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Ja  Erste Auflage dieser Ausgabe 2006
Erste Auflage 1978

Mit einem Nachwort von Rainer Fellinger
Ja


Erste Auflage dieser Ausgabe 2006

Erste Auflage 1978



Mit einem Nachwort von Rainer Fellinger



Thomas Bernhard

Suhrkamp
EAN: 9783518417652 (ISBN: 3-518-41765-7)
155 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 11 x 18cm, Januar, 2006

EUR 8,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Wie ich zwei Tage später zu dem gänzlich verlassenen, noch nicht halbfertigen und schon wieder verrotteten Haus auf der nassen Wiese gegangen bin, ist mir eingefallen, daß ich der Perserin auf einem unserer Spaziergänge in den Lärchenwald gesagt hatte, daß sich heute so viele junge Menschen umbringen und es sei der Gesellschaft, in welcher diese jungen Menschen zu existieren gezwungen sind, vollkommen unverständlich, warum und daß ich sie, die Perserin, ganz unvermittelt und tatsächlich in meiner rücksichtslosen Weise gefragt hatte, ob sie sich selbst eines Tages umbringen werde. Darauf hatte sie nur gelacht und Ja gesagt.
Rezension
Aus Anlaß des 75. Geburtstags von Thomas Bernhard (1931-1989) erscheint in dieser Aufmachung mit „Ja“ ein Prosastück, das sämtliche seiner großen Themen präsentiert und sozusagen das Werk Thomas Bernhards in komprimierter Form darstellt: Suizid, Tod und Leben, Wahnsinn und Vernunft, Gehen und Denken – es geht, wie bei Thomas Bernhard fast immer, um die Möglichkeit des Überlebens in unseren Zeiten und inmitten des ganz normalen Alltags, - nicht nur in Österreich, dem hass-geliebten Land des Schriftstellers. - Die hier erzählte Geschichte läßt sich kurz zusammenfassen: Ein Naturwissenschaftler, der sich wegen seiner Arbeit drei Monate von allem abgeschlossen hat, besucht »urplötzlich«, um sich vor dem Umkippen in den Wahnsinn zu bewahren, einen befreundeten Makler. Die in dessen Haus stattfindende Begegnung mit einem Schweizer Bauingenieur und dessen Lebensgefährtin, einer Perserin, rettet ihn. Allerdings nicht die Perserin: Obwohl der Naturwissenschaftler zunächst als Zuhörer auf gemeinsamen Spaziergängen ihren physischen und psychischen Niedergang aufhält, kann er nicht verhindern, daß sie ihre Ankündigung, sich umzubringen, wahr macht. Der so positiv klingende Titel „Ja“ ist das Ja zum Suizid … - In kaum einem anderen Buch erfährt der Leser in derart konzentrierter Form die grundlegende Lebens- und Schreibhaltung des Thomas Bernhard: Es kommt stets darauf an, die sich »urplötzlich« einstellenden »lebensrettenden Augenblicke« zu bestehen, damit sich die bloße Existenz in ein geglücktes Leben verwandelt. - "Ja" ist ein typischer Bernhard-Text, nicht lang, viele Wiederholungen, wenig Handlung, einfühlsam, teilweise bedrückend erzählt, eine Reise in die dunklen Tiefen des Menschen: Einsamkeit, Abgeschiedenheit, Depression.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Aus Anlaß des 75. Geburtstags von Thomas Bernhard erscheint mit Ja ein Prosastück, das sämtliche seiner großen Themen in den weitgespanntesten Denk- und Satzbewegungen präsentiert. Von Tod und Leben, von Wahnsinn und Vernunft, vom Gehen und Denken ist hier die Rede – und damit, wie stets bei diesem Autor, von der Möglichkeit des Überlebens in unseren Zeiten.

Die hier erzählte Geschichte läßt sich kurz zusammenfassen: Ein Naturwissenschaftler, der sich wegen seiner Arbeit drei Monate von allem abgeschlossen hat, besucht »urplötzlich «, um sich vor dem Umkippen in den Wahnsinn zu bewahren, einen befreundeten Makler. Die in dessen Haus stattfindende Begegnung mit einem Schweizer Bauingenieur und dessen Lebensgefährtin, einer Perserin, rettet ihn. Allerdings nicht die Perserin: Obwohl der Naturwissenschaftler zunächst als Zuhörer auf gemeinsamen Spaziergängen ihren physischen und psychischen Niedergang aufhält, kann er nicht verhindern, daß sie ihre Ankündigung, sich umzubringen, wahr macht.
In kaum einem anderen Buch erfährt der Leser in derart konzentrierter Form die grundlegende Lebens- und Schreibhaltung des Thomas Bernhard: Es kommt stets darauf an, die sich »urplötzlich« einstellenden »lebensrettenden Augenblicke« zu bestehen, damit sich die bloße Existenz in ein geglücktes Leben verwandelt.

»Ich denke, es ist eine Prosa geworden, die mich ›glücklich‹ macht.« Thomas Bernhard

Autorenporträt Thomas Bernhard - Biographisches

Biographisches
1931
geboren am 9. Februar in Heerlen (Niederlande) als unehelicher Sohn von Herta Bernhard, der Tochter des Schriftstellers Johannes Freumbichler; den Vater Alois Zuckerstätter lernt Bernhard nie kennen

1931-35
zusammen mit der Mutter und deren Eltern in Wien; schwierige ökonomische Situation; enge Beziehung zum Großvater mütterlicherseits

1935
Übersiedlung mit Mutter und Großeltern nach Seekirchen am Wallersee (Land Salzburg)

1938
Übersiedlung nach Traunstein (Bayern); Bernhards Mutter hat mit ihrem Ehemann Emil Fabjan zwei weitere Kinder; Peter (geb. 1938), Susanne (geb. 1940)

1943
ab Herbst im NS-Schülerheim in Salzburg; Gymnasium; in den folgenden Jahren u.a. Geigen- und Gesangsunterricht

1945
katholisches Schülerheim Johanneum

1946
Übersiedlung der gesamten Familie nach Salzburg (Radetzkystraße )

1947
Abbruch des Gymnasiums; Kaufmannslehre (Scherzhauserfeldsiedlung)

1949-51
in der Folge Lungentuberkulose; Aufenthalte im Krankenhaus, in Sanatorien und Heilstätten (u.a. in der Lungenheilstätte Grafenhof bei St. Veit im Pongau, Land Salzburg)

1949
Tod des Großvaters

1956
lernt Hedwig Stavianicek - seinen ›Lebensmenschen‹ - kennen; Tod der Mutter

1952-55
freie Mitarbeit beim Salzburger ›Demokratischen Volksblatt‹; Gerichtssaalberichte, Buch-, Theater- und Filmkritiken; erste literarische Veröffentlichungen: Gedichte, Erzählungen

1955
erste von zahlreichen Jugoslawienreisen mit Hedwig Stavianicek

1955-57
Hochschule für Musik und darstellende Kunst ›Mozarteum‹ in Salzburg: Musikunterricht, Regie- und Schauspielstudium

1956
erste Venedigreise mit Hedwig Stavianicek

1957-60
Freundschaft mit dem Komponisten Gerhard Lampersberg; längere Aufenthalte auf dessen Tonhof (Maria Saal, Kärnten)

1957
erster Gedichtband: Auf der Erde und in der Hölle

1958
In hora mortis; Unter dem Eisen des Mondes (Gedichtbände)

1959
die rosen der einöde. fünf sätze für ballett, stimmen und orchester

1960
Aufführung der Kurzoper Köpfe und einiger Kurzschauspiele im Theater am Tonhof; erste große Italienreise mit Hedwig Stavianicek (u.a. Sizilien), Reise nach England (kurzer Aufenthalt in London)

1963
literarischer Durchbruch mit dem Roman Frost; erste Polenreise

1964
Amras; Julius Campe-Preis

1965
Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen; Kauf eines Vierkanthofs in Obernathal bei Ohlsdorf (Oberösterreich; vermittelt durch den Immobilienmakler Karl Ignaz Hennetmair), jahrelange Restaurierung des Gebäudes; später Kauf zweier weiterer Häuser bei Reindlmühl und Ottnang; daneben immer wieder Aufenthalte in Wien (Wohnung Hedwig Stavianiceks in der Döblinger Obkirchergasse) und Reisen vor allem in den mediterranen Süden (Jugoslawien etc.), wo auch einige Werke entstehen

1967
Verstörung; Prosa; Operation im Pulmologischen Krankenhaus der Stadt Wien auf der Baumgartner Höhe

1968
Ungenach; Kleiner Österreichischer Staatspreis 1967; Anton Wildgans-Preis

1969
Watten; Ereignisse (entstanden 1957); An der Baumgrenze

1970
Das Kalkwerk;. Ein Fest für Boris (uraufgeführt in Hamburg unter der Regie von Claus Peymann, der auch einen Großteil der weiteren Stücke erstinszeniert), Fernsehfilm Drei Tage (Regie: Ferry Radax); Vortragsreise durch Jugoslawien und Italien

1971
Gehen; Midland in Stilfs; Der Italiener (verfilmt von Ferry Radax)

1972
Der Ignorant und der Wahnsinnige (Uraufführung bei den Salzburger Festspielen); Franz Theodor Csokor-Preis, Adolf Grimme-Preis, Grillparzer-Preis

1974
Die Jagdgesellschaft (Uraufführung am Wiener Burgtheater); Die Macht der Gewohnheit; Der Kulterer (verfilmt von Vojtech Jasny); erste Portugalreise

1975
Die Ursache (erster Band der autobiographischen Pentalogie; wie die übrigen Bände erschienen im von Wolfgang Schaftier geleiteten Salzburger Residenz-Verlag; Ehrenbeleidigungsklage des Salzburger Stadtpfarrers Franz Wesenauer); Korrektur; Der Präsident

1976
Der Keller; Die Berühmten

1977
Minetti; größere Reisen nach Italien (u.a. Rom, Sizilien), in den Iran, nach Ägypten und Israel

1978
Der Atem; Ja; Der Stimmenimitator; Immanuel Kant; erste Reise nach Mallorca

1979
Der Weltverbesserer, Vor dem Ruhestand; Austritt aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung; Reise in die USA (New York)

1980
Die Billigesser

1981
Die Kälte; Ober allen Gipfeln ist Ruh; Am Ziel; Ave Vergil Ende der fünfziger Jahre entstandenen Gedichten); Reise in die Türkei

1982
Ein Kind; Beton; Wittgensteins Neffe; Premio Prato

1983
Der Untergeher; Der Schein trügt; Premio Mondello; erste Reise nach Spanien

1984
Tod Hedwig Stavianiceks
Holzfällen (vorübergehende Beschlagnahmung des Romans auf Antrag Gerhard Lampersbergs); Der Theatermacher; Ritter, Dene, Voss

1985
Alte Meister

1986
Auslöschung; Einfach kompliziert

1987
Elisabeth II

1988
Heldenplatz (große öffentliche Auseinandersetzung um Bernhards am Wiener Burgtheater uraufgeführtes Theaterstück zum ›Bedenkjahr‹ 50 Jahre Anschluß Osterreichs an NS-Deutschland); Prix Medicis; letzte Reise nach Spanien (Torremolinos)

1989
gestorben nach jahrelanger schwerer Krankheit am 12. Februar in Gmunden (Oberösterreich); beigesetzt im Grab Hedwig Stavianiceks auf dem Grinzinger Friedhof in Wien
Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Thomas Bernhard
Ja 7

Nachwort
Urplötzlich.
Anmerkungen
zu »Ja« 143


Nachwort

Urplötzlich

Anmerkungen zu Ja

Zwischen dem 3. und 8. Mai 1977 hielt sich Thomas Bernhard, gemeinsam mit dem Verleger des Suhrkamp Verlags, Siegfried Unseld, und dessen erster Ehefrau Hildegard, einer Einladung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels folgend, im Iran auf. Er las aus eigenen Werken im Goethe-Institut in Shiraz, vor fünf Zuhörern, in Teheran hatte er zuvor Gleiches vor etwas größerem Kreis während einer Ausstellung deutscher Bücher in einem Armenviertel getan. Von seinem Verleger ist ihm aus diesen Tagen in Erinnerung geblieben: »Ein kleiner stinkender Ölofen in einem Hotel in Schiras inspirierte ihn eines Abends mit Vehemenz zu einer durch und durch philosophischen Lebens- und Weltanschauung bis drei Uhr früh. … In Teheran schaute ich an seiner Seite wie er vom dreizehnten Stock des Sheratonhotels in das Schwimmbecken, in welchem kein Wasser, aber der Hotelmüll gelagert war. Nie, weder vorher noch nachher, habe ich einen so traurigen Unseld gesehen.«
Von Teheran flog man gemeinsam nach Kairo, besichtigte die Cheops-Pyramiden bei annähernd 50 Grad Celsius, fuhr zur Oase Fayum, 100 km südwestlich von Kairo, nahm an einem Empfang der österreichischen Botschaft teil. Thomas Bernhard verbrachte anschließend, ohne seinen Verleger, eine Woche in Israel. Unseld berichtet von der Reise: »Das Zusammensein mit Thomas Bernhard war ungemein freundlich. Er nahm auch an Exkursionen teil, aber freilich reichte die Basis seiner Gemeinsamkeitsbereitschaft nicht all zu weit. Er zog sich gerne auf sich zurück, mit dem Hinweis, daß sein Beruf (in seinem Paß steht als Beruf ›Landwirt‹) langen kulturellen Exkursionen nicht standhält. … Wir hatten reichlich Gelegenheit zu einer tour d’horizon über den Verlag und auch zu seinen eigenen Problemen. Ich glaube, er hat seinen neuen Roman fertig.Wir werden ihn Ende Juni erhalten, und auch das nächste Stück scheint schon geschrieben. Jedenfalls beschäftigt er sich bereits mit dem übernächsten.«
Der Schriftsteller-Landwirt besaß damals bereits seit mehr als einem Jahrzehnt ein Bauernhaus, einen Vierkanthof, in Ohlsdorf in der Nähe des oberösterreichischen Gmunden. Erworben hatte er ihn, genauer gesagt: die Ruinen eines Hofs, Anfang 1965 von dem in der Gegend tätigen Realitätenvermittler (sprich: Makler) Karl Ignaz Hennetmair. Die Finanzierung des Kaufs speiste sich aus der Dotierung des Bremer Literaturpreises, der ihm in diesem Jahr für seinen ersten Roman Frost (1963 publiziert) verliehen worden war. Damit erlangte er als Prosaautor die Anerkennung, die ihm als Lyriker mit seinen allerersten Büchern, drei Gedichtbänden 1957 und 1958, versagt geblieben war.
Als sich 1961 die Verlagsabsagen für seine Gedichtmanuskripte massierten und er sich über eine Auswanderung in die USA klarwerden mußte – er wollte in seinem 30. Lebensjahr einen radikalen Neubeginn versuchen –, sandte er im Oktober ein »Prosamanuskript « an den Suhrkamp Verlag und bat um ein Gespräch mit Siegfried Unseld, da er stets ohne Vermittlung »den Alleingang« gehe. Die Unterredung kam nicht zustande, die Publikation des Manuskripts wurde abgelehnt.Weshalb er sich mit einem anderen Manuskript an den Insel-Verlag wandte, der ihm am 29. Mai 1963 mit Frost sein Prosadebüt ermöglichte. Kurz zuvor hatte Siegfried Unseld diesen Verlag erworben, so daß nun der »Alleingang« Thomas Bernhards in Begleitung von Siegfried Unseld stattfand – seit 1968 erscheinen seine Bücher im Suhrkamp Verlag.
Zwei Jahre später erreichte Bernhard eine wichtige Station auf seinem Schreibweg: Die Zuerkennung des Georg-Büchner-Preises und die Premiere seines ersten Theaterstücks Ein Fest für Boris machten ihn einem größeren Publikum bekannt, das ihn sogleich mit zahllosen Attributen belegte, deren gemeinsamer Nenner lautete, Bernhard sei ein negativer Schriftsteller, bei dem in unermüdlichen Wiederholungen ausschließlich die Themen Tod, Krankheit,Niedergang in verschiedensten Varianten umkreist würden. Der derart Etikettierte leistete einem solchen Verständnis seiner Person und seines Werkes bewußt Vorschub durch die ab 1975 vorgelegten autobiographischen Bücher, deren erster Band den Titel Die Ursache. Eine Andeutung trug.
Die Begegnungen zwischen Autor und Verleger waren 1977 bereits vor der Iran-Ägypten-Reise relativ häufig: Ende Januar hatten beide in Duino das Schloß besucht und mit dessen Hausherren über Rilke gesprochen. Wenige Tage später saß Unseld im Zuschauerraum, als Bernhard in Zürich eine Rede bei der Totenfeier für seinen (und seines Großvaters, Johannes Freumbichler) frühen Förderer, Carl Zuckmayer, vortrug.
Aus Israel zurückgekehrt, schrieb Bernhard am 27. Juni aus seinem Vierkanthof an Unseld: »… im Aufwachen habe ich heute gedacht, dem Unseld schreiben, wie gut die Ferienreise gewirkt hat und dass ich die Einladung, einen neuen Erdteil zusammen zu entdecken, gern annehme – in Zukunft. Ich bin seit Wochen in Arbeit und an nichts anderem interessiert. Bald wird es nichts mehr anderes geben als die Schreibarbeit und nur noch kurze Zwischenräume wieder nur auf diese Arbeit bezogen. … Ich denke, dass ich in zwei Wochen die Perserin schicke.« Damit wissen wir: Das Buch, das unter dem Titel Ja erscheinen wird, trug zunächst den Arbeitstitel Die Perserin. Es ist in der ersten Hälfte des Jahres 1977 niedergeschrieben, doch nicht abgeschlossen worden. Denn bei einem weiteren Treffen zwischen Bernhard und Unseld am 30. September 1977 in Salzburg versprach der Autor das fertige Manuskript für Ende Oktober. Ende November schließlich berichtete er Unseld aus dem nahe Dubrovnik gelegenen Mlini, Hotel Asterea (»Ich habe in meinem Meerhotel so gut gearbeitet, wie schon Jahre nicht mehr«): »… endlich ist es mir gelungen, eine Fotokopie von Ja zu machen, die mit gleicher Post nach Frankfurt abgeht. … Ich denke, es ist eine Prosa geworden, die mich ›glücklich‹ macht …« Die Photokopie des Typoskripts mit dem nun definitiven Titel – zuvor hatte der Verfasser noch Spaziergang als Haupt- oder Untertitel in Erwägung gezogen – wurde, da Bernhard wie üblich keinen Rand gelassen und auf mehreren Seiten schwer lesbare Korrekturen eingetragen hatte, im Verlag abgetippt, der Autor korrigierte dann die Abschrift. Am 6. Juni 1978 erschien das Buch als Band 600 der Bibliothek Suhrkamp.

Ja kann als das Prosawerk gelten, in dem Thomas Bernhard die ihm wichtigsten Motive und von ihm eigenen stilistischen Verfahren am deutlichsten an der klassischen Erzählung ausrichtet. Mit dem Unterschied zur typischen Novelle, daß hier gleich zwei »unerhörte Begebenheiten« berichtet werden. Es handelt sich um die Niederschrift der Ereignisse vor und nach einem unvorgesehen, »urplötzlich« sich ergebenden »lebensrettenden Augenblick« (S. 13) für einen in Oberösterreich lebenden Naturwissenschaftler – dies die erste unerhörte Begebenheit. Er selbst faßt das Geschehen zusammen: »Die Tatsache, daß ich auf einmal weder zu Schopenhauer, noch zu Schumann einen Zugang hatte, zu diesen, zu welchen ich immer Zugang gehabt hatte, solange ich denken kann, hatte mich in diesen mörderischen Angstzustand versetzt und ich mußte, wollte ich nicht tatsächlich verrückt oder wahnsinnig werden, aus dem Haus und zum [Realitätenvermittler] Moritz. … Und dann waren plötzlich die Schweizer aufgetaucht und ins moritzsche Haus hereingekommen und das war die Wendung und also die Rettung gewesen.« (S. 119 f.) Die Folge: ein »urplötzlich leichter Kopf« und »urplötzlich leichte Glieder« (S. 80). Der Gerettete verabredet sich augenblicklich, noch am selben Oktobernachmittag, mit der Lebensgefährtin des Schweizers zu einem Spaziergang. Bei einem weiteren Gang in den Lärchenwald erweist er sich durch bloßes Zuhören – sie ist in Shiraz geboren, hat bei ihrem Studium in Paris den Bauingenieur aus Zug kennengelernt und sich mit ihm zusammengetan – seinerseits als ihr Retter. Doch nur vorübergehend, und hier geschieht die zweite unerhörte Begebenheit: Denn auf einem der gemeinsamen Wege hatte er sie gefragt, »ob sie selbst sich eines Tages umbringen werde. Darauf hatte sie nur gelacht und Ja gesagt.« (S. 141) Und diese Ankündigung fünf Monate später wahrgemacht, wie der Naturwissenschaftler einen Tag nach seinem Geburtstag aus der Zeitung erfährt.
Solche nichtgeplanten, von außen betrachtet unscheinbaren Ereignisse, die urplötzlich eintreten und unabsehbare Folgen zeitigen, sind in Bernhards Werk nicht selten. So berichtet er in Der Keller, zwei Jahre vor Ja erschienen, von sich selbst, er habe als Jugendlicher »gegen alle Vernunft in der Frühe« beschlossen, »in die entgegengesetzte Richtung«, zu gehen, also nicht mehr das Gymnasium zu besuchen, sondern eine Lehre als Kaufmannsgehilfe anzutreten. In Die Billigesser, zwei Jahre nach Ja publiziert, eröffnet sich Koller, »auf einmal und urplötzlich«, ein neues wissenschaftliches Feld, weil er im Wiener Wertheimpark von seinem gewohnten Weg abweicht: Statt, wie üblich, zur alten Esche geht er zur alten Eiche.
Auch andere Handlungsmotive in Ja zählen zu den für seine Prosa typischen. Etwa das des Wissenschaftlers, der durch eine Unzahl von größten und kleinsten Anlässen am weiteren Arbeiten, am Durchdenken oder an der Niederschrift einer seiner weltverändernden Untersuchungen, gehindert wird. Es zieht sich durch das gesamte Werk, beginnend in Das Kalkwerk (1970), dessen Besitzer es nicht gelingt, »urplötzlich von einem Augenblick auf den andern« seine Studie »auf das Papier zu kippen«, bis zu Rudolf in Beton (1982). Oder das Motiv des Häuserbauens, das in Korrektur (1975) dominiert.
Schließlich praktiziert Bernhard in Ja das – in Holzfällen (1984) auf die höchste Höhe getriebene – Prinzip, in seiner Literatur Realität und Fiktion zu verschmelzen, wenig zu erfinden, vielmehr das in der Wirklichkeit Gefundene durch oftmals nur minimale Änderungen ins Fiktive zu transformieren: Der Schweizer und seine Lebensgefährtin besitzen Vorbilder in der Realität, warum sie gerade aus Shiraz stammt, dürfte nach der eingangs erwähnten Reise des Autors ersichtlich sein. Dessen selbst instand gesetzter Vierkanthof in Oberösterreich und der ihn Vermittelnde werden mehr oder weniger getreu ins Erzählen übernommen.
Doch alle diese Elemente der Handlung und ihr »Sitz im Leben« spielen auch in Ja – obwohl sie hier, gemessen an anderen Büchern Bernhards, eine größere Bedeutung erlangen – nur eine Nebenrolle. Hauptakteur ist und bleibt die Bernhardsche Sprache, die Art und Weise, in der jeder einzelne Satz das innere und äußere Geschehen vermittelt, und die Form der Aneinanderreihung dieser Sätze. Mehr noch: Es ergibt sich der Eindruck, Bernhard habe in diesem Buch demonstrativ seine sämtlichen literarischen Verfahren auf engem Raum versammelt. Hingewiesen sei auf die langen Sätze (der erste Satz gleich nimmt 67 Zeilen ein), deren vertrackte Konstruktion ihre Gemachtheit, ihre Künstlichkeit herausstellt. Hervorgehoben sei die Indirektheit – in Gestalt der indirekten Rede wie der Zuordnung des Mitgeteilten zu einer bestimmten Person –, in der dem Leser Bericht erstattet wird (»… allerdings, so der Moritz, habe die Lebensgefährtin des Schweizers diesen, weil ihr kalt gewesen war, gedrängt, augenblicklich wieder von der Wiese wegzugehen und den Kauf abzuschließen, aber es hätte der Zustimmung der Lebensgefährtin des Schweizers wahrscheinlich überhaupt nicht bedurft, so Moritz, der Schweizer hätte, so Moritz, die Wiese sicher auch gegen den Willen seiner Begleiterin gekauft, er,Moritz, hatte den Eindruck …«, S. 94).
Aufmerksam gemacht sei darüber hinaus auf die viele Sätze prägenden apodiktischen, jeden und jede einbeziehenden generalisierenden Aussagen: »Es gibt ja nur Gescheitertes. Indem wir wenigstens den Willen zum Scheitern haben, kommen wir vorwärts und wir müssen in jeder Sache und in allem und jedem immer wieder wenigstens den Willen zum Scheitern haben …« (S. 44) Ihnen wirken die genauso prinzipiellen Zweifel an der Fähigkeit der Sprache entgegen, Vergangenes und Gegenwärtiges auch nur halbwegs adäquat wiederzugeben – »… die Erinnerung an sie [die Perserin] festzuhalten, wenn das auch nur bruchstückhaft und nur fehlerhaft und wie alles Geschriebene nicht im geringsten auf die vollständige und vollkommene Weise geschehen kann …« (S. 43)
Die Basis aller literarischen Strategien des Thomas Bernhard bildet jedoch die unablässige Arbeit, die Inhalte aller Begriffe und Vorstellungen umzudeuten, die Grenzen zwischen ihnen aufzuheben, die Gegensätze, auch und gerade die zwischen den elementarsten, aufzulösen. Begegnet die Perserin dem Naturwissenschaftler an dem vorläufigen Tiefpunkt ihres Lebens, bedeutet sie für ihn dagegen die Rettung. Und wenn sie mit einem »Ja« auf die »ganz unvermittelt« gestellte Frage antwortet, ob sie sich umbringen werde – das damit einhergehende Lachen bedeutet eine resignative oder fröhliche Zustimmung zum Lauf der Dinge –, verwandelt sich an ihrem wirklichen Endpunkt das »Ja« in ein »Nein« zum eigenen Leben – wie der vor dem Wahnsinn bewahrte Erzähler einen Tag nach seinem Geburtstag erfährt, dem Tag der Erinnerung an den Beginn der eigenen Existenz. Und dieser Übergang von »Ja« zu »Nein«, vom Leben in den Tod: er kann sich »urplötzlich«, »auf einmal«, also grundlos, ereignen.


Raimund Fellinger


Für die vorliegende Ausgabe wurde der Text durchgesehen und mit dem eingangs erwähnten Typoskript, das im Thomas- Bernhard-Archiv in Gmunden aufbewahrt wird, verglichen. Aufgrund des Vergleichs wurden (neben der Tilgung sinnwidriger und der Hinzufügung notwendiger Komata) vor allem Einfügungen vorgenommen. Hingewiesen sei auf S. 14: In dem Satz, der mit »War sie« beginnt, wurde in Zeile 21 nach »schützen« eingefügt: »und, so mein Eindruck, ununterbrochen vor dem Erfrierungstod schützen«. S. 120, Zeile 20 ff.: Vor dem Satz, der mit »Und« beginnt, wurde ein Satz eingefügt: »Indem ich auf einmal von Schrauben und Muttern, von Mörtel und Holz und von Lehm und Böschung und von Brettern und Balken hörte, war ich gerettet gewesen.« S. 34: In dem Satz, der mit »Ein solcher Mensch« beginnt, wurde gegenüber der zweiten Auflage des Buches von 1979 auf den Zeilen 24 ff. eine Streichung vorgenommen: In dem Halbsatz »… was doch andererseits der Beweis für seine eigene Unsicherheit diesem Bauwerk gegenüber bewiesen hatte« wurden die unterstrichenen drei Wörter gestrichen.
R. F.