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LexRP - Lexikon der
Religionspädagogik
Band 1 (A-K); Band 2 (L-Z)
Norbert Mette
Neukirchener Verlagshaus
EAN: 9783788717452 (ISBN: 3-7887-1745-9)
1180 Seiten, 20 x 27cm, Januar, 2001, Festeinband, 2360 Spalten
EUR 51,12 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Mit LexRP erscheint zum ersten Mal in der Geschichte der RP und des RU ein Lexikon, das das stark angewachsene Wissenschaftsgebiet neu ordnet und übersichtlich darstellt. Das grundlegende und einschlägige Lexikon ist ein unverzichtbares Nachschlagewerk zu allen Themen der Religionspädagogik und angrenzenden Gebieten.
777 Artikel, verfaßt von 395 namhaften katholischen und evangelischen Autorinnen und Autoren, vermitteln umfassendes rp Fachwissen, führen kompetent in die behandelten Themen ein und schaffen eine Grundlage für die eigenständige Weiterarbeit.
Das LexRP bietet in allen Bereichen der Religionspädagogik schnelle Orientierung und kompetente Informationen für Theorie und Praxis: in der evangelischen und katholischen Kirche, in allen Schularten und -stufen sowie in den Weltreligionen und in Europa.
Besonderen Wert wird in dem Lexikon darauf gelegt, dass alle rp Fachbegriffe mit einem eigenen Artikel vertreten sind. Dabei geht es nicht nur um die einfache Worterklärung, sondern um die genaue Erklärung des dahinterstehenden Sachverhalts. Insbesondere für Studierende und Referendare ist dies eine unentbehrliche Hilfe bei der Anfertigung von Examens- und Seminararbeiten. LexRP ist aber auch eine hervorragende Praxishilfe bei der täglichen Arbeit in der Schule. Themen (z.B. Arbeit, Jugend, Gott, Vorbild) sind so ausgearbeitet, dass man einen didaktischen Zugang zu ihnen findet. LexRP verhilft dadurch zur didaktischen Problemklärung und gibt auch unterrichtliche Anregungen.
Darüber hinaus erhält der historisch Forschende wesentliche Einblicke in die Geschichte der RP und des RU. Alle Epochen der RP sind durch jeweils eigene Artikel vom Alten Testament bis zur Gegenwart vertreten. Dazu kommen Biografien und Biogramme aller für die RP führenden oder relevanten Repräsentant/innen.
Ausführlich dargestellt werden natürlich auch aktuelle Sachverhalte. Hiervon profitieren alle, die überhaupt mit RP zu tun haben, Studierende, Referendare, Lehrer, Seminarleiter, Dozenten an Religionspädagogischen Instituten oder an Hochschulen, aber auch kirchliche und staatliche Behörden, die mit Richtlinien- und Lehrplanarbeit zu tun haben oder juristische Klärung suchen oder sich politisch in dem komplizierten Schulversuch LER zurechtfinden müssen. Neben den juristischen Probleme des RU und der religiösen Erziehung zeigt LexRP auch die Einstellung der Parteien zu den Fragen der öffentlichen religiösen Erziehung auf. LexRP informiert außerdem über den ganzen Bereich der Ersatz- und Alternativfächer sowie die Spezifika der konfessionellen RR
Das LexRP ist zudem der erste umfassende Versuch, RP als eine ökumenisch-interreligiöse und europäisch-internationale Disziplin zu verstehen.
Folkert Rickers
Geb. 1938; Studium der Ev. Theologie in Bethel, Zürich, Heidelberg u. Göttingen. Promotion zum Dr. theol. mit einer reformationsgeschichtl. Arbeit bei Heinrich Bornkamm. 1969 Ordination, seit 1968 im Hochschuldiesnt als Wiss. Ass., Akad. Rat/Oberrat u. Prof. für Religionspädagogik. 1978 Habilitation in -Ev. Theologie u. ihre Didaktik«.
Norbert Mette
Geb. 1946; Dr. theol.; seit 1984 Professor für Praktische Theologie an der Universität-Gesamthochschule Paderborn. Zahlreiche Beiträge zu pastoraltheologischen, religionspädagogischen und sozialethischen Themen.
Rezension
Leseprobe: Stichwort
Märchen
In der Erziehung von -Kindern ist das M. nicht wegzudenken, entspricht doch seine Erzähl- u. Vorstellungsweise ganz u. gar dem kindlichen Empfinden selbst. Mit Recht nennt man die Zeit zwischen dem 4. u. 6. Lebensjahr auch das M.-Alter. Es ist eine Welt, in der das Ich noch sehr klein ist u. deshalb eine Realitätswahrnehmung im eigentlichen Sinne so wenig existiert wie ein inneres moralisches Urteil. Wunsch u. Wirklichkeit vermischen sich magisch, wie wenn das Wünschen entsprechend der Allmacht der Gedanken »helfen- würde, zu einem wesentlich symb. Erleben, das von dem Kind als seine eigene u. eigentliche Wahrheit empfunden wird.
Es wäre gleichwohl ein schweres Missverständnis zu glauben, dass M. eben deshalb auch schon reine Kindergeschichten wären. Das Gegenteil ist richtig. Zwar beginnen viele M. ihre Erzählungen mit den Erlebnissen von Kindern, sie schildern dann aber mit Vorliebe die Krisen des Erwachsenwerdens, das Suchen nach Liebe sowie die Gefahren u. Gefährdungen, die mit den Stadien innerer Reifung auf dem Wege zu sich selbst u. zum Anderen verbunden sind; oft genug auch schildern sie die Wiederkehr kindl. Traumata u. Konflikte im Erwachsenenalter u. weisen symb. Möglichkeiten zur Durcharbeitung der entsprechenden Probleme von Wiederholungszwang u. Übertragung auf. Insofern bieten M. eine hervorragende Grundlage zur psychotherapeutischen Arbeit: Ihre typologischen Schemata (Das tapfere Schneiderlein, Die kluge Else, Hans im Glück usw.) enthalten eine Fülle lebensnaher Erfahrungen u. Beobachtungen; u. ihre Gestalten stellen Varianten des Daseins dar, die in dieser Konkretheit mit Hilfe der psychoanalytischen Charakterkunde zwar interpretiert, aber nicht entfernt ersonnen werden könnten (-Psychoanalyse). Zudem lädt gerade die noch "undifferenzierte- symb. gebundene -Erzählweise der M. die Patienten dazu ein, sich anhand der entsprechenden Erzählvorlagen in die eigene Kindheit zurückzuversetzen u. sich die gegenwärtigen Konflikte bewusst zu machen.
Kinderpädagogik hat demgegenüber nicht eigentlich die Aufgabe, seelische Krankheiten zu therapieren, sondern sie nach Möglichkeit zu vermeiden; u. zu diesem Zweck sind die M. so unentbehrlich wie das kindliche -Spiel (Bettelheim 1980). M. u. Spiel verhalten sich in der Welt des Kindes ähnlich zueinander wie die -Mythen der Erwachsenen zu den Riten in Kirche u. Gesellschaft, ja, es werden die letzteren in den ersteren geradewegs vorbereitet ~-Ritual). Die M. erlauben dem Kind, Gefühle wahrzunehmen, die es sonst verdrängen müsste u. die dann wirklich erst mit therapeutischen Mitteln später in das bewusste Leben zurückgeholt werden könnten.
An erster Stelle zu nennen ist dabei die Ambivalenz der Gefühle. jedes Kind möchte von seiner Mutter geliebt werden, u. es hat die Mutter lieb, wenn es sich von ihr geliebt fühlt. Aber selbst der liebsten Mutter der Welt wird es nicht gelingen, ihr Kind nur immer ~,lieb<~ zu haben; sie wird dem Kind auch Verbot u. Verzicht zumuten müssen. Das Kind quittiert die empfundene Ablehnung mit -Angst u. Aggression, es »hasst« die ~böse~ Mutter, u. es sehnt sich danach, die -gute- Mutter wieder zu finden. Um die Liebe der -guten- Mutter nicht zu verlieren, müssen die Hassgefühle aber unterdrückt werden; das Kind fühlt sich schuldig für seine an sich so verständlichen Gefühle.
In dieser Situation bieten die M. eine große Entlastung. Indem sie davon erzählen, wie die "gute.~ Mutter »stirbt~ u. durch eine Aöse Stiefmutter- ersetzt wird o. wie anstelle der -guten- Mutter eine neidische, alles Glück verbietende u. verwünschende Hexe tritt, schaffen sie dem Kind einen Raum der Erlaubnis u. des Verständnisses für seine eigenen Gefühlsambialenzen. Für das Erleben des Kindes wie für die Darstellung des M. ist es charakteristisch, dass - infolge der mangelnden Ichzentrierung - die verschiedenen Aspekte einer Sache o. Person als voneinander unabhängige Wandlungszustände erlebt werden, die ihrerseits grundverschiedene Gefühlsreaktionen provozieren. Doch die Entwicklung bleibt dabei nicht stehen. Insbes. wenn die Mutter selber dem eigenen Kinde M. erzählt, kann die persönliche Beziehung zwischen beiden sich über die Abgründe der Zerrissenheit u. Zerspaltenheit im Erleben des Kindes wie des M. unausgesprochen zu einem tieferen Vertrauen festigen u. zu einer starken -Identität beitragen. Der Eindruck entsteht für das Kind, dass die Mutter um all die unheimlichen, verschwiegenen Gefühle sehr wohl weiß u. sie unausgesprochen mit bejaht.
Eine andere wichtige Funktion in der Kinderpädagogik besitzen die M. als symb. Ausdrucksmittel kindlicher Wünsche u. Ängste, Triebneigungen u. Komplexe. Vielerlei kindliche Fragen werden von den M. symb. beantwortet. Woher zum Beispiel kommen die Kinder? Die älteste Geburtstheorie der Kinder lautet: aus dem Bauch der Mutter. U. wie sind sie dort hineingekommen? Antwort: weil die Mutter sie gegessen hat. Aber dazu muss die Mutter die Kinder wiederum ambivalent, entweder »zum Fressen gern~ haben o. sie vor Wut -gefressen h.aben-. Davon erzählt zum Beispiel das M. vom Wolf u. den sieben Geißlein: Die gute Mutter-Geiß ist -fortgegangen~ u. kehrt mit geheuchelt freundlicher Stimme u. perfekt verstellt als ein wahrer »Wolf« zurück, der all die »Geißlein,~ verschlingt. Die Geschichte erzählt aber auch von der glücklichen Rettung der »Geißlein« u. davon, dass es den "Tod~ eigentlich nur gibt als Form des Übergangs zu reifender Loslösung u. Unabhängigkeit.
Zum Dritten kann gerade die Nähe des kindlichen Erlebens zu einer quasi totemistischen Bezichung zu den Tieren eine Fülle verborgener Triebängste u. Elternängste im Erleben des Kindes anhand von M.-Erzählungen entdecken helfen. Ein Kind, das z.B. die Geschichte vom Rotkäppchen bes. "liebt~, wird an dem Konflikt zwischen der Neigung, eigene Wege zu gehen, u. der Furcht vor dem Verschlungenwerden durch den Großmutter-Wolf (im Umfeld erster ödipaler Triebängste) bes. stark empfinden.
Man hat oft die Grausamkeit insbes. der Grimm'schen M. für päd. verderblich hingestellt; doch missversteht eine solche Betrachtungsweise den geradezu heilsamen Wert, den die aggressive Seite in den M. für das kindliche Erleben besitzen kann. Das Lied: »Der Wolf ist tot- spiegelt natürlich auch Gefühle von Rache u. Triumph, es ist aber v.a. ein Ausdruck der dankbaren Freude, aus großer Gefahr gerettet zu sein, u. dieses Vertrauen, dass es in einer Geschichte, die am liebsten die eigene Mutter vor trägt, am Ende doch immer gut ausgehen wird, ist die wohl wichtigste Mitgift, die das M. einem Kind auf den Lebensweg mitgeben kann. Dass alles »Böse« ~so wie all die anderen M.-Gestalten~ immer auch ein Teil der eigenen Seele ist u. nicht hingerichtet, sondern durch wachsende Ichstärke in die Persönlichkeit integriert sein will, ist eine wesentli che Aufgabe erwachsener Selbsterkenntnis u. nicht zuletzt der Jurisprudenz vieler moderner auch westl. Staaten. Dass dabei (wie in Schneeweißchen und Rosenrot) das Leben -gelernt<, werden darf in spielen der Neugier gegenüber den Kräften des Es ~der ~,Bän, ~ u. in humorvoller Distanz gegenüber den >,moralischen- Dauervorwürfen eines kindlich verfestigten Überich (der" Zwerg~,), macht deutlich, dass die Aufgabe der Pädagogik im Sinne des M. nicht primär in der Vermittlung bestimmter gesell. Standards, sondern in der Ermöglichung von Individuation u. Identität gesehen wird. An dieser Stelle verfolgen Psychotherapie u. Pädagogik dasselbe Ziel.
Eines allerdings stimmt: Es gibt Märchen (wie die Geschichte vom Blaubart o. von der Räuberbraut), die in der dramatischen Steigerung sadistischer Erlebnisformen entgegen der Meinung der Brüder Grimm beim besten Willen nicht als »Kinder- u. Hausmärchen« bezeichnet werden können. Geschichten, in denen die kindliche Angstlust u. Neugier in Horror u. Entsetzen umzuschlagen drohen, gehören nicht ins Kinderzimmer; in ihnen hebt sich die dem Kind verständliche symb. ~,Grausamkeit.~ in eine »Realität- auf, auf die kein Kind der Welt päd. vorbereitet werden sollte. In diesem Sinne hatte der Kinderbuchautor u. Pazifist Erich Kästner Recht, als er sagte: "Wer, wenn er erwachsen wird, aufhört, das Kind zu bleiben, das er einmal war, hört zugleich auf, ein Mensch zu sein."
Literatur: BRUNO BETTELHEIM, Kinder brauchen M., München 1980 * EUGEN DREWFRMANN, Lieb Schwesterlein, laß mich herein. Grimms M. tiefenpsych. gedeutet (dtv 35050), München 11998 * DERS., Rapunzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter. Grimms M. tiefenpsych. gedeutet (dtv 35056), München 11999 + DERS., U. gäbe dir eine Seele ... Hans Christian Andersens Kleine Meerjungfrau tiefenpsych. gedeutet, Freiburg/Basel/Wien 1997.
Eugen Drewermann
Leseprobe
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Leseprobe: Stichwort
Erzählen
Das E., unter den Bedingungen der Postmoderne seiner Selbstverständlichkeit beraubt, in "unserer vermeintlich postnarrativen Zeit« (Metz 1973, 335) gar für unmöglich erklärt u. weithin durch elektronische Surrogate ersetzt, erweist sich als nach wie vor unersetzliche Form der -Kommunikation u. der gemeinsamen Bewältigung von -Erfahrungen, unentbehrlich für den kindlichen Spracherwerb (-Sprache) wie für das kollektive Gedächtnis, in der alltäglichen Kommunikation wie im Dialog der Generationen, in der Kultur des Erinnerns an gesch. Erfahrenes wie im -Spiel der Fantasie mit Fiktionen.
1 Grundlagen
Das E. gehört zu den Grundformen sprachlicher Äußerung. in der kindlichen Sprachentwicklung hat das E. erkennbar den Charakter einer "lebenswichtigen Arbeit", nämlich der Entdeckung bzw. »Herstellung eines nachvollziehbaren Zusammenhangs(Nadolny 1990, 77). Die altersspezifisch charakteristische Warum-Frage bezeichnet das elementare Bedürfnis nach dem Erkennen solcher sinnvollen Zusammenhänge u. verlangt zunächst eine erzählende Antwort.
Das E. gehört zum anderen zu den elementaren, unentbehrlichen Formen der Bewahrung u. Überlieferung gesch. Erinnerung. Im Judentum haben die überlieferten Erzählungen durch ihre Einbindung in die Rituale der großen Feste Jinsbes. in der PosachHaggada) einen festen Sitz im Leben gewonnen. Dadurch werden die gesch. Überlieferungen weitaus nachdrücklicher als im Christentum als Grundlagen des eigenen Lebens bewusst u. mit den Erfahrungen festlicher Gemeinschaft verbunden (Greve 1999, 85-93)
Durch die Erfahrungen des 20. Ih. wurde das Problembewusstsein sehr verschärft: Die insbes. den Krieg verklärenden Überlieferungen des Nationalismus sind in ihrer Verlogenheit entlarvt; die Verstrickung in die totalitären Systeme hat jedoch die Erinnerung der beteiligten Generationen durch Verdrängung so eingetrübt, dass die Wahrheit oft nur mühsam wieder ans Licht zu holen ist. Zumal die spezifisch dt. Schuld am Grauen der Schoa hinterlässt das Gefühl der Unfähigkeit, für solche gesch. Erfahrungen überhaupt noch eine angemessene Sprache zu finden, zugleich aber das Bewusstsein, dass es für die kommenden Generationen lebensnotwendig ist, dass solche Erinnerungen weitererzählt u. nicht dem Vergessen überlassen werden.
In der rp Diskussion hat das Problem des E. unterschiedliche Brennpunkte. Im Zentrum geht es um die Frage nach einer sachgemäßen erzählenden Vermittlung der bibl. erzählenden Überlieferung. Dabei wird einmal nach der grundlegenden Bedeutung des E. überhaupt für den -Glauben, die Theologie u. die Gemeinde gefragt, zum anderen nach den method.Formen des E. im Unterricht u. schließlich nach der Rolle u. Notwendigkeit auch außerbibl. Erzählungen im Unterricht.
2 E. als Grundform bibl. Didaktik
Das E. ist eine der Grundformen in der bibl. Didaktik des Erinnerns (Greve 1999, 129-135). Die erzählende Überlieferung bewahrt die Erinnerung an gesch. Erfahrungen; sie bietet in der Hebr. Bibel zugleich den Gesamtrahmen (zwischen Gen 1 u. 2 Chr 36), der die anderen Formen der Überlieferung integriert. In der rabbinischen Schriftauslegung steht neben der Halacha, der verbindlichen Auslegung der Weisungen der Tora, die Haggada (vom hebr. higid: erzählen~ als die erzählende Weitergabe u. Auslegung der Überlieferung.
Auch die Gestalt des ntl. Kanons wird durch Erzählungen geprägt. Dafür war die did. Leistung der Evangelisten entscheidend, die (anders als die Logienquelle Q die sehr unterschiedlichen Stücke der -Jesus-Überlieferung jeweils zu einer in sich geschlossenen Erzählung zusammenfügten, wobei die Passionsgeschichte zum integrierenden Kern wurde. Lukas hat in diese erzählende Darstellung auch die Apostelzeit einbezogen; doch geriet er damit inhaltlich wie formal in eine Konkurrenz zu der kanonisch gewordenen Briefliteratur. Mit deren wachsendem Gewicht verstärkte sich auf lange Sicht ein lehrhaftes Verständnis des bibl. Kanons u. dementsprechend der lehrhafte Charakter christl. Unterweisung.
3 Narrative Theologie
Grundlegend ist die Einsicht, dass Erzählungen mehr vermitteln als nur Informationen über Geschehnisse u. daraus abgeleitete Ermahnungen. Die Erzählung erhellt den Zusammenhang zwischen Vergangenem u. Zukünftigem; deshalb gilt kategorisch: "Wer handeln will, muss sich zuvor erzählen lassen~, ~Hartmann 1961). Ganz ausgeprägt zeigt die bibl. Überlieferung, dass es in der gesch. Überlieferung um Perspektiven der Hoffnung u. andererseits in den sich erzählend entfaltenden Zukunftsvisionen um das Hoffnungspotential der Vergangenheit geht (»erinnerte Zukunft u. erhoffte Vergangenheit (Ebach 19861).
In diesem Sinne hatte schon Walter Hartmann (1961) unter Berufung auf Martin Buber u. Eugen Rosenstock-Huessy das "E. als die Grundform" aller theol. Lehre reklamiert, allerdings zunächst ohne breitere Resonanz. Ähnlich plädierten ein Jahrzehnt später Johann Baptist Metz u. Harald Weinrich für eine in ihrem Kern »Narrative Theologie- (1973). Die "gefährliche Erinnerung", von der die Theologie lebt, hat ~offensichtlich erzählende Tiefenstrükturen- (Metz 173, 334). So ist das E. die Grundlage aller bibl. Theologie, die es zurückzugewinnen gilt. Elementare Theologie ist narrativ, die Kirche im Grunde eine Erzählgemeinschaft. Doch für weitergehende Konsequenzen daraus erwies sich der Kontext europ. Theologie als wenig zugänglich; der Grund ist >die fundamentale Diskriminierung der Narrativität zugunsten der Diskursivität, zumal in der Wissenschaft« (Weinrich 1973, 333~.
Dennoch erfuhr die theol. Einschätzung des bibl. E. neue Impulse aus dem ökum. Kontext: In der Konfrontation mit sozialer Not u. tödlicher Ungerechtigkeit wurde die elementare Wirkung insbes. der bibl. Erzählungen befreiungstheol. reflektiert. Indem sie befreiende --Erfahrungen mitteilen, geben sie im Vorgang des E. leibhaftig (I.B. Metz weist auf »den inneren Zusammenhang von Erzählung u. Sakrament« hin, in: Weinrich 1973, 336) Anteil an der Befreiungs- u. Hoffnungsgeschichte, von deren Anfängen sie erzählen. Auch hier sind did. Konsequenzen für den Unterricht erst im Ansatz entwickelt ~vgl. unter 5).
4 Did. Wiederentdeckung des E.
Päd. wurde die did. grundlegende Bedeutung des E. in mehreren Epochen jeweils neu im Gegensatz zu einem abstrakt lehrhaften Stil der -Unterweisung wiederentdeckt. In den unterschiedlichen reformdid. Ansätzen wird gleichermaßen betont, dass die Erzählung anders als die geläufigen Formen der Belehrung emotional anspricht.
Dabei steht die emotionale Wirkung zunächst im Dienst eines lehrhaften o. auch ermahnenden Kerngedankens. Erst erstaunlich spät ~fast ein Ih. nach Schleiermacher) setzt sich mit explizit reformpäd. Bestrebungen die Überzeugung durch, es sei die schlechthin vorrangige Aufgabe der rel. Unterweisung, durch das E. direkten Einfluss auf Herz u. Gemüt der Kinder ~Scharrelmann 1910~ zu nehmen. Die Sprache der Erzählungen wird dabei durch diese Absicht geprägt u. entfernt sich dadurch zuweilen weit von der Bindung an die Intention u. Form der bibl. Erzählungen: »Für die Erzeugung von Religion ist es gleichgiltig, ob die Geschichte wahr ist o. erfunden ... darauf allein kommt es an, dass die in dem RU angeschauten Stoffe mit Gefühlsbewegung erlebt werden« (Kabisch 1913, 123).
In der neueren rp Diskussion besteht weithin Einhelligkeit in der Hochschätzung des E. Im Gegensatz zu visualisierenden Medien wird durch das E. die Fantasie angeregt, eigene Bilder zu erzeugen; u. die direkte persönliche Kommunikation face-to-face ist durch nichts zu ersetzen.
5 Gegensätzliche Konzepte
Kontrovers diskutiert wird dagegen die Frage, wie entgegen der Tendenz zu willkürlich wuchernder Aussehmückung wieder die notwendige bibl. Sachgemäßheit zurückgewonnen werden kann, ohne dass dabei die ureigenen Stärken des E. verloren gehen. Die Diskussion wird von zwei gegensätzlichen Konzeptionen beherrscht:
Walter Neidhart räumt in der Vorbereitung des E. der "Fantasiearbeit" eine entscheidende Rolle ein: Sie ergänzt, was der spröde bibl. Text nur andeutend erwähnt; die Kontrolle der Sachgemäßheit erfolgt dabei nach dem Maßstab des theol. Leitgedankens. Die Rolle des Erzählers sieht N. analog zu der des Evangelisten: Er ist gebunden an den theol. Gehalt, die Aussageabsicht, aber frei in der Wahl der erzähletisehen Mittel u. Bilder.
Damit steht Neidhart ganz auf dem Boden des -Hermeneut. RU. Die Einsichten der hist,-krit. Exegese befreien den Erzähler / die Erzählerin von der Bindung an den bibl. Wortlaut. Soweit als möglich werden Einsichten der hist.-krit, Exegese über die damalige Umwelt, die Ursprungssituation der Texte u. die Entstehung der bibl. Bücher in der Form von Rahmenerzählungen explizit vermittelt.
Dietrich Steinwede hat dagegen das Konzept einer der sprachlichen Struktur des Textes genau entsprechenden erzählerischen Entfaltung entwickelt, die konsequent dem Weg der bibl. Erzählung folgt, den verdichteten bibl. Text aber wieder in die dem mündl. E. entsprechende Form einer ausführlicheren, zum Verweilen einladenden Erzählung, zurückverwandelt.
In der »sachlichen Entfaltung« werden die zeitgesch. u. auf die soziale Umwelt bezogenen Anspielungen des bibl. Textes erzählend ausgeführt ~anstelle einer vorausgeschickten -Wort- u. Sacherklärung~; in der "sprachlichen Entfaltung"werden bibl. Anspielungen explizit ausgeführt, mitunter sogar in einprägsamen Wiederholungen, u. das syntaktisch komplexe Gefüge des Bibeltextes in eine Folge einfacher parataktisch aneinandergefügter Hauptsätze verwandelt u, dadurch den SVukturen der Kindersprache angenähert. Die so entstehenden Erzählungen sind durch die strenge Bindung an die Textstruktur u. die reflektierte Wortwahl von hoher sprachlicher Qualität; allerdings sind sie darin vom natürlichen Vorgang des spontanen E. schon recht weit entfernt.
6 Authentizität
Ein did. gern eingesetztes Medium ist die Rahmenerzählung. Sie bietet nicht nur die Möglichkeit, Einsichten der hist.-krit. Exegese erzählend zu vermitteln, sondern dient auch dazu, die bibl. Geschichte von vornherein in den Bezugsrahmen heutiger Erfahrungen zu stellen, um dadurch ihre Aussageabsicht deutlicher hervortreten zu lassen. In diesem Sinne ist insbes. für Neidhart die Rahmenerzählung ein bevorzugter did. Schlüssel.
Doch dieser Schlüssel ist für den Umgang mit erzählenden Überlieferungen äußerst problematisch. Die Didaktik übernimmt damit unkrit. Voraussetzungen der hist.-krit. Exegese, die mittlerweile von den Sprachwissenschaften vielfach in Frage gestellt worden sind. Die Konzentration auf eine unterstellte »Aussageabsicht~ nimmt den Erzählungen ihr eigentümliches Profil u. das Gewicht gesch. Erfahrung.
Sie werden durchweg als did. Konstrukte behandelt, deren Anschaulichkeit nur dazu dient, den gedanklieben Kern ~die theol. Aussage~ möglichst volkstümlich, d.h. durch ihre Bildhaftigkeit überzeugend zu vermitteln.
Derart absichtsvoll konstruierte Erzählungen aber verstoßen gegen die Gesetze erzählerischer Glaubwürdigkeit. Sie zerstören das grundlegende Vertrauen in die Erzählung, das selbstverständlich voraussetzt, dass Ereignisse u. Erfahrungen nicht absichtsvoll konstruiert werden, um die Zuhörenden zu manipulieren, sondern auch in ihrer Rätselhaftigkeit u. Widersprüchlichkeit authentisch wiedergegeben werden, als Aufforderung zu ~selbständiger Wahmehmung~, ~Nadolny 1990, 59~, die ein eigenes Urteil ermöglicht. Selbst aus noch so guten Absichten konstruierte Geschichten sind ~>did. fade, v.a. vorhersehban, ~ ebd. ~. Deshalb sind die guten Absichten -bei der erzählerischen Fortbewegung die häufigste Unfallursache- ~Nadolny 1990, 43~.
Mit der Einordnung der bibl. Geschichte in eine absichtsvoll konstruierte Rahmengeschichte werden zudem die Koordinaten des Wirklichkeitsbezuges verkehrt. Die konstruierte Rahmengeschichte begegnet uns im Gewand einer Primärerzählung, die Wirklichkeit direkt vergegenwärtigt, während die in diesen Rahmen eingefügte bibl. Geschichte zur Wirklichkeit zweiter Hand degradiert wird, zu einer ~aus theol. Absichten konstruierten) sekundären Erzählung in der Erzählung.
Dieser Wirklichkeitsverlust wird noch verschärft durch den Einsatz von frei erfundenen Personen im Kontext der bibl. Geschichten. Zumal Kinder können sie nicht von den bibl. Gestalten unterscheiden; sie gewinnen beim Zuhören die gleiche Dignität wie diese. Die bibl. Gestalten aber sind ihrer Herkunft nach schwer von Erfahrung; sie haben ~>Zeiten-, Schicksals- u. Bewusstseinstiefe« ~Auerbach 1959, 14~; die konstruierten dagegen haben die Flachheit eines Exempels, ~~sie leben nicht~ (Nadolny 1990, 59). Der achtlos unterschiedslose erzählerische Umgang mit beiden nivelliert die Authentizität der bibl. Erzählungen u. untergräbt ihre Glaubwürdigkeit.
7 Anschaulichkeit
Die Wirkung des E. hängt von der Anschaulichkeit ab: Doch die erzählte Anschauung soll die Arbeit der Fantasie nicht ersetzen, sondern sie stimulieren. Beispielhaft dafür sind etwa die Märchenerzählungen der Gebrüder Grimm. Ein Satz wie dieser: ,~l3a kam etwas plitsch, platsch, plitsch, platsch, die Marmortreppe herauf- isc. der Froschkönig) kann auf eine detaillierte Ausmalung des Ambiente völlig verzichten; er beschwört mit ganz wenigen Strichen ein Bild, in dem alles emotional Wesentliche eingefangen ist.
8 Nähe u. Distanz
Das E. ist gleichwohl nicht die did. schlechthin elementare Form des Umgangs mit der bibl. Überlieferung. Im Umgang etwa mit Psalmentexten (Baldermann 1996, 26-49) ist eine Unmittelbarkeit der Aneignung möglich, die eine Erzählung so nicht zulässt. Die Leistung des E. besteht nicht nur in der Vergegenwärtigung, sondern es stiftet zugleich eine Distanz, die Freiheit zum eigenen Wahrnehmen gewährt u. eigenes Urteil herausfordert, u. darin gerade liegt seine did. Stärke.
9 Ökum. E.
Wenn wir uns mit dem E. deshalb in einer Krise befinden, »weil wir kaum mehr richtig ... mit gefährlich befreiender Intention erzählen können~, ~Metz 1973, 337), kann sich ökum. E. nicht mehr darauf beschränken, Informationen aus der Okumene zu vermitteln. Mit der ökum. Orientierung der RP wird vielmehr eine konsequente Einbeziehung des befreiungstheol. Ansatzes in die Didaktik unterrichtlieben E. unausweichlich. Chun Sun Lee ~l998) hat in Anlehnung an johann Baptist Metz -ein Konzept des E. bibl. Geschichte als Form -Ökum. Leinensentwickelt, das konsequent die »Option für die Armen- zum Ausgangspunkt des E. macht u. sie als Schlüssel zum Verstehen der bibl. Erzählungen wahrnimmt. Sie zeigt, wie ein ökum. bewusstes E. an den Erfahrungen der Armen Anteil gibt, dadurch Gemeinschaft stiftet u. so die bibl. Befreiungstraditionen auch im Kontext westl. Industriegesellschaften wirksam werden lässt.
Literatur: ERICH AuERBACH, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern 11959 * INGO BALDERMANN, E. als Notwendigkeit. Zum Verhältnis von Er zählung u. Erfahrung, in: JRP 6 (1989~, Neukirchen-Vluyn 1990, 93-110 * DERS., Der Himmel ist offen. Jesus aus Nazareth. Eine Hoffnung für heute, München/NeukirchenVluyn 1991 DERS., Einführung in die Bibl. Didaktik, Darmstadt 1996 GEORG BAUDLER, Wahrer Gott als wahrer Mensch. Entwürfe zu einer narrativen Christologie, München 1977 + ERICH BoCHINGER Distanz u. Nähe. Beiträge zur Didaktik des RU, Stuttgart 148 + ERNESTO CARDENAL, Das Evangelium der Bauern von Solentinarne 1 u. 2, Wuppertal 1976 u. 1978 + JÜRGEN ERACH, Ursprung u. Ziel. Erinnerte Zukunft u. erhoffte Vergangenheit, Neukirchen-Vluyn 1986 * ASTRID GREvE, Erinnern lernen. Did. Entdeckungen in der Wid. Kultur des Erinnerns (WdL 11), Neukirchen-Vluyn 1999 * WALTER HARTMANN, Das E. als die Grundform der Ev. Unterweisung, in: EU 16 ~1961~ 169ff + RICHARD KABISCH, Wie lehren wir Religion? Versuch einer Methodik des ev. RU für alle Schulen auf psych. Grundlage, Göttingen (1910), '1913 ('1931) * CHUN SUN LEE, Ökum. E. Ein Konzept des E. bibl. Geschichte als Form Ökum. Lernens, Münster 1998 * JOHANN BAPTIST METZ, Kleine Apologie des E., Conc(D) 9 (1973) 336 341 4 STEN NADOLNY, Das E. u. die guten Absichten. Münchener Poetik-Vorlesungen, München 1990 * WALTER NEIDHART u. HANS EGGENBFRGER (Hg.), Erzählbuch zur Bibel 1 u. 2, Lahr/Zürich 1975 u. 1989 * HEINRICH SCHARRELMANN, Weg zur Kraft. Des herzhaften Unterrichts zweiter Teil, Hamburg 1910 4 DERS., Die Technik des Schilderns u. E., Hamburg 1921 (Reprint Darmstadt 1967~ + LoTHAR STEIGER, Erzählter Glaube, Gütersloh 1978 * DIETRICH STEINWEDE, Zu erzählen deine Herrlichkeit, Göttingen 1965 * GERD THEißEN, Der Schatten des Galiläers. Hist. Jesusforschung in erzählender Form, München 1986 * R EINMAR TscilIRCH, Bibl. Geschichten erzählen, Stuttgart 1997 * HA RALL) WEINRICH, Narrative Theologie, Conc(L)~ 9 (1973) 329-336 * ROLF ZERFASS (Hg.), Erzählter Glaube - erzählende Kirche, Freiburg 1988 + ELSE ZURHFLLEN-PFLEIDERER U. OTTO ZURHELLEN, Wie erzählen wir den Kindern die bibl. Geschichten?, Tübingen 1906.
Ingo Baldermann
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