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Böse Mütter
Meine mütterlichen Sünden, großen und kleinen Katastrophen und Momente des Glücks
Gegen das schlechte Gewissen der Mütter
Aus dem Englischen von Isabel Bogdan (Orig.: Bad Mother. Essays on Motherhood)
Ayelet Waldman
Klett-Cotta
EAN: 9783608946161 (ISBN: 3-608-94616-0)
183 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 13 x 21cm, 2010
EUR 17,95 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Warum ist es so schwer, eine gute Mutter zu sein? Wegen der unerfüllbar hohen und widersprüchlichen Erwartungen, sagt die vierfache Mutter Ayelet Waldman. Und wegen all der Frauen, die nichts Besseres zu tun haben als andere Mütter schlecht zu machen.
Ebenso unterhaltsam wie schonungslos ist dieser Lebensbericht einer bösen Mutter: ein Befreiungsschlag gegen den Gute-Mütter-Terror.
Gegen das schlechte Gewissen der Mütter: Eine gute Mutter kauft im Bioladen ein, ist immer gut gelaunt und überträgt ihre Ängste nicht auf die Kinder. Außerdem bastelt sie gern und ist am Abend nicht zu müde für Sex. Einer dieser Punkte trifft nicht auf Sie zu? Dann sind auch Sie eine böse Mutter.
Beschreibung
Als Mutter können Sie heutzutage eigentlich nur alles falsch machen: Gehen Sie arbeiten,vernachlässigen Sie Ihr Kind; bleiben Sie zu Hause, binden Sie es zu sehr an sich. Woran liegt es, dass Frauen unablässig gute Mütter sein möchten, aber ebenso unablässig an diesem Ideal scheitern? An den unerfüllbar hohen und widersprüchlichen Erwartungen, sagt die vierfache Mutter Ayelet Waldman. Dagegen hilft nur eins: Stehen Sie dazu, dass Sie eine böse Mutter sind, eine Mutter, die nicht stillt, sondern die Flasche gibt; eine Mutter, die sich auf dem Spielplatz langweilt; eine Mutter, die auch einmal an sich selber denkt. Offen und schonungslos berichtet die Autorin aus ihrem Leben als böse Mutter und rät zu mehr Gelassenheit: Sie können nicht alles richtig machen.
Rezension
"Eine gute Mutter kauft im Bioladen ein, ist immer gut gelaunt und überträgt ihre Ängste nicht auf die Kinder. Außerdem bastelt sie gern und ist am Abend nicht zu müde für Sex. Einer dieser Punkte trifft nicht auf Sie zu? Dann sind auch Sie eine böse Mutter." Das ist der erfreuliche, erfrischende und pointiert-kritische Duktus dieses Buchs, das sich dem "Gute-Mütter-Terror" auf höchst angenehme, lesenswerte und sympathische Weise widersetzt - also ein widerständiges Buch in all dem üblichen mainstream, ein Buch, das man auch als Mann und Vater gern liest, weil es aufrecht, wahrhaftig und authentisch die schwierige Rolle der Mütter aufzeigt - alltäglich und lebensgesättigt. Und am Ende bleibt immer noch genug übrig vom großen Glück, eine Mutter zu sein ...
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
»Ayelet Waldman hat ein wunderbares Buch über (angebliche) mütterliche Sünden geschrieben.«
Freundin, 14.7.2010
Mit viel Verve und Witz berichtet Ayelet Waldman von ihren Schwächen, Fehlern und Missgeschicken bei dem Versuch, eine perfekte Mutter zu sein: Ist es okay, den Ehemann mehr zu lieben als die Kinder? Hat fehlender Sex in der Ehe etwas mit mangelnder männlicher Hausarbeit zu tun? Und warum ist das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Schwiegermüttern nicht nur im Märchen schwierig?
Traurig und berührend ist der Bericht von dem Entscheidungsprozess für eine Abtreibung nach dem schlechten Befund einer Fruchtwasseruntersuchung. Befreiend wirkt die Angriffslust der Autorin gegenüber der Böse-Mütter-Polizei, die immer alles besser weiß.
Waldman ertappt sich auch bei ihren eigenen Vorurteilen und erzählt von neuen Erfahrungen, die ihre alten Überzeugungen über den Haufen warfen.
Stimmen zum Buch:
»Heiter bis Glücklich«
Zeit-Magazin, 29.07.2010
»Ayelet Waldman hat ein wunderbares Buch über (angebliche) mütterliche Sünden geschrieben.
In ihrem berührenden Buch legt Waldman nun nach: Witzig, ironisch und ehrlich bis zur Schmerzgrenze erzählt sie vom täglichen Überlebenskampf, von Krankheiten, falschen Erwartungen und persönlichen Katastrophen. Und vom großen Glück, Mutter zu sein.«
Freundin, 14.7.2010 (www.freundin.de)
»“Böse Mütter“ ist ein auf wunderbare Art und Weise aufrichtiges, hoch relevantes und überaus lesenswertes Buch, das Mut macht, sich den Herausforderungen der Mutterschaft als Individuum losgelöst von fremden Erwartungen zu stellen. «
Florian Hunger, Jüdische Zeitung, 08.2010
»Für mich das beeindruckendste Buch der letzten Zeit.« Milena Moser
»“Böse Mütter“ ist ein tolles Buch, glänzend geschrieben, schmerzhaft ehrlich, lustig, böse und wahr. «
Michèle Binswanger, Der Bund, 11.08.2010
»Eine fesselnde, faszinierende Lektüre«
Susan Dominus, The New York Times
Ayelet Waldman, geboren 1964,war zunächst Strafverteidigerin, bis sie nach der Geburt ihres ersten Kindes mit dem Schreiben begann. Neben einer Reihe von Krimis schrieb sie den mit Natalie Portman verfilmten Roman »Love and Other Impossibile Pursuits« sowie zahlreiche Essays. Mit ihrem Mann und vier Kindern lebt sie in Berkeley, Kalifornien.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 9
Böse Mütter 13
Das Leben, das sie für mich wollte 29
Free to Be You and Me 50
Menschenmilch für Menschenkinder 65
Technische Unterstützung 77
Fisch und Fahrrad 84
Meine Schwiegermutter und ich 89
Schlussstriche 100
Wurfgeschosse 106
Sexy Hexen und Müslischachteln 112
Raketenschiff 124
Der Spion von nebenan 139
Die Mütter in mir 146
Das Erbe 154
Was ich mir für sie wünsche 171
LESEPROBE
EINLEITUNG
Am Morgen nach unserer Hochzeit lagen Michael und ich in einem Meer von weißem Laken in unserer Hotelsuite und taten, was frischverheiratete Paare auf der ganzen Welt tun: Wir zählten unsere Beute. Ich sah die Schecks durch und fragte »Was haben die Leute eigentlich immer mit der Zahl Achtzehn und dem Vielfachen von ihr? Vierundfünfzig Dollar. Neunzig. Wow, hier ist mal einer über achtzig.«
»Das Leben«, sagte mein frischgebackener Ehemann.
»Das Leben?«
»Du weißt schon, chai . Hast du von deinen Großmüttern nicht auch immer Schecks über Summen bekommen, die sich durch achtzehn teilen lassen?«
Eine Oma, erinnerte ich mich, hat mir immer einen knisternden Fünf-Dollar-Schein in einer Geburtstagskarte geschickt. Die andere hat meistens Kettenanhänger mit jüdischen Symbolen geschenkt, die etwa ab dem dreizehnten Geburtstag schnurstracks in meine Wäscheschublade wanderten und diese fortan nie wieder verließen.
Er erklärte: »Das ist Gematrie. Alte jüdische Zahlensymbolik. Jeder hebräische Buchstabe hat einen Zahlenwert. Man schreibt das hebräische Wort für Leben, chai, mit den Buchstaben chet und yud. Chet entspricht der Zahl Acht, yud der Zahl Zehn. Achtzehn steht für das Leben.«
In meiner Wäscheschublade lagen eine ganze Menge miteinander vertüddelter goldener und silberner Ketten mit diesem Wort. Eine, mit etwa fünf Zentimeter hohen Buchstaben, hatte in der achten Klasse den Ausschnitt meines tannengrünen Kapuzenpullovers geziert und perfekt mit dem Ton meiner Zahnspange korrespondiert. Zwar hatte ich immer gewusst, dass chai, das Leben, ein Symbol für Glück ist, aber das mit der Achtzehn hatte mir nie jemand erklärt.
Seit diesem Hochzeitsmorgen vor fünfzehn Jahren haben wir noch so einige Schecks über Vielfache von Achtzehn bekommen, später auch die Kinder zu ihren Geburtstagen. Metaphern für Leben und Glück, auch wenn man das Glück in letzterem Fall schnell in Spider-Man-Figuren, Polly Pockets oder Berge von Süßigkeiten umtauschen kann.
Wenn man Kinder hat, wird die Achtzehn schnell zu einer magischen Zahl. Mit achtzehn sind sie volljährig, dürfen wählen, verlassen die High School und gehen zum College. Vor dem Gesetz sind Achtzehnjährige erwachsen. Ich weiß noch genau, wie ich das damals meiner Mutter unter die Nase gerieben habe, man hat den Kindern nichts mehr zu sagen und ist vor dem Gesetz nicht mehr für sie verantwortlich.
Juristisch mag das vielleicht so sein, aber wenn es nach dem Herzen geht, gelten ganz andere Gesetze. Und die sind viel wichtiger. Die eigenen Kinder bleiben die eigenen Kinder, und man trägt die Verantwortung für sie, bis sich das Verhältnis im Alter irgendwann umkehrt.
In diesem Buch geht es um den Versuch, eine gute Mutter zu sein, und das in einer Welt, die uns dauernd das Gegenteil vermitteln möchte. Und weil es um mich und meine Erfahrungen als Mutter geht, geht es auch um das größte Glück meines Lebens – meine vier Kinder und meinen Mann.
Meine Kinder haben mir erlaubt, dieses Buch zu schreiben. Ich sage ihnen immer, was ich schreibe und versichere mich bei ihnen, dass sie sich nicht vorgeführt fühlen. Wenn sie Bedenken hatten oder ich selbst unsicher war, habe ich mich oft entschlossen, bestimmte Geschichten nicht zu erzählen oder ein Thema nicht zu vertiefen. Ich bin überzeugt, dass ich meine Kinder mit diesem Buch nicht hintergehe. Trotzdem, sie sind unter achtzehn und eines von ihnen kann noch nicht einmal lesen. Ihre Erlaubnis allein kann das Projekt nicht rechtfertigen.
Die Rechtfertigung liegt vielmehr darin, dass ich in diesem Buch meinen Auffassung vom Muttersein darlege, um nicht zu sagen: meine Philosophie. Ich glaube, Mütter sollten die Wahrheit sagen, auch wenn – nein: gerade wenn die Wahrheit schwierig ist. Vorzugeben, es sei alles in Ordnung, und auch die Kinder dazu anzuhalten, ist immer leichter und kann sich vorübergehend sogar richtig anfühlen. Aber Verstecken führt zu Scham, und Scham ist die schmerzhafteste aller Wunden. Nur wenn man sich einem Problem stellt, wird es bezwingbar. Hat man hingegen ein Geheimnis, kann man bloßgestellt und verletzt werden.
Viele Mütter leiden heute unter der Sorge, eine schlechte Mutter zu sein. Sie haben Angst, ihren Kindern nicht gerecht zu werden und schämen sich, ihren eigenen Idealen nicht zu entsprechen. Ich möchte diese Angst ergründen. Ich möchte die Steine umdrehen und die Spinnen darunter betrachten. Indem ich meine Erfahrungen als Mutter aufrichtig und ehrlich darlege, kann ich meinen Lesern und meinen Kindern hoffentlich zeigen, dass die Wahrheit sogar die vermeintlich schlimmsten Sünden tilgen kann.
Im Moment ist Sophie dreizehn Jahre alt, Zeke ist gerade elf geworden, Rosie ist sieben und Abraham, den wir meist Abie nennen, ist fünf. Alle zusammen sechsunddreißig. Ein Vielfaches von achtzehn.
Mein Glück, meine Lieben, mein chai .
BÖSE MÜTTER
Meine erste böse Mutter erwischte ich im Frühjahr 1994 in einer Straßenbahn in San Francisco. Sie saß auf der Sitzkante und hielt ihre kleine Tochter zwischen den Knien. In ihrem Mund steckten zwei Haarspangen, um die Finger der einen Hand war ein Gummi gespannt, und mit der anderen Hand bürstete sie dem Mädchen das lange, dunkle Haar und versuchte, es zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zu binden. Was ihr allerdings nicht gelang. Kaum hatte sie die Haare auf einer Seite glatt gebürstet, rutschten die auf der anderen Seite wieder aus ihrem Griff, strich sie die vorderen Haare zusammen, fielen sie hinten wieder raus. Der Zug schaukelte und ruckelte, und das kleine Mädchen verlor immer wieder das Gleichgewicht. Als der Fahrer etwas zu scharf um die Kurve fuhr, stolperte es vorwärts, so dass der Mutter der gesamte Pferdeschwanz aus der Hand glitt. Genervt griff sie ihrer Tochter ins Haar und zischte »Jetzt halt doch mal still.«
Ich war in diesem Moment so überzeugt, dass ich niemals so ruppig zu meiner Tochter sein würde, wenn ich ihr eines Tages die Haare kämmte, dass ich mich vorbeugte, die Frau anschaute und für jeden vernehmbar sagte: »Lady, das haben wir gerade alle mitbekommen.«
Wir kriegen immer alles mit: die Mütterpolizei ist im Dauereinsatz. Manchmal lässt sie Mütter auffliegen, die von wirklich grausamen Dämonen besessen sind, wie Andrea Yates, die ihre fünf Kinder in der Badewanne ertränkt hatte und wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht schuldig gesprochen wurde. Dann wieder stecken rassistische Gründe hinter der Verurteilung bestimmter Mütter, etwa bei der aktuellen Hysterie um illegal in den USA lebende Frauen, die sogenannte Ankerkinder bekommen, um nicht ausgewiesen zu werden. Und manchmal ist das Verbrechen so irrwitzig, dass man vor lauter Grauen geradezu staunt, wie im Fall der Prostituierten Wendy Cook aus Saratoga Springs, die während des Stillens vom Bauch ihres Babys Kokain schnupfte. (Und ich war schon stolz darauf, beim Stillen lesen zu können!)
Sobald eine böse Mutter aus dem Blickfeld gerät, nimmt eine andere ihren Platz vor dem Gericht der öffentlichen Meinung ein. Vor nicht allzu langer Zeit etwa das Popsternchen Britney Spears. Ihr Sündenregister ist lang und bunt, auf der Liste stehen Einweisung in eine psychiatrische Klinik, Verlust des Besuchsrechts, nachdem sie nicht zum gerichtlich verordneten Drogentest erschienen war, Autofahren mit dem kleinen Sohn auf dem Schoß oder über die Füße von Fotografen und Hilfssheriffs. Und dann ist da natürlich noch ihr krimineller Lebensstil: die ewigen Partys, die Kaufsucht (737000 $ im Monat!) und, was vielleicht das Schlimmste ist, die unerklärliche Weigerung, Unterwäsche zu tragen. Britney Spears ist, da sind wir uns wahrscheinlich einig, bestenfalls eine inkompetente Mutter, und schlimmstenfalls vernachlässigt sie ihre Kinder. Die Medea in der Bahn, die ihre Tochter an den Haaren zog, ist nichts gegen sie. Warum habe ich trotzdem das Gefühl, dass Britney Spears es besonders heftig abkriegt?
Vielleicht weil ich das Böse-Mutter-Spießrutenlaufen – in viel kleinerem Maß – selbst einmal durchgemacht habe. Für die Warhol'schen 15 Minuten Ruhm war ich Futter des Vormittagsfernsehens und der Klatschblogs. Hohn und Spott wurde über mich ausgegossen, denn ich war ein Paradebeispiel für mütterlichen Verrat. Mein Verbrechen? Ich hatte in der New York Times gestanden, dass ich meinen Mann mehr liebe als meine Kinder.
In dem betreffenden Artikel hatte ich darüber nachgedacht, warum so viele Frauen aus meinem Bekanntenkreis, im Gegensatz zu mir, nicht mehr mit ihren Männern schlafen, und war zu dem Schluss gekommen, dass sie möglicherweise ihre Leidenschaft von ihren Männern auf die Kinder übertragen hatten. Ich schrieb: »Die Libido, die sie einmal hatten, ist verschwunden, und an ihre Stelle ist die alles verdrängende Mütterlichkeit getreten.« Und dann fragte ich mich, warum ich diese »erotische Transformation einer Mutter« nicht durchlaufen hatte. Wenn eine gute Mutter eine war, die ihre Kinder mehr liebt als alles andere auf der Welt, sogar mehr als ihren Mann, dann war ich eine böse Mutter, denn ich liebte meinen Mann mehr als meine Kinder.
Die Mütterpolizei war sofort zur Stelle. In den tiefsten Niederungen der Blog-Kommentarstränge verkündete sie, dass ich verrückt sei, bösartig und gefährlich, und dass man mir die Kinder wegnehmen solle. Sie nahmen mich in der Oprah-Winfrey-Show ins Kreuzverhör. Und die New York City-Spezialeinheit der Mütterpolizei, die Kampfzicken von UrbanBaby.com, schlugen ihre spitzen, kleinen Schneidezähne in meine Waden.
Ich kann mir also ganz gut vorstellen, wie es Britney Spears ergeht, und ich frage mich, woher die Fixierung auf die unterschiedlichen Ausprägungen mütterlichen Versagens kommt. Bis zu einem gewissen Grad galt die böse Mutter schon immer als ebenso faszinierend wie beängstigend. Denken wir etwa an Euripides' Medea und Agave, an Iokaste, an Joan Crawford. Aber ich habe das Gefühl – vielleicht nur, weil auch ich dieses Verbrechens angeklagt und für schuldig befunden wurde –, dass die aktuelle Mütterdebatte besonders scharf und hysterisch geführt wird. Unser Interesse an schlechten Müttern und die Frequenz, mit der immer neue böse Mütter entlarvt werden, sind, glaube ich, nicht nur Symptome des allgemeinen Sittenverfalls. Zwar darf man die Dumdumgeschosse in Foren wie UrbanBaby.com nicht als exemplarisch betrachten für den zivilisierten Kern der amerikanischen Gesellschaft, aber in gewisser Weise stellen diese doch die giftige Essenz der allgemeinen Beschäftigung mit schlechten Müttern dar.
Eine überzeugende soziopolitische Begründung dafür, dass böse Mütter uns so beschäftigen, lieferte mir die feministische Aktivistin Lynn Paltrow, Gründerin und Geschäftsführerin von National Advocates for Pregnant Women . Ihr zufolge führen wir mit unserer Hetzjagd auf Mütter einen übergeordneten politischen Plan aus – wir lassen uns von der Wahrheit ablenken, dass nicht wir Mütter versagen, sondern die Regierungen. Die politischen, medialen und profitorientierten Mechanismen des Patriarchat bringen uns dazu, eine böse Mutter nach der anderen zu verteufeln, denn die Ereiferung über Monster-Mütter wie Wendy Cook und Britney Spears lenkt uns davon ab, dass beispielsweise Präsident Bush sein Veto eingelegt hat gegen ein Gesetz, das vier Millionen nicht versicherten Kindern eine Krankenversicherung gewährt hätte.
Sicher ist an Paltrows Argumentation etwas dran, aber ich sträube mich dagegen, die ganze Schuld am Rabenmütterwahn dem Patriarchat in die Schuhe zu schieben. Ich denke auch, dass wir erst ganz am Anfang einer Gleichbehandlung der Geschlechter stehen (dieses Ideal besteht, wie sie sagt, erst »seit einer Millisekunde in der Geschichte«). Aber die lautstarke Empörung, die eine zivilisierte Diskussion über Mutterschaft und Kindererziehung so oft übertönt, stammt nicht aus dem Büro eines patriarchalischen Großinquisitors, sondern zum größten Teil von Frauen. Frauen haben sich, historisch gesehen, immer für ein gutes Sozialverhalten eingesetzt, selbst wenn es zu ihrem eigenen Schaden war, aber wenn man nur eine oder zwei Stunden durch die Welt der Mütterblogs surft, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir Frauen uns zumindest in diesem Bereich selbst das Wasser abgraben und die brutalsten Beamten der Mütterpolizei sind.
Und warum? Weil die verteufelten Mütter wie Andrea Yates oder Susan Smiths, die Crackhuren und Sozialhilfeempfängerinnen, uns zugute kommen. An ihnen messen wir unsere Fehler, die verglichen mit diesen auf einmal gar nicht mehr so groß sind.
Eine streng unwissenschaftliche Umfrage in Familie und Freundeskreis ergab, dass niemand Schwierigkeiten hatte, einen guten Vater zu definieren. Ein guter Vater zeichnet sich vor allem durch Anwesenheit aus. Er ist da. Im Kreißsaal, beim Abendessen, bei Schulkonzerten und Sportwettkämpfen. Er ist ein guter Versorger, der auch mal die Windeln wechselt und das Kind im Baby Björn herumträgt. Er ist stromlinienförmig und gleichzeitig Fels in der Brandung. Darin stecken, ohne dass sich das widersprechen würde, sowohl die sentimentale Vorstellung »Papa kann alles«, als auch unsere moderne Grundhaltung der Gleichberechtigung.
Dagegen hatten meine Umfrageteilnehmer massive Schwierigkeiten, eine gute Mutter zu definieren, ohne sich auf Übertreibungen zurückzuziehen, hinter denen sich immer ein Hauch wütender Selbstkasteiung erkennen lässt.
»Sie ist wie Mary Poppins, nur dass sie am Ende des Films nicht weggeht.«
»Sie lebt nur in der Gegenwart und nur für die Kinder.«
»Sie hat eine unerschöpfliche Geduld.«
»Sie schnibbelt zum Frühstück Obst, ist immer gut gelaunt und schreit nie herum, sie projiziert ihre eigenen Ängste nicht auf die Kinder, arbeitet ehrenamtlich und ist allgemein beliebt; sie kleidet ihre Kinder stets gut, lädt Spielkameraden ein und spielt und bastelt mit ihnen. Und am Abend ist sie nicht zu müde für Sex.«
»Sie ist alles, was ich nicht bin.«
Zugegeben, diese Antworten sind vielleicht nicht vollkommen objektiv, denn die befragten Frauen wiesen zwar in puncto Ethnie, Religion und sozioökonomischem Status eine gewisse Bandbreite auf, waren aber alle etwa im selben Alter (Mitte dreißig bis Anfang vierzig) und hatten den gleichen Bildungsstand (der sich kurz mit »höher als sie ihn benutzen« beschreiben lässt). Dennoch: all diese Antworten zeigen, wie viel Macht antiquierte Mütterbilder immer noch haben und wie wenig wir diesen Bildern entsprechen.
Das allerwichtigste Kriterium für eine gute Mutter ist, dass sie sich selbst verleugnet. Gesundheit, Glück und die Bedürfnisse der Kinder stehen an erster Stelle. Sie besetzen all ihre Gedanken und bestimmen den Tagesablauf. Die gute Mutter tut alles den Kindern zuliebe und ordnet ihren Ehrgeiz, ihre Wünsche und Bedürfnisse denen der Kinder unter. Eine gute Mutter kümmert sich nur in dem Maß um sich selbst, wie es den Kinder nicht schadet. Eine meiner Befragten drückte das so aus: »Sie nimmt sich nur soviel Zeit für sich selbst, dass es dem Selbstwertgefühl der Kinder nicht schadet.« Wenn die gute Mutter arbeitet, dann nur, solange die Kinder nicht darunter leiden, oder wenn es ihnen ohne ihr Einkommen schlechter ginge. Sie berücksichtigt ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse nur, damit ihre Kinder gute Menschen werden. Eine Frau sagte: »Eine gute Mutter hält sich fit und geht arbeiten, um den Kindern ein Vorbild zu sein.«
Ein guter Vater zu sein ist ein erreichbares Ziel: Er muss da sein und Unterstützung bieten. Eine gute Mutter zu sein, mit dem Anspruch, der von Müttern selbst definiert wird, ist vollkommen unmöglich. Als ich meine Probandinnen nach Beispielen für gute Mütter fragte, nannten sie June Cleaver aus Erwachsen müsste man sein, einer Sitcom aus den 50ern, und Marmee aus Louisa May Alcotts Roman Betty und ihre Schwestern. Es ist kein Zufall, dass beides fiktionale Figuren sind. Es gibt die gute Mutter nicht, und es hat sie nie gegeben, nicht mal in dieser vermeintlich guten alten Zeit, die die Richter über mütterliches Verhalten so gern herbeibehaupten. Hätten die Macher von Erwachsen müsste man sein uns ein realistisches Bild der Mutter Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre vermitteln wollen, hätte June eine Zigarette mit Lippenstiftflecken im Mund gehabt, einen Gin-Tonic in der Hand und Die Leute von Peyton Place auf dem Nachttisch. Trotzdem messen sich die Mütter meiner Befragung mit dieser Fantasiefigur, und weil sie mit ihr nicht mithalten können, empfinden sie sich als schlechte Mütter.
Es ist, als würde sich die Schwimmerin Tracy Caulkins mit ihren drei Olympiasiegen und fünf Weltrekorden dafür geißeln, dass sie langsamer schwimmt als die kleine Meerjungfrau. Ich kenne ausschließlich Mütter, die das Gefühl haben, nicht mithalten zu können. Judith Warner schreibt dazu in ihrem Buch Perfect Madness: Motherhood in the Age of Anxiety: »Diese tödliche Mischung aus schlechtem Gewissen, Sorge, Unwillen und Bedauern vergiftet die Mutterschaft.«
Ich denke über die Gründe für die Angespanntheit von Müttern nach, seit ich sie zum ersten Mal an mir selbst entdeckt habe. Ich saß auf dem Spielplatz und war ganz auf mein Baby und mich konzentriert. Meine Handtasche hatte ich gegen eine Windeltasche getauscht und meinen Ehrgeiz gegen etwas, das ich damals für Wut hielt, aber inzwischen eher Verzweiflung nennen würde. Ich war immer sehr ehrgeizig gewesen und hatte mit allen Kräften meine Karriere vorangetrieben. Aber ich hatte immer sehr lange gearbeitet, und wenn ich mich den ganzen Tag um Leute gekümmert hatte, die mich brauchten, um nicht Jahre, Jahrzehnte oder gar den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen zu müssen, hatte ich abends keine Kraft mehr für mein Baby. Ich war eifersüchtig auf Michael, der als Schriftsteller zu Hause arbeitete und lange, träge Stunden mit unserer Tochter verbrachte, ihr ihre neuen Kleider anzog und sie von der Krabbelgruppe zur Bücherei schob. Und so räumte ich eines Tages einfach meinen Schreibtisch, brachte die eingerahmten Diplome auf den Dachboden und wurde Vollzeitmutter.
Es war genauso, wie ich es mir ausgemalt hatte. Krabbelgruppe, Vorlesestunde in der Bücherei, Kinderklamottenshoppen und lange Kinderwagenspaziergänge mit den anderen Vollzeitmüttern. Und am nächsten Tag Krabbelgruppe, Vorlesestunde in der Bücherei und lange Kinderwagenspaziergänge mit den anderen Vollzeitmüttern. Und am nächsten Tag, am übernächsten Tag, und am Tag darauf auch.
Ich wurde innerhalb einer Woche verrückt.
Es verschaffte mir zwar eine gewisse Befriedigung, jetzt die wichtigste Person im Leben meines Kindes zu sein, aber ich langweilte mich auch, und es ging mir nicht gut. Und dass das so war, erschreckte mich. Eine gute Mutter langweilt sich doch nicht, oder? Es geht ihr gut. Es macht einer guten Mutter nichts aus, von ihrem Roman aufzuschauen, um das Bild zu bewundern, das ihr Kind gemalt hat. Eine gute Mutter starrt beim Musikunterricht nicht auf die Uhr und versucht, sie durch reine Willenskraft voranzutreiben wie ein Viertklässler, der auf die Pause wartet. Sie versteckt auch nicht die Fingerfarben, nur weil sie das Chaos hinterher nicht erträgt. Eine gute Mutter stellt nicht nur die Bedürfnisse und Interessen der Kinder über ihre eigenen, sondern sie tut genau das gern. Wenn mir das alles keinen Spaß machte, dann war ich keine gute Mutter. Im Gegenteil, ich war eine schlechte Mutter.
Dieses intensive schlechte Gewissen teilte ich mit vielen Frauen in meinem Bekanntenkreis. Als wir kleine Mädchen waren – wir Töchter der späten sechziger und der siebziger Jahre –, wollte keine von uns später einmal Ehefrau und Mutter werden. Keine von uns sagte, sie wolle Elternvorsitzende im Kindergarten sein oder den perfekten Kuchen backen oder die Tage damit verbringen, die Kinder vom Hockeytraining zum Musikunterricht zu karren. Wir hatten alle Pläne, die über das eigene Zuhause hinausgingen. Wir wollten arbeiten, einen Beruf haben, Karriere machen. Aber bei vielen von uns haben sich diese Ambitionen durch die Verhältnisse am Arbeitsplatz dramatisch verändert oder wurden gleich ganz zunichte gemacht. Wenn man nur mit einer Sechzig- oder Siebzig-Stunden-Woche Karriere machen kann, wenn die Kinderbetreuung mehr kostet als man verdient oder wenn das schiere Überleben nur mit einem Zweitjob möglich ist, dann ist das Jonglieren mit Arbeit und Familie plötzlich keine Herausforderung mehr, sondern ein Ding der Unmöglichkeit. Früher oder später wird ein Elternteil seine Karriere opfern müssen, zumindest teilweise. Und in einer Welt, in der Frauen im Schnitt nur 70 % vom Gehalt eines Mannes verdienen und die Identität eines Mannes fast ausschließlich von seinem Beruf bestimmt wird, ist das fast immer die Mutter.
Also bleiben wir entweder zu Hause oder gehen beruflich Kompromisse ein, um mehr für unsere Kinder dasein zu können. Tun wir das nicht, fühlen wir uns wie Rabenmütter. Es soll auch Mütter geben, die ihren beruflichen Ehrgeiz ohne jegliches Bedauern auf Knetgummi, den Förderverein des Kindergartens oder den Sozialausschuss der fünften Klassen umgelenkt haben, aber ich kenne keine. Stattdessen nagt an den meisten Frauen, die ich kenne, ein Gefühl von Enttäuschung und Sehnsucht. Sie sind unausgefüllt und verwenden viel Energie darauf, sich nicht zu fragen, ob es dieses Opfer wert war.
Und diese Frage sorgt erst recht für ein schlechtes Gewissen. Unzufrieden, gelangweilt und unglücklich zu sein ist für sich genommen schon unangenehm, aber was uns wirklich Angst macht, ist die Tatsache, dass wir unzufrieden, gelangweilt und unglücklich sind. Denn eine Mutter, die nicht zufrieden damit ist, Mutter zu sein, eine Mutter, die mehr will, als die Tage mit ihren Kindern zu verbringen, eine Mutter, die sich mehr wünscht, ist egoistisch. Und so wie Selbstverleugnung eine gute Mutter definiert, kennzeichnet Egoismus eine böse Mutter.
Selbst wenn wir Verständnis für die postnatale Depression der Kindsmörderin Andrea Yates aufbringen, wenn wir vielleicht sogar selbst darunter gelitten haben, wenn wir uns eingestehen, dass wir wahrscheinlich ebenfalls Mordgelüste bekämen, wenn wir fünf Kinder in einem umgebauten Schulbus großzögen und sie selbst unterrichten müssten, selbst dann verurteilen wir Yates dafür, dass sie ihrer Verzweiflung nachgegeben hat. Sie hat ihre eigene Verzweiflung über das Leben der Kinder gestellt. Wir verurteilen die schlechte Mutter, auch wenn sie Opfer ihrer eigenen Tragödie ist, zum Beispiel die dreifache Mutter Carol Anne Gotbaum von der Upper West Side, die auf dem Weg zur Alkohol-Entzugsklinik nach einer Auseinandersetzung am Flughafen Phoenix im Polizeigewahrsam starb. »Super«, höhnte eine Scharfschützin auf UrbanBaby, nachdem jemand einen mitfühlenden Kommentar geschrieben hatte, »die war bestimmt Mutter des Jahres mit ihrem Alkoholproblem, den Selbstmordversuchen und ihrem üblen Sprachgebrauch.« Eine andere fasste den ganzen Vorfall mit »selbst schuld« zusammen.
Als Susan Smith ihre beiden Kinder in einen See fuhr, war es für die Presse ein gefundenes Fressen, dass sie das angeblich deswegen getan hatte, weil ihr neuer Freund keine Kinder mochte. Die Frau war eindeutig psychisch krank, aber die Medien vermittelten das Bild, ihr neuer Freund, sein Wohlstand und seine Aufmerksamkeit seien ihr wichtiger gewesen als das Leben ihrer Kinder. Statt ihr Verbrechen psychologisch zu untersuchen, erzählte man uns, Susan Smith habe ihre Kinder für Geld und Liebe umgebracht, dieses egoistische Monster.
Sogar die Mütterverbrechen dümmlicher Starlets wie Britney Spears laufen letzten Endes auf Egoismus hinaus. Sie besucht lieber Clubs, als sich um ihre Kinder zu kümmern. Sie schläft lieber aus, als zur Drogenberatung zu gehen. Sie ist durch und durch verdorben und genau deswegen eine schlechte Mutter.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich Anna Karenina noch einmal gelesen, in der brillanten Neuübersetzung von Richard Pevear und Larissa Volokhonsky. Es gibt dort eine unglaublich traurige Szene, in der Anna, die ihren Mann und ihren geliebten Sohn für ihren Liebhaber verlassen hat, sich selbst zerfleischt mit dem Vorwurf, sie sei eine schlechte Mutter. Eine gute Mutter erkennt, wie unwichtig ihr eigenes Glück ist, und hätte sich ein solch egoistisches Verhalten nie erlaubt. Die meisten von uns werfen sich nicht gleich vor einen Zug, aber die Angst, eine schlechte Mutter zu sein, kennen wir nur zu gut. Wir sollen uns nicht nur für unsere Kinder aufopfern, sondern das auch noch freiwillig, freudig und ohne den leisesten Groll tun, und wenn wir das nicht schaffen – weil es nicht zu schaffen ist –, dann haben wir ein schlechtes Gewissen und schämen uns.
Wo sollen Frauen also Trost finden zwischen all diesen Schuldgefühlen? Zum Beispiel können sie sich im Dreck anderer Mütter suhlen, die viel, viel schlimmer sind als sie selbst. Wenn wir uns mit diesen Monstermüttern beschäftigen, müssen wir uns selbst ausnahmsweise einmal nicht an der unmöglichen Supermutter messen. Je weniger das Ideal der guten Mutter zu erreichen ist, desto krasser muss die schlechte sein. Aus lauter Angst vor unserem eigenen Egoismus und unserem Versagen suchen wir nach einem Vergleich, von dem wir noch weiter entfernt sind als von der guten Mutter. Wir sind vielleicht unzufrieden und reizbar, reagieren vielleicht genervt auf den siebenundsechzigsten Häschenwitz, vielleicht sehen unsere Kinder drei Stunden am Tag fern, weil wir die Liste der Sexualstraftäter in unserer Umgebung gelesen haben und Angst haben, sie zum Spielen rauszuschicken. Wir haben vielleicht gerade den zweiten Jahrestag unseres letzten Geschlechtsverkehrs hinter uns, wir haben vielleicht vergessen, einen Snack mit auf den Spielplatz zu nehmen, oder, noch schlimmer, wir haben einen mitgenommen, der teilweise gehärtetes Pflanzenfett enthält. Wir sind vielleicht geschieden, lassen unsere Kinder in unserem Bett schlafen oder gerade nicht, wir geben ihnen vielleicht die Flasche oder stillen sie viel zu lang, wir lassen sie zu früh Erdnussbutter oder Erdbeeren essen, weshalb sie Allergien bekommen, oder wir setzen sie gar keinen Allergenen aus, sodass sie sich irgendwann weigern, überhaupt etwas zu essen, das nicht weiß ist. Wir ziehen unsere Töchter vielleicht an den Zöpfen, wenn wir sie kämmen, wir haben das Gefühl, die ganze Welt registriere unser mütterliches Versagen, aber wenigstens sind wir nicht Andrea Yates oder Susan Smith. Wir sind nicht Wendy Cook oder Britney Spears. Himmel, wir sind nicht mal Ayelet Waldman.
Also, Sie jedenfalls nicht.
Eine andere Strategie gegen das schlechte Gewissen und das Gefühl des Versagens ist die Rebellion: Wir machen uns gerade die Charakterzüge zu eigen, vor denen wir uns fürchten, und bezeichnen uns lautstark als schlechte Mütter. Wir schlechten Mütter tragen unsere Ambivalenz stolz zur Schau und wehren uns mit Händen und Füßen gegen die Glorifizierung der selbstlosen Mutter. Wir zucken die Achseln, wenn unsere Kinder orangefarbene Chipskrümel um den Mund haben. Wir tauschen unsere Horrorgeschichten aus (»Deiner ist im Einkaufszentrum abgehauen? Ist doch gar nichts, ich habe meine auf dem Ikea-Parkplatz so angeschrien, dass jemand die Polizei gerufen hat!«). Es tut uns auch wahnsinnig leid, dass wir die Möchtegern-Supermütter so verabscheuen, mit ihrer aggressiven Ehrenamtlichkeit, ihren Bugaboo-Kinderwagen und ihren Wickeltaschen von Petunia Pickle Bottom. Wir gestehen sogar, dass wir unseren Kindern gelegentlich einen Klaps geben, natürlich nur ganz selten.
Wir bösen Mütter beichten unsere Sünden gern, denn wir sind überzeugt, dass diese zurückhaltenden, aufopferungsvollen, sanften, fröhlichen, unendlich geduldigen – und scheinheiligen – guten Mütter in Wahrheit die schlimmsten sind. Denn was soll aus einem Kind werden, dessen Mutter sich für es geopfert hat? Was wird aus einem Kind, dessen Mutter sich selbstlos all seinen Wünschen und Bedürfnissen unterordnet? Wird es dadurch zu einem rücksichtsvollen und freundlichen Menschen, der die Bedürfnisse anderer über seine eigenen stellt? Oder wird es so überzeugt von der eigenen Wichtigkeit, dass es nicht auszuhalten ist? Unsere Kinder tragen vielleicht Socken, die nicht zusammenpassen, triumphieren wir bösen Mütter, aber sie sind bessere Menschen als eure.
Diese Mode, sich mit den Schattenseiten des Mutterseins zu versöhnen, ist nicht neu. Schon immer haben Frauen Trost in der reuevollen Beichte mütterlicher Sünden gesucht, etwa in dem richtungweisenden Text der Böse-Mütter-Bewegung von 1993 Hände wie kleine Sterne, oder wie ich das erste Lebensjahr meines Sohnes überlebte. Darin beschreibt Anne Lamott eine Mutter, die so fest schläft, dass sie nicht einmal merkt, als ihr Baby in die Ritze zwischen Bett und Wand fällt. 1997 stellte salon.com die Seite Mothers Who Think ins Netz, die als Forum für diese Art des Widerstands begann, teilweise aber genau das Gegenteil hervorbringt. Als Gegenpol zu den Webseiten UrbanBaby und Babble gibt es auch herrlich sarkastische Seiten wie Crabmommy oder Dooce von Heather Armstrong, die dort schreibt, dass »die meisten Tage mit einem Kleinkind sich anfühlen, als würde einem ein Auto über den Kopf fahren«. Die Anthologie The Bitch in the House, herausgegeben von Cathi Hanauer, ist ein weiteres Manifest der bösen Mütter, ebenso wie Aus dem Bauch raus. Bekenntnisse einer gelassenen Mutter von Muffy Mead-Ferro oder Club der wilden Mütter: Das Leben zwischen Windeln, Sex und Margaritas von Brett Peasel. Ich selbst habe meine Karriere als Autorin mit einer Krimireihe begonnen, in der eine Mutter anfängt, Detektivin zu spielen, um in der Monotonie von Heim und Herd nicht verrückt zu werden.
Wir bösen Mütter fordern unsere Umgebung heraus, irgendeinen Angriffspunkt zu finden, für den wir uns noch nicht selbst angeklagt haben. Unseren Kritikern zuvorzukommen ist kurzfristig sicher erfolgversprechend. Wie sollte mich die Bezeichnung »Böse Mutter« treffen, wenn ich mein ganzes Buch so genannt habe? Aber trotzdem sind wir in unserer Rebellion ebenso auf das Bild der schlechten Mutter fixiert wie der Schlägertrupp der Mütterpolizei. Wäre es uns wirklich egal, würden wir nicht all diese Artikel, Reportagen und Romane schreiben. Wir würden nicht bloggen. Statt das Konzept »Rabenmutter« infrage zu stellen, freunden wir uns mit der Rolle an. Wir bestehen nicht mal darauf, trotz unserer Schwächen gute Mütter zu sein. Im Gegenteil, wir sagen nur, okay, ja, wir sind schlecht. Na und?
Diese Technik ist zwar effektiv und schützt vor Angriffen, aber so definiert man sich nur negativ. Und das ist irgendwie unglaubwürdig. Gegengift an sich hat keinen Nährwert.
Außerdem klingt dieser Trotz bei näherem Hinhören falsch. Denn auch, wenn ich meine Fehler und meinen Egoismus trotzig verteidige, habe ich immer noch ein schlechtes Gewissen. Es geht mir nicht gut dabei. Ich ernenne mich selbst fröhlich zur Königin der Verdammten, aber ein Teil von mir glaubt immer noch, den Kindern würde es bei June Cleaver besser gehen.
Gibt es in unserer heutigen Gesellschaft wirklich keine Möglichkeit, Mutter zu sein, ohne in sinnlose Töpfchen oder Kröpfchen sortiert zu werden?
Können wir nicht trotz des Internets und seiner unzähligen Möglichkeiten, übereinander herzuziehen, wenigstens versuchen, Müttern positiv gegenüberzutreten und ihr Wohlergehen ebenso ernst zu nehmen wie das ihrer Kinder? Oder ist das eine zu naive Vorstellung, für die ich von den Heuchlern bei Gawker sofort wieder eine gescheuert kriege, nach dem Motto: »Ayelet jammert: Können wir uns nicht alle vertragen?«
So schwer kann das doch nicht sein. Schließlich haben wir ein sehr gutes Vorbild, eines, das reibungslos funktioniert, fast unmerklich, ohne dass Gift verspritzt oder Schmerzen verursacht werden müssten: den guten Vater. Es gibt keine Väterkriege. Und selbst wenn Alec Baldwin und Michael Jackson durchaus ihre Zeit am Väterpranger verbracht haben, hat ein Vater wohl höchst selten das Gefühl, seine Identität werde durch seine väterlichen Vergehen definiert. Väter leiden nicht sonderlich unter Selbstkasteiung.
Ich will hier nicht dazu aufrufen, die Erwartungen an Mütter auf das Minimallevel herunterzuschrauben, das für Väter gilt. Im Gegenteil, wenn von Vätern mehr erwartet würde, müssten die Mütter nicht die gesamte Last alleine tragen. Es ist schon schwer genug, sich um die Bedürfnisse der Kinder zu kümmern, auch wenn man gar nicht erst versucht, einen unerreichbaren Standard zu erfüllen. Es ist schwer genug, das Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie zu finden, auch wenn man nicht noch zusätzlich vermittelt bekommt, unsere Kinder erlitten wegen unserer unvermeidlichen Fehler bleibende Schäden. Es ist schwer genug, einem Kind im Zug die Haare zu kämmen, auch wenn man nicht von besserwisserischen Mitreisenden gemaßregelt wird.
Können wir uns nicht einfach alle mal in Ruhe lassen?
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