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Neue Sachlichkeit Deutschland - 1920er Jahre - August Sander
Neue Sachlichkeit
Deutschland - 1920er Jahre - August Sander




Angela Lampe (Hrsg.)

Schirmer-Mosel
EAN: 9783829609449 (ISBN: 3-8296-0944-2)
320 Seiten, hardcover, 23 x 30cm, Mai, 2022

EUR 78,00
alle Angaben ohne Gewähr

Rezension
Der Fotokünstler August Sander (1876-1954) erfährt zur Zeit in Europa eine Renaissance. Davon zeugt die überaus sehenswerte Ausstellung „Allemagne / Années 1920 / Nouvelle Objectivité / August Sander“. Besucht werden kann die von Angela Lampe und Florian Ebner kuratierte Pariser Schau vom 11.5. bis zum 5.9.2022 im Centre Pompidou, Musée national d`art moderne, Galerie 1. Danach wandert sie ins Lousiana Museum of Modern Art in Humlebɶk (Dänemark), wo ihre Werke vom 13.10.2022 bis zum 19.2.2023 bestaunt werden können. Schon jetzt gilt die Pariser Ausstellung als ein europäisches Kunst-Highlight des Jahres 2022.
Mit ihr wird die doppelte Intention verfolgt, zum einen die Neue Sachlichkeit, die prägende Kunstrichtung der Weimarer Republik, und zum anderen einen ihrer Hauptvertreter, den Fotographen Sander, zu würdigen. Jüngst ist von dem Meister der „vergleichenden Photographie“(Alfred Döblin) im renommierten Kunstverlag Schirmer/Mosel der voluminöse einbändige Band seines Jahrhundertwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ wieder aufgelegt worden. Das Portraitwerk zur Gesellschaftstypologie der Weimarer Republik umfasst zunächst eine „Stammappe“ mit Menschentypen, die einen unterschiedlichen Weltzugang besitzen, und dann nach sieben Gruppen geordnete Fotographien. Insbesondere aus den Gruppen „Der Handwerker“, „Die Frau“ und „Die Großstadt“ wurden für die Pariser Ausstellung beeindruckende Aufnahmen ausgewählt. In ihr treten diese in einen fruchtbaren Dialog mit anderen Kunstwerken der Neuen Sachlichkeit. So wird aus Sanders monumentalem Kulturwerk beispielsweise seine Fotographie „Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln“(1931) kombiniert mit Otto Dix` Klassiker der Versinnbildlichung der „Neuen Frau“ der Golden Twenties „Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden“(1926).
Insgesamt sind in der multidisziplinären Ausstellung an die 900 Werke und Dokumente der Neuen Sachlichkeit zu sehen, darunter Bilder u.a. von Otto Dix, George Grosz, Max Beckmann, Georg Schulz, Georg Schimpf, Christian Schad, Heinrich Maria Davringhausen und Carl Grossberg, sowie Fotographien von Albert Renger-Patzsch, Fotogramme von Alice Lex-Nerlinger, Fotomontagen, sowie Abbildungen von Theaterstücken Bertolt Brechts, von Bauhaus-Arbeiten (u.a. Walter Gropius` Häuser und Marcel Breuers Möbel), von Werken des Architekten Ernst May oder von der berühmten Frankfurter Küche der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky.
Zu dieser die Vielfalt der Neuen Sachlichkeit kaleidoskopartig erschließenden Ausstellung ist bei Schirmer/Mosel ein deutschsprachiger Katalog unter dem Titel „Neue Sachlichkeit. Deutschland – 1920er Jahre – August Sander“ erschienen. Herausgeberin des französischsprachigen Bandes ist Angela Lampe, die Übersetzung aus dem Französischen und Englischen stammen von Saskia Bontjes van Beek, Michaela Angermair und Ursula Wulfekamp. Der Katalog enthält 34 fachlich fundierte Textbeiträge - primär von Kunsthistoriker:innen - zu einzelnen Aspekten der Neuen Sachlichkeit bzw. ihrer Vertreter:innen, welche den Anti-Expressionismus und die gesellschaftliche Progressivität der Stilrichtung sehr gut beleuchten. Dass dabei Arbeiten derselben Künstler:innen wie zum Beispiel von Grosz in unterschiedlichen Themenbereichen Berücksichtigung finden, ergibt sich aus dem Aufbau der Ausstellung.
Zurecht finden in ihr und in dem Buch auch Otto Neuraths Arbeiten zu einer internationalen Bildsprache „Isotype“ Berücksichtigung, allerdings wird in dem Artikel nicht erwähnt, dass der Vertreter des Wiener Kreises auch Philosoph war und im Rahmen seines logischen Empirismus eine wissenschaftliche Einheitssprache auf Basis der Physik anstrebte. Lehrkräfte der Fächer Bildende Kunst und Geschichte werden jedenfalls durch die hervorragende Ausstellungspublikation, die 312 Abbildungen enthält, motiviert, sich in ihrem Fachunterricht und einem fächerübergreifenden Projekt, mit Neuer Sachlichkeit und Sanders opus magnum, insbesondere mit den sozialkritischen Bildthemen problemorientiert auseinanderzusetzen.
Fazit: Der exzellente Ausstellungskatalog „Neue Sachlichkeit“ verdient eine Anschaffung von allen an der Kunst der Moderne und an der Fotographie Interessierten. Das Werk leistet einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an eine der wichtigsten auf gesellschaftliche Transformation ausgerichteten Kunstrichtungen.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
deutschland/1920er Jahre/neue sachlichkeit/august sander
Das Pariser Centre Pompidou steht von Mai bis September 2022 ganz im Zeichen der Neuen Sachlichkeit. Um August Sander, der mit über 200 Photographien aus seinem großen Portraitwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ in der Ausstellung vertreten ist, gruppieren sich Künstler und Themen, die in den 1920er Jahren Deutschland zum Epizentrum jener Bewegung werden ließen, die unter dem Begriff „Neue Sachlichkeit – Nouvelle Objectivité – New Objectivity“ international Ruhm erlangte. Zwischen den beiden Weltkriegen erfasste sie nahezu alle Bereiche von Kunst und Leben: die Malerei, das Design wie die Architektur, Photographie, Film und Graphik, Theater und Literatur. Namen wie George Grosz und Otto Dix, Walter Gropius, Lotte Jacobi und Albert Renger-Patzsch, Bertolt Brecht, Erwin Piscator oder Marieluise Fleißer stehen stellvertretend für die vielen kreativen Köpfe, die in der Weimarer Republik den Aufbruch in die Moderne wagten und ab 1933 ins Exil oder die innere Emigration getrieben wurden. Herausgegeben von Angela Lampe, der Kuratorin für moderne Kunst am Pariser Centre Pompidou, versammeln sich die Protagonisten der Neuen Sachlichkeit zu einer umfassenden Rückschau auf die kulturell innovativsten Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland.
Schirmer/Mosel. Hrsg. von Angela Lampe. Mit 34 Textbeiträgen. Aus dem Französischen und Englischen von Saskia Bontjes van Beek, Ursula Wulfekamp und Michaela Angermair. 320 Seiten, 312 Abbildungen in Farbe. Format: 22,5 x 30 cm, gebunden. Deutsche Ausgabe.
Inhaltsverzeichnis
11 Vorwort LAURENT LE BON UND XAVIER REY
12 Deutschland / 1920er Jahre /
Neue Sachlichkeit /August Sander
ANGELA LAMPE UND FLORIAN EBNER
14 Einleitung
16 Sachlichkeit als kulturelle Norm: Anti-Expressionismus in Weimar SABINA BECKER
22 Gustav F. Hartlaub und die „Neue Sachlichkeit“ in Mannheim INGE HEROLD
32 Standardisierung
34 Eine neue Kunst sozialer Sinngebung: August Sander und die Kölner Progressiven FLORIAN EBNER
48 Ein kurzer Überblick über die Entstehung des Isotyp: Otto Neurath, Marie Reidemeister und Gerd Arntz JEAN-CHRISTOPH ROYOUX
52 Die modernste Siedlung Deutschlands: die Frankfurter Römerstadt PHILIPPE STURM & CHRISTINA TREUTLEIN
60 Neue Möbel für das Neue Heim: Marcel Breuers „Standard Möbel“ WERNER MÖLLER
64 Montagen
66 Montagen als visuelle Synthesen BERND STIEGLER
82 Walter Ruttmann (1887-1941) Berlin: Die Sinfonie einer Großstadt, 1927 PHILIPPE-ALAIN MICHAUD
88 Die Dinge
90 Ansprache durch die Dinge – Zum Stillleben in der Neuen Sachlichkeit OLAF PETERS
102 Die Dinge sehen. Fotografie als Verbindung SIMONE FÖRSTER
116 Ella Bergmann-Michel (1895-1971) Wo wohnen alte Leute?, 1931 JONATHAN POUTHIER
118 Kalte Persona
120 Kalte Persona und Melchancolie CATHERINE WERMESTER
142 August Sander: Auszüge aus der Gruppe III, Die Frau, und Gruppe II, Der Handwerker, des Portraitwerks Menschen des 20. Jahrhunderts
148 Rationalität
150 Amerikanismus als Weltanschauung, Ideologie und Bekenntnis. Zum Technik-Kult in der Fotografie der Weimarer Republik HERBERT MOLDERINGS
184 Die rationale Wohnung, ein architektonisches Paradigma während der Weimarer Republik ELKE MITTMANN
194 Literatur der Neuen Frauen: Irmgard Keun und Marieluise Fleißer KERSTIN BRANDT
198 Die Futura – eine Schrift geht um die Welt PATRICK RÖSSLER
202 Gebrauch
204 Die „Zeitoper“ , Spiegel der Neuen Sachlichkeit PASCAL HUYNH
214 Ein Alaska, das an der Südsee grenzt. Brecht und die NEUE Sachlichkeit IRÈNE BONNAUD
220 Überschreitungen
222 Vorrede zur Überschreitung JONATHAN ODDEN
246 Die Künstler angesichts der Überschreitungen der Normen: zur Ikonographie des Lustmords MARIE GISPERT
256 Blick nach unten
258 Die kalte Revolution: der „Blick nach unten“ der Neuen Sachlichkeit CHRISTIAN JOSCHKE
274 Sigfried Kracauer (1889-1966) Die Angestellten, 1930 OLIVER AGARD
276 Slátan Dudow (1903-1963) Zeitprobleme. Wie der Arbeiter wohnt, 1930 JONATHAN POUTHIER
278 August Sander: Auszüge aus Gruppe VI, Die Großstadt, und Gruppe II, Der Handwerker, des Portaitwerks Menschen des 20. Jahrhunderts
292 Die kalte Ordnung ANGELA LAMPE
296 Epilog
298 Die Ausstellung „Kulturbolschewistische Bilder“ und die Neue Sachlichkeit MATHIAS LISTL
300 Retournements ARNO GISINGER
Annex
302 Chronologie SOPHIE GOETZMANN
304 Bibliographie SOPHIE GOETZMANN
306 Verzeichnis der Werke
Die Kapitel-Einführungen verfasste Sophie Goetzmann.