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Wovon wir leben Eine Philosophie der Ernährung und der Umwelt
Wovon wir leben
Eine Philosophie der Ernährung und der Umwelt




Corine Pelluchon

Wissenschaftliche Buchgesellschaft
EAN: 9783534272419 (ISBN: 3-534-27241-2)
416 Seiten, hardcover, 15 x 22cm, September, 2020, 40€ für Mitglieder

EUR 50,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Leben heisst „Leben von“

Warum hat die Berücksichtigung ökologischer Fragen die Demokratie nicht verändert? Warum halten wir an einem Lebensstil fest, der zerstörerische Auswirkungen auf ökologischem wie sozialem Gebiet hat?

In „Wovon wir leben“ entwirft Corine Pelluchon eine Existenzphilosophie, die auch Tierwohl und Umweltschutz im Blick hat. Ihre Phänomenologie nimmt die Körperlichkeit des Subjekts ernst: alles, von dem wir leben, ist nicht nur Ressource, sondern Nahrung.

2020 wurde die Autorin mit dem Günther-Anders-Preis für kritisches Denken ausgezeichnet.

„In diesem originellen und wichtigen Buch plädiert Corine Pelluchon für nichts Geringeres als einen neuen Gesellschaftsvertrag, der der Biosphäre, allem Leben, insbesondere dem anderer Tiere, aber auch dem menschlichen Leben und den zukünftigen Generationen gerecht wird … Jeder, der sich für Frasgen der Gerechtigkeit und der Umwelt- oder Ernährungsethik interessiert, sollte dieses Buch lesen.“

Mary C. Rawlinson, Department of Philosophy, Stony Brook University, USA
Rezension
Brauchen wir eine Philosophie und Ethik der Ernährung? Unbedingt, dieses forderte Corine Pelluchon (*1967) in ihrem 2015 publizierten Buch „Les nourritures. Philosophie du corps politique“. Dieses erschien aus dem Französischen übersetzt von Heinz Jatho 2020 bei wbg Academic, einem Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, unter dem Titel „Wovon wir leben. Eine Philosophie der Ernährung und der Umwelt“. Die Professorin für Philosophie an der Université de Marne-La-Vallée (Université Gustave Eiffel) erhielt 2020 für ihre Bücher „Manifest für die Tiere“(2020, zuerst auf französisch 2017) und „Ethik der Wertschätzung“(2019, zuerst auf französisch 2018) den Günther Anders-Preis.
In ihrem jüngst erstmals in deutscher Sprache veröffentlichten Werk zur Philosophie der Lebensmittel unternimmt sie eine Reaktualisierung der Alteritätsphilosophie von Emmanuel Levinas. Explizit bezieht sie sich in ihrer Phänomenologie der Ernährung, welche den ersten Teil ihres Buches bildet, auf Passagen aus Levinas` erstem Hauptwerk „Totalität und Unendlichkeit“(1961). In diesem bestimmt der Philosoph den ontologischen Status von Nahrung als „Gegenstände des Genusses“, denen eine weltkonstituierende Bedeutung zukommt, die aber keinen Objektcharakter besitzen und sich auch der Intentionalität entziehen. Gegenüber egologischen Konzepten von Subjektivität sieht der Alteritätsphilosoph die soziale Beziehung zwischen den Menschen weder nach der Logik der Kausalität noch nach der Logik der Intentionalität strukturiert. Diese Ideen von Levinas rezipiert Pelluchon produktiv in „Wovon wir Leben“.
Leben bedeutet für sie nämlich „leben von“, genauer von Nahrung. In der Angewiesenheit des Menschen auf diese, also in der „Körperlichkeit des Subjekts“, erblickt Pelluchon eine Überwindung des Dualismus zwischen Natur und Kultur. Gegen René Descartes` Cogito, welche die neuzeitliche Mensch-Naturbeziehung prägte, setzt Pelluchon ein „Gourmand-Cogito“. Aus dem existenziellen Verhältnis des Menschen zur Nahrung erwachse, so argumentiert die Philosophin, bei jedem Akt des Essens eine Verantwortlichkeit gegenüber allen Lebewesen, menschlichen und nicht-menschlichen. Damit unterscheidet sich Pelluchons Ethikauffassung von der von Levinas. In dessen Alteritätsphilosophie beginnt das Ethische im Dialog von Ich und Du, genauer in der Erscheinung des Antlitzes des anderen Menschen.
Im zweiten Teil ihres Buches plädiert Pelluchon, ausgehend von den Einsichten ihrer „radikalen Phänomenologie des Fühlens“, für einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die gesamte Biosphäre zu berücksichtigen hat. Ernährungs- und umweltethische Fragen werden von ihr in weltpolitische Kontexte eingeordnet. Als engagierte Philosophin fordert sie eine „kosmopolitische Demokratie“ zur Bearbeitung der ökologischen Krise. Ob allerdings eine auf Existenzialen basierende Phänomenologie mit einem politischen Konstruktivismus argumentationslogisch vereinbar ist, wovon Pelluchon überzeugt ist, bedarf einer näheren philosophischen Prüfung. Ebenfalls kann gefragt werden, ob in Pelluchons Ausführungen zur politischen Philosophie die sozioökonomischen Machtstrukturen in neoliberal geprägten Gesellschaften nicht zu wenig Berücksichtigung erfahren. Jedenfalls demonstrieren tiefschürfende Erkenntnisse der Philosophin, insbesondere im ersten Teil des Buches, die Fruchtbarkeit phänomenologischen Philosophierens und ihres konstruktiven Beitrags zu aktuellen Fragen Angewandter Ethik. Lehrkräfte der Fächer Philosophie und Ethik werden durch die Reflexionen von Pelluchon motiviert, sich bei Fragen der Ernährungs- und Umweltethik auch mit der „Philosophie der Körperlichkeit“ auseinanderzusetzen.
Fazit: Mit ihrem Buch „Wovon wir leben. Eine Philosophie der Ernährung und Umwelt“ ist Corine Pelluchon - angesichts des Klimawandels und des Artensterbens - ein äußerst wichtiger Debattenbeitrag gelungen, der verdient nicht nur in der akademischen Philosophie, sondern auch in Politik und Gesellschaft diskutiert zu werden.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Wir werden durch die Welt der Natur ernährt: eine Existenzphilosophie für das 21. Jahrhundert
In unserem politischen System stehen der Mensch und sein Wohlergehen im Mittelpunkt. Doch angesichts des Klimawandels hat das fatale Auswirkungen. Unter Rückgriff auf die Phänomenologien von Levinas, Derrida und Ricœur entwirft Corine Pelluchon deswegen eine Existenzphilosophie, die nicht nur den Menschen, sondern auch Tierwohl, Ökologie und Umweltschutz im Blick hat.
Alles Leben ist wertvoll: ein Plädoyer für einen neuen Gesellschaftsvertrag
Leben heißt „Leben von“: eine Phänomenologie der Nahrung
Politik, Ethik und die Irrwege unserer Ernährung
Eine gemeinsame Welt aufbauen: Partizipation, Demokratie und Kultur
Denken und Handeln im Einklang mit der Natur: die Grundlagen einer neuen Existenzphilosophie
Die Wertschätzung alles Lebendigen als Chance, die Demokratie neu zu erfinden
Corine Pelluchon ist Professorin für Philosophie mit den Schwerpunkten Moralphilosophie, Politische Philosophie und angewandte Ethik. 2020 wurde sie mit dem „Günther-Anders-Preis für kritisches Denken“ ausgezeichnet, der herausragende Leistungen im Bereich philosophischer, kulturwissenschaftlicher und politischer Essayistik würdigt.
In ihrem Buch „Eine Ethik der Wertschätzung“ entwickelte sie aus Sorge um das Lebendige in Zeiten von Massentierhaltung und erschöpften Ressourcen eine universale Tugendethik. Nun folgt mit „Wovon wir leben“ das neue Werk der engagierten Denkerin - ein mutiger Entwurf für einen neuen Gesellschaftsvertrag, der allem Leben gerecht wird!
Aus dem Franz. v. Heinz Jatho unter Mitarbeit von Sophie Dahmen. 2020. 416 S. mit Bibliogr. u.Reg., 14,5 x 21,5 cm, geb. mit SU. wbg Academic, Darmstadt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 9
Die Körperlichkeit des Subjekts 10
Eine Phänomenologie der Nahrung 18
Die Existenzialanalytik revidieren. Ontologie und Politik 26
Erster Teil: Eine Phänomenologie der Nahrung 33
Kapitel 1: Leben von 35
Der Genuss 36
Das Gourmand-Cogito 42
Der Geschmack 51
Die Teezeremonie 60
Die irdische Verfasstheit (condition terrestre),
die Lokalisierung und die Geburt 64
Kapitel 2: Der Raum, das Milieu und die anderen Seienden 79
Das Geografische des Seins, die Ökumene und
das Konzept der Medianz (fudosei) 80
Wohnen, Bauen, Bewirtschaften 93
Empathie, Kommunikation mit den Tieren und Teilen der gemeinsamen Welt 114
Zoopolis und Gerechtigkeit gegenüber den Tieren 133
Die fleischliche Ernährung und die Liebe zu den Tieren 148
Kapitel 3: Irrwege der Ernährung 165
Der Hunger als Ausgangspunkt der Ethik 165
Ein Problem der Gerechtigkeit, nicht des Mangels: Der Befähigungsansatz 171
Politik und Ethik der Ernährung 176
Phänomenologie der Nahrung und der Landwirtschaft 183
Anorexie, Bulimie und Adipositas: Die schmerzhafte Oralität 188
Zweiter Teil: Eine gemeinsame Welt aufbauen 211
Kapitel 1: Ein neuer Gesellschaftsvertrag 213
Hobbes' Bestehen auf der Künstlichkeit des Vertrages oder der Gesellschaftsvertrag als Antwort auf die Gewalt 217
Der gemäßigte Liberalismus Lockes: Autonomie ohne Verschwendung und Ausbeutung 226
Der allgemeine Wille bei Rousseau und das Gefühl der Verpflichtung 239
Der Urzustand bei Rawls und der neue Gesellschaftsvertrag 252
Die Prinzipien der Gerechtigkeit als Teilen der Nahrung 273
Kapitel 2: Die Demokratie wieder aufbauen 282
Das repräsentative System vervollständigen 284
Die Hypothese einer dritten Kammer und die Rolle der Experten 289
Von der Konkurrenzdemokratie zur deliberativen Demokratie 300
Die Heterogenität des öffentlichen Raums und die Partizipation 307
Kultur und Demokratie. Die Intellektuellen, die Medien und die Schule 314
Kapitel 3: Jenseits der nationalen Grenzen 325
Im Schatten der Bombe 327
Globalisierung, Souveränität und methodologischer Kosmopolitismus 335
Das kosmopolitische Recht seit Kant 342
Globale Zivilgesellschaft und kosmopolitische Demokratie 349
Das Imaginäre, die Utopie und das Erbe der Aufklärung 354
Schluss 364
Die Erschließung des Möglichen und die Geselligkeit 365
Die Liebe zum Leben 371
Radikale Phänomenologie des Fühlens und politischer Konstruktivismus 375
Nachwort 381
Bibliografie 390
Register 408