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Philosophie der Lebensführung Ethisches Denken zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus
Philosophie der Lebensführung
Ethisches Denken zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus




René Weiland

Transcript
EAN: 9783837636321 (ISBN: 3-8376-3632-1)
236 Seiten, paperback, 15 x 23cm, 2016

EUR 29,99
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Existenzphilosophie fragt nach dem Sinn menschlichen Lebens. Für den Konstruktivismus ist diese Frage schon beantwortet, ja, sinnlos: Für ihn ist die Wirklichkeit des Einzelnen ohnehin die ganze Wirklichkeit – es gibt keine »Objektivität«. So fremd sich beide Denkweisen also gegenüberstehen, so nahe sind sie sich in ihrer radikalen Subjektivität. René Weiland nimmt diese fremde Nähe in den Blick, indem er sich von der Kategorie der Innen-Außen-Differenz als eines Schaltbegriffs leiten lässt, der beide Denkweisen untergründig miteinander verbindet: als Nahtstelle alles Systemischen wie als Nadelöhr unserer Individuationen. Ein Buch für Philosophen und Psychologen – und für Resilienz-Forscher.

René Weiland, geb. 1957, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Philosophie in Berlin. Als freier Autor publiziert er zu Existenzphilosophie, Philosophischer Anthropologie, Philosophie des Politischen sowie Ethik. Er lebt in Berlin.
Rezension
Existentialismus und Konstruktivismus scheinen zunächst wenig Gemeinsamkeiten aufzuweisen; fragt doch die Existenzphilosophie nach dem Sinn des Lebens, während der Konstruktivismus solchen Sinn negiert. Einig aber sind sich beide in ihrer radikalen Subjektivität. Existenzphilosophie betont, dass wir nicht über die Bedingungen unserer Existenz verfügen; wir können immer nur auf diese antworten. Damit wendet sich der Autor gegen die konstruktivistische Vorstellung, wir selber würden uns und unsere Realität erzeugen; es gibt eine Wirklichkeit: als Widerstand unserer Existenzbedingungen! Hoffnung, Begehren lassen uns immer außerhalb von uns sein. Wir nehmen die Differenz von Innen und Außen als Bedingung unseres Lebens an. Das heißt, wir erfahren uns nur insoweit als frei, wie wir uns in unfreien Verhältnissen wissen. Erst unsere Freiheit öffnet unsere Augen für unsere Unfreiheiten, lässt uns diese angehen. Dieses Buch diskutiert ethisches Denken mithin zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus (Untertitel).

Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagworte:
Existenzphilosophie, Konstruktivismus, Innen-Außen, Karl Jaspers, Objektivität, Subjektivität, Individuation, Ethik, Lebenskunst, Psychologie, Philosophiegeschichte, Philosophie

Adressaten:
Philosophie, Psychologie, Resilienz-Forschung

Autoreninterview
... mit René Weiland

1. Warum ein Buch zu diesem Thema?
Das Buch formuliert einen existenzphilosophischen Einwand. Danach ist Philosophie weniger eine Wissenschaft als ein Medium, das uns dabei hilft, unser Gleichgewicht zu finden. Sie erinnert uns daran, dass wir nicht über die Bedingungen unserer Existenz verfügen. Wir können immer nur auf diese antworten. Hierin besteht, paradoxerweise, unsere Freiheit: Je mehr ich mich in meiner Fremdbestimmtheit, in meiner anfänglichen Verspätung annehme, desto freier und zugleich realitätstüchtiger wird sich mein Ich aufbauen.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Die Perspektiven, die es eröffnet, sind diejenigen, die in ihm selber wirken: die der Differenz von Innen und Außen. Diese steckt nicht nur in unserem Verhältnis zur äußeren Wirklichkeit, sondern auch zu uns selber. Wenn ich per Ultraschall in mein Inneres blicke, so ist das, was ich sehe, mir durchaus fremd und äußerlich, wenn nicht bedrohlich. Andererseits kann mir in Form einer Landschaft oder einer menschlichen Begegnung etwas entgegentreten, was mir auf unerklärliche Weise vorvertraut ist. D.h., die Differenz von Innen und Außen setzt sich im Außen wie in unserem Innern fort. Wir kommen nirgends, nicht einmal bei uns, an. Andererseits sind wir erst in diesem Bewusstsein ›bei‹ uns.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Ich richte mich, wie gesagt, gegen die szientifische Selbstreduzierung von Philosophie, aber auch gegen die komplementäre konstruktivistische Vorstellung, wir selber würden uns und unsere Realität(en) erzeugen. Sicher, Realität ist nicht schon vorfindbar – weder durch Sprache abbild-, noch per Denken referierbar. Und doch gibt es eine Wirklichkeit: als Widerstand, eben als Heteronomie unserer Existenzbedingungen. Dazu gehört, dass ich mich und einen Kontext vorfinden muss, bevor ich mich und eine Welt entwerfen kann.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Mit allen, die, aller Bildung, allem Wissen zum Trotz, ›naiv‹ denken.

5. Ihr Buch in einem Satz:
... einer Frage: Wie komme ich durch die Differenz von Innen und Außen, die mich bestimmt, auf eigene, meine Weise hindurch?
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Das Nadelöhr-Prinzip | 9

Innen und Außen | 9
Wirklichkeit als Widerstand | 11
Ichstärke | 12
Essayismus als Methode | 14

I Eine Kybernetik menschlichen Werdens? | 17

Regel und Regler | 17
Von der Maschinen-Metapher zur Sprache der Existenz | 20
Doppelaspekt und objektives Selbst | 23
Innere Freiheit | 27
Selbstorganisation als existenzielle Haltung | 29

II Denken und Lernen | 33

Vorzeitigkeit des Denkens und Verspätung des Denkenden | 33
Doppelte Anpassung | 36
Unfreiwillige Freiwilligkeit | 38
Die Lücke und der natürliche Weltbegriff | 41
III Das Dritte des Denkens | 45
Selbstkontinuität und Differenzverarbeitung | 45
Erkennen und Verstehen | 48
Autopoiesis oder Die offene Frage der Wirklichkeit | 51

IV Die Gunst der Störung und die Einheit der Person | 55

Strukturelle Kopplung, natürliches Driften und die spekulative Funktion des Denkens | 55
Die Suche nach der wahren Physik | 57
Negative Entropie | 60
Freies Handeln und Einheit des Bewusstseins | 62

V Verspätung des Denkens und philosophische Radikalität | 65

Das existenzphilosophische Paradigma | 65
Vor der Grenze, nach dem Sprung | 67
Lebensform und Selbstausdruck | 70
Identität und Kontextualisierung | 72
Augenblick und Paradox | 75
Wir Monaden: Selbstkonstruktion aus der Selbstunterscheidung | 76
Eine Echtzeittheorie des Gehirns? | 78
Das radikalkonstruktivistische Paradigma und die Naivität der Philosophie | 81

VI Der Gedanke des Ganzen und das Bewusstsein der Spaltung | 85

Das hinzugedachte Ganze und das Umgreifende | 85
Zweckrationalität und Metakontext | 88
Wirklichkeit als Widerstand 2 | 91
Das sich selbst unterbrechende Denken und Sprache als Verbindendes von Innen und Außen | 93
Inneres und kommunikatives Handeln | 96

VII Objektivität der Erfahrung und Unumgänglichkeit des Irrtums | 99

Bipolarität | 99
Wahrnehmende Selbstverantwortung, »Objektivität der Erfahrung« und »Schlüssel ohne Schloss« | 102
Realismus der »wirklichen Variationen« | 105
Exzentrizität und Integrität | 107
Mitwahrnehmung und innere Dezentrierung | 110
Sich – dem Umgreifenden – öffnen | 113
Zwang in Bedürfnis verwandeln | 116

VIII Denken als angewandte Weltlosigkeit | 119

Empirisches und philosophisches Ich | 119
Philosophische Intuition 1: Diskrepanz und Grundform | 122
Philosophische Intuition 2: Pseudophilosophie | 125
Bedeutung und Ausdruck | 127
Unterschied: Information; Identität: Zeit | 129
Teilhabe durch Selbstabstand | 131

IX Transzendenz der Selbstwahl | 133

Freies Wollen und transzendentes Müssen | 133
Im Selbstdurchgang zur Zeitgenossenschaft | 135
Individuation und Unendlichkeit: Ordo Amoris | 138
Die notwendige Illusion der Wahlfreiheit | 141

X Die Freiheit angesichts ihrer Grenzen und Selbstmissverständnisse | 145

Wirklichkeit als Widerstand 3 | 145
Grenzen der Viabilität – Perspektiven der Enge | 148
Der Mythos der Macht und der Ernstfall der Freiheit | 151
Erhellte Unfreiheit oder Das Eingesetztsein der Freiheit | 154

XI Diskrepanzbewusstsein | 159

Das nicht selbstverständliche Selbstverständliche | 159
Die Moral angesichts der Innen-Außen-Differenz | 161
Das abwesende Gute und das sich wiederfindende Vertrauen | 163
Das mir selbst gegebene Versprechen und das Gefühl von Kohärenz | 166
Die Lehre der Empfindung und das Korrektiv des Gewissens | 169
Doppelte Kontingenz | 172

XII Metaphysischer und trivialer Realismus | 175

Selbstausdruck und -begegnung | 175
Zweierlei Haltung, zweierlei Wirklichkeit | 177
Die Gefahr der schönen Empfindung | 180
In der Welt sein: in Sprache sein | 184
Durchdrungenheit und Differenzverkleinerung | 185
Selbstdistante Rationalität | 188
Asynchrone Verbundenheit | 190

XIII Einsamkeit und Kommunikation | 195

Sich Sinn öffnen: sich Zeit verschaffen | 195
Realismus der »wirklichen Variationen« 2 | 197
Kritik der Intersubjektivität | 200
Wo Sprache nicht verbindet: Wahn und Totalisierung | 202
Der Existenzialismus des radikalen Konstruktivismus und der radikale Konstruktivismus des Existenzialismus | 205

XIV Die Lektion der Differenz | 209

Der Zwang zum Denken | 209
Fremd- und Selbsterkenntnis | 212
Schmerz und Koexistenz | 215
Das Visionäre der Liebe | 219
Die verschlossene Pforte: Entropieverzögerung und Futur II | 221

Literatur | 225
Danksagung | 233