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Gott will Taten sehen Christlicher Widerstand gegen Hitler - Ein Lesebuch mit Originaltexten Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Margot Käßmann und Anke Silomon
Gott will Taten sehen
Christlicher Widerstand gegen Hitler - Ein Lesebuch mit Originaltexten


Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Margot Käßmann und Anke Silomon

Margot Käßmann, Anke Silomon (Hrsg.)

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406644535 (ISBN: 3-406-64453-8)
479 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 15 x 22cm, Februar, 2013, mit 48 Abbildungen

EUR 19,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Margot Käßmann versammelt und erklärt in diesem Lesebuch die wichtigsten und bewegendsten Zeugnisse aus dem christlichen Widerstand gegen Hitler. Hautnah können die Leserinnen und Leser mitverfolgen, wie für einige mutige Menschen der Weg von den ersten zaghaften Protesten gegen das Unrechtsregime in den Untergrund und ins Gefängnis führte und wie ihnen gerade im Angesicht des Todes zur Gewissheit wurde, dass das «Dritte Reich» der größtmögliche Gegensatz zum Reich Gottes ist.

Mit 56 Texten von Madeleine Barot - Karl Barth - Eberhard Bethge - Dietrich Bonhoeffer - Alfred Delp -Hans und Christine von Dohnanyi - Clemens August von Galen - Carl Friedrich Goerdeler - Helmut Gollwitzer - Barbara und Hans Bernd von Haeften - Albrecht Haushofer - Helene Kafka - Jochen Klepper - Freya und Helmuth James von Moltke - Martin Niemöller - Harald Poelchau - Elisabeth Schmilz - Hans und Sophie Scholl - Edith Stein - Theodor Steltzer - Elisabeth von Thadden - Isa Vermehren - und anderen

Zu allen Texten gibt es eine biographische Einführung sowie einen Epilog, der über die - teils dramatischen - Folgen und das weitere Schicksal der Verfasser informiert.



Margot Käßmann ist "Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017". Als Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende sowie durch zahlreiche Publikationen, Predigten und Vorträge ist sie einem großen Publikum bekannt geworden. Als Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, Mitglied des Ökumenischen Rats der Kirchen und in anderen Funktionen hat sie sich mit dem christlichen Widerstand und seinem Vermächtnis befasst.

Anke Silomon ist Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin, lehrt zugleich an der Technischen Universität Dresden und hat vor allem zur Kirchlichen Zeitgeschichte publiziert.
Rezension
Die frühere Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hat in diesem Lesebuch zusammen mit der Zeithistorikerin Anke Silomon die wichtigsten und bewegendsten Zeugnisse des christlich motivierten Protestes und Kampfes gegen den Nationalsozialismus versammelt: Sophie Scholl, Helene Kafka, Jochen Klepper, Dietrich Bonhoeffer, Katharina Staritz, Helmut Gollwitzer, Hans Scholl und Alexander Schmorell, Kurt Huber u.a. Durch die chronologische Anordnung und die kundigen Einführungen zu Personen und Zeitumständen ist die einzigartige Anthologie, die auch einige bisher unpublizierte Dokumente enthält, zugleich eine Geschichte des christlichen Widerstands. Das Buch enthält Originaltexte und eignet sich dadurch auch für die Quellenarbeit im schulischen Religionsunterricht.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Anthologie
Dieses Buch versammelt erstmals die bewegendsten Zeugnisse aus dem christlichen Widerstand gegen Hitler, darunter auch bisher unpublizierte Texte. Die Briefe und Aufzeichnungen, die oft in großer Not und Gefahr geschrieben wurden, berühren zutiefst – und lassen uns darüber nachdenken, wo heute Mut zum Widerstand gefordert ist.
Für viele Widerständler wurde ihr christlicher Glaube zum moralischen Kompass und zur Quelle ihres Mutes. Es waren ganz unterschiedliche Menschen: Theologen, die sich enttäuscht von den Kirchen abwandten, Staatsbeamte und Militärs, die es nicht mehr ertrugen, an Verbrechen mitzuwirken, Studenten, die von einer gerechten Zukunft träumten, Frauen und Männer, Junge und Alte, Katholiken und Protestanten. Die einen führte ihr Glaube in den Widerstand, die anderen wurden durch den lebensgefährlichen Widerstand zu überzeugten Christen. Sie alle einte die Überzeugung, dass etwas getan werden musste, auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Durch die chronologische Anordnung und die kundigen Einführungen zu Personen und Zeitumständen ist die einzigartige Anthologie zugleich eine höchst spannende Geschichte des christlichen Widerstands. Hautnah kann der Leser mitverfolgen, wie von den ersten zaghaften Protesten gegen das Unrechtsregime für einige mutige Menschen der Weg in den Untergrund und ins Gefängnis führte und wie ihnen gerade im Angesicht des Todes zur Gewissheit wurde, dass das "Dritte Reich" der größtmögliche Gegensatz zum Reich Gottes ist.

Margot Käßmann ist "Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017". Als Bischöfin und EKD-Ratsvorsitzende sowie durch zahlreiche Publikationen, Predigten und Vorträge ist sie einem großen Publikum bekannt geworden. Als Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, Mitglied des Ökumenischen Rats der Kirchen und in anderen Funktionen hat sie sich mit dem christlichen Widerstand und seinem Vermächtnis befasst.

Anke Silomon ist Privatdozentin für Neuere Geschichte in Berlin und assoziierte Wissenschaftlerin am ZZF Potsdam. Sie forscht vor allem zur Opposition im NS und in der DDR sowie zur Kirchli­chen Zeitgeschichte.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung von Margot Käßmann

1932–1934 Warnungen und Mahnungen

Hermann Sasse
Jochen Klepper
Jochen Klepper
Wilhelm von Pechmann
Edith Stein
Friedrich Schauer
Friedrich Behr

1935–1937 Proteste und Einsprüche

Nieder mit Hitler! Ein Bericht der Gestapo, Mai 1935
Marga Meusel
Elisabeth Schmitz
Eberhard Bethge
Clemens August von Galen
Martin Niemöller
Konrad von Preysing

1938–1939 Ohnmacht und Widerstand

Reinhold Schneider
Karl Barth
Helmut Gollwitzer
Paul Robert Schneider
Theodor Roller
Hebe Kohlbrugge

1940 Wege in den Untergrund

Marion Yorck von Wartenburg
Maria Grollmuß
Lothar Kreyssig
Theophil Wurm
Magda und André Trocmé

1941 Mut und Angst

Gertrud Staewen
Clemens August von Galen
Bernhard Lichtenberg
Madeleine Barot

1942–1943 Die Macht des Wortes

Sophie Scholl
Helene Kafka
Jochen Klepper
Dietrich Bonhoeffer
Katharina Staritz
Helmut Gollwitzer
Hans Scholl und Alexander Schmorell
Kurt Huber

1943–1944 Tat und Attentat

Hans und Christine von Dohnanyi
Theodor Steltzer
Barbara und Hans Bernd von Haeften

1944–1945 Im Angesicht des Todes

Marion Yorck von Wartenburg
Elisabeth von Thadden
Freya und Helmuth James von Moltke
Heinrich Dalla Rosa
Dietrich Bonhoeffer
Albrecht Haushofer
Harald Poelchau
Alfred Delp
Carl Friedrich Goerdeler
Hans von Dohnanyi
Kurt Gerstein

1945–1946 Freiheit und Schuld

Isa Vermehren
Martin Niemöller

Literaturhinweise
Textnachweis
Bildnachweis
Personenregister



Einleitung
von Margot Käßmann
Einleitung
«Während beide christlichen Kirchen nicht zum Widerstand gegen
den Nationalsozialismus zu rechnen sind, war die Berufung
auf christliche Werte für die Bewegung des 20. Juli von grundlegender
Bedeutung. Zugleich spielten bekennende Christen
eine wichtige Rolle für die Entfaltung der Opposition.»* Dieses
Urteil des Historikers Hans Mommsen macht deutlich, dass sich
die Kirchen der staatlichen Gewalt unterordneten und sich als
Institution nicht bewusst in Opposition zur menschenverachtenden
Diktatur des Nationalsozialismus stellten. Maßgabe hierfür
war der Römerbrief des Apostels Paulus, in dem es heißt: «Jedermann
sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn
es ist keine Obrigkeit außer von Gott: wo aber Obrigkeit ist, die
ist von Gott angeordnet.» (13,1) Für «die Kirche» als Institution
– römisch-katholisch bald durch ein Konkordat gebunden,
evangelisch noch davon geprägt, dass der preußische König bis
1918 oberster weltlicher Herr der Kirche war – war eine Opposition
zur herrschenden Regierung unvorstellbar.
Einzelne Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfession
aber entschlossen sich aus Glaubensüberzeugung, die
Ideologie zu hinterfragen, ihren verfolgten Nächsten zur Seite
zu stehen und gegen Unrecht aufzubegehren. Ihr biblischer
* Hans Mommsen, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in:
Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl ., Bd. 8, Tübingen
2005, Sp. 1517–1521, hier 1521.
16 Einleitung
Leitfaden war das Gebot der Nächstenliebe: Wie kann ich
wegschauen, wenn der Nächste verletzt am Straßenrand liegt?
Werde ich dann nicht zum Priester, zum Leviten, auf die das
Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,30 ff .) verweist?
Beide schauen weg, als jemand ihre Hilfe benötigt, und
versagen so gegenüber Gottes gutem Gebot der Achtsamkeit
mit Blick auf den Nächsten. Wegweisend für die Widerständigen
wurde aus dieser Perspektive das von Lukas überlieferte
Wort des Apostels Petrus: «Man muss Gott mehr gehorchen als
den Menschen.» (Apostelgeschichte 5,29)
Die Spannung zwischen dem Gebot des Gehorsams gegenüber
der Obrigkeit einerseits und der Christenpfl icht zum
Schutz verletzter, verfolgter und bedrohter Menschen andererseits
ist in der Geschichte des Christentums in unterschiedlichen
historischen Situationen immer wieder zutage getreten.
Auf die damit aufgeworfene Frage nach dem richtigen Verhalten
wurden – auch konfessionell bedingt – unterschiedliche
Antworten gegeben. Die Geschichte des christlichen Widerstandes
in der Zeit des Nationalsozialismus ist ein überzeugendes
Beispiel dafür, wie sehr individuelle Glaubensüberzeugung
am Ende für die Entschlossenheit und den Mut zum Widerstand
ausschlaggebend war und ist. Sie ist so zugleich ein bewegendes
Zeugnis ökumenischer Realität.
Als Ulrich Nolte im Namen des Verlags C. H. Beck mit der Idee
auf mich zukam, ein Lesebuch zum christlichen Widerstand in
der Zeit des Nationalsozialismus herauszugeben, habe ich zunächst
gedacht: Brauchen wir ein solches Buch? Ist nicht alles
bereits dokumentiert? Unsere Diskussionen haben mir dann
aber deutlich gemacht, dass dies ein sehr sinnvolles Projekt ist.
Allzu oft konzentriert sich die Dokumentation auf wenige herausragende
Persönlichkeiten wie Dietrich Bonhoeff er, die Geschwister
Scholl oder Pater Delp sowie auf wenige Texte wie die
Barmer Theologische Erklärung. Aber darin erschöpft sich die
historische Wirklichkeit nicht. Es gab auch viele sogenannte
Einleitung 17
«kleine Leute», die den Mut hatten, etwa den Hitlergruß zu verweigern,
Menschen jüdischen Glaubens zu schützen, für Behinderte
einzutreten. Widerstand hatte zudem sehr unterschiedliche
Ausdrucksformen. Er hat sich in Texten geäußert, aber
auch im Handeln, ja in Gesten. Zudem sind nicht alle am
Widerstand Beteiligten gleich Helden gewesen, manche kamen
langsam, schleichend, zuweilen sogar als zunächst aktiv an den
Verbrechen des NS-Regimes Beteiligte dazu. Wie war jeweils
die Situation, und wie haben Menschen reagiert? Ein Lesebuch
– ein spannendes Projekt!
Manches Mal treibt mich die Frage um: Wie mutig wäre
ich gewesen? Hätte ich Widerstand geleistet, Jüdinnen und
Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, Kommunisten geschützt?
Hätte ich die Ideologie der Nazis off en kritisiert?
Oder hätte ich wie die große Mehrheit dazu geneigt, mich
anzupassen, wegzuducken, alles zu tun, um die eigene Familie
und mich selbst zu schützen, anstatt das herrschende System
in Frage zu stellen? Es ist aus dem Abstand von achtzig
und mehr Jahren, nach einer Zeit der Aufarbeitung und mit
der Lebenserfahrung in einer freien Gesellschaft, einfach,
Mitläufertum anzuprangern. Wer das tut, macht es sich zu
leicht. Wir sind mit der Herausforderung konfrontiert, uns
hineinzudenken in eine Zeit, in der die Äußerung abweichender
Meinungen ins Vernichtungslager und der Schutz des
Nächsten zur standrecht lichen Erschießung führen konnte,
eine Zeit, in der christ licher Glaube sich auch angesichts einer
Anpassung der Institution Kirche bewähren musste. Für viele
Christinnen und Christen war es nicht leicht, aus eigener
Grundüberzeugung eine von der Mehrheit abweichende Position
zu fi nden. Zwar hat die Bekennende Kirche vor allem
mit der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 hierfür
einen Weg geebnet. Doch hinsichtlich der Diskriminierung,
Verfolgung und Ermordung von Juden, Behinderten, Homosexuellen
und anderen Minderheiten hat sie keine inhaltliche
Hilfestellung gegeben.
18 Einleitung
Während meiner Zeit als Generalsekretärin des Deutschen
Evangelischen Kirchentages in den Jahren 1994 bis 1999 hat
mich fasziniert, wie die Kirchentagsbewegung seit ihren Anfängen
versucht hat, das Versagen des deutschen Protestantismus
aufzugreifen. Kirchentage, die in den 1920er Jahren eher die
tiefe Skepsis der Evangelischen gegenüber der Weimarer Republik
gestärkt hatten, wurden nach 1932 von der Bekennenden
Kirche zur Zurüstung der Gemeinden genutzt. In ihrer Folge
wurden «Evangelische Wochen» ins Leben ge rufen, in denen
Menschen in ihrem Glauben und auch in ihrer Abgrenzung von
den Deutschen Christen unterstützt wurden. Auch wenn es 1949
zu einer Neugründung kam, die aus unterschiedlichen Gründen
anders als der Katholikentag nicht an die Vorgänger anknüpfen
wollte, war es ein Bezug auf jene Erfahrungen, die Reinold von
Thadden-Trieglaff und andere ab 1949 die Kirchentagsbewegung
ins Leben rufen ließen. Evangelische Laien sollten in einer
Art evangelischer Volkshochschule zum eigenen theologischen
Denken ermutigt werden, damit die Protestanten nie wieder
verführt werden und in die Irre gehen würden wie in der Zeit
des Nationalsozialismus. Bei den ordinierten Kirchenführern
stieß diese Laienbewegung zunächst auf Skepsis. Letzten Endes
hat sie sich aber bewährt und nicht selten Widerstand – im
demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik natürlich unter
völlig anderen Voraussetzungen – möglich gemacht. Ich denke
etwa an die Kirchentage des Jahres 1983, als in Hannover die
berühmten lila Tücher ein «Nein ohne jedes Ja gegen Massenvernichtungsmittel
» forderten und in Wittenberg öff entlich ein
Schwert in einen Pfl ug umgeschmiedet wurde. «Schwerter zu
Pfl ugscharen», ein prophetisches Wort, das bereits in den Jahren
zuvor christlichen Widerstand gegen das Wettrüsten und damit
auch gegen das DDR-Regime gekennzeichnet hatte, wurde
endgültig zum Symbol des Widerstandes. Ein Aufnäher mit
diesem Bibel zitat wurde zum Bekenntnis und führte in der
DDR manches Mal zu einer Verhaftung oder zur Beschneidung
von Bildungschancen.
Einleitung 19
Widerstand gegen staatliches Handeln und die Unterdrückung
der Meinungsfreiheit gab es also auch nach 1945 in
Deutschland, Christinnen und Christen nahmen die Erfahrungen
der Zeit des Nationalsozialismus in beiden deutschen Staaten
auf, auch wenn der demokratische Rechtsstaat im Westen
nicht mit der DDR und beide nicht mit der Nazidiktatur vergleichbar
sind. In der DDR konnte Widerständigkeit im real
existierenden Sozialismus einen hohen Preis kosten, etwa mit
Blick auf Ausbildung und Arbeitsplatz, aber auch bis hin zur Inhaftierung.
Im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik
zeigte sich dies eher in kritischer Begleitung staatlichen Handelns
und einem Bewusstsein, bei Unrecht nicht wegschauen zu
dürfen. Auf internationaler Ebene gab vor allem der Ökumenische
Rat der Kirchen (ÖRK), der 1948 in Amsterdam gegründet
wurde, der Haltung des Widerstandes gegen Rassismus, Unrecht,
Krieg und Unterdrückung eine Stimme. Sein «Programm
zur Bekämpfung des Rassismus» steht symbolisch dafür. Auf der
Vollversammlung 1968 in Uppsala war Martin Luther King
einge laden, einen der Hauptvorträge zu halten. Seine Ermordung
katapultierte das Thema Rassismus nach ganz oben auf die
Tagesordnung. In den Folgejahren wurde immer wieder – vor
allem von den westdeutschen Mitgliedskirchen – diskutiert, ob
ein solches Programm Befreiungsbewegungen unterstützen
dürfe, die ihren Widerstand gegen die rassistischen Regime in
Südafrika, Rhodesien (später Simbabwe) und Südwestafrika
(heute Namibia) auch gewaltsam umsetzten. Das erinnerte
manche an die Frage der Zeit des Widerstandes gegen Hitler:
Tyrannenmord – ja oder nein?
Für viele Theologinnen und Theologen meiner Generation
wurde der ÖRK jener Jahre zum Vorbild, zum legitimen Erben
der Widerstandskräfte der Nazizeit. Das galt ab 1983 ganz
besonders im Rahmen des «konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit,
Frieden und Bewahrung der Schöpfung». Immer wieder
wurden Menschen unterstützt, die als Einzelne – wie etwa
Ken Saro-Wiwa in Nigeria –, als Gruppen – wie etwa «Frauen
20 Einleitung
in Schwarz» – und auch als Kirchen Widerstand leisteten. Immer
wieder aber gab es auch Enttäuschungen, etwa wenn deutlich
wurde, dass Kirchen sich dem Widerstand verweigerten,
zu den Waff en riefen wie die serbisch-orthodoxe Kirche im
Jugoslawienkrieg, sich anpassten oder sich ganz und gar auf die
Seite der Diktatur schlugen, wie manche Kirche in den
Militärdiktaturen Lateinamerikas oder jüngst die russisch-orthodoxe
Kirche, die sich entgegen kurzfristig aufkeimenden
Hoff nungen der zivilen demokratischen Bewegungen als vehemente
Unterstützerin des Regimes eines Wladimir Putin zu
erkennen gab. Die ökumenische «Dekade zur Überwindung
von Gewalt» (2001–2010) war ein Versuch, endlich Gewaltfreiheit
glasklar als zentrale christliche und auch ökumenische
Option zu etablieren.
Diese jüngere Entwicklung zeigt deutlich: Jede Generation
von Christinnen und Christen, jede Kirche in ihrem je eigenen
Kontext muss fragen, wo sie heute Verantwortung zu übernehmen
hat. Wir können nicht einfach um eines vermeintlichen
Friedens, um einer vermeintlichen Konzentration auf «das
Eigentliche» willen still zustimmen. Christlicher Glaube ist
welthaltig, will, ja muss sich einmischen, Stellung beziehen
zum Kontext, in dem wir leben. Das kann unbequem sein,
eine Herausforderung darstellen, es kann viel kosten: Kritik,
Diff amierung, ja in einigen Ländern sogar auch heute noch das
eigene Leben! Es geht um eine Haltung der Verantwortung,
der Glaubwürdigkeit, die sich dem Gebot, Gott über alle Dinge
zu lieben und den Nächsten wie sich selbst, verpfl ichtet weiß.
Wer so glaubt, für den oder die kann nichts anderes zum Gott
werden, keine Ideologie, keine Rasse, kein noch so gut begründetes
Ziel.
Die Legitimität von Widerstand gegen die Obrigkeit beziehungsweise
die Staatsgewalt ist und bleibt unter Christinnen
und Christen, bleibt in den Kirchen der Welt umstritten. Umso
wichtiger scheint mir das Anliegen dieses Lesebuches zu sein,
die Vielfalt von Widerstand deutlich zu machen, der sich nicht
Einleitung 21
immer in ausgefeilten Schriften dokumentieren lässt. Es gilt,
nicht nur die «großen» Gestalten zu zeigen, sondern auch den
«kleinen» Widerstand im Alltag durch Menschen wie du und
ich. Wir haben im Redaktionskreis darüber diskutiert, ob sich
solch widerständiges Verhalten auch durch Gestapo-Berichte
belegen lässt – und uns am Ende dafür entschieden. Der Gestapo-
Bericht über spontane Proteste von katholischen Gläubigen
(siehe S. 83–86) zeigt zum Beispiel etwas von einem Widerstand,
der kaum gewürdigt wurde und wird. Und doch ist er
eine Ermutigung, weil auf diese Weise off ensichtlich wird,
dass auch «kleine Leute» in «kleinen Gesten» Widerstand gegen
Unrecht leisten können. Das gilt ebenso für persönliche und
weitreichende Entscheidungen, die nicht durch große Abhandlungen
begründet wurden. Ich denke etwa an Hermann Stöhr,
der 1939 aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigerte
und dafür hingerichtet wurde, oder an den römisch-katholischen
Priester Bernhard Lichtenberg, der nach der Pogromnacht
von 1938 öff entlich für die Verfolgten betete und dafür
mit dem Leben bezahlte.
Insbesondere lag mir daran, die Rolle der Frauen im Widerstand
hervorzuheben! Es gibt nur wenige schriftliche Zeugnisse
von ihnen.* Oft werden Frauen als Unterstützerinnen bekannt,
als die Mütter der Kinder der «Männer im Widerstand», als
Briefempfängerinnen oder trauernde Witwen. Aber was sie
taten, war ebenfalls Widerstand, auch wenn er durch Textbelege
schwer zu greifen ist. In diesem Lesebuch sind fast 40 Prozent
der Genannten Frauen, das freut mich besonders! Elisabeth von
Thadden steht exemplarisch für sie (siehe S. 357–366), und ich
danke Rudolf von Thadden dafür, dass er aus alter Kirchentagsverbundenheit
einen authentischen Bericht über ihre letzten
Tage für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat, der so im Zusammenhang
noch nicht veröff entlicht wurde.
* Vgl. z. B. Wolfgang See / Rudolf Weckerling, Frauen im Kirchenkampf,
Berlin 1984.
22 Einleitung
Zudem war mir wichtig, dass zumindest drei Zeugnisse von
Widerstand in anderen europäischen Ländern aufgenommen
werden konnten. Dass die ökumenische Bewegung in der Zeit
der Diktatur wurzelt, wurde mir im Zusammenhang des Ökumenischen
Rates der Kirchen immer wieder bewusst. Es war
der Niederländer Willem A. Visser ’t Hooft, designierter Generalsekretär
des Ökumenischen Rates der Kirchen, der mit
Dietrich Bonhoeff er über ein notwendiges Schuldbekenntnis
der Deutschen Evangelischen Kirche sprach, das die Voraussetzung
dafür wäre, sie wieder in die ökumenische Gemeinschaft
aufzunehmen. Es war der britische Bischof George Bell,
der sich im Parlament in Londons Oberhaus gegen die Bombardierung
deutscher Städte aussprach, weil er an die Zukunft
Europas dachte. Es war die Französin Madeleine Barot, die an
den Vorüberlegungen für die Thesen von Pomeyrol 1941 (siehe
S. 259–264) beteiligt war, in denen der Widerstand der Reformierten
Kirche Frankreichs gegen den Nationalsozialismus
unterstrichen wird. Später war sie an leitender Stelle im Ökumenischen
Rat der Kirchen in Genf tätig, und ich durfte sie
noch persönlich kennenlernen. Eine imponierende Frau …
Was aber bringt einzelne Christinnen und Christen konfessionsübergreifend
dazu, Widerstand zu leisten, widerständig zu
sein, wenn sie die Menschenwürde anderer verletzt sehen,
wenn Krieg und Vernichtung für sie im Widerspruch stehen
zur biblischen Botschaft? Woher nehmen sie die tiefe Grundüberzeugung,
jetzt und hier aufstehen zu müssen mit einer
Haltung, wie Luther sie einst in Worms vor dem Reichstag
zeigte? Hier Entschlossenheit, dort Anpassung – wie kann
Glaube sich so unterschiedlich auswirken?
Widerstand gegen die staatliche Ordnung ist im Judentum
und im Christentum von Anfang an ein kontrovers diskutiertes
Thema. Die alttestamentlichen Propheten begehrten immer
wieder gegen die staatliche Ordnung auf, heftig wetterten etwa
Amos und Jeremia gegen Rechtsbruch und Machtmissbrauch,
Einleitung 23
auch gegen Gottesdienste, die beides nicht in Frage stellten. Jesus
wurde von manchen seiner Anhänger als eine Art Revolutionär
gesehen, der die staatliche Ordnung der römischen Besatzungsmacht
aus Glaubensüberzeugung in Frage stellte. Doch diese
politischen Erwartungen wurden enttäuscht. Von Jesus ist überliefert,
dass er mit dem Satz «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers
ist, und Gott, was Gottes ist» (Markus 12,17) deutlich zwischen
weltlicher und göttlicher Obrigkeit diff erenzierte. Die Überlieferung
der Bergpredigt von der Feindesliebe: «Liebt eure
Feinde und bittet für die, die euch verfolgen» (Matthäus 5,44)
führte manches Mal zu einer Märtyrerhaltung, die Unrecht erduldet,
ihm aber keinesfalls aktiv widersteht. Der Apostel Paulus
ver festigte das: «Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse mit Gutem» (Römer 12,21) – daraus lässt
sich eine Haltung des gewaltfreien Widerstandes ableiten. Kirchengeschichtlich
fatal aber sollte sich jene andere, oben bereits
genannte Grundlegung des Apostels auswirken. Im Römerbrief
heißt es: «Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über
ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber
Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der
Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die
ihr aber wider streben, ziehen sich selbst das Urteil zu. … Denn
sie (die Obrigkeit) ist Gottes Dienerin, dir zugut. … Darum ist es
notwendig, sich unterzuordnen.» (Römer 13,1–5)
Der lutherische Zweig der Reformation hat durch die Zwei-
Reiche- beziehungsweise Zwei-Regimenter-Lehre eine Trennung
von weltlicher und kirchlicher Obrigkeit postuliert und
auf oft fatale Weise jede Kritik an der jeweils herrschenden staatlichen
Obrigkeit unterbunden. So wurde die Weimarer Republik
kritisch gesehen, der Abschied vom König bzw. Kaiser als
weltlichem Herrn der Kirche als Verlust empfunden. In jedem
Fall erschien eine Kritik der weltlichen Obrigkeit mit Blick auf
die Aufgabe der Kirche als unangemessen. Die Reformierten
rückten das Konzept der Königsherrschaft Christi in den Vordergrund.
Politisch verantwortliches Handeln sollte sich danach
24 Einleitung
an den Vorgaben Gottes orientieren. Für viele Reformierte
hatte das eine Abgrenzung von den Deutschen Christen zur
Folge, die den Weg frei machte zur Barmer Bekenntnissynode.
Die Freikirchen – Mennoniten, Baptisten, Methodisten und
Brüdergemeinen – sahen sich während der Zeit des Nationalsozialismus
in einem Dilemma, dem sie größtenteils durch vermeintliche
Neutralität zu entkommen versuchten. Angst vor
dem Verbot der eigenen institutionellen Existenz und Bedenken
gegenüber einer übermächtigen Reichskirche schwächten
den Widerstandsgeist, gerade in radikal pazifi stischen Freikirchen
wie den Quäkern. Das Spektrum reicht bis zu den Zeugen
Jehovas, die in Konzentrationslagern ermordet wurden,
auch weil sie den Kriegsdienst verweigerten. Es war eine
schwierige Entscheidung, ihr Zeugnis hier nicht aufzunehmen.
Aufgrund der Seitenbeschränkung, die ein Lesebuch erfordert,
haben wir uns am Ende entschieden, die Auswahl «christlich»
einzugrenzen auf das heutige Mitwirken in der Arbeitsgemeinschaft
Christlicher Kirchen. Es muss aber betont werden,
dass christlicher Widerstand ein weiteres Spektrum umfasste.
Römische Katholikinnen und Katholiken hatten es besonders
schwer mit dem Widerstand, weil sie oft den Eindruck
haben mussten, nicht nur gegen ihre Regierung oder ihr Land,
sondern auch noch gegen ihre Kirche zu agieren, die mit der
Nazidiktatur über ein Konkordat verbunden war. Mutige
Beispiele im Lesebuch zeigen, wie sich Einzelne in Ämtern innerhalb
der Institution und auch in der Freiheit der Laien über
diese Fragen hinweggesetzt und schlicht aus Glaubensüberzeugung
gehandelt haben. Hier fi ndet sich, was die Ökumene
«Praktisches Christentum» nennt, auf überzeugende Weise.
Wir haben uns nach intensiven Diskussionen entschlossen,
den Widerstand chronologisch zu dokumentieren, beginnend
mit einem Text noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten,
um zu zeigen, dass wache Geister ahnen konnten,
welches Unrecht sich bereits vor 1933 abzeichnete. So wird erkennbar,
wie Widerstand sich entwickelte. War es zunächst die
Einleitung 25
nationalsozialistische Ideologie, die ihn erzeugte, so wurde
später der Angriff skrieg zu seinem Schwerpunkt und mit dem
Bekanntwerden der Konzentrationslager für einige wenige
auch die Verfolgung von Juden, Homosexuellen, Behinderten,
Sinti und Roma, Kommunisten.
Entstanden ist eine Mischung aus bekannten Texten von
Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen, die meist gekürzt
wurden, und Zeugnissen von weniger bekannten Personen,
vor allem Frauen, die zum Teil nur vermittelt durch Texte
anderer greifbar werden. Zum Abschluss sind zwei Texte aus
der Zeit nach dem 8. Mai 1945 zu fi nden. Ob es ein Neubeginn
war oder die Schatten der vorangegangenen Jahre nicht allzu
lang waren, diese Fragen sind an anderer Stelle zu bedenken.*
Auf jeden Fall zeigt sich, dass mit dem offi ziellen Ende des
sogenannten «Dritten Reiches» die Saat an Hass, Rassismus,
Antijudaismus sich nicht plötzlich aufl öste, sondern eine bleibende
Belastung darstellte, die Widerstand erfordert bis in die
aktuellen Auseinandersetzungen mit den Morden des sogenannten
Nationalsozialistischen Untergrunds und den ausländerfeindlichen
Parolen der NPD.
Neben der chronologischen Anordnung waren uns die Biografi
en wichtig. Es soll erkennbar werden, welche Menschen es
waren, die den Mut hatten, sich der Anpassung zu widersetzen,
selbst wenn das sie selbst und ihre Familien in Lebensgefahr
brachte. Die amerikanische Wissenschaftlerin Eva Fogelman hat
in einer langjährigen Studie nachgewiesen, dass Menschen, die
in Freiheit, Respekt und ohne gewaltsame Züchtigung aufgewachsen
sind, später wesentlich eher den Mut hatten, beispielsweise
Jüdinnen und Juden zu schützen.** Manche Biografi e legt
* Vgl. z. B. Heinrich Grosse / Hans Otte / Joachim Perels (Hg.), Neubeginn
nach der NS-Herrschaft? Die hannoversche Landeskirche
nach 1945, Hannover 2002.
** Eva Fogelman, «Wir waren keine Helden». Lebensretter im Angesicht
des Holocaust. Motive, Geschichten, Hintergründe, Frankfurt a. M.
1995.
26 Einleitung
nahe, dass der christliche Glaube hierfür eine Wurzel darstellen
kann. Wenn erwähnt wird, in welchen Familienkonstellationen
die Protagonisten aufwuchsen, ist das ein Hinweis darauf, wie
widerständig christliche Erziehung zur Freiheit machen kann.
Das ist angesichts des Versagens der Kirchen als Institution eine
ermutigende Erkenntnis.
«Erinnere dich!», «Gedenke!» sind immer wieder Mahnungen
der Bibel. So hoff e ich, dieses Buch lädt ein zum Lesen,
zum Erinnern und Gedenken, auf dass es Menschen heute
stärke, sich zu fragen, wo ihre Widerstandskraft gefordert ist.
Ich danke vor allem Anke Silomon für ihre umfassende und
so engagierte Recherche, ohne sie wäre dieses Buch nicht
zustande gekommen. Mit viel Geschick, großer Kenntnis und
intensiver Arbeit hat sie gesichtet, geordnet, die notwendigen
Entscheidungen vorbereitet. Da ging es zunächst um die Textauswahl.
Uns haben wahrhaftig die Köpfe geraucht angesichts
der Materialfülle und des großen, aber eben doch begrenzten
Umfangs: Wen hineinnehmen, wen weglassen? Es ist ganz
klar, dass dieses Lesebuch nicht vollständig sein kann. Ich denke
etwa an Pater Rupert Mayer, der eine wichtige Gestalt des
katholischen Widerstandes in Bayern war. Oder: Gerade erst
habe ich gelesen: Emil Fuchs, Das Evangelium nach Matthäus.*
Die Enkel des 1971 gestorbenen Theologen haben dieses Buch
herausgegeben, das eindringlich zeigt, wie die Auslegung in
Zeiten von Verfolgung und Widerstand glasklar war und in
Bedrängnis führte. Mancher wird vielleicht den evangelischen
Theologen Eugen Gerstenmaier vermissen, der Mitglied im
Kreisauer Kreis war und nach dem Attentat vom 20. Juli 1944
verhaftet wurde; den katholischen «Apfelpfarrer» Korbinian
Aigner, der öff entlich bedauerte, dass Georg Elsers Attentat auf
Hitler misslang, und dafür in ein Konzentrations lager kam;
* Emil Fuchs, Das Evangelium nach Matthäus. Eine Auslegung des
Evangeliums im Kontext von Verfolgung und Widerstand (1933–35),
Hamburg 2012.
Einleitung 27
oder die Mitglieder des oppositionellen Freiburger Kreises, die
intensiv über ein christliches Widerstandsrecht nachdachten.
Das alles zeigt: Dieses Lesebuch ist nicht vollständig. Es kann
nur eine subjektive Auswahl von Menschen und ihren Zeugnissen
enthalten. Es ist schwerlich möglich, eine allgemeingültige
Defi nition zu fi nden, wann die Motivation, sich dem
NS-Regime zu widersetzen, als «christlich» bezeichnet werden
kann. Gleiches gilt für die Charakterisierung als «Widerstand»:
Generationen von Historikern haben seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs darüber gestritten, welche Formen und Spielarten
des Widerstands es gibt und welche Handlungen und
Haltungen nicht dazuzuzählen sind. Können «Widerstand»
und «Widerständigkeit» unterschieden werden? Eine verbindliche
Defi nition oder Einteilung in Kategorien gibt es bis heute
nicht. Ähnlich unscharf ist schließlich auch der Name «Hitler»
im Titel dieses Buches. Er steht hier zugleich für die nationalsozialistische
Ideologie und das Unrechtsregime des «Dritten
Reiches». Eine Engführung auf die Person Adolf Hitler ist
damit nicht gemeint. Für das vor liegende Lesebuch zum christlichen
Widerstand stehen diese begriffl ichen Fragen auch nicht
im Vordergrund. Wichtig ist vielmehr, das Leben und Denken
von Menschen vorzustellen, die durch ihren Glauben den Mut
gefunden haben, sich zu verschie denen Zeitpunkten und mit
unterschiedlichen Mitteln dem Nationalsozialismus zu verweigern
oder aber Sand ins Getriebe des Systems zu streuen. Das
Buch will den christlichen Widerstand nicht nur historisieren,
sondern auch dazu anregen und ermutigen, heute nicht wegzuschauen,
wo Wider stand gefragt ist – selten unter Einsatz des
eigenen Lebens wie zu Zeiten der NS-Diktatur.
Anke Silomon imponiert mir mit ihrer umfassenden Kenntnis,
und ich hatte große Freude an der Zusammenarbeit. Sie ist mit
der deutschen Geschichte zutiefst vertraut, und ich habe beim
Lesen und Kommentieren ihrer Texte sehr viel gelernt. Vor
allem war ich froh, in aller Freiheit die einleitenden Kapitel,
28 Einleitung
die sie zu den Zeitabschnitten und Einzelbiografi en geschrieben
hat, als Theologin kommentieren zu dürfen. Mir lag und
liegt daran, dass dieses Buch «voraussetzungslos» gelesen werden
kann. So haben wir uns gemeinsam für eine Konzeption
entschieden, die fl exibel ist: Lesende müssen also nicht alles
über die Geschichte des Nationalsozialismus oder des Widerstandes
wissen, um sich hineinfi nden zu können. Und: Es ist
möglich zu springen: von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt, von
Person zu Person, von Text zu Text. Diese Flexibilität macht
ein «Lesebuch» aus, denke ich, und ermutigt hoff entlich viele,
dieses Buch in die Hand zu nehmen.
Anke Silomon und ich haben im Laufe der vielen Monate
einen wunderbaren Mailwechsel entwickelt, mit dem wir uns
gemeinsam den Menschen in der Zeit des Widerstandes noch
einmal neu genähert haben. Eine wichtige Erfahrung war der
gemeinsame Besuch einer Ausstellung zum Widerstandskreis
der Roten Kapelle in Berlin. Wir haben gesehen, wie schwer es
ist, bei biografi schen Einleitungen die rechte Balance zu fi nden
zwischen «wichtig zu wissen» und «kann in den Hintergrund
treten». Das hat bei mancher Einleitung, die Anke Silomon
entworfen hat, Kriterien für Entscheidungen eröff net, denn
am Ende ist die Begrenzung das Schwierige.
Ebenso danke ich Ulrich Nolte und Uwe Birnstein für die
spannenden Debatten mit Anke Silomon und mir vor allem
hinsichtlich der Auswahl der Texte. Ein solches Lesebuch ist
das Ergebnis eines Prozesses, und dieser war für mich sehr
bereichernd.
Am Ende ist, davon bin ich überzeugt, in der Tat ein Lesebuch
entstanden, das uns Menschen vor Augen führt, die aus
ihrem Glauben heraus auf sehr unterschiedliche Weise Widerstand
gegen Menschenverachtung, Kriegstreiberei und Zerstörung
leisteten. Männer und Frauen, Junge und Alte, offi-
zielle Kirchenvertreter und schlichte Christenmenschen. Für
mich war und ist die Lektüre eine Ermutigung, als Christin
in meiner Zeit zu fragen, wo Widerspruch angezeigt ist und ...