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Nicu & Jess
Nicu & Jess




Sarah Crossan, Brian Conaghan

mixtvision Verlag
EAN: 9783958541061 (ISBN: 3-9585410-6-2)
330 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, März, 2018

EUR 16,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Eine Geschichte, die man niemals vergessen wird



Jess und Nicu lernen sich beim Müllaufsammeln im Park kennen. Auf den ersten Blick ein ungleiches Paar, entwickelt sich ihre Freundschaft bald zu einer zarten Liebe. Als die Situation bei Jess zu Hause immer schlimmer wird und auch Nicus Zukunft in England bedroht ist, laufen sie davon. Doch dann trifft Nicu eine folgenschwere Entscheidung …



Sarah Crossan und Brian Conaghan erzählen eine herzzerreißende Geschichte aus zwei Perspektiven – über eine verbotene Liebe und davon, sich in Menschen hineinzuversetzen, die anders sind als man selbst.
Rezension
Ich liebe die Jugendbücher von Sarah Crossan, die stets durch ihren leicht lesbaren kurzweiligen Schreibstil mit wenigen Wörtern pro Zeile und ihre modernen, aktuellen, problemorientierten Themen besticht. Nicu und Jess schrieb Sarah Crossan zusammen mit Brian Conaghan. Das Buch wird abwechselnd aus der Perspektive von Jess und von Nicu geschrieben. Beide treffen sich bei Sozialstunden, die sie wegen Diebstahls ableisten müssen. Beide gaben nicht das gesellschaftliche große Los gezogen und wachsen in schwierigen Familienverhältnissen auf. Nicu, der gerade erst nach Deutschland gekommen ist, damit seine Eltern genug Geld verdienen können, um Nicu gegen seinen Willen verheiraten zu können, kommt ursprünglich aus einem armen Dorf in Rumänien, in dem die Menschen noch auf Eseln reiten, weil sie sich ein Auto nicht leisten können. Er hat ein gutes Moralverständnis und will eigentlich nicht klauen oder gegen die Regeln verstoßen, tut es aber doch öfter, um Jess zu gefallen. Jess lebt mit ihrer Mutter und deren Freund Terry in einem Mehrfamilienhaus. Ihr älterer Bruder Liam ist von zu Hause weggelaufen und schließlich mit seiner Freundin zusammen in eine Sozialwohnung gezogen. Sie bekommen ein Kind, wollen ihr eigenes Leben starten, in dem für Jess kein Platz ist. Jess erlebt unterdessen zuhause Schikanen, die ihr alkoholsüchtiger "Stiefvater" ihrer Mutter gegenüber ausübt, wann immer er schlecht gelaunt ist. Er schlägt die Mutter regelmäßig bewusstlos, lässt sie mit der Zahnbürste das Klo putzen und stets lässt er Jess all dies filmen, um so für beide noch mehr Demütigung zu bereiten. Die Leser verstehen schnell, warum Jess so geworden ist, wie sie ist: kühl, rücksichtslos, respektlos, mit Schimpfwörtern um sich werfend ohne wirklich echte Freunde und ohne Vertrauen in die Sozialarbeiterin. Jess versucht durchzukommen. Dabei nimmt sie anfangs in Kauf, dass Nicu, zu dem sie nach und nach eine Verbindung aufbaut, ihm mit der Sprache hilft und Zeit mit ihm verbringt, von Mitschülern und Lehrern gleichermaßen geschlagen, schikaniert und gedemütigt wird. Nicu, der noch kaum Deutsch kann spricht in seinen Kapiteln in einer unsagbar komischen, aber auch traurigen Sprache, baut neue Wörter zusammen, was zeigt, dass er eigentlich an eine sehr melodische, an Metaphern reiche Sprache gewöhnt ist und ihm die Möglichkeit fehlt, diese anzuwenden. Mit wenigen Worten gelingt es dem Autorenteam den Blick eines Zuwanderers auf seine Umwelt hervorragend aufzuzeichnen. Obgleich die Geschichte in England spielt, könnte sie ebenso in jedem anderen Land spielen.
Beim Lesen fragt sich der gut situierte in einer sicheren Familie aufwachsende Jugendliche vielleicht, warum Jess, Nicu und die anderen Dinge ohne Wert stehlen wie Lippgloss oder Kaugummi. Man fragt sich, warum Jess nicht Terrys Handy nimmt und damit zur Polizei rennt, man wundert sich, warum sie auch noch filmt, wie ihre Mutter geschlagen wird und den Lehrern nichts erzählt. Die Antwort ist dann aber eindeutig: sie hat grundlegend das Vertrauen in Erwachsene verloren, sie sieht außer der Flucht keine Chance, dass ihr irgendwer zu Hilfe kommt. Selbst Nicu scheint zwar empört, nimmt es aber als gegeben, als Jess ihm von Terrys Schikanen und seinen Annäherungsversuchen ihr gegenüber berichtet. Dabei müsste er sofort zur Polizei oder zu den Jugendbetreuern rennen und ihnen von all dem erzählen. Doch auch er erlebt täglich Demütigungen mitten in der Öffentlichkeit.

Das Buch hat kein Happy End. Vermutlich ist es das, was am Ende einen schlechten Nachgeschmack hinterlässt. Es gibt nicht wirklich Hoffnung und viele, viele Fragen rund um die Zukunft der beiden bleiben offen, oder aber die absehbare Zukunft ist keine, die wir Leser wahr haben wollen.

Das Buch ist vielleicht gerade darum ein ganz wichtiges Puzzleteil in der Erziehung Jugendlicher und sollte als Klassenlektüre in der Mittelstufe verbindlich gelesen werden. Dadurch, dass der Text kurz ist, spricht es auch Schüler mit einer Abneigung gegen das Lesen an, ermöglicht auch ihnen, vor der Klasse vorzulesen. Vor allem aber bietet es unsagbar viel Gesprächsstoff rund um Benachteiligung, Integration, Gewalt zu Hause, Zwangsverheiratung, Diebstahl und wahre Freundschaft, falsche Freundschaft, Sozialstunden und Schuld. Wieviel wertvoller ist ein solches Buch für Schüler der Mittelstufe verglichen mit so manchem Klassiker, den man lesen musste, ohne viel mitzunehmen....

Ina Lussnig, Lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Sarah Crossan wuchs in Irland und England auf. Vor ihrer Ausbildung zur Lehrerin für Englisch und Theater in Cambridge studierte sie Philosophie und Literatur. Seit ihrem Abschluss kümmert sie sich um die Förderung von kreativem Schreiben an Schulen. Für ihre Werke wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit der renommierten Carnegie Medal. Bereits zweifach war sie für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Sarah wohnt mit ihrer Familie in Hertfordshire.

Brian Conaghan wurde in Schottland geboren und machte seinen Master of Letters in Kreativem Schreiben an der Universität von Glasgow. Viele Jahre lang arbeitete er als Lehrer und hat in Schottland, Irland und Italien unterrichtet. Für seine Werke war er für mehrere renommierte Preise nominiert. Brian Conaghan lebt in Dublin.


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Zusammenarbeit zweier brillianter Autoren

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