Anteil von weiblichen Personal in Kinderkrippen, Kindertagesstätten, Kindergärten und Grundschulen. Die Einführung einer Männerquote ist eine der denkbaren Lösungen. Zu dieser Frage wird in dem Buch kontrovers Stellung genommen. Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis diskutieren kenntnisreich die zentralen Argumente.

Presse-/Leserstimmen:

»Hurrelmann und Schultz legen eine breit diskutierte Betrachtung eines empirischen Befundes vor, der durchaus nicht nur für Jungen, sondern für eine ganze Gesellschaft besorgniserregend ist, die ihre wirtschaftliche und kulturelle Grundlage mehr und mehr auf der Bildung aufbaut und aufzubauen hat. Pro und Contra liegen während der Lektüre klar vor Augen, die gezogenen Schlüsse sind überzeugend argumentiert und bieten, auch ohne eine direkte Umsetzung einer Männerquote, genügend Hinweise und Anregungen für ein Umsteuern im pädagogischen Bereich.« info-sozial.de

»Ein breites Publikum soll durch diese gut verständliche und klar gegliederte pädagogische Streitschrift zum Nachdenken und Handeln angeregt werden.« Impu!se
Inhaltsverzeichnis
Klaus Hurrelmann und Tanjev Schultz
Jungen als Bildungsverlierer – Warum diese Streitschrift? 11

Pro Männerquote – aus pädagogischer und soziologischer Perspektive

Katja Irle
Die Quote ist ein Gewinn für Jungen und Mädchen 18

Ulf Preuss-Lausitz
Der hilflose Umgang mit Jungen in Schule und Pädagogik 31

Klaus Hurrelmann
Pädagogische Arbeit braucht gemischte Fachkollegien 47

Christoph Fantini
Pädagogik der Vielfalt? In männerlosen Grundschulen ein Lippenbekenntnis 65

Jeanne Rubner
Wer für die Frauenquote ist, muss auch die Männerquote befürworten 73

Michael Cremers und Jens Krabel
Männer-Quoten in Care-Bereichen 78

Kontra Männerquote – aus pädagogischer und soziologischer Perspektive

Robert Baar, Thomas Fuhr, Ruth Michalek und Gudrun Schönknecht
Genderkompetenz statt Quote! 102

Heike Diefenbach
Gegen den kollektivistischen Aktionismus! 125

Hannelore Faulstich-Wieland
Quoten sind Machtinstrumente – Erziehung aber braucht Qualität 144

Uwe Ihlau
Eine Männerquote behindert Qualifizierungsprozesse 155

Reinhard Winter
Qualität statt Quote! 169

Elisabeth Tuider und Mart Busche
Queer und/oder Quote 177

Pro Männerquote – aus psychologischer und therapeutischer Perspektive

Frank Dammasch
Ohne Männer können Jungs sich nicht gut entwickeln 184

Hans Hopf
Mich beunruhigen die unruhigen Jungen 201

Kontra Männerquote – aus psychologischer und therapeutischer Perspektive

Josef Christian Aigner
Sag mir, wo die Männer sind – Quoten bringen sie geschwind? 216

Gisela Steins
Für wen und für was soll eine Männerquote gut sein? 234

Tim Rohrmann
Wo keine Männer sind, da hilft auch keine Quote 250

Holger Brandes
Jungen wie Mädchen profitieren von männlichen Fachkräften – aber kaum von einer Quote 260

Irritationen und offene Fragen

Christian Oswald
Erzieher – ein Frauenberuf? 274

Walter Hollstein
Das vergessene Geschlecht? Die einseitige Frauenförderung und ihre Folgen 287

Philipp Hein, Vera Neugebauer und Bill Schneider
Die Debatte über eine Männerquote – wie sehen wir Jüngeren das? 298

Tanjev Schultz
Herr Professor, wie war das eigentlich mit der Frauenquote? 308

Die Autorinnen und Autoren 314



Leseprobe:

Klaus Hurrelmann und Tanjev Schultz
Jungen als Bildungsverlierer –
Warum diese Streitschrift?
Seit fast dreißig Jahren dokumentieren Bildungs- und Jugendstudien
eine sich ständig steigernde Leistungsbilanz von Mädchen
und jungen Frauen, während die Jungen und die jungen
Männer auf der Stelle treten. Im Vergleich zu den weiblichen
sind die männlichen Schüler heute die „Bildungsverlierer“.
Natürlich meistern weiterhin sehr viele junge Männer die
Schule mit großem Erfolg und zeigen auch an den Universitäten
herausragende Leistungen. Doch im statistischen Durchschnitt
fallen sie hinter die jungen Frauen zurück. Ob beim
„Sitzenbleiben“ oder dem Schulabbruch: Jungen sind die
Problemkinder.
Die Jungen werden zu Bildungsverlierern
Die international vergleichenden Leistungsstudien im Grundschulbereich
(IGLU) und im Sekundarbereich (PISA) zeigen,
wie stark die Mädchen bei den schulischen Leistungen in den
vergangenen Jahrzehnten aufgeholt haben, und zwar in allen
hoch entwickelten Ländern. Sogar in die bisherigen Domänen
der männlichen Schüler stoßen sie vor und ziehen beispielsweise
in den Naturwissenschaften an den Jungen vorbei. In
den durch Sprache dominierten Fächern sind sie schon seit
vielen Jahren im Durchschnitt besser als die männlichen Schüler.
Im Lesen, Schreiben und dem Verstehen von Texten sind
sie ihren männlichen Mitschülern klar überlegen. Es sollte
nicht verwundern, wenn bei der nächsten PISA-Studie die
jungen Frauen auch in Mathematik punkten und möglicherweise
sogar mit den jungen Männern gleichziehen.
Leseprobe aus: Hurrelmann/Schultz, Jungen als Bildungsverlierer,
© 2012 Beltz Juventa Verlag, Weinheim Basel
http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-2750-1
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Die international vergleichenden Studien sind deshalb so
wichtig für die Einschätzung der Entwicklung, weil sie nicht
auf Urteilen durch Lehrkräfte beruhen, sondern auf wissenschaftlich
abgesicherten Testinstrumenten. Lange Zeit wurde
vermutet, Mädchen schnitten stets besser ab, weil ihre Art,
Leistungen zu erbringen, den Kriterien von Lehrerinnen und
Lehrern besonders gut entgegenkommt. Mädchen sind in der
Schule oft angepasster, sie arbeiten konstruktiver mit, Jungen
fallen eher durch unruhiges und störendes Verhalten auf. Diese
Unterschiede schlagen sich in der Beurteilung nieder. Auch
die Sorgfalt bei der Anfertigung von Arbeiten und die gute
optische Präsentation von Ergebnissen beeindrucken die
Lehrkräfte.
Die wissenschaftlichen Leistungstests beurteilen dagegen
ausschließlich die erreichten Kompetenzen in Mathematik,
den Naturwissenschaften und im Lesen (Textverständnis).
Hierbei spielen subjektive Beurteilungen durch Lehrkräfte
keine Rolle. Aber auch diese Testergebnisse zeigen: Die Schülerinnen
werden immer besser.
Offizielle Statistiken bestätigen dies ebenfalls. In den Daten
des Bundesministeriums für Bildung fallen gravierende
Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern auf. Die
jungen Männer sammeln sich immer stärker in Haupt- und
Förderschulen, wo sie mitunter bis zu 70 Prozent der Schülerschaft
stellen. Entsprechend dünnt sich ihr Anteil in den Realschulen
und Gymnasien aus. Das gilt sowohl für Schüler aus
einheimischen wie aus eingewanderten Familien. Mädchen
bewältigen die schulischen Anforderungen auch dann besser,
wenn ihre Familien eine Zuwanderungsgeschichte haben: 20
Prozent der männlichen Schüler mit einem Migrationshintergrund
und 10 Prozent der männlichen Schüler aus einheimischen
Familien schaffen den Hauptschulabschluss nicht. Die
Mädchen liegen hier erheblich besser und haben fast nur die
Hälfte dieser Misserfolgsquote. Zugleich schneiden sie beim
Abitur besser ab als die jungen Männer.
Kinderstudien der letzten Jahre dokumentieren, wie früh
im Lebenslauf die Bildungsperspektiven der Geschlechter
auseinanderlaufen. Die repräsentativen World Vision Kinderstudien
von 2007 und 2010 untermauern dieses Ergebnis auf
Leseprobe aus: Hurrelmann/Schultz, Jungen als Bildungsverlierer,
© 2012 Beltz Juventa Verlag, Weinheim Basel
http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-2750-1
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nachdrückliche Weise. Schon bei den Sechs- bis Elfjährigen
finden sich große Unterschiede in den Bildungszielen. Die
Mädchen wollen deutlich häufiger als die Jungen aufs Gymnasium
gehen und dort mit dem Abitur abschließen. Ihre Ziele
sind schon im Grundschulalter anspruchsvoller als die der
Jungen. Die Mädchen fallen außerdem durch ein vergleichsweise
vielfältiges und kreatives Freizeitverhalten auf, bei dem
die Beschäftigung mit elektronischen Medien, Handarbeit,
Tanzen, Sport und anderen Formen von Bewegung mit Musizieren
und Basteln kombiniert wird. Bei vielen Jungen dominiert
hingegen eine eher passive Freizeitbeschäftigung mit einer
Fixierung auf die elektronischen Medien Fernsehen, Computer
und Gameboy. Die Jungen haben diesen Studien zufolge
insgesamt das trägere und weniger anregende Freizeitverhalten,
und es besteht ein deutlicher Zusammenhang mit ihrer
Lern- und Bildungsmotivation.
Die Shell-Jugendstudien der vergangenen Jahre geben weitere
Hinweise auf die Hintergründe dieser Entwicklung. Sie
zeigen anschaulich, wie sehr sich die Mädchen auf der „Überholspur“
befinden. Mädchen müssen deutlich seltener eine
Klasse wiederholen als die Jungen, haben weniger Nachhilfeunterricht
und sind motivierter, gute Abschlüsse zu machen.
Bei den 12- bis 25-Jährigen, die in diese Untersuchungen einbezogen
sind, haben sich die schon in der Grundschule erkennbaren
unterschiedlichen Bildungsansprüche verfestigt.
Und noch etwas fällt auf: Die jungen Frauen haben eine
„flexiblere Lebensführung“ als die jungen Männer. Sie möchten
eine gute Bildungslaufbahn durchlaufen, um anschließend
Karriere zu machen. Sie wünschen sich eine Kombination von
beruflicher Tätigkeit, Partnerschaft, Familie und Kindern. Fast
80 Prozent von ihnen orientieren sich an diesem anspruchsvollen
Muster der Lebensführung. Bei den jungen Männern hingegen
sind es nur knapp 40 Prozent, die sich eine gleichmäßige
Orientierung an Beruf und Familie und eine entsprechende
Arbeitsteilung mit einer späteren Partnerin vorstellen können.
Die Mehrheit von ihnen orientiert sich am traditionellen Männerbild,
das dem Mann die Rolle des Haupternährers der Familie
zuschreibt und ihn von Aufgaben der Haushaltstätigkeit
und der Kindererziehung freistellt.
Leseprobe aus: Hurrelmann/Schultz, Jungen als Bildungsverlierer,
© 2012 Beltz Juventa Verlag, Weinheim Basel
http://www.beltz.de/de/nc/verlagsgruppe-beltz/gesamtprogramm.html?isbn=978-3-7799-2750-1
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Die Jugendstudien zeigen, dass sich die jungen Männer
schwer damit tun, ihre Rolle in der modernen Gesellschaft zu
definieren und ein neu gefasstes Verständnis von Männlichkeit
aufzubauen. Zugespitzt lässt sich sagen, sie haben ein weniger
unternehmerisches Verhältnis zu ihrem künftigen Leben als die
jungen Frauen und trauen sich weniger zu als diese. Das lässt
sich auch an einem anderen Befund ablesen: Die jungen Frauen
lösen sich deutlich früher als die jungen Männer vom Elternhaus
und ziehen in eine eigene Wohnung. Sie signalisieren damit,
dass sie selbständig sein wollen und ihr Leben in die eigene
Hand nehmen möchten. Die jungen Männer sind hier sehr viel
zögerlicher, sie nutzen gerne die Annehmlichkeiten des elterlichen
Haushaltes und der mütterlichen Fürsorge („Hotel Mama“),
auch wenn sie schon mitten in einer Ausbildung, im Studium
oder im Beruf stehen.
Noch etwas fällt in den Untersuchungen auf: erhebliche
Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern beim Umgang
mit ihrer Gesundheit. So fördern etwa die international
vergleichenden Studien im Rahmen des Programms „Health
Behaviour in School Children“ (HBSC) sehr verschiedene
Einstellungen zum eigenen Körper und damit der eigenen Gesundheits-
Krankheits-Balance bei jungen Männern und jungen
Frauen zutage. Diese haben erhebliche Auswirkungen auf Gesundheit
und Lebensdauer. Die Unterschiede bauen sich
schrittweise über den gesamten Lebenslauf auf. Schon bei der
Geburt ist die Sterblichkeit von männlichen Säuglingen höher
als die von weiblichen. In den anschließenden Lebensjahren,
vor allem nach der Pubertät, sind erheblich mehr männliche
Kinder von Unfällen betroffen als weibliche. Über den gesamten
weiteren Lebenslauf hinweg ist die Unfallhäufigkeit der
Männer größer als die der Frauen. Das gilt auch für das Risikoverhalten
allgemein. Männer ernähren sich schlechter, treiben
weniger Sport und konsumieren mehr Drogen. Alle diese
Muster sind schon im Jugendalter angelegt.