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Rechtsextremismus – Zur Genese und Durchsetzung eines Konzepts
Rechtsextremismus – Zur Genese und Durchsetzung eines Konzepts




Marc Grimm

Beltz Verlag , Juventa
EAN: 9783779938477 (ISBN: 3-7799-3847-2)
262 Seiten, paperback, 15 x 23cm, September, 2018

EUR 29,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Die Rechtsextremismusforschung hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten als eigenständiger Forschungsbereich etabliert. Eine Reflexion der Geschichte des Konzepts »Rechtsextremismus« steht hingegen aus. Der Band expliziert diese konfliktreiche Geschichte, zeichnet Entwicklungs- und Konfliktlinien der Rechtsextremismusforschung in der Bundesrepublik nach und rückt so die Rechtsextremismusforschung selbst in den Fokus: ihre Begriffe, Methoden und impliziten Setzungen sowie die Spannungen und divergierenden Interessen, die sich bei Etablierung des Konzepts zwischen (Sicherheits-)Behörden, Wissenschaft und parteipolitischen Akteuren identifizieren lassen.
Rezension
Die Rechtsextremismusforschung, deren Entstehungsgeschichte dieser Band aufarbeitet, ist sich keineswegs einig. Die verschiedenen Standpunkte lassen sich mit den Namen Eckhard Jesse und Uwe Backes einerseits und Richard Stöss andererseits umreißen, die als Kontrahenten in der Debatte um das Extremismuskonzept begriffen werden können. Jesse und Backes (und das an der TU Dresden angesiedelte Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung) sind Verteidiger und Vertreter der Extremismustheorie, Stöss ist deren Kritiker. Für die Extremismusforschung ist der Gegensatz zwischen extremistisch und demokratisch entscheidend, Extremismusforschung sei zugleich auch Demokratieforschung. Für Stöss hingegen ist die Extremismustheorie unbrauchbar; denn sie bezeichne Extremismus als Gegenteil der Demokratie und unterschlage dabei, dass extremistisches Gedankengut auch in der Mitte einer demokratischen Gesellschaft existieren kann. Die vorliegende Arbeit legt dar, dass der Konflikt zwischen den Positionen schon weitaus länger besteht. An die Stelle der längst zu Phrasen geronnenen Affirmation und Ablehnung des Konzepts will die Arbeit ein historisches Verständnis von dessen Genese sstzen. Die Untersuchung der prozesshaften Konstitution des Konzepts Rechtsextremismus erlaubt zu rekonstruieren, auf welche Weise (erfolgreiche) politische Strategien das Rechtsextremismuskonzept konturieren. Vor allem ermöglicht die genetische Betrachtung zu erklären, warum heute eine erstaunliche Unklarheit über grundlegende Aspekte der Rechtsextremismusforschung herrscht.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagwörter:
Rechtspopulismus | Erziehungswissenschaft | Soziologie | Extremismus | Verfassung
Kategorien:
Erziehungs- und Sozialwissenschaften
Erziehungswissenschaft
Soziologie
Sozialpädagogik / Soziale Arbeit
Gesellschaft


Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 8

2. Forschungsstand und Methodik 29

2.1 Zur Historiographie der Rechtsextremismusforschung 29
2.2 Elemente einer genetisch-reflexiven Aufklärung der Rechtsextremismusforschung 38
2.2.1 Historiographische Diskursanalyse als Gesellschaftskritik. Eine Standortbestimmung 39
2.2.2 Der Kampf um Begriffe als Ausdruck des Kampfes um kulturelle Hegemonie 43

3. Demokratisierung und Renazifizierung. Kontinuitäten und Brüche im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik Deutschland 53

3.1 Das Verhältnis von Entnazifizierungspolitik und Schuldabwehr 55
3.2 Die Soziale Marktwirtschaft als wirtschaftsnationalistisches Ideologem 59
3.3 Die (Durch-)Setzung vergangenheitspolitischer Normen 65
3.4 Die bundesdeutsche Gesellschaft im Wandel: Entwicklungsprozesse zwischen 1967 und 1980 73
3.4.1 Gesellschaftlich-politische und ökonomische Entwicklungslinien 74
3.4.1.1 Formierte Gesellschaft und gesellschaftliche Liberalisierungstendenzen 74
3.4.1.2 Ökonomische Krise und politische Polarisierung 77
3.4.1.3 Die politische Treuepflicht und die Grenzen gesellschaftlicher Liberalisierung 82
3.4.2 Vergangenheitspolitische Modernisierung 87
3.4.2.1 Der Fall Harlan gegen Lüth, oder: Die Sorge um das deutsche Ansehen im Ausland 88
3.4.2.2 Diplomatische Interventionen gegen die künstlerische Verarbeitung des Nationalsozialismus 91
3.4.2.3 Die Wiederkehr der verdrängten Vergangenheit 94

4. Die juristisch-politische Setzung und Normierung des Extremismus 98

4.1 Vom Gesetz gegen die Feinde der Demokratie zum Staatsschutz 99
4.1.1 Das erste Strafrechtsänderungsgesetz 101
4.1.2 Ein Vergleich des Gesetzes gegen die Feinde der Demokratie und des ersten Strafrechtsänderungsgesetzes 107
4.2 Das Grundgesetz und das Parteiverbotsurteil gegen die SRP 111
4.2.1 Das bundesdeutsche Narrativ des Untergangs der Weimarer Republik 112
4.2.2 Das Grundgesetz als Antwort auf die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus 116
4.2.3 Der Braunschweiger Remer-Prozess als Vorgeschichte des Verbots der SRP 120
4.2.3.1 Der Umgang der Regierung Adenauer mit der SRP 122
4.2.3.2 Die Produktion wirkmächtiger Geschichtsbilder 126
4.2.3.3 Politische Justiz und streitbare Demokratie 128
4.2.4 Konkretion der fdGO im Verbotsurteil gegen die SRP 131
4.3 Die Militant Democracy und die Normsetzung in den Grundgesetzkommentaren 146
4.3.1 Das Konzept Militant Democracy 146
4.3.2 Die streitbare Demokratie in der Rechtspraxis 149
4.3.3 Zur Legitimation der Grundrechtsverwirkung 153

5. Idee und Praxis des Verfassungsschutzes 161

5.1 Verfassungsschutz als Geheimdienstarbeit 161
5.1.1 Die Gründung des Bundesamtes für Verfassungsschutz 161
5.1.2 Das Verhältnis von fdGO und streitbarer Demokratie 163
5.2 Verfassungsschutz als Öffentlichkeitsarbeit 170
5.2.1 Die Ausweitung der Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes 171
5.2.2 Die Verfassungsschutzberichte als politische Waffe 172
5.3 Der Einfluss der Ämter für Verfassungsschutz auf das Konzept Rechtsextremismus 174
5.3.1 Extremismus und Radikalismus als Arbeitsbegriffe des Verfassungsschutzes 176
5.3.2 Systematisierung und Vereinheitlichung der Begriffe Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus 177
5.3.3 Positiver Verfassungsschutz 182

6. Das Rechtsextremismuskonzept in der Sozialwissenschaft 186

6.1 Paradigmenerweiterung der Sozialforschung 187
6.1.1 Verdrängung der Vergangenheit in der Soziologie 187
6.1.2 Emigrantenwissenschaft Politikwissenschaft 190
6.1.3 Totalitarismustheorie und Geschichtswissenschaft 191
6.2 Diskursfeld Rechtsextremismusforschung 197
6.2.1 Forschung zur Kontinuität von Mentalitäten und Ideologemen 199
6.2.2 Systematisierung der Begriffe durch parteinahe Wissenschaft 203
6.2.3 Konzeptionen des Rechtsextremismus – ein Dialog von Wissenschaft, Innenministerium und Sicherheitsbehörden 212
6.2.4 Der Kampf um die Operationalisierung des Rechtsextremismus als Kampf um die politische Mitte 216
6.2.4.1 Von manifestem Verhalten zur Einstellungsdimension 217
6.2.4.2 Die Konturierung des Rechtsextremismus in der Meinungsforschung 219

7. Fazit 235

Literaturverzeichnis 242