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Tyrannei des Gelingens Plädoyer gegen marktkonformes Einheitsdenken in sozialen Arbeitsfeldern
Tyrannei des Gelingens
Plädoyer gegen marktkonformes Einheitsdenken in sozialen Arbeitsfeldern




Renate Schernus, Fritz Bremer

Paranus Verlag
EAN: 9783926200921 (ISBN: 3-926200-92-8)
196 Seiten, paperback, 15 x 21cm, 2007

EUR 16,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die „Soltauer Impulse zu Sozialpolitik und Ethik“ haben seit 2004 einige Aufmerksamkeit erfahren. Sie stellen Fragen zum Zusammenhang von Ethik, Fachlichkeit und zunehmender Ökonomisierung aller Lebensfelder, insbesondere auch der Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen.

Renate Schernus und Fritz Bremer haben diese Impulse mitinitiiert. Ihre in diesem Buch dokumentierten Analysen fordern: Das Soziale darf nicht vorrangig als Belastungsfaktor für die Wirtschaft verstanden werden, sondern bleibt ein bedeutsamer Wert für die Kultur einer Gesellschaft. Dabei setzen sie drei Schwerpunkte:

– Raum und Zeit für Menschen – Sozialzeit statt Bürozeit

– Einseitige Menschenbilder – irreführendes Denken – fragwürdiges Handeln

– Soziale Kultur statt Marktkonformität – Not macht erfinderisch, aber nicht alles mit



Dieses Buch will dazu beitragen, dass die derzeit verschobenen Prioritäten nicht als unausweichlich angesehen werden. Es zeigt, dass und wie die verschleierten Wirkkräfte einer „Tyrannei des Gelingens“ die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer spalten und dass dies nicht widerspruchslos hingenommen werden sollte.
Rezension
Wir haben es nicht nur mit Globalisierung zu tun, wir haben es auch seit Jahrzehnten bereits mit zunehmender Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu tun, insbesondere auch der Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen. Da wimmelt es nur so von Ansätzen und Buchtiteln, die caritative, diakonische und gemeinnützige Sozialeinrichtungen unter Management-Standards marktkonform führen wollen und das bedeutet: rationalisieren und Rendite-fähig machen. Dieses Buch stellt demgegenüber ein klares Plädoyer dar: Das Soziale darf nicht vorrangig als Belastungsfaktor für die Wirtschaft verstanden werden, sondern bleibt ein bedeutsamer Wert für die Kultur einer Gesellschaft. Das geschieht in drei Schwerpunkten/Kapiteln: a) Es muss Raum und Zeit für Menschen und das Menschliche bleiben im Sozial- und Gesundheitswesen. b) Einseitige Menschenbilder, ausgerichtet auf Leistungsfähigkeit, Wertschöpfung, ökonomische Potenz etc., müssen kritisert werden. c) Gesellschaftliche Kultur bedeutet mehr als nur Marktkonformität, Ökonomität und Profitwirtschaft.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Die Autorin und der Autor

Renate Schernus, Jg. 1942, Psychotherapeutin, langjährig leitend tätig in den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, seit 1992 Redaktionsmitglied der „Sozialpsychiatrischen Informationen“, zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Die Kunst des Indirekten – Plädoyer gegen den Machbarkeitswahn in Psychiatrie und Gesellschaft“, Paranus Verlag, 2000 und „Hausärztin im Kiez – Porträt der Anna B.“, Psychiatrie-Verlag, 2002.

Fritz Bremer, Jg. 1954, ist Diplompädagoge und arbeitet seit Mitte der 70er Jahre in sozialpädagogischen und sozialpsychiatrischen Einrichtungen. Er gründete 1985 mit Henning Poersel den „Brückenschlag – Zeitschrift für Sozialpsychiatrie, Literatur, Kunst” und später den Paranus Verlag. Zahlreiche Veröffentlichungen, u. a. „In allen Lüften hallt es wie Geschrei – Jakob van Hoddis, Fragmente einer Biografie“, Paranus Verlag, 2001. Heute ist er (Mit)Geschäftsführer der Brücke Neumünster gGmbH.
Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Inhaltsverzeichnis
7 Renate Schernus und Fritz Bremer: Dann und wann etwas riskieren ...

I. Raum und Zeit für Menschen - Sozialzeit statt Bürozeit

13 Fritz Bremer: Auf Umwegen besser zum Ziel? -
Wider die Ökonomisierung der Arbeit mit (psychisch) kranken und behinderten Menschen

23 Renate Schernus: Wie viel Qualitätsmanagement verträgt der Mensch? - Qualität im Strudel der Begriffsverwirrung

32 Renate Schernus: Sichert Dokumentation die Qualität der Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen? - Skepsis als vorläufige Zwischenlösung

41 Renate Schernus: Beziehungsgestaltung am Beispiel psychiatrischer Arbeit - ethische Aspekte

II. Einseitige Menschenbilder - irreführendes Denken - fragwürdiges Handeln

59 Renate Schernus: Lohnt sich das noch? - Die Arbeit mit schwer beeinträchtigten und dementen alten Menschen

82 Renate Schernus: Tyrannei des Gelingens - Ermutigung zur glücklichen Unvollkommenheit

99 Renate Schernus: Vom Unterschied zwischen »Etwas« und
»Jemandem« - Anmerkung zu Fragestellungen aus dem Bereich der Eugenik

III. Soziale Kultur statt Marktkonformität -Not macht erfinderisch, aber nicht alles mit

113 Fritz Bremer: Wiederkehr der Machtfrage? - Fragmentarische Gedanken zur Ökonomisierung des Sozialen und zur schleichenden Herstellung des Ausnahmezustandes

130 Renate Schernus: Reformkonzepte im Sog veränderter Kontexte - Suche nach neuer Balance

148 Fritz Bremer: Gemeinwesenarbeit und Gemeinwohlorientierung statt Ausgrenzung und Vernachlässigung

159 Renate Schernus: Kiesel für Davids Schleuder - Soltauer Impulse: wie es dazu kam und was daraus werden kann

Anhang/Dokumentation

177 1940/41: »Die bisher geleistete Arbeit der Aktion« (Sachbearbeiter E. Brandt)
178 1997: Ver-rückte Ethik - Klammheimliche Verrückung der Werte (Fritz Bremer)
186 2004: Soltauer Impulse zu Sozialpolitik und Ethik am Beispiel psychiatrischer Arbeitsfelder

Leseprobe:

Bei allem tastenden Suchen, bei aller Unsicherheit – für eins behaupten wir ein sicheres Gespür zu haben: Alle Menschen, gesunde und kranke, behinderte und nicht behinderte, alte und junge, arme und reiche, brauchen Raum und Zeit; Raum und Zeit für Beziehungen, Raum und Zeit, in denen Respekt und Aufmerksamkeit eine Rolle spielen. Daraus muss sich jedes unterstützende, heilende, begleitende, manchmal auch eingreifende, Grenzen setzende oder Anstoß gebende Handeln ableiten. Die kranken, die behinderten, die alten und die armen Menschen brauchen allerdings mehr und nicht weniger davon. Ein „Weniger“ und schließlich ein „Zu wenig“ führt zum Ausschluss und für Mitarbeiter/innen in sozialen Arbeitsfeldern schließlich zu Verwaltung und Organisation von ausschließenden Systemen. Darüber können all die schönen „Plastikwörter“ von Qualitätssicherung bis zur Kundenorientierung nicht hinwegtäuschen. Dass wir hier Gefährdungen sehen, die nicht nur von den (angeblich oder tatsächlich) fehlenden finanziellen Mitteln herrühren, genau dies ist es, was uns zum Nachdenken antreibt, was als Motivation hinter diesem Buch steht.

(Aus der Einleitung des Buches)