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Mythos und Religion Semiotik des Transzendenten
Mythos und Religion
Semiotik des Transzendenten




Wolfgang Wildgen

Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826072895 (ISBN: 3-8260-7289-8)
292 Seiten, paperback, 16 x 24cm, Juni, 2021

EUR 39,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Das Transzendente, was über das Wahrnehmbare, im Alltag Begegnete hinausweist, erscheint zuerst als nicht fassbar, nicht kommunizierbar. Dennoch spielt es im Denken und Handeln des Menschen eine große Rolle. In einer Semiotik des Transzendenten geht es darum, zu verstehen, wie eine Kommunikation, ein Sich-Verstehen in der Gemeinschaft unter diesen Umständen möglich ist. Die Religion und deren Texte, Bilder oder musikalische Ausdruckformen sind der unmittelbare Gegenstand einer Semiotik des Transzendenten. Ein Blick in die Geschichte und Vorgeschichte der Religionen verweist uns auf Systeme von Mythen, Ritualen und deren Vergegenständlichung. Aber auch moderne politische Mythen, selbst Ideologien und philosophische oder wissenschaftliche Systeme teilen mit der Religion häufig die Problematik eines transzendenten Zeichenbezugs. In den Hauptkapiteln des Buches wird zuerst die philosophische und wissenschaftliche Problematisierung von Mythos und Religion dargestellt, wobei jeweils die semiotischen Aspekte herausgelöst werden. In einem zweiten Teil stehen die Emergenz, Morphogenese und Selbstorganisation des Religiösen im Fokus. Ein dritter Teil schließlich enthält exemplarische Analysen, wobei die Aktualität von Mythos und Religion im Vordergrund steht.

Wolfgang Wildgens aktuelle Forschung betrifft die Semiotik mit Schwerpunkt auf den nicht-sprachlichen Zeichensystemen. Die Analyse konzentriert sich auf das Werden, den Wandel. Die Semiotik der Religion schließt eine Trilogie ab. Die Bände zur visuellen Semiotik und zur Musiksemiotik sind 2013 und 2018 erschienen.
Rezension
Mythen haben nach Zeiten der Entmythologisierung seit einigen Jahrzehnten wieder Konjunktur als "Dialektik der Aufklärung" (Horkheimer/Adorno), als "Mythen des Alltags" (Roland Barthes), als religiöser oder politischer Mythos. Dieser Band zeigt die Bedeutung des Mythos und die Semiotik des Transzendenten erhellend auf. Mythen haben Konjunktur, Mythen werden wieder entdeckt, - die "Arbeit am Mythos" (Hans Blumenberg) ist insofern wichtiger denn je, wenn wir nicht einer flachen Rückkehr ins Archaische verfallen wollen. Mythen sollten deshalb (kritisch) in der Schule behandelt werden: nicht nur in Religion, sondern auch in Geschichte, Deutsch, Gesellschaftskunde und den Sprachen ... Menschen schufen sich schon immer Mythen. Vielleicht sind Mythen als Gegenerzählungen zur menschlichen Sterblichkeit entstanden, Mythen transzendieren den Alltag des sinnsuchenden Lebewesens Mensch. Mythen erwachsen aus der Erfahrung des Todes, Mythen sind mit Ritualen verbunden, Mythen handeln von zunächst Unbekanntem, Mythen wollen Handlungsanweisungen geben, Mythen symolisieren Transzendenz und Glaube. Kurz: Die Mythologie dient dazu, mit der misslichen menschlichen Lage fertig zu werden. Die Semiotik vermag vielleicht am ehesten die nicht-sprachlichen Zeichensysteme von Religion, Bild und Musik zu beschreiben. Der Autor hat bereits Bände zur visuellen Semiotik und zur Musiksemiotik vorgelegt. Die Semiotik der Religion, die das Transzendente, das, was über das Wahrnehmbare, im Alltag Begegnete hinausweist, schließt diese Trilogie ab. Ein Blick in die Geschichte und Vorgeschichte der Religionen verweist auf Systeme von Mythen, Ritualen und deren Vergegenständlichung. Aber auch moderne politische Mythen, selbst Ideologien und philosophische oder wissenschaftliche Systeme teilen mit der Religion häufig die Problematik eines transzendenten Zeichenbezugs.

Jens Walter, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 13

Was kann man unter „Mythos" und „Religion" verstehen?
Zum Objektfeld der Untersuchung 17

Teil I: Die interdisziplinären Forschungen zu „Mythos" und „Religion" als Ausgangspunkt einer semiotischen Analyse und Theoriebildung 25

Einleitung 25

Mythos und Religion aus der Sicht der Anthropologie und Evolutionstheorie 26

Theorien des Mythos bei Cassirer und Lévi-Strauss 31

Die symbolische Form „Mythos" nach Cassirer 32
Der Mythos in der Strukturalen Anthropologie von Lévi-Strauss
(mit Bemerkungen zu Cassirer, Éliade und Dumézil) 38
Kontemplation und Mystik als „sprachlose" Gotteserkenntnis 44

Die Religion aus der Sicht der Philosophen: Geschichte einer produktiven Rivalität 46

Plotin und die Gottesfrage 47
Augustinus: der Konflikt von Glaube und Wissen 48
Thomas von Aquin und die aristotelische Theologie 51
Giordano Bruno und ethische Planspiele im Rat der Götter 52
Leibniz, Spinoza und Lessing als letzte Versuche, Philosophie und Religion zu versöhnen 54
Die Flucht in die Ästhetik. Der Künstler als Gottgesandter 56
Die politisch-philosophische Dimension des Religiösen (am Beispiel von Hannah Arendt) 60
Die Philosophie nach dem „Tod" des Gottes der Philosophen 63

Religion aus soziologischer Sicht und Ansätze zu einer Sozio-Semiotik 67

Eine philologisch-historische Erklärung der Religion (Friedrich Max Müller) 68
Religion als gesellschaftliches Konstrukt bei Emile Durkheim und Marcel Mauss 69
Die Religionskonzepte der verstehenden Soziologie Max Webers 73
Die strukturalistische Kritik von Lévi-Strauss 75

Ontologie und Semiotik der Religion. Die Relevanz der Zeichendimension 77

Teil II: Werden und Wandel des Religiösen. Eine dynamische Semiotik der Religion 83

Der historische Rahmen einer Semiotik der Religion und die dynamische Semiotik 83

Die Sichtbarkeit Gottes in der Natur 86
Die Religion als Seelensuche, die Reise ins Innere des Menschen 92
Das semiotische Netzwerk komplexer, entfalteter religiöser Vorstellungen 96
Das religiöse Zeichen in einer dynamischen Semiotik 100

Wort, Bild oder Musik. Bilderverbot und Formen der Kommunikation über Gott 104

Götzenbilder im Nahen Osten und die Darstellungen Gottes in der Bibel 106
Der Namen Gottes und die Benennung von Fauna und Flora 110
Einige semiotische Aspekte des Bilderstreits 112
Musik und Tanz als Zeichen für religiöse Inhalte 114
Die Ordnung der religiösen Vorstellungen im Erzählen 116
Modellskizze 1: Die Stabilität eines Systems religiöser Zeichen 120

Die Raum- und Zeitdimension religiöser Vorstellungswelten: Religiöse Topographien 124

Die Religion als Vorstellungs- und Handlungsraum 124

Die Zeitdimension der Zeichen in der Religionssemiotik und die Rolle des Gedächtnisses 130
Die Vergangenheitsdimension religiöser Zeichen 131
Die Zukunftsdimension religiöser Zeichen 134
Modellskizze 2: Die Dynamik der Endzeit / Apokalypse 135
Religion als zeitlose Wahrheit und die Konkurrenz von Religion und Wissenschaft 141
Pluralität der Formen einer Religion und die „Erfindung" von Traditionen 143

Die Entstehung und Selbstorganisation religiöser Formen 149

Kritik der reduktionistischen, neo-darwinistischen Erklärung der Religion 149
Der dynamische Ansatz in den Religionswissenschaften 152
Die Emergenz des Religiösen 154
Die Morphogenese ethischer und religiöser Formen 161
Modellskizze 3: Eine katastrophentheoretische Modellierung der religiösen Morphogenese 164
Semiotische Aspekte der Morphogenese des Religiösen 168
Die Selbstorganisation komplexer religiöser Systeme (am Beispiel des Christentums) 171
Der Hauptattraktor der Überlieferung: Jesus Christus 173
Der zweite oder zusätzliche Attraktor: der Marienkult 176

Wandel und Kreativität der religiösen Formen 179

Die Entfaltung einer religiösen Innovation im Nachklang ihrer Einführung 180
Modellskizze 4: Divergenz und Konvergenz (Kontakt) der Religionen 183
Die semiotische Natur der Dynamik 190
Modellskizze 5: Die Konstellation: Welt — Individuum - Gesellschaft als Drei-Körper- (Drei-Kräfte-) Problem 194

Die Reichweite einer theoretischen Religionssemiotik 201

Teil III: Exemplarische Analysen. Die Aktualität von Mythos und Religion 203

Der eigene Körper als Zentrum einer an ihm orientierten Welt- und Gottes-Erkenntnis 203

Körpertechniken und religiöse Rituale 206
Askese, Verzicht und Körperkontrolle als religiöse Praktiken 206
Lebensrhythmen und zeitgebundene religiöse Formen 208

Opfer und Passion als religiöse Zeichengestalt 210

Menschenopfer und Opfertod 210
Die Rolle des Körpers in der Leidensgeschichte Christi 212
Die Phase der Folterung 217
Die Phase der Kreuzigung 218
Kreuzabnahme, Grablegung und Beweinung 219

Religiöse oder pseudoreligiöse Entrüstung in der medialen Öffentlichkeit 221

Religiöse Motive in der Kriegsberichterstattung und der Kriminal-Reportage 221
Die Mediatisierung von Religion und deren Folgen 223

Die Semiotik der Mythen und deren „Logik" 225

Die thematische Architektur des Mythensystems 227
Modellskizze 6: Die kanonische Formel des Mythos von Lévi-Strauss und dessen religiöse Bedeutung 230

Politisch konstruierte Mythen im 20. Jahrhundert 235

Der Mythos der menschlichen Rassen und die Kulturanthropologie von Franz Boas 235
Die Protagoras-Ethik und die Semiotik des Fremdenhasses 239
Rassismus und Religion am Beispiel des Arier- und des Juden-Mythos im Nazi-Regime 242
Der philologische Hintergrund des germanisch-arischen Mythos 244
Modellskizze 7: Der Mythos als Geschichtsklitterung: Rosenbergs „Mythus" 246
Der Konflikt zwischen dem Christentum und dem Nazi-Mythos 249
Esoterische Glaubensrichtungen und Verschwörungstheorien des 20. und 21. Jahrhunderts 254
Abschließende Bemerkungen zu Teil III 260

Schlusskapitel (IV): Weiterführende Überlegungen 263

Fazit I: Keine Religion ohne Zeichensystem oder kein Zeichensystem ohne Religion? 263
Fazit II: Der Sinn von Mythos und Religion und deren Zukunft 268
Fazit III: Perspektiven einer dynamischen Semiotik der Religion 272


Bibliographie 275
Namen- und Sachregister 287