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Lebenswissenschaft Praktische Theologie?!
Thomas Klie, Martina Kumlehn, Ralph Kunz, Thomas Schlag (Hrsg.)
Reihe: Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs
Walter de Gruyter
EAN: 9783110247664 (ISBN: 3-11-024766-6)
347 Seiten, hardcover, 16 x 23cm, 2011
EUR 99,95 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Religion als kulturelles Deutungssystem ist ohne Bezug zum Phänomen "Leben", das sich in unterschiedlichsten Lebensstilen artikuliert und darstellt, nicht denkbar. Dass Leben im Vollzug immer schon vorausgesetzt ist, drängt in religiöse Deutungen. Die brisante Dynamik der Entwicklungen auf den Gebieten der als >life-sciences< apostrophierten Wissenschaften führt jedoch zu bedeutsamen Veränderungen in der kulturellen Wahrnehmung und Deutung des Lebens, die auch in theologischer Perspektive neue Interpreta¬tionsbemühungen fordern. Dieser Herausforderung stellt sich der vorliegende Band.
Rezension
Unter „Lebenswissenschaften“ sind gemeinhin jene Wissenschaftsdisziplinen zu verstehen, die zu nachweisbaren Verbesserungen der Lebensqualität führen sollen, wie etwa Medizin oder Biologie. Theologie als eine Theorie der Deutung des Lebens aus dem Glauben zielt in erster Linie nicht auf die Optimierung von Lebensqualität. Als praktische Theologie ist sie jedoch durchaus an der Gestaltung des Lebens interessiert, wenngleich sich diese nicht als Vermessung von Lebensphänomenen vollzieht, sondern als verstehende Annäherung an das Leben. Theologie zählt nicht zu den klassischen „Life Sciences“, dennoch stellt sich die berechtigte Frage, in welchem Verhältnis sie zu den Lebenswissenschaften steht.
Die Forschungsergebnisse von Medizin und Biologie als Leitdisziplinen der Life Sciences betreffen nicht nur Spezialisten, sondern erreichen auch die mediale Öffentlichkeit. Das liegt zum einem am Interesse der Menschen am medizinischen Fortschritt als auch an der ethischen Brisanz ihrer Forschungsgebiete wie etwa der Gentechnik. Komplexe Fragen nach dem Leben, seinem Anfang und Ende, seiner Struktur und Funktion, seinem Sinn und seiner Verantwortung lassen sich nur im Verbund von Natur- und Geisteswissenschaften behandeln. Die klassische Trennung von empirischer Forschung und hermeneutischem Verstehen kann überwunden werden, wenn Disziplinen wie Anthropologie, Biologie, Medizin, Kulturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Ethnologie, Philosophie und Psychologie fächerübergreifend zusammen arbeiten und gemeinsame Forschungsprojekte entwickeln, wie etwa im „Center für Integrative Life Sciences“, das 2007 in Berlin gegründet wurde.
Unter dem provozierenden Titel „Lebenswissenschaft Praktische Theologie?!“ fand eine Tagung in Rostock statt, zu der zahlreiche namhafte Vertreter der Praktischen Theologie aus der Bundesrepublik und der Schweiz eingeladen wurden. Die Vortragenden haben kritisch erörtert, ob die Praktische Theologie von den Lebenswissenschaften lernen kann bzw. inwiefern sie selbst einen unverzichtbaren Beitrag im Kontext dieser Debatten zu leisten vermag.
Im Rückgriff auf die Humanwissenschaften findet seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts innerhalb der Praktischen Theologie eine Hinwendung zur Analyse religiöser Praxis statt. Gelebte Religion wird detailliert beobachtet, um neue Gestaltungsimpulse anregen zu können. Auf diese Weise bemüht sich die Praktischen Theologie ihre Reflexionen an den konkreten Lebensvollzügen und ihren Deutungsmustern zu orientieren. Während jedoch der Religionsbegriff in den letzten Jahren intensiv analysiert wurde, ist der Begriff des Lebens selbst noch wenig bearbeitet. Dies ist umso erstaunlicher, als der Begriff gegenwärtig religiös überhöht wird. Leben wird niemals unmittelbar wahrgenommen, sondern unterliegt immer bestimmten Deutungsperspektiven. Religion als auf die Kontingenz des Lebens bezogene Deutungsleistung wird im medialen Diskurs häufig ersetzt durch eine Auffassung des Lebens, das per se eine religiöse Dimension besitzt. Predigt, Seelsorge und Religionsunterricht sind auf eine Auseinandersetzung mit diesen veränderten Konnotationen angewiesen, wenn sie auf Resonanz stoßen sollen. Begriffe wie Lebenswelt, Lebensgeschichte, Lebensstil, Lebensraum und Lebenskunst werden in den Beiträgen dieses Bandes aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, um das grundlegende Selbstverständnis des Lebensbegriffs innerhalb der Praktischen Theologie einer Klärung zuzuführen.
Andrea Hannemann, lbib.de
Verlagsinfo
Religion als kulturelles Deutungssystem ist ohne Bezug zum Phänomen „Leben“, das sich in unterschiedlichsten Lebensstilen artikuliert und darstellt, nicht denkbar. Dass Leben im Vollzug immer schon vorausgesetzt und dabei zugleich von vorgängiger Selbstvertrautheit und Entzogenheit bestimmt ist, drängt in religiöse Deutungen. Die brisante Dynamik der Entwicklungen auf den Gebieten der als ‛life-sciences’ apostrophierten Wissenschaften, insbesondere der Bio- und Gentechnologie und der mit ihr verbundenen bioethischen Diskurse, der Informatik und der Auffassung des Lebens als Informationsvermittlung, führt jedoch zu bedeutsamen Veränderungen in der kulturellen Wahrnehmung und Deutung des Lebens, die auch in theologischer Perspektive neue Interpretationsbemühungen fordern. In der Praktischen Theologie wird die Programmformel „gelebte Religion wahrnehmen“ immer stärker ausdifferenziert, indem Phänomenbereiche, die sich mit Lebens-Komposita wie Lebenssinn, Lebensstil, Lebensgeschichte, Lebenswelt usw. verbinden lassen, in der Selbstreflexion des Faches und der Konstruktion seiner Handlungsfelder eine bedeutsame Rolle spielen. Der vorliegende Band stellt die systematisch-theologischen und praktisch-theologischen Diskurse zum „Leben“ in den interdisziplinären Kontext der gesamtgesellschaftlichen Debatte um das Verständnis von Leben.
Inhaltsverzeichnis
Martina Kumlehn
Einleitung: Praktische Theologie als Lebenswissenschaft?! 1
I. Leben und Lebenswissenschaften – Zugänge
Kerstin Thurow
Life-Sciences heute — Symbiose aus Naturwissenschaft, Medizin und Technik 11
Pierre Bühler
Leben verstehen — Life Sciences verstehen.
Hermeneutische Erwägungen 39
Dietrich Korsch
Leben als Metapher und als Gegenstand von Technik.
Beobachtungen zur gegenwärtigen „Religion des Lebens” 49
Philipp Stoellger
Leben zwischen Technik und Religion.
Zur Konkurrenz von Technik und Religion im Blick auf das Leben 61
Wilhelm Gräb
Lebenssinn und die Frage nach Gott 79
Thomas Schlag
Um das Leben wissen.
Praktische Theologie und die Verheißungen der Lebenswissenschaften 97
Andreas Kubik
Wahrnehmung der Lebenswelt und Kulturhermeneutik als theologische Aufgabe.
Anzeige einer Baustelle 113
II. Rekonstruktionen von Leben in praktisch-theologischen Handlungsfeldern
Thomas Klie
Alltagsreligion — Sonntagskultur.
Das praktisch-theologische Interesse an den Oberflächen 149
Harald Schroeter-Wittke
Den Schein wahren — Neun Responsorien auf das praktisch-theologische Interesse an
den Oberflächen 163
Michael Meyer-Blanck
Leben deuten aus dem Glauben.
„Leben”, „Leib” und „Liturgie” als praktisch-theologische Kategorien 175
Uta Pohl-Patalong
Liturgie erleben: Ansätze zur Lebensrelevanz der Liturgie 187
Christian Grethlein
Lebensgeschichte(n) und Kasualien 197
Christian Albrecht
Kasualien: Deutung individuellen Geschicks im Horizont
allgemeiner und unverfügbarer Lebensbedingungen 215
Ralph Kunz
„Über das Leben des Hörers reden” oder: Lebenswelt als Deutungshorizont der Predigt 223
Anne M. Steinmeier
Ikonische Innovationen. Überlegungen zur Predigt im Horizont kultureller Lebenswelt 253
Martina Kumlehn
Lebenskunst im Alter. Herausforderungen für (religiöse) Bildungsprozesse 271
Bernhard Dressier
„Den Jahren Leben hinzufügen”: Übernützliche „Bildung im Alter” 291
Claudia Schulz
„Bunt wie das Leben” — Vom Verhältnis der Kirche zur empirischen Lebenswirklichkeit 301
Thomas Erne
Lebensraum Kirche 325
III. Epilog in Thesen
Dietrich Korsch
Life science — gelebte Religion — Theologie als Lebenswissenschaft 341
Die Autorinnen und Autoren 345
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