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Maßfiguren Körpernormen und Menschenbild in Kunst- und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts
Maßfiguren
Körpernormen und Menschenbild in Kunst- und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts




Eckhard Leuschner

Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG
EAN: 9783731909354 (ISBN: 3-7319-0935-9)
256 Seiten, hardcover, 20 x 30cm, Februar, 2020

EUR 49,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Siehe Werbetext.
Rezension
Metrologie ist die Wissenschaft vom Messen. Den größten Bekanntheitsgrad besitzt die historische Metrologie, eine Hilfsdisziplin der Geschichtswissenschaft, welche die Geschichte des Messens, der Maße und Gewichte erforscht. In der Bibel im Buch der Weisheit heißt es: „Du [Gott] aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ (Weish 11, 20) Auch die alten Griechen sahen ihren Kosmos als eine wohlgeordnete Welt an, in der bestimmte Proportionen, d.h. Zahlenverhältnisse, galten. Maße spielten in der kulturellen Entwicklung eine große Rolle. Heutzutage sind historische Maßeinheiten wie Elle und Scheffel oder Gewichtseinheiten wie Pfund oder Zentner noch immer in Redewendungen präsent.
Proportionen findet man auch in berühmten Kunstwerken, zum Beispiel in Leonardo da Vincis Zeichnung „Der vitruvianische Mensch“ oder Porträts Albrecht Dürers. In diesen künstlerischen Arbeiten werden Maßfiguren dargestellt. Das Kunstgenre war auch noch im 20. Jahrhundert verbreitet und Gegenstand kunsttheoretischer Abhandlungen. Erinnert sei nur an Werke von Pablo Picasso, Oskar Schlemmer, René Margritte oder kunsttheoretische Reflexionen von Gino Severini und Erwin Panofsky.
Dieses Kunstgenre beleuchtet ausführlich Eckhard Leuschner (*1966), Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Universität Würzburg, in seiner Monographie „Maßfiguren. Körpernomen und Menschenbild in Kunst- und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts“. Erschienen ist der schöne Text-Bild-Band im Michael Imhof Verlag. Dem Kunsthistoriker gelingt es in seiner Abhandlung, die mit zahlreichen Abbildungen versehen ist, differenziert aufzuzeigen, dass „maßbezogenen Körpergesetzen“ auch im letzten Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der Personendarstellung zukam. Lehrkräfte der Fächer Bildende Kunst, Geschichte und Philosophie lädt das ästhetisch überaus gelungene Buch dazu ein, sich mit Metrologie im Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt auseinanderzusetzen.
Fazit: Der Band „Maßfiguren“ von Eckhard Leuschner öffnet allen Kunstinteressierten die Augen für die Relevanz von Proportionen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Maßfiguren
Körpernormen und Menschenbild in Kunst- und Architekturtheorie des 20. Jahrhunderts
Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 172
Die vorliegende interdisziplinäre Studie, die an wichtigen Schnittstellen zwischen Kunst- und Architekturtheorie, Anthropologie und Philosophie angesiedelt ist, gibt erstmals einen vertieften Überblick über schematische Darstellungen des menschlichen Körpers vom späten 19. bis zum frühen 21. Jahrhundert, in denen an einer einzelnen aufrecht stehenden, meist nackten Figur vermeintliche Standardmaße bzw. Maßverhältnisse des „ganzen“ Menschen anschaulich gemacht werden sollten: Figurationen von Körpermaßen als deskriptive und/oder normative Konkretionen künstlerischer, anthropologischer, ergonomischer „Tatsachen“, mit einer hinzugesetzten Skala versehen, unter ein Raster bzw. Liniennetz gesetzt oder auf einen Text mit quantifizierenden Angaben bezogen. Der Begriff „Maßfigur“ wurde als Haupttitel gewählt, weil er die erörterten Theorien am klarsten zusammenfasst und sich eingängig mit dem Schlagwort vom „Menschlichen Maß“ verbindet. Einen Schwerpunkt bildet die Architekturtheorie, denn kaum eine andere Kunstform hat schon vor der Moderne so viele menschliche Maßfiguren hervorgebracht und deren Verwendung im hier interessierenden Zeitraum so intensiv fortgeschrieben. Am Anfang der Arbeit stehen Proportionsdiskurse zwischen Künstlerausbildung, Medizin, Anthropologie und künstlerischer Praxis um 1900. Es folgen Untersuchungen über das zwiespältige Verhältnis der Klassischen Moderne zum akademischen Konzept der Figur, zum Proportionsdiskurs der Zwischenkriegszeit in Kunsttheorie und Kunstgeschichte (Gino Severini, Erwin Panofsky, Oskar Schlemmer), zu Verbildlichungen des Maßdenkens totalitärer Systeme der 1930er und 40er Jahre, zum „Modulor“ von Le Corbusier, zu den Maß- und Körpervorstellungen von Salvador Dalí, Mark Rothko, Joseph Beuys, Robert Morris und Bruce Nauman sowie zur „Gynometrie“ in der feministischen Kunst seit den 1960er Jahren (VALIE EXPORT, ORLAN). Den Schluss markieren Studien zu postmodernen Metrologien, u.a. bei Jean-Paul Goude, Steve McQueen und Antony Gormley.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 11
I. Einleitung 13
II. Maßbezogene Körperkonzepte in Kunsttheorie und Kunstgeschichte
von ca. 1800 bis 1900 35
1. Seit ca. 1800 35
la) Schadow und Goethe: Vermessung und Ideal des menschlichen Körpers 35
lb) Gesetzlichkeiten: Von Carus bis Hildebrand 38
1. c) „Kenntnis des Normalen" zwischen Zeichenlehre und Anthropologie:
Charles Röchet, Gustav Fritsch, Carl Heinrich Stratz 42
2. Kunstgeschichte als Argument der Künstleranatomie um 1900 50
2. a) Ein „Kanon" Michelangelos? 50
2. b) Über beide Ohren: Botticelli, Falguiere, Warburg 55
III. „Maßgesetze“ der Kunst vor und nach dem Ersten Weltkrieg 69
1. Proportion ohne das „Menschliche Maß"? Die Avantgarden Europas bis 1914 69
la) „Es existieren keine Schönheits-Gesetze des Körpers": Akademiekritik
von Lovis Corinth bis Pablo Picasso 69
1. b) „ Geometrische Theologie": Die Kanones von Beuron und ihr Einfluss
in Frankreich 71
lc) „Das unendliche Weltall als Maßstab": Die Kubisten, Duchamp und de Chirico 75
2. „Retour ä l'ordre": Metrologisch motivierte Nachkriegsordnungen der Kunst 78
2. a) Frankreich und Italien 78
2. b) Deutschland 81
3. Proportion alsThema in Kunsttheorie und Kunstgeschichte um 1920 83
3. a) Gino Severini 83
3. b) Erwin Panofsky 89
3. c) Severini und Panofsky im Vergleich 94
IV. Menschen nach Maß in den 1920er Jahren 103
1. Konstruktive Werte 103
la) „Der Geist der Geometrie": Rene Magritte und Pablo Picasso 103
lb) Körperextensionen, das Kleine Schwarze und die Göttliche Proportion 106
2. Bücher und Bilder vom Menschen 109
2. a) Die modernisierte Sachkunde der Kunstakademien: Bücher von
Klaus Richter und Siegfried Mollier 109
2. b) Oskar Schlemmers „Menschenlehre" 111
3. „Messt Euch!": Maßfiguren in Kunst und populärer Kunstgeschichte um 1930 118
V. „Norma und Normman“: Kunst und Bildkulturen der 1930er und 40er Jahre 127
1. Schnittige Figuren 127
la) Körpermaße der „Höherwertigen" und „Minderwertigen" im Nationalsozialismus 127
1. b) Isamu Noguchis Menschen aus Edelstahl 129
le) „Streamline Humansl": Körpernormen US-amerikanischer Designer
und Gesundheitslehrer 135
2. Zur Rezeptionsgeschichte von Leonardos „Vitruvianischem Menschen"
vor der Publikation von Le Corbusiers Modulor( 1950) 139
2.a) Eine Zeichnung wird berühmt - aber wann genau? 139
2.b) Mailand 1939: Ein „zeitlos moderner Leonardo" 141
2.c) Giuseppe Pagano und das „Menschliche Maß" des italienischen Faschismus 144
VI. Figuren des „Menschlichen Maßes" nach 1945:
Von Le Corbusier bis Yves Klein 153
1. „Der Zustand der Regel": Le Corbusiers Modulor( 1950) 153
1. a) Ein Buch zur rechten Zeit? 153
lb) Die Ästhetik der Modulor-Figur 156
2. Körper und Maß in nordamerikanischen Bildkulturen der Nachkriegszeit 160
2. a) Marshall McLuhan und das proportionierte Mieder 160
2.b) „The best size a man can be": Maßdenken bei Salvador Dali und Mark Rothko 162
3. Wachsende Zweifel am „Menschlichen Maß" 166
VII. Körper und Maß als Themen in der Kunst der 1960er Jahre 179
1. „Was der Mensch sei, lässt sich nicht angeben": Anthropologie
und Bildende Kunst in den 1960er Jahren 179
la) Joseph Beuys: „Infiltration Homogen" (1966) 182
1. b) „Architektur - Definition v. Mensch": Beuys und Vitruv 186
1. c) „Mensch sein heißt, Amerikaner sein": Anthropologische Begründungen
der Kunst um 1970 189
2. Das „Menschliche Maß" bei Robert Morris und Bruce Nauman 192
2. a) Robert Morris: „Footprints and Rulers" (1964) 192
2. b) „The qualities of scale" und die Buchstäblichkeit von Skulptur 196
2.c) Bruce Nauman und „that classical Proportion" 199
VIII. Menschliche Maßfiguren in Kunst und Bildkulturen
seit den 1970er Jahren 205
1. Konzept- und Aktionskunst 205
la) „Actual Size": Maßdiskurse bei Mel Bochner, Michael Heizer
und Marcel Broodthaers 205
lb) „Gynometrie": Rebecca Horn, VALIE EXPORT, ORLAN 208
2. Postmoderne Metrologien 210
2.a) Jean-Paul Goude: „Allegorie de la mode" (1998) 210
2. b) Von Mode bis Manga: Die Beharrlichkeit der Maßfiguren in Bildkulturen
der letzten Jahrzehnte 213
3. Künstlerische Rück- und Vorausblicke auf „Den" Menschen 215
3. a) Steve McQueen: „Once upon aTime" (2002) 215
3. b) „Learning to See": Antony Gormley und die menschliche Form 218
IX. Epilog 224
Bibliographie 231
Namensregister 250
Abbildungsnachweis 253