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Die
Die "Natur des Menschen" in Neuroethik und Neurowissenschaften




Jens Clausen (Hrsg.)

Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826036132 (ISBN: 3-8260-3613-1)
212 Seiten, kartoniert, 16 x 24cm, September, 2008

EUR 29,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Moderne biomedizinische Techniken machen die "Natur des Menschen" in immer stäkeren Ausmaß verfügbar. Dies gilt insbesondere für die Neurowissenschaften. Eingriffe in das Gehirn lassen zentrale Aspekte unseres Selbstverständnisses als form- und kontrollierbar erscheinen: Persönlichkeitsverändernde Krankheitssysmptome scheinen gezielt "abgestellt", Glücklichsein "hergestellt" werden zu können. Daher muss die aktuelle neuroethische Debatte um anthropologische Reflexionen ergänzt werden, in denen mögliche Grenzen der neurotechnologischen Selbstverfügung ausgelotet werden. Die ethische Verständigung darüber, was der Mensch aus sich machen kann und soll, welche Ziele es mit welchen Mitteln zu verfolgen gilt, was ein "authentisches" Leben sein kann, ist von der Frage nach dem, was der Mensch ist, nicht zu trennen - insbesondere dann nicht, wenn neurotechnologische "Verbesserungen" unseres Selbstseins zu diskutieren sind.


Rezension
Die Resultate der modernen Hirnforschung erwecken den Eindruck, dass Gefühle modulierbar seien, Glück produziert und Krankheitssymptome schnell und sicher beseitigt werden könnten. Neuroethische Fragestellungen ergeben sich dann, „wenn die neurowissenschaftlichen Möglichkeiten nicht nur zur Behandlung, Vorbeugung oder Linderung verwendet werden, sondern wenn sie genutzt werden, um den Menschen zu „verbessern““ (S. 7). Mit den neuen Eingriffsmöglichkeiten steht wieder einmal das klassische, alteuropäische Menschenbild zur Disposition. Mit einer neurowissenschaftlichen Anthropologie und ihrem Verhältnis zur Ethik hat sich im Oktober 2006 in Freiburg die Bioethik-Nachwuchsforschergruppe „Zur Relevanz der „Natur des Menschen“ als Orientierungsnorm für Anwendungsfragen in der biomedizinischen Ethik“ auf ihrer Tagung „Die ‚Natur des Menschen‘ in Neurowissenschaft und Neuroethik“ beschäftigt, woraus das gleichnamige, im Verlag „Königshausen & Neumann“ im Jahre 2008 erschienene Buch hervorgegangen ist.
In dem von Jens Clausen, Oliver Müller und Giovanni Maio herausgegebenen Werk werden aktuelle Fragen der Neuroethik, die sich auch mit Oberstufenschülern in Ethik oder Philosophie erörtern lassen, ausführlich beleuchtet. Zu nennen wären u.a. die Themen Gehirn-Computer-Schnittstellen, Neuroprothesen oder Gehirndoping. Die einzelnen Aufsätze des Werks zeichnen sich durch ihre Transdisziplinarität aus, da sie neben moralischen Reflexionen auch biologisch-technisches Fachwissen enthalten. Erwähnenswert sind auch die Abbildungen und Übersichte beispielsweise zu den Neuroprothesen (S. 65f.) oder zu Methoden der Neurochirurgie (S. 96f.).
Außerdem räumen die Autoren des Tagungsbandes mit manchen in populären Medien verbreiteten Mythen auf. So heißt es zu kosmetischen Psychopharmakologie, dass deren Modelle von Tierversuchen stammen, die „nur schwer auf das komplexe Erleben des Menschen“(S. 148) übertragen werden können. Zu Recht wird daher in dem Buch die Forderung nach einer kritischen Anthropologie, die nach Oliver Müller „nicht mehr (nur) [fragt], was der Mensch sei, sondern untersucht die gesellschaftlichen oder technologischen Konsequenzen für unser Menschenbild und fragt, welches Menschenbild hinter bestimmten politischen oder biotechnologischen Entscheidungen steht“ (S. 206).
Fazit: Die von Philosophen, Theologen und Medizinern verfassten wissenschaftlichen Beiträge können jedem, der sich fundiert über die aktuellen Fragen der Neuroethik informieren möchte, nur zur Lektüre nahegelegt werden.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
G. Schneider: Grußwort des Prorektors der Universität Freiburg 9
F.-J. Bormann: Die Natur des Menschen als Grundlage der Moral? Zur Relevanz des Naturbegriffs für die Bio- und Neuroethik 13

1. Teil: Gehirn-Computer-Schnittstellen
J. Clausen: Gehirn-Computer-Schnittstellen: Anthropologisch-ethische Aspekte moderner Neurotechnologien 39
T. Stieglitz: Neuroprothesen als Schnittstelle zum peripheren und zentralen Nervensystem - Ein- und Aussichten aus dem Blickwinkel der Biomedizinischen Technik 59
Gernot Böhme: Pflichten gegen sich selbst: Zur Ethik leiblicher Existenz in der technischen Zivilisation 79

2. Teil: Klinische Fragen
G. Nikkhah: Funktionelle Neurochirurgie für neurodegenerative Erkrankungen im Wandel der Zeit: Von den destruktiven hin zu rekonstruktiven Verfahren 93
A. Schulze-Bonhage: Ethische Entscheidungskonflikte in der präoperativen Diagnostik und epilepsiechirurgischen Behandlung 105
K. Crone: Personale Identität als Orientierung bei Eingriffen ins Gehirn 123

3. Teil: Optimierung von Gehirnleistungen
M. Berger / C. Normann :Möglichkeiten pharmakologischen Neuroenhancements 139
J. S. Ach: Improving Human Performance? Skeptische Anmerkungen zur Idee einer "Verbesserung" menschlicher Leistungsmerkmale durch konvergierende Technologien 151
W. Lesch: Gedächtnissteigerung als „Gehirndoping“? Orientierungsversuche zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit 171
O. Müller: Der Mensch zwischen Selbstgestaltung und Selbstbescheidung. Zu den Möglichkeiten und Grenzen anthropologischer Atgumente in der Debatte um das Neuroenchancement 185

Autorin, Autoren und Herausgeber 211