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Die Argumentation des Paulus in ethischen Herausforderungen
Die Argumentation des Paulus in ethischen Herausforderungen




Wolfgang Fenske

Vandenhoeck & Ruprecht
EAN: 9783899711646 (ISBN: 3-89971-164-5)
341 Seiten, kartoniert, 17 x 24cm, 2004

EUR 36,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
In seinen Briefen argumentiert und befiehlt Paulus nicht. Wer argumentiert, macht sich angreifbar, da das Gegenüber andere Argumente anführen kann. In ethischen Fragestellungen argumentiert Paulus allerdings und ermöglicht so den Lesern, ethische Entscheidungen zu verstehen bzw. in ethischen Problemfällen durch Argumentation einer Lösung eigenständig näher zu kommen. In der Argumentation sind ethische Fragestellungen mit Glaubenserfahrungen verquickt. Das wiederspricht zwar dem Grundsatz, dass nur Argumente herangezogen werden dürfen, die auch direkt und nachvollziehbar mit dem jeweiligen Sachproblem etwas zu tun haben. Doch ist diese Vorgehensweise nicht spezifisch paulinisch. Das belegt Fenske in seiner Habilschrift an Hand einiger Texte aus der Umwelt des Neuen Testaments.
Rezension
Der Apostel Paulus bietet in seinen Briefen nicht etwa eine systematische Darstellung seiner Theologie und Ethik, sondern vielmehr sind seine Schreiben aus der Reaktion auf bestimmte Vorgänge innerhalb der angeschriebenen Gemeinden motiviert worden, durch die sich Paulus herausgefordert sah. Zeigen einerseits seine Reaktionen in der Argumentationen einen geordneten Aufbau, so vermag man andererseits inhaltliche Zusammenhänge oft nur schwer auszumachen: "Das, was wir in den Paulusbriefen vorfinden, sind die ersten tastenden Versuche des Vertreters einer jungen Gruppe, ethische Ansichten mit ihr [sic!] spezifischen Argumenten zu vertreten." (S. 13)
Wolfgang Fenske beschäftigt sich in dieser Veröffentlichung seiner (überarbeiteten) Habilitationsschrift mit den Argumenten und der Argumentationsweise des Paulus in Bezug auf ethische Probleme und Fragestellungen im Kontext seiner Zeit und seinen Gemeinden. Um die paulinische Argumentation herausarbeiten zu können, will Fenske dabei zunächst die verschiedenen Argumentationsweisen zur Zeit Pauli (z.B. in der Logik oder Rhetorik) herausarbeiten, um daraus einen Wegweiser für einen angemessenen Umgang mit der Argumentationsweise des Paulus in ethischen Fragestellungen zu erhalten. Wichtig ist Fenske dabei, dass inhaltliche und syntaktische Brüche innerhalb einer Argumentation keinesfalls ein Defizit menschlicher Sprache sind, sondern deren grundlegendes Merkmal - und eben nicht etwa spezifisch paulinisch: mit ihnen kann vielmehr der Reichtum der (ambiguitären) Sprache erst angemessen zum Ausdruck gebracht werden. Durch seine "schillernde" Ausdrucksweise fördert und lenkt Paulus den Diskurs in den von ihn angeschriebenen Gemeinden, ohne damit aber den Adressaten die Freiheit zu selbstverantwortlichem Handeln nehmen zu wollen. Beispiele v.a. aus dem ersten Korintherbrief sollen diese Argumentations-Lücken bei Paulus verdeutlichen. Daran wird deutlich, dass Paulus deshalb fragmentarisch schreiben kann, weil seine Leser und Hörer in den Gemeinden diese Lücken (aufgrund der Erstverkündigung) selbst zu füllen vermochten - jedoch will Paulus dies tendenziell steuern und anleiten: er gibt "die Tendenz der Diskussion [sc. innerhalb der Gemeinden] vor, denn obgleich er dem einzelnen Argument hin und wieder selbst widerspricht, läßt er doch im gesamten Argumentationsgang nirgends offen, was er konkret fordert" (313). Obwohl Paulus von den Gemeinden die Entsprechung zu seinen Weisungen fordert, signalisiert er zugleich durch seine Argumentation Diskussionsfreiheit und damit die Autonomie des Individuums - kontextuell eingebunden in die soziale Dimension und Situation der Gemeinde. Fenske kommt so zum Fazit: "Letztendlich ist für Paulus Ethik eine Frage der Argumentation in der Gemeinde und die Tatsache, daß Paulus argumentiert, zeigt, daß Glaubende für ihn nicht allein Weisungsempfänger sind, sondern als Folge der Diskssion aus dem Glauben erwachsene Verhaltensmuster verantwortlich realisieren müssen. Durch Anleitung zur Diskussion wird ethische Autonomie signalisiert." (315)

Wolfgang Fenske liefert in seinem Werk einen in sich stimmigen und klar gegliederten Beitrag zu dieser überaus interessanten und gerade in der heutigen Zeit entscheidenden Frage nach der Relevanz der ethisch-biblischen Aussagen für den Glauben und das ethische Verhalten des heutigen Menschen. Paulus ist auch für uns eine Herausforderung, denn der "in der Argumentation liegende kreative Prozeß ist in der christlichen Gemeinde nicht abgeschlossen. Die Freiheit der Kombination der Glaubensgrundlagen mit dem Leben und umgekehrt ist gegeben." (316)

Gerhard Schreiber, Mitarbeiter für lehrerbibliothek.de


Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Vorwort 13

1. Argumentationsweise und Argumente aus der Perspektive
antiker und gegenwärtiger Sprachwissenschaften und in der
Paulusforschung 16
1.1 Einleitung 16
1.2 Argumentation aus der Perspektive der Rhetorik: Mit Worten
errichtete Beweise 17
1.2.1 Grundlagen 17
1.2.1.1 Einführung 17
1.2.1.2 Enthymem und Syllogismus 18
1.2.1.3 Loci 20
1.2.1.4 Pathos 21
1.2.1.5 Beispiele 21
1.2.1.6 Autorität und Kompetenz 22
1.2.1.7 Zusammenfassung 22
1.2.2 Bisherige Untersuchungen zu paulinischen Briefen 23
1.2.3 Bedeutung für die Untersuchung paulinischer Texte 26
1.3 Exkurs: Argumentation aus der Perspektive der sog. Diatribe:
Lebhafter Stil und schwache Beweisführung; Rhetorik des Herzens
und Schulrhetorik 27
1.4 Argumentation aus der Perspektive der Logik: Von der
Situation unabhängige und abhängige Wortbeweise 31
1.4.1 Grundlagen 31
1.4.2 Bisherige Untersuchungen zu paulinischen Briefen 35
1.4.3 Bedeutung für die Untersuchung paulinischer Texte 38
1.5 Argumentation aus der Perspektive der Argumentationswissenschaft:
Argumentationsregeln auf der Basis sozial vermittelter
Überzeugungssysteme 38
1.5.1 Grundlagen 38
1.5.1.1 Einführung 38
1.5.1.2 Argumente führen zu vorläufigen Ergebnissen 39
1.5.1.3 Begründungen von Behauptungen sind selektiv 39
1.5.1.4 Geschick des Redners und die Rolle der Adressaten 40
1.5.1.5 Argumentation und nicht vorhandene
Argumentationsregeln 40
1.5.1.6 Argumentationskultur und Regeln für gelingende
Kommunikation 41
Inhalt 8
1.5.1.7 Struktur von Argumenten 43
1.5.1.8 Nicht alles ist rationaler Argumentation zugänglich 44
1.5.2 Bedeutung für die Untersuchung paulinischer Texte 45
1.6 Argumentation aus der Perspektive der Kognitiven Linguistik:
Abhängigkeit der Textentstehung und der Textrezeption vom
Weltwissen 49
1.6.1 Grundlagen 49
1.6.1.1 Einführung 49
1.6.1.2 Kognitive und wörtliche Bedeutung von Worten 50
1.6.1.2.1 Elaborative und reduktive Textverarbeitung .... 51
1.6.1.2.2 Frame Theorie; Skript Theorie; Structure-
Building Theorie usw. 52
1.6.1.2.3 Textproduktion und Projektion;
System-Regulationsmodell 53
1.6.2 Bedeutung für die Untersuchung paulinischer Texte 55
1.7 Argumente in der Paulus-Forschung. Motivkomplex, Motivspender,
Motiv 58
1.8 Argumentation des Paulus 62
1.8.1 Stellung zur Rhetorik: Ablehnung und Aufnahme 62
1.8.2 Autorität und Geltungsanspruch 64
1.8.3 Orientierung der Argumentation an den Adressaten 65

2. Argumentationsweise und Argumente dargestellt an
exemplarischen Texten 67
2.1 Vorbemerkungen zur Auswahl der Texte, zur Vorgehensweise
und zu den Überschriften dieses Kapitels 67
2.2 1Kor 5,1–13: Eine Handlung ist Argument für die Handlungsweise .. 71
2.2.1 Detaillierte Textdarlegung 71
2.2.2 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang ... 82
2.2.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 84
2.3 1Kor 6,1–11: Argumente und ihre Relevanz für die Gruppe 87
2.3.1 Detaillierte Textdarlegung 87
2.3.2 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang ... 88
2.3.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 91
2.4 1Kor 6,12–20: Argumentenkonzentration 98
2.4.1 Detaillierte Textdarlegung 98
2.4.2 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang ... 106
2.4.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 111
2.5 1Kor 7: Selektion von Argumenten aufgrund persönlicher
Erfahrungen; nachträgliche Begründung von Prämissen 115
2.5.1 1Kor 7,1: Thema 115
2.5.2 1Kor 7,2–7: Verheiratete 116
Inhalt 9
2.5.3 1Kor 7,8f: Ledige und Witwen 120
2.5.4 1Kor 7,10–16: Ehen Glaubender und Mischehen 121
2.5.5 1Kor 7,17–24: Neue Argumentationsebene 124
2.5.6 1Kor 7,25–38: Unverheiratete junge Männer und Frauen 128
2.5.7 1Kor 7,39f: Witwe 131
2.5.8 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang .... 132
2.5.9 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 136
2.6 Überblick über 1Kor 8–10: Paulus setzt sich selbst als Argument ein;
die Erinnerung an seine Person setzt unausgesprochene Argumente
frei 139
2.7 1Kor 11,2–16: Viele Argumente prägen das Geforderte besser ein als
ein kurzer Befehl; die Argumentation spiegelt die in der Gemeinde
erwartete Auseinandersetzung wider 152
2.7.1 Detaillierte Textdarlegung 152
2.7.2 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang .... 162
2.7.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 164
2.8 1Kor 11,17–34: Vorgabe der Argumentationsrichtung;
Assoziationsfähigkeit 170
2.8.1 Detaillierte Textdarlegung 170
2.8.2 Übersicht über die Argumente und den Argumentationsgang .... 177
2.8.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 181
2.9 Überblick über 1Kor 12–14: Glaubensrealität schenkt
Argumentationsfreiheit; konkrete Situationen führen zu unruhiger
Argumentation 184
2.9.1 Einleitung 184
2.9.2 1Kor 12 und 13 184
2.9.2.1 Detaillierte Textdarlegung 184
2.9.2.2 Übersicht über die Argumente und den
Argumentationsgang 189
2.9.2.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 190
2.9.3 1Kor 14 192
2.9.3.1 Detaillierte Textdarlegung 192
2.9.3.2 Übersicht über die Argumente und den
Argumentationsgang 199
2.9.3.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 201
2.10 Exkurs: Röm 6 203
2.11 Ausblick auf weitere Briefe 206
2.11.1 1Thess 4: Traditionelle Werte von Glaubenden rezipiert,
jedoch kaum christlich begründet 206
2.11.1.1 Detaillierte Textdarlegung 206
2.11.1.2 Übersicht über die Argumente und den
Argumentationsgang 210
2.11.1.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 211
Inhalt 10
2.11.2 1Thess 5,12–22: Erinnerung an gemeinsame Glaubensgrundlagen
bedarf keiner argumentativen Begründung 213
2.11.3 Röm 12–13: Neue Assoziationen verbinden sich mit nicht neu
argumentativ begründeten traditionellen Werten 214
2.11.3.1 Detaillierte Textdarlegung 214
2.11.3.2 Übersicht über die Argumente und den
Argumentationsgang 221
2.11.3.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 224
2.11.4 Röm 14,1–15,13: Zu eine Argumentationskette zusammengefügte
Argument lassen die Bedeutung des Themas erkennen 226
2.11.4.1 Detaillierte Textdarlegung 226
2.11.4.2 Übersicht über die Argumente und den
Argumentationsgang 234
2.11.4.3 Argumentation im weiteren Kontext der Gruppe 237
2.12 Zusammenfassung von Kapitel 2 239

3. Argumentationsweisen und Argumente in Texten der Umwelt 247
3.1 Vorbemerkungen zur Auswahl der Texte und zur Vorgehensweise ... 247
3.2 Forschungsergebnisse 248
3.3 Cicero, De officiis 3,19b–32: „Metaphysische“ Argumente 253
3.3.1 Der Text 253
3.3.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 255
3.4 Plato, Politeia 449a–457b (5,3–6): Suggestive Gesprächsführung 257
3.4.1 Der Text 257
3.4.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 260
3.5 Musonius 262
3.5.1 Einleitung 262
3.5.2 Musonius, Von den Beziehungen der beiden Geschlechter
(12. Rede): Argumente aus der Wertvorstellung einer Gruppe 262
3.5.2.1 Der Text 262
3.5.2.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 263
3.5.3 Musonius, Ob der Philosoph jemanden wegen Beleidigung
verklagen soll (10. Rede): Argumente zur Erinnerung für die
eigene Gruppe 265
3.5.3.1 Der Text 265
3.5.3.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 265
3.6 Dion Chrysostomos 266
3.6.1 Von der Habsucht (17. Rede): „Schriftbezug“; der treffende
letzte Satz 266
3.6.1.1 Der Text 266
3.6.1.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 268
3.6.2 Die erste tarsische Rede (33. Rede): Drastik der Erzieher;
mannigfaltige Anregungen 268
Inhalt 11
3.6.2.1 Der Text 268
3.6.2.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 269
3.7 Hesiod, Jesus Sirach, Sprüche: Knappe Argumentation im
Zusammenhang lebenswichtiger Probleme; Aneinanderreihung
von Argumenten 271
3.7.1 Begründung für die Zusammenlegung der Texte 271
3.7.2 Hesiod, Erga 695–764: Schmerzhafte Assoziationen 272
3.7.3 Jesus Sirach 23: Harte Worte 272
3.7.4 Sprüche 6,20–7,27: Begründungen aus unterschiedlichen
Bereichen 273
3.7.5 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 274
3.8 Levitikus, Deuteronomium, Sifre Deuteronomium, Jubiläen 33, Philo,
spec. leg. 3, mit Hinweisen zur Argumentation in prophetischen
Schriften: Jedes Wort ein Argument, das Gewicht der Kultur 277
3.8.1 Levitikus und Deuteronomium: „Metaphysische“ Argumente .. 277
3.8.2 Sifre Deuteronomium: Alte Werte neu begründet 280
3.8.3 Jubiläen 33: Ausführliche Begründungen zeigen das
Problem der Zeit 280
3.8.4 Philo, spec. leg. 3: Starke Emotion; Worte mit negativen
Assoziationen 281
3.8.5 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 283
3.9 Testamente der Zwölf Patriarchen, Juda und Ruben: Ein
Argument gegen verschiedene Probleme 285
3.9.1 Der Text 285
3.9.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 286
3.10 Schriften aus Qumran: Das Selbstbild der Gruppe bestimmt
das Argument 288
3.10.1 Texte 288
3.10.2 Vergleich mit der Argumentationsweise des Paulus 289
3.11 Zusammenfassung der erkannten Parallelen aus der Umwelt 290

4. Zusammenfassung und Vertiefung 292
4.1 Vorbemerkungen 292
4.2 Vertiefungen 292
4.2.1 Unlogik – Situationslogik 292
4.2.2 Fragmentarische Argumentation 294
4.2.3 Motivkomplexe bieten Bausteine 295
4.2.4 Neue Argumentationsebenen 297
4.2.5 Geltungsanspruch und Entscheidungsfreiheit 298
4.2.6 Dialogische Argumentation 299
4.2.7 Übernahme einzelner Argumente durch die Adressaten 301
4.2.8 Aushandlungsprozesse, Prämissen, Grundentscheidungen 302
4.2.8.1 Gelungene und verhinderte Aushandlungsprozesse 302
Inhalt 12
4.2.8.2 Argumente sind abhängig von der Person des Paulus .... 305
4.2.8.3 Nachträgliche Begründung von Prämissen 306
4.2.8.4 Akzeptanz des Apostels durch die Gemeinden 307
4.2.8.5 Die jüdische Tradition des Paulus 308
4.2.8.6 Das Selbstbild der Gemeinde 309
4.2.8.7 Akzeptanz des Qualitätstopos 310
4.2.8.8 Aufgrund der Relativität der Argumente Loyalität
gegenüber anderen Überzeugungssystemen 312
4.3 Fazit 312
4.4 Herausforderung 315

Literaturverzeichnis 317
1. Quellen 317
2. Sekundärliteratur 321

Register 335
1. Personenverzeichnis 335
2. Stellenverzeichnis 338