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Entziffern und Strafen Schulische Disziplin zwischen Macht und Marginalisierung
Entziffern und Strafen
Schulische Disziplin zwischen Macht und Marginalisierung




Thorsten Hertel

Transcript
EAN: 9783837655230 (ISBN: 3-8376-5523-7)
408 Seiten, paperback, 16 x 24cm, Januar, 2021, 4 Farbabb., 3 SW-Abb.

EUR 45,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Praktiken pädagogischer Disziplinierung sind in der Schule allgegenwärtig. Insbesondere in den deprivierten Quartieren der Großstädte gelten schulische Disziplinarverhältnisse dabei als hoch prekär und störanfällig. Thorsten Hertel rekonstruiert das dort wirksame handlungsleitende Wissen schulischer Disziplinarpraxis und dessen Verdichtung in einzelschulischen Disziplinarkulturen. Dabei dokumentiert die Studie ein Spannungsfeld zwischen »bestrafenden« und »entziffernden« Praktiken, deren Verwobenheit mit historisch gewachsenen Machttechnologien, bestehenden Machtverhältnissen und übergreifenden Marginalisierungsdynamiken systematisch nachgegangen wird. Im Ergebnis tritt nicht zuletzt die eindrückliche Haltekraft disziplinargesellschaftlicher Strukturen in der Schule deutlich zutage.

Thorsten Hertel (Dr. phil.), geb. 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen und war von 2013 bis 2016 Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Schulforschung, insbesondere auf dem Zusammenhang von urbaner Segregation und Schule.
Rezension
Schule ist nicht immer ein privilegierter Ort von Aufklärung und Erziehung zur Mündigkeit. Schule ist nach wie vor ein Ort der Disziplinierung. Schule kann dabei auf ein historisch gewachsenen und hoch ausdifferenzierten Repertoire an Techniken und Strategien zurückgreifen. Disziplinierung ist nicht nur Erfordernis pädagogischer Praxis, sondern ein Kerngeschäft der Schule. Denn die Schule erfüllt ihre gesellschaftlichen Funktionen nicht allein durch die Vermittlung von Lerninhalten, die Zuteilung von Bildungszertifikaten und die damit verbundenen Selektionsprozesse, sondern grundlegend auch durch die vielfaltigen Formen der Herstellung schulischer Ordnung, die in ihr vollzogen werden. Die Disziplinierungsformen sind weicher und freundlicher geworden. An die Stelle der unverhohlenen Zurichtung treten in der Spätmodeme sanfte Führungsformen. - Die besonders im Fokus stehenden sogenannten Brennpunktschulen entpuppen sich als marginalisierte Schulen, weil sich an ihnen die Marginalisierten des Bildungssystems wiederfinden - und werden ihrerseits nicht selten selbst zu marginalisierenden Schulen, weil in ihren pädagogischen Praktiken Benachteiligungen weiter verfestigt werden. An den "urban schools" der Großstädte prägen sich stärker straforientierte Disziplinarformen aus als an anderen Schulen - und treffen dann jene Schüler/innen mit besonderer Härte, die ohnehin sozial stigmatisierten Gruppen angehören. Die Frage nach den Disziplinarpraktiken an den Schulen deprivierter Großstadtviertel beschreibt ein Desiderat des erziehungswissenschaftliehen Diskurses. In diese Lücke stößt die vorliegende Studie. Sie nimmt sich der Frage nach Machtverhältnissen und Disziplinarpraktiken an marginalisierten Schulen empirisch an. Dabei bilden Rekonstruktionen zu insgesamt drei Fallschulen den empirischen Kern. Diese Studie versteht die Schule mit Foucault (1978) als ein "Dispositiv der Macht". Schulische Disziplin ist keine unabhängige Größe, sondern umfassend mit Macht und Marginalisierung verwoben. Sie weist weit über die Grenzen der Schule hinaus.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Danksagung 9

1 Einleitung 13

1.1 Zum Begriff der Disziplin und seiner Rezeption in der Erziehungswissenschaft 16
1.2 Gouvernementale Perspektiven 19
1.3 Zum Aufbau der Arbeit 21

TEIL I. GRUNDLAGENTHEORETISCHE VERORTUNGEN

2 Machtnetze. Grundlagentheoretische Überlegungen zur Schule als Dispositiv 25

2.1 Dispositiv als analytischer Begriff 26
2.2 Machtelemente. Zur Struktur von Dispositiven zwischen Subjekt, Diskurs, Praxis, Objektivationen und Macht 28
2.3 Erste Markierung der Schule als Dispositiv der Macht 47
2.4 Die Organisation der Macht. Zur Struktur der Einzelschule 49
2.5 Dimensionen schulischer Disziplinarkultur 59
2.6 Machtwissen und Disziplinarkultur. Ausweis zentraler Analysekategorien 66

TEIL II. ZURICHTUNGSNETZE. BEFUNDE DER FORSCHUNG ZU SCHULISCHER DISZIPLIN, MACHT UND MARGINALISIERUNG

3 Zwischen Disziplinarmacht und sanfter Führung. Disziplin im Schuldispositiv 71
3.1 Überwachen und Strafen, Führen und Regieren. Historische Fundamente pädagogischer Macht 71
3.2 Machtdiskurse. Das pädagogische Sprechen über Disziplin zwischen Gouvernementalisierung und punitiver Renaissance 82
3.3 Ordnung und Disziplin. Zurichtungspraktiken im schulischen Dispositiv 89
3.4 Ausschließen und Einschließen. Zurichtung und die Rolle des Raums 103
3.5 Disziplinarsubjekte. Zwischen Selbstunterwerfung, Distinktion und Widerstand 106
3.6 Zusammenfassung. Möglichkeitsräume schulischer Machtartikulation 111
4 Machtverschärfung. Urbane Marginalisierung und schulische Disziplin 113
4.1 Segregation und schulische Marginalisierung 115
4.2 Macht und Marginalisierung. Über pädagogische Praktiken an >Brennpunktschulen< 124
4.3 Zusammenfassung 132

TEIL III. ANLAGE DER STUDIE UND METHODISCHES VORGEHEN

5 Zur Anlage der Studie 137
5.1 Entstehungskontexte der vorliegenden Arbeit 137
5.2 Samplingstrategie, Forschungsdesign und Fallschulen 139
6 Macht rekonstruieren. Entwurf einer dokumentarischen Analytik von Machtwissen und Disziplinarkultur 151
6.1 Dokumentarische Machtanalytik 152
6.2 Dokumentarische Disziplinarkulturanalyse 160

TEIL IV. EMPIRISCHE ANALYSEN

7 Bestrafen und Entziffern. Rekonstruktion pädagogischen Machtwissens 167

7.1 Fragile Ordnungen. Die Disziplinarkrise als strukturhomologe Erfahrung 170
7.2 Blicke. Zur Konstruktion des Subjekts 179
7.3 Disziplin zwischen Strafen und Entziffern 192
7.4 Exklusionen 232

8 Typologie pädagogischen Machtwissens 251

8.1 Repression und Exploration als sinngenetische Typen 251
8.2 Machttheoretische Reflexion: Typen des Machtwissens als >Artikulationen< globaler Machtformationen 256

9 Machtverdichtung. Rekonstruktionen zur Disziplinarkultur zweier Schulen 261

9.1 Geschichte(n) der Macht. Zum historischen Werden schulischer Disziplinarkultur 262
9.2 Räume der Macht. Verdichtungen schulischer Disziplinarkultur in räumlicher Schließung und Öffnung 279
9.3 Machtzirkulationen. Repression und Exploration in den Interaktionen der Lehrer* innen 295
9.4 Disziplinarsubjekte. Machtzirkulationen im Interaktionsraum der Schüler* innen 312
9.5 Zusammenfassung: Die Einzelschule als disziplinarkultureller Verdichtungsraum 331

TEIL V. SCHLUSSTEIL THEORETISCHE ABSTRAKTIONEN UND WEITERE FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN

10 Theoretische Schneisen und Perspektiven weiterer Forschung 339

10.1 Machtwissen und Zurichtung zwischen Disziplin und gouvernementaler Regierung. Dispositivtheoretische Reflexion 340
10.2 Die Schule der Post-Disziplinarmacht Schultheoretische Reflexion 345
10.3 Machtwissen, Zurichtung, Sozialraum. Reflexion zum Verhältnis von schulischer Disziplin und Marginalisierung 348
10.4 Zurichtung, Subjekt und Bildung. Subjekttheoretische Reflexion 350
10.5 Theoretischer Epilog: Repression und Exploration als Idealtypen schulischer Disziplinarkultur 354

Transkriptionsregeln und Transkriptionssymbole 361
Literaturverzeichnis 363
Weitere Titel aus der Reihe Bildungsforschung