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China liegt nah Über chinesisches Denken und seine zeitgenössische westliche Rezeption
China liegt nah
Über chinesisches Denken und seine zeitgenössische westliche Rezeption




Hermes Spiegel

Meiner Hamburg
EAN: 9783787337149 (ISBN: 3-7873-3714-8)
518 Seiten, hardcover, 17 x 24cm, Mai, 2020

EUR 68,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Wie denken die Chinesen? Denken sie wie wir im Westen (das meinen die Universalisten) oder ganz anders (so behaupten es die »Differenzialisten«)? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, untersucht der Autor die Schriften maßgeblicher westlicher Sinologen (u.a. Roetz, Schwartz, Needham, Wagner, Julien) auf ihre philosophischen Grundlagen. Das Ergebnis ist überraschend: Viele Darstellungen haben recht wenig mit den chinesischen Quellen, aber sehr viel mit der philosophischen Perspektive zu tun, aus der sie betrachtet werden.

So banal eine solche Feststellung erscheinen mag, so gravierend sind ihre Implikationen, gemessen an der ursprünglichen Fragestellung: Denn die Sichtweise, die die westliche Sinologie bei ihrer Lektüre der chinesischen Klassiker jeweils einnimmt, ist Schauplatz einer sehr westlichen philosophischen Kontroverse zwischen Anhängern positivistischer Welt- und Erkenntnisauffassungen und Verfechtern eines antiaufklärerischen, antirationalistischen Weltverständnisses.
Rezension
Dachten die chinesischen Gelehrten anders oder ähnlich wie die westlichen Philosophen? Benutzen chinesische Denker begriffliche Abstraktionen und orientieren sie sich an der Forderung nach Widerspruchsfreiheit? Hielten sie an einer Subjekt-Objekt-Spaltung fest? Welche Merkmale chinesischen Denkens identifizierten führende westliche Sinologen des 20. und 21. Jahrhunderts? Wer von ihnen zählt zu den Universalisten, wer zu den Differenzialisten? Gibt es eine gemeinsame Voraussetzung, welche die Ähnlichkeitsverfechter und die Differenzialisten teilen? Welche chinesischen Originalquellen werden von den Sinologen zur Identifikation eines chinesischen Denkens herangezogen? Rekurrieren die Sinologen bei ihrem China-Bild auf bestimmte westliche Philosophen?
Fundierte Antworten auf diese Fragen der Rezeptionsgeschichte chinesischen Denkens in der Sinologie gibt das Buch „China liegt nah. Über chinesisches Denken und seine zeitgenössische westliche Rezeption“, erschienen bei Felix Meiner. Sie stammt von Hermes Spiegel, der seit 2003 Inhaber einer Professur an der Staatlichen Hochschule für Übersetzer und Dolmetscher in Brüssel ist und von 2010 bis 2015 auch an der Volksuniversität in Peking lehrte. In seiner Studie zeigt Spiegel unter Heranziehung der chinesischen Originalquellen zum Beispiel von Konfuzius, Lao-Tse und Zhuangzi differenziert auf, von welchen Denkmustern die westliche Sinologie bei ihrer Perspektive auf das chinesische Denken geleitet wird. Dabei kann er aufzeigen, dass Universalisten und Differenzialisten, bei allen Unterschieden in der Einschätzung der Rationalität chinesischen Denkens, die gemeinsame Prämisse teilen, dass sich anhand des Untersuchungsgegenstands objektive Erkenntnisse gewinnen lassen. Diese Position teilt Spiegel mit Verweis auf das konstruktivistische Textverständnis von Paul Valéry nicht. Er sieht in Hegels Begriff der „bestimmten Negation“ und in Nietzsches Perspektivismus produktive Zugänge zum chinesischen Denken. Außerdem widerlegt Spiegel in seiner Untersuchung überzeugend das verbreitete Vorurteil, die altchinesischen Denker hätten sich keiner logisch kohärenten Argumentationen bedient.
Fazit: Mit seinem Buch „China liegt nah“ leistet Hermes Spiegel einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsphilosophie und -geschichte der zeitgenössischen westlichen Sinologie.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Wie denken die Chinesen? Denken sie wie wir im Westen (das meinen die Universalisten) oder ganz anders (so behaupten es die »Differenzialisten«)? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, untersucht der Autor eine Reihe repräsentativer sinologischer Arbeiten (sowie Werke von Philosophen, die über chinesisches Denken geschrieben haben) auf ihre philosophischen Grundlagen. Das Ergebnis ist überraschend: Viele Darstellungen haben recht wenig mit den chinesischen Quellen, aber sehr viel mit der philosophischen Perspektive zu tun, aus der sie betrachtet werden.
So banal eine solche Feststellung erscheinen mag, so gravierend sind ihre Implikationen, gemessen an der ursprünglichen Fragestellung. Denn die Sichtweise, die die westliche Sinologie bei ihrer Lektüre der chinesischen Klassiker jeweils einnimmt, ist Schauplatz einer sehr westlichen philosophischen Kontroverse zwischen Anhängern positivistischer Welt- und Erkenntnisauffassungen und Verfechtern eines antiaufklärerischen, antirationalistischen Weltverständnisses. Doch weder die Universalisten noch die »Differenzialisten« sind imstande, diskursiv haltbare Argumente für die Richtigkeit ihrer jeweiligen Interpretation zu bieten. Dies ist, so die These, auch nicht möglich, denn eine Wahrheit, die vom »konstruktiven« Beitrag des sie aussprechenden Subjekts unabhängig wäre, gibt es ebenso wenig wie den »wahren« Konfuzius, Laozi oder Zhuangzi.
Mit besonderer Aufmerksamkeit wird die These der grundsätzlichen Andersartigkeit des chinesischen Denkens gegenüber dem westlichen behandelt. Es wird nicht nur gezeigt, dass diese Andersartigkeit eine Erfindung ihrer Verfechter ist, sondern auch, wie rational vorgehendes Denken in die selbstkritischen, autodestruktiven Überlegungen von Zhuangzis Skeptizismus übergehen kann. In diesem radikal kritischen Denkstil sieht der Autor eine Ähnlichkeit mit Hegels und Nietzsches Kritik des Verstandesdenkens.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
11
Einleitung
15
Ähnlichkeit und Differenz
17
1. Westliche Voreingenommenheit sowohl der Ähnlichkeits- als auch der Differenzverfechter
23
2. Die Schwächen der übernommenen philosophischen Muster: Das positivistische Muster
27
3. Die Schwächen der übernommenen philosophischen Muster: Das postmoderne Muster
39
4. Falsche Vorstellungen von westlicher Rationalität
52
5. Unzulässige Monopolisierung von Wissenschaft und Logik
55
6. Voreingenommenheit jeder möglichen Interpretation des chinesischen Denkens
67
7. Der Kollaps der differenzialistischen Interpretation des chinesischen Denkens
78
Exkurs: Philosophische Überlegungen zu ernüchternden Befunden
85
Teil I Die Ähnlichkeitsverfechter (Universalisten)
109
Die moralphilosophische Ähnlichkeitsvariante
111
1. Heiner Roetz
111
Ideologische Natur von Roetz' AnalysenKursiv-Text in den zitierten Passagen stammt, wenn nicht mit dem Hinweis Hervorh. von mir in eckigen Klammern versehen, aus Roetz' Feder.
114
Universalistische Heuristik von Roetz' UntersuchungenSiehe auch unsere Kritik bezüglich der Roetzschen Hermeneutik im letzten Teil dieses Kapitels.
117
Über die Folgen von Roetz' ideologischem Ansatz
118
Gegen den Utilitarismus des Mozi
118
Gegen den Taoismus
120
Gegen den Legalismus
124
Ergebnisse und Ausblick
126
Die Schwächen von Roetz' Interpretation: Nur was mit Moral zu tun hat, ist rational
128
Zu Roetz' Hermeneutik
132
2. Albert Schweitzer
136
Albert Schweitzer über das chinesische Denken. Eine sinologische Anmerkung von Heiner RoetzSchweitzer, Geschichte …, S.331348.
142
3. Benjamin I. Schwartz
149
Die Achsenzeit
150
Schwartz' Überlegungen zu Mozi
153
Schwartz' Würdigung des Taoismus
156
Schwartz' Hermeneutik
162
Die moraltheoretisch begründete Ähnlichkeit von chinesischem und westlichem Denken: eine Bilanz
165
Sozialwissenschaftlich geprägte Interpretationen und ihre universalistischen Voraussetzungen
167
1. Ralf Moritz
168
Konfuzius
170
Mozi
171
Moritz zum Yangismus
173
Taoismus: Philosophie oder Mystik?
175
Zhuangzi
177
540D5BB6 Mingjia
178
Hui Shi 60E065BD
179
Xunzi
181
Hanfeizi
182
Epilog
183
2. Max Weber
187
Max Webers universalistische Einstellung
187
Max Webers Übernahme von de Groots Universismus
191
Die Vernachlässigungstheorie
199
Verwertbare Aspekte von Webers Analysen
202
Webers Abwertung des chinesischen Denkens
203
Webers verpaßte Begegnung mit Zhuangzi
204
3. Henri Maspero
207
Zum Taoismus
215
Die wissenschaftstheoretische Ähnlichkeitsvariante
217
1. Hu Shi
217
Konfuzius
224
Mozi
227
Hui Shi (60E065BD) und Gongsunlong (516C5B599F99)
237
Laozi
241
Hu Shis pragmatistische Verblendung
243
2. Joseph Needham
245
Taoismus
249
Zu den Grundsätzen der chinesischen Wissenschaft
253
Über Needhams China-Verständnis und dessen Platz in unserer Darstellung
258
3. Nathan Sivin
262
Ergebnisse
275
Die strukturalistische Kohärenzvariante (Rudolf Wagner)
277
1.
277
Homogenität und Kohärenz
278
Aktualität von Wang Bis Leseart
280
Herstellung zweckmäßiger Zusammenhänge
282
Sprache als Verschleierung von Wahrheit
286
Wang Bis Fehleinschätzung des Verhältnisses zwischen Konfuzius und Laozi
288
Wagners Ausblendung des Taoismus
289
Wang Bis Fehler
292
Wagners Wertschätzung des Wang-Bi-Kommentars
294
Ideologische Dimension von Wang Bis Laozi-Lektüre
296
2.
299
Sprache, Ontologie, Politik
299
Wang Bis Hermeneutik
303
Ontologie und Politik
305
Wang Bis Begründung politischer Praxis
307
Ideologische Kohärenz
309
Wang Bi's Philosophy an Ideology?
312
Teil II Die Differenzialisten
317
Die positivistische Differenzvariante
319
1. Angus Charles Graham
320
Laozi
331
Zum experimentellen Wissen der Chinesen
333
Zur mohistischen Logik, Ethik und Wissenschaft
337
Grahams basic rules of translationAngus Charles Graham, Kung-Sun Lung's Essay on Meanings and Things, in: Journal of Oriental Studies, Reprinted from Vol. II, No.2 July 1955, 282301.
340
Über Grahams Philosophie und ihr Fundament
345
Widersprüchlichkeit von Grahams China-Verständnis
349
2. Chad Deloy Hansen
351
Zu Mozis Philosophie
359
3. Jacques Gernet
366
Skeptischer Relativismus
375
Langage et pensée
378
Schlußbemerkung
385
Die postmoderne Differenzvariante
393
1. François Jullien
394
Julliens Theorie der Andersheit
396
2. David L. Hall/Roger T. Ames
408
Notwendigkeit eines Anti-Diskurses (counterdiscourse) zur Aneignung des chinesischen Denkens
416
Entrümpelung
417
Die Aporie des counterdiscourse
419
Ideologische Natur von Halls und Ames' Interpretation
420
Die Blüten der vagueness-Theorie
424
Die Chinesen dachten doch in kausalen Zusammenhängen
426
Fazit
429
Einsicht in die Differenz als Erleuchtungsereignis
433
1. Hermann-Joseph Röllicke
433
Geschichte und Erforschung des ziran-Gedankens
439
Ergebnisse
442
2. Jean François Billeter
445
Schluß
453
Bescheidenheit der Erträge einer verstandesmäßigen Erfassung des chinesischen Denkens
453
Gemeinsame Eigenschaften und Defizite der analysierten Interpretationen
457
Wenn die Interpretationen des chinesischen Denkens nur Projektionen vorgefaßter westlicher philosophischer Vorstellungen sind, wozu die Mühe des Umwegs?
458
Die sinologische Objektivitätsillusion
460
Notwendigkeit einer neuen Lektüre der chinesischen Texte
463
Interpretationen der chinesischen Texte sind subjektiv, aber nicht beliebig
464
Anhang
467
Originalversion der vom Verfasser übersetzten Zitate
469
Verzeichnis der in Auszügen zitierten Schriften
485
Personenregister
495
Sachregister
501