lehrerbibliothek.deDatenschutzerklärung
Gottes Wort und Menschenherrschaft Politisch-Theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit
Gottes Wort und Menschenherrschaft
Politisch-Theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit




Luise Schorn-Schütte

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406682353 (ISBN: 3-406-68235-9)
304 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 15 x 22cm, 2015, mit 7 Abbildungen und 1 Karte

EUR 29,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Als Folge der Reformation verzahnten sich in Europa neuerlich Religion und Politik besonders intensiv. Die Forschung ist bislang davon ausgegangen, dass dies zu strikten Abgrenzungen der Konfessionen untereinander geführt habe; sichtbar geworden sei dies nicht zuletzt im Streit über das Widerstandsrecht gegen einen tyrannischen Herrscher, das Calvinisten betonten, während Lutheraner es ablehnten. Luise Schorn-Schütte, eine international renommierte Historikerin auf dem Gebiet der Frühen Neuzeit, ist nach langjährigen Forschungen zu differenzierteren Erkenntnissen gelangt und entwickelt sie in ihrem ebenso informativen wie spannenden jüngsten Werk.

Sie zeigt, dass seit 1529 unter den Protestanten im Alten Reich in der Tat eine intensive Widerstandsdebatte geführt wurde. Ihre Träger waren Juristen ebenso wie Theologen, Politiker und Politikberater. Sie verwandten ein europaweit bekanntes Vokabular, das sich zu politisch-theologischen Sprachen entwickelte, die in ganz Europa eingesetzt und verstanden wurden, zumal sie an europäische Rechtstraditionen anknüpften. In der Analyse der Diskussionen erweist sich indes die Zuordnung von calvinistisch/widerstandslegitimierend und lutherisch/untertanengehorsam als Konstruktion der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts.

Luise Schorn-Schütte, geb. 1949 in Osnabrück, ist Professorin für Neuere Allgemeine Geschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main. Sie gehörte von 1996 bis 2007 zum Vorstand des Vereins für Reformationsgeschichte und war von 2004 bis 2010 Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 2004 ist Schorn-Schütte Sprecherin des ersten internationalen geisteswissenschaftlichen Graduiertenkollegs in Hessen (gefördert durch die DFG Kooperationen mit Bologna, Innsbruck, Trient, Padua) und gehört überdies zu den Hauptforschern des Frankfurter Exzellenzclusters «Herausbildung normativer Ordnungen». Neben zahlreichen Stipendien und Preisen erhielt sie zuletzt eine OPUS MAGNUM Förderung durch die VW-Stiftung.

Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen:

die Geschichte der politischen Ideen und Theorien (politische Kommunikation) im Europa der Frühen Neuzeit (16.–18. Jahrhundert)

die Europäische Reformationsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts

Sozial- und Konfessionsgeschichte des europäischen Bürgertums (16.–18. Jahrhundert)

Theorie der Geschichtswissenschaft

Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezension
Darf und gar muss man einen Diktator bzw. Tyrannen töten? Diese Frage hat u.a. Protestanten in der Reformationszeit umgetrieben und sie hat sich bis ins 20. Jhdt. hinein fortgesetzt; der Lutheraner Dietrich Bonhoeffer hat sich aktiv im Widerstand gegen Hitler eingebracht - und das mit seiner Hinrichtung in den letzten Kriegstagen teuer bezahlt ... Bislang gab es in der Forschung einen weitgehenden Konsens, dass Calvinisten eher widerstandslegitimierend waren und Lutheraner eher untertanengehorsam, - was sich von der Ausnahme Bonhoeffer abgesehen im Nationalsozialismus wohl auch bestätigen lässt. Die hier anzuzeigende Studie aber zeigt, dass die Frontlinie deutlich differenzierter verläuft als die einfache Zuordnung von calvinistisch/widerstandslegitimierend und lutherisch/untertanengehorsam. Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie: die Existenz einer europaweiten Debatte über die Formen politischer Herrschaft findet sich schon im 16. und beginnenden
17. Jahrhundert.

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 11
Einleitung 13

I. Was ist politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit?
Begriffsklärungen, Stand der Forschung, Forschungsfrage 17


1. Political language, Begriffsgeschichte und Institutionentheorie 18
2. New History of Ideas – Historische Semantik – «Denkrahmen», «Streitkulturen» 20
3. Das Politische in der Frühen Neuzeit: Traditionen und Stand bder Forschung 23

II. Ausgangspunkt – Politische Kommunikation im Alten Reich 1530–1650 31

1. Ungehorsam oder legitime Gegenwehr?
Rechtfertigungsdebatten unter den protestierenden Reichsständen 1529–1546 31

1.1. Protestation und Verteidigungsbündnis 32
1.2. Juristische und theologische Argumente: Gegenwehr und Notwehr 34
1.3. Der Charakter der Obrigkeiten im Reich 37
1.4. Theologisch-juristische Differenzierungen bis 1546 41

2. Die Argumentationen im Umkreis des Schmalkaldischen Krieges und des Interim 1546/50 45

2.1. Die Argumentation hochadliger Herrschaftsträger: Legitimation von Gewalt als gerechter Krieg 45
2.2. Die Wiederherstellung der Ordnung: Notwehr als Naturrecht und die Drei-Stände-Lehre 48
2.2.1. Die Entwicklung bei den Theologen 51
2.2.2. Die Entwicklung bei den Juristen 53
2.2.3. Das Magdeburger Bekenntnis vom April 1550 59
2.3. Die Argumente der katholischen Seite 63

3. Konkretionen: politisches Handeln als Abwehr ungerechter Obrigkeit (seit 1550) 66

3.1. Konsequenzen aus der Ablehnung des Interim: Reichsstädte, Hansestädte 68
3.2. Wider das Schelten von den Kanzeln: Zensur und Kanzelpolemik 76
3.3. Predigten im politischen Konflikt 85
3.4. Zwischenergebnis 97
3.5. «Eine Politik aus der Bibel». Juristisch-theologische Debatten im frühen 17. Jahrhundert 99;
3.5.1. Gesamtentwürfe 100
3.5.2. Ein Recht auf Notwehr? 107
3.5.3. Eine katholische Variante der politica christiana zu Beginn des 17. Jahrhunderts? 113

4. Ergebnisse: Trägergruppen und politisches Vokabular 118

4.1. Die Trägergruppen. Soziale Herkunft und Verflechtung 119
4.2. Grammatik und Vokabeln der politica christiana als politischer Sprache 126
4.2.1. Traditionen der Reformdebatte 127
4.2.2. Neue theologische Aspekte 128
4.2.3. Juristische Kategorien 129

III. Rezeption und Parallelität der Deutungsmuster. Europäische Fallstudien 131

1. «Biblizismus» und Verfassungsdebatte im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts 133

1.1. Die Exiltheologen und die Magdeburger Confessio 133
1.2. Geistliches Wächteramt und Herrscherkritik 139

2. Frankreich: Göttliches Recht, Naturrecht, ständische Souveränität und prophetische Politik 143

2.1. Frühe Kommunikation im Exil bis zum Magdeburger Bekenntnis 144
2.2. Beza, die Monarchomachen und eine «prophetische Politik» der protestantischen Geistlichkeit 147

3. Die nördlichen Niederlande: «Rebellion» oder legitime Grenzen des Gehorsams gegenüber weltlicher Obrigkeit 154

3.1. Konfessionelle Vielfalt in den Niederlanden: Die Kirchen unter dem Kreuz 155
3.2. «Die Obrigkeit führt das Schwert, um die Frommen zu schützen und die Bösen zu strafen» 158

4. Das Erzherzogtum Österreich: ständische Tradition und Glaubens- als Gewissensfreiheit 163

4.1. Verfassung und Recht als Instrumente zur Verteidigung der Glaubensfreiheit 164
4.2. Die Vokabeln der politisch-theologischen Sprache 166

5. Polen: ein Sonderfall? Konfessionelle Vielfalt und ständische Teilhabetraditionen 172

5.1. Von der «pluralistischen Reformation» zu den «dissidentes de religione» 173
5.2. Reformation und städtische Autonomie im königlichen Preußen 177

IV. Politisch-theologische Sprachen im 16./17. Jahrhundert: Europa (fast) ohne Sonderwege 185

Anhang

Anmerkungen 199
Quellen- und Literaturverzeichnis 261
Abkürzungen und Siglen 283
Bildnachweis 285
Personenregister 287
Ortsregister 291
Sachregister 295