Der Sozialphilosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) gehört zu den Klassikern der Gesellschaftstheorie. Bekanntheit erlangte der Gründungsvater der älteren Kritischen Theorie durch seine mit Max Horkheimer verfasste „Dialektik der Aufklärung“(1944), durch seine Bücher „Minima Moralia“(1951), „Jargon der Eigentlichkeit“(1964) „Negative Dialektik“(1966) und „Ästhetische Theorie“(1970) sowie durch seine Reden und Vorträge, die unter dem Titel „Erziehung zur Mündigkeit“(1971) veröffentlicht wurden. Gegenwärtig erfahren Adornos Schriften eine Renaissance; sie werden beispielsweise für eine gesellschaftstheoretisch fundierte Medienkritik, für eine ideologiekritische Analyse der Panökonomisierung der Lebensbereiche im digitalen Kapitalismus und zur Analyse von Rechtsextremismus und Antisemitismus reaktualisiert.
Umso verdienstvoller ist es daher, dass im Suhrkamp Verlag, im Hausverlag Adornos, nicht nur eine Gesamtausgabe seiner gedruckten Gesammelten Schriften vorliegt, sondern auch seine „Nachgelassenen Schriften“ in fünf Abteilungen veröffentlicht werden. Von diesen wurden bereits 12 Bände in gebundener Form publiziert, vier von ihnen bereits als stw-Band. Zentral für das Verständnis von Adornos Philosophie ist seine tiefsinnige Gesellschaftskritik. Eine sehr gute Einführung in die Gesellschaftstheorie Adornos bieten seine Vorlesungen „Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft“ aus dem Jahre 1964. Diese erschienen 2008, herausgegeben von Tobias ten Brink und Max Philipp Nogueria, im Suhrkamp Verlag als Hardcover-Ausgabe. Die Herausgeber haben die Vorlesungen mit produktiven Anmerkungen, einer Nachbemerkung, einem Register und einer inhaltlichen Übersicht versehen. 2023 wurde das Buch als preisgünstiger stw-Band publiziert. Adorno besaß die Eigenart, seine Vorlesungen frei anhand von Notizen vorzutragen, diese mittels Tonband aufzuzeichnen und transkribieren zu lassen. Diese Tonbandtranskriptionen finden sich im Theodor W. Adorno-Archiv.
In seinen Vorlesungen „Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft“ geht der Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule u.a. folgenden Fragen nach: Wie ist das Verhältnis von Philosophie und Soziologie zu denken? Welche Modelle von Gesellschaftstheorien lassen sich nachweisen? Was ist eine Theorie der Gesellschaft? Gibt es Bedingungen der Möglichkeit einer Theoriebildung über Gesellschaft? Welche Rolle spielen empirische Fakten für eine Gesellschaftstheorie? Wie kann eine solche der Dynamik einer Gesellschaft gerecht werden? Sind Inhalt und Methode einer Gesellschaftstheorie dialektisch aufeinander verwiesen? Welche Kritik lässt sich gegen die Position des Positivismus anbringen? Woran zeigt sich „verdinglichtes Bewusstsein“?
Zur Beantwortung dieser sozialphilosophischen Fragen nimmt Adorno insbesondere Bezug auf Schriften von Max Weber, Karl Marx und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, sowie auf seine eigenen bis dato vorliegenden und geplanten Veröffentlichungen. In seinen Vorlesungen zu einer dialektischen Gesellschaftstheorie verdeutlicht Adorno gut seine gesellschaftskritische Theorie. Philosophielehrkräfte werden durch den vorliegenden Band motiviert, sich in ihrem Unterricht mit Adornos kritischer Sozialphilosophie problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Die Lektüre von Theodor W. Adornos Vorlesungen zur Philosophie der Gesellschaftstheorie eignen sich hervorragend, um durch Begriffsarbeit zum Ansatz der Gesellschaftskritik des Denkers vorzustoßen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Theodor W. Adorno
Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen
Band 12: Philosophische Elemente einer Theorie der Gesellschaft
Herausgegeben von Tobias ten Brink und Marc Phillip Nogueira
Theodor W. Adorno war seit dem amerikanischen Exil mit den Spielregeln der empirischen Sozialforschung bestens vertraut. Die Erfahrungen, die er mit der damals avanciertesten Form dieser Untersuchungsmethoden hatte sammeln können, bestimmten auch die Forschungen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung seit 1950. Dennoch blieb Adornos Denken immer auch von dem prekären Verhältnis zwischen der soziologischen Theorie und ihrem Gegenstand, der Gesellschaft, geprägt, wie diese Vorlesung zeigt. Sowenig es in der Philosophie einen kontinuierlichen Übergang von den Prinzipien der Erkenntnis zur Erscheinung und umgekehrt gibt, so wenig gibt es einen von der Theorie zum gesellschaftlichen Faktum in der Soziologie.

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