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Disziplingeschichte im Kontext Erziehungsgswissenschaft an der Universität Münster nach 1945
Disziplingeschichte im Kontext
Erziehungsgswissenschaft an der Universität Münster nach 1945




Martin Rothland (Hrsg.)

Verlag Julius Klinkhardt
EAN: 9783781515802 (ISBN: 3-7815-1580-X)
388 Seiten, kartoniert, 17 x 23cm, März, 2008

EUR 27,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Während in der Historischen Pädagogik bis in die 1980er Jahre ideen- und theoriegeschichtliche Arbeiten dominierten, erfolgte danach eine Wende dieser Teildisziplin zu realgeschichtlich, oftmals sozialgeschichtlich inspirierten, Forschungen, also zu einer streng empirisch forschenden Historischen Erziehungswissenschaft. Seite Mitte der 1990er Jahre widmete sich die Pädagogik verstärkt der Erforschung ihrer Genese und Entwicklung als wissenschaftlicher Disziplin. Im Fokus der Historischen Erziehungswissenschaft seitdem die Wissenschaftsgeschichte anhand „lokaler Wissenschaftskulturen“. Als Desiderat dieser historischen Forschung innerhalb der Erziehungswissenschaft bezeichnete Hans-Georg Herrlitz die präzise „‘Mikro‘-Darstellung“ der Disziplingeschichte einer Universität. Dazu fehlte bisher aber ein „systematischer Ansatz zur mikrohistorischen Rekonstruktion der Geschichte und Entwicklung der erziehungswissenschaftlichen Disziplin im lokal-institutionellen Kontext […], über den die historische Realität und Praxis der Erziehungswissenschaft auf der Mikroebene in ihrer charakteristischen und konkreten, sozialen Erscheinungsform unter Berücksichtigung maßgeblicher Realisierungskontexte sowie institutioneller und infrastruktureller Bedingungen unmittelbar erfasst werden kann.“(S. 357).
Ein solchen „disziplinhistoriographischen Ansatz“ liefert Martin Rothland im ersten Teil seiner Dissertation, die 2008 als Buch unter dem Titel „Disziplingeschichte im Kontext. Erziehungswissenschaft an der Universität Münster nach 1945“ im „Verlag Julius Klinkhardt“ erschien. Dass ein solcher eigenständiger methodischer Forschungsansatz in einer Dissertation vorgelegt wird, ist heutzutage selten. Die Ausführungen Rothlands zur „Disziplingeschichte im lokal-institutionellen Kontext“ zeugen von profunder Kenntnis der theoretischen Literatur zur (pädagogischen) Historiographie sowie zur Geschichtstheorie. Wesentliche Elemente einer lokalen disziplinhistorischen Untersuchung sind u.a. Besetzungslisten, Statistiken über den Stellenpool, Studierendenzahlen, Studiengänge der StudentInnen oder Publikationen von Lehrenden (Volumina, Schwerpunkte).
Der wissenschaftliche Mitarbeiter von Professor Ewald Terhart am Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Schulpädagogik/Schul- und Unterrichtsforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, demonstriert im zweiten seiner Promotion die Fruchtbarkeit seines Ansatzes durch historische Rekonstruktion Geschichte der Erziehungswissenschaft an der Universität Münster seit dem Zweiten Weltkrieg bis in 1980er Jahre. Die Wahl dieser Universität begründet Rothland zum einem mit ihrer Größe, welche die Untersuchung des erziehungswissenschaftlichen Ausdifferenzierungsprozesses ermöglicht, und zum anderen damit, dass Münster die „Integration der Abteilung einer der bundesweit größten Pädagogischen Hochschulen in die Universität mit allen Problemen, Auseinandersetzungen und Folgen für die Disziplin“(S. 16) zu bewältigen hatte.
Bei seiner Untersuchung stützt sich Rothland primär auf Archivakten und auf Daten-Erhebungen zur Erziehungswissenschaft. Zudem wertet er mithilfe von Stammwörter-Untersuchungen die Publikationen der an der Universität Münster und PH Abteilung Westfalen-Lippe wirkenden Erziehungswissenschaftler in drei Kernzeitschriften („Bildung und Erziehung“, „Pädagogische Rundschau“ und „Zeitschrift für Pädagogik“) aus. Bei seiner Rekonstruktion bedient sich Rothland also sowohl der „Methoden der klassischen Hermeneutik“ als auch „Methoden der empirischer Wissenschaftsforschung zur Erfassung disziplinärer Wirklichkeit und ihrer Entwicklung in historischer Perspektive“(S. 18).
Der Wissenschaftler kann in seiner Fallstudie anhand der Analyse von Lehre, Forschung und Publikationen an der westfälischen Universität nachweisen, dass ihre Entwicklung in der Erziehungswissenschat entgegen einer zuweilen selbstapostrophierten „sozialwissenschaftlichen Wendung“ geprägt war durch ein „hohes Maß an Kontinuität“(S. 362). Daher wird die Disziplingenese und –entwicklung der Erziehungswissenschaft an der Universität Münster von ihm als „konservativ (im Sinne von beharrend-zögerlich)“ charakterisiert.
Martin Rothland ist in seiner exzellenten Dissertation, die auch 66 aufschlussreiche Tabellen und Abbildungen enthält, eine unterschiedliche Quellen integrierende souveräne Rekonstruktion der erziehungswissenschaftlichen Disziplingeschichte der Universität Münster gelungen. Gleichzeitig liefert er mit seinem Buch „Disziplingeschichte im Kontext“ einen fruchtbaren methodischen Ansatz empirischer Wissenschaftsforschung, dem weitere Studien lokaler Wissenschaftskulturen folgen mögen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Martin Rothland
Disziplingeschichte im Kontext
Erziehungswissenschaft an der Universität Münster nach 1945
Die Historiographie der deutschen Erziehungswissenschaft hat lange Zeit die Entwicklung der Disziplin in ihren konkreten und für die Genese maßgeblichen institutionellen Kontexten der einzelnen Universitäten unberücksichtigt gelassen, obwohl sich auf dieser Mikroebene die Formierung, institutionelle Etablierung und Emanzipation, die Expansion und Differenzierung – kurzum der ‚stille Siegeszug‘ der Erziehungswissenschaft in einem direkten Zugriff erfassen lässt.
An Stelle einer traditionell vorrangig theoretischen oder ideengeschichtlichen Rekonstruktion oder einer auf die empirische Erfassung gesamtdisziplinärer Entwicklungstrends ausgerichteten Untersuchung der disziplinären Genese widmet sich die Arbeit der Realgeschichte der Erziehungswissenschaft in der unmittelbaren akademischen Umwelt. Dabei wird zunächst die besondere Bedeutung der Universitäten als den zentralen Institutionalisierungsorten der deutschen Erziehungswissenschaft und damit als den maßgeblichen Kontexten für die Rekonstruktion ihrer Geschichte und sozialen Entwicklung herausgearbeitet und ein theoretischer sowie methodischer Zugang innerhalb der historischen Wissenschaftsforschung zur Rekonstruktion der erziehungs-
wissenschaftlichen Disziplingeschichte an einzelnen Universitätsstandorte entworfen, bevor am Beispiel der Universität Münster von 1945 bis 1985 die Geschichte und Entwicklung der erziehungswissenschaftlichen Disziplin in ihrem konkreten Verlauf „vor Ort“ rekonstruiert wird.

Beiträge zur Theorie und Geschichte der Erziehungswissenschaft, Band 29
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 11
Einleitung 13
I. Disziplingeschichte im lokal-institutionellen Kontext
Entwurf eines mikrohistorischen Ansatzes in der Disziplingeschichte der Erziehungswissenschaft
1 "Lokale Wissenschaftskulturen in der Erziehungswissenschaft" 20
2 Perspektiven der Wissenschaftsforschung und Wissenschaftsgeschichte 47
3 Disziplingeschichte im lokal-institutionellen Kontext 73
4 Erziehungswissenschaft im lokal-institutionellen Kontext 92
II. Erziehungswissenschaft an der Universität Münster - von der Neu-Etablierung 1945 bis zur Integration der Pädagogischen Hochschule 1980/85
1 Die rückständige Entwicklung einer verspäteten Disziplin 118
2 Die "Einbürgerung der pädagogischen Studien ..." 126
3 Expansion und Differenzierung 180
4 Zwei Welten - eine Disziplin? 228
5 Die Gestalt der Disziplin im Spiegel der Lehre 286
6 Erziehungswissenschaft als Forschungsdisziplin? 310
7 Die Beteiligung an der gesamtdisziplinären Kommunikation 332
Fazit 356
Quellenverzeichnis 367
Literatur 369
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 385