„Pflaumenregen“ lautet der Titel des neuen Romans von Stephan Thome (*1972). Erschienen ist er - wie fast alle anderen Bücher des Schriftstellers - im Suhrkamp Verlag. Bekanntheit erlangte der Autor durch seine für den Deutschen Buchpreis nominierten Werke „Grenzgang“(2009), „Fliehkräfte“(2012) und „Gott der Barbaren“(2018). Thome, der nach dem Studium der Philosophie, Sinologie und Religionswissenschaft mit der Arbeit „Interkulturelle Hermeneutik und die Herausforderung des Fremden“ promoviert wurde, lebt in Taipeh. Dort befindet sich auch der Regierungssitz der Republik China (Taiwan), einer seit 1996 bestehenden aber durch geopolitische Ambitionen Chinas bedrohten Demokratie. In Taipeh arbeitete und forschte Thome bereits von 2005 bis 2011 an der Academia Sinica. Dass er ein Experte für die Geschichte und Kultur Taiwans ist, davon kann sich jeder überzeugen, der seinen neuen Roman liest.
Dieser spielt in Taiwan zunächst am Beginn der 1940er Jahre, also gegen Ende der japanischen Kolonialherrschaft. Thome schildert ausführlich die gebrochene Geschichte einer taiwanischen Familie von dieser Zeit bis zur Gegenwart, unter Berücksichtigung von das kollektive Gedächtnis der Bewohner:innen Taiwans prägenden Ereignissen. Dazu gehört zweifelsohne das „228-Massaker“, bei dem das chinesische Militär bis zu 28.000 Taiwanes:innen tötete. Durch eine geschickte Komposition von Quellen und Fiktionen gelingt es dem Schriftsteller in seinem Werk sehr gut, Leser:innen in die taiwanische Geschichte und Kultur zu entführen sowie für den Konflikt Taiwans mit der chinesischen Regierung zu sensibilisieren, welche die Insel als zugehörig zum chinesischen Staatsgebiet ansieht und immer wieder mit Invasion droht, obwohl sie niemals Teil der Volksrepublik war. Zudem regt Thomes großartiges Buch zu eigenen Reflexionen über Heimat und Identität an. M.E. verdient der Autor mit „Pflaumenregen“ wieder eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis, der ihm dieses Mal zuteilwerden möge. Geschichtslehrkräfte werden durch den Roman motiviert, sich in ihrem Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt, mit der komplexen Geschichte Taiwans auseinanderzusetzen.
Fazit: Stephan Thomes neues Werk „Pflaumenregen“ beleuchtet literarisch gekonnt anhand der Geschichte einer taiwanischen Familie Fragen interkultureller Identität. Außerdem erinnert das Buch an die alte historische Weisheit, dass es ohne Kenntnis der Vergangenheit nicht möglich ist, die Gegenwart und die Zukunft zu verstehen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de

Stephan Thome
Pflaumenregen
Roman
Taiwan in den 1940er Jahren, am Ende der japanischen Kolonialzeit. Während der Pazifische Krieg unaufhaltsam näher rückt, wächst die achtjährige Umeko behütet in einer Kleinstadt im Norden der Insel auf. Sie ist stolz auf ihr gutes Japanisch und himmelt ihren älteren Bruder an, der der Star des örtlichen Baseballteams ist. Als die Armee jedoch am Ortsrand ein Lager für ausländische Kriegsgefangene einrichtet, gerät ihr Leben in einen Strudel aus Schuld und Verbrechen, der die Familie siebzig Jahre später immer noch gefangen hält.
Stephan Thomes neuer Roman ist eine Liebeserklärung an seine Wahlheimat Taiwan und den zähen Überlebenswillen ihrer Bewohner. Pflaumenregen entfaltet ein berührendes historisches Panorama, in dessen Zentrum eine familiäre Tragödie steht. Gleichzeitig zielen die darin aufgeworfenen Fragen auf unsere eigene zerrissene Gegenwart: Was stiftet Zugehörigkeit, wenn persönliche und nationale Identität viel weniger eindeutig sind, als wir glauben? Wie viel wissen wir von denen, die uns am nächsten stehen? Was wissen wir wirklich über uns selbst?