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Kriegsfibel 2023
Kriegsfibel 2023




Alexander Kluge

Suhrkamp
EAN: 9783518431535 (ISBN: 3-518-43153-6)
126 Seiten, hardcover, 13 x 20cm, April, 2023

EUR 16,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Mit welchen Sinnen, welchen Gemütskräften könnte man mit dem Krieg umgehen? – Was meinen Sie mit „umgehen“? Ihn beobachten? Ihm auf die Schliche kommen? Ihn beenden? Ihn „überwintern“? „Vergessen“? „Vertrödeln“? „Verschlafen“? Ihn „sabotieren“? Die Summe aus alldem wäre etwas Gutes.
Rezension
„Abschied von Gestern“(1966), „Die Artisten in der Zirkuskuppel“(1968), „Der starke Ferdinand“(1975), „Deutschland im Herbst“(1978, u.a. mit Rainer Werner Fassbinder und Völker Schlöndorff) sind bekannte Filme von Alexander Kluge (*1932). Der ausgebildete Jurist gilt nicht nur als Hauptrepräsentant des Neuen Deutschen Films, sondern ist auch Autor zahlreicher Bücher, u.a. „Lebensläufe“(1962), „Geschichte und Eigensinn“(zusammen mit Oskar Negt, 3 Bde., 1981), „Chronik der Gefühle“(2000), „Die Lücke, die der Teufel läßt“(2003), „30. April 1945“(2014) und „Das Buch der Kommentare/Unruhiger Garten der Seele“(2022). Als gemeinsames Merkmal seiner medial unterschiedlichen Werke identifiziert Kluge das Erzählen von Geschichten.
Davon zeugt auch das jüngste Buch des 91jährigen Intellektuellen, seine „Kriegsfibel 2023“, erschienen im Hausverlag des Filmemachers und Schriftstellers, im Suhrkamp Verlag. Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sieht Kluge wie Bertolt Brecht in seiner „Kriegsfibel“(1955) die Notwendigkeit, um über die Strukturen von Kriegen aufzuklären. Kriege begreift Kluge als kulturelle Akte mit technischem Schwerpunkt, die zu einem „Charakterpanzer“(Reich) der Menschen führen. Sein ursprünglich 400 Seiten umfassendes Manuskript hat er auf 128 Seiten reduziert. Entstanden ist ein Buch im typischen Kluge-Stil als intermediales Werk, in dem u.a. Erzählungen, Dialoge, Zitate und Bilder, Fotos, Collagen mit Film-Features kombiniert werden, welche über abgedruckte QR-Codes abrufbar sind.
Wie auch in seinen anderen Schriften verfällt der Schriftsteller, der den Zweiten Weltkrieg als Kind miterlebt hat, auch in seiner „Kriegsfibel“ nicht in einen Moralismus. Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kontextualisiert er in die Epoche der modernen Kriege, beginnend mit dem Krimkrieg 1853-1856, über den amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865, den Ersten Weltkrieg 1914-1918, den Zweiten Weltkrieg 1939-1945 bis hin zu den Balkankriegen 1991-2001. Besondere Erwähnung verdient bei den Features das über den Sprengmeister von Vauquois (aus dem Ersten Weltkrieg), gespielt von Helge Schneider, welches die ideologische Umdeutung von Kriegen als technologische Praxis unmissverständlich aufzeigt. Die zentrale Erkenntnis von Kluges Buch lautet: „Kinder sind die wahren Chronisten des Krieges.“
Wer mit anderen Werken von ihm vertraut ist, wird in seiner „Kriegsfibel“ zahlreiche Bezüge zu diesen finden, denn der Autor versteht sein Œuvre als einen „Zusammenhang“. Lehrkräfte der Fächer Geschichte und Deutsch werden durch das neue Buch von Kluge aufgefordert, sich in ihren Fachunterricht mit Kriegen strukturanalytisch und ideologiekritisch auseinanderzusetzen.
Fazit: Alexander Kluge ist mit seiner „Kriegsfibel“ ein Werk gelungen, das die Absurdität und Inhumanität von Kriegen unmissverständlich aufdeckt.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Alexander Kluge
Kriegsfibel 2023
Mit 45 Schwarz-Weiß-Abbildungen
»Der Krieg ist wieder da.« Mit dieser ersten von sechs Stationen beginnt Alexander Kluge sein neuestes Buch, veranlasst durch einen Angriffskrieg, der zunächst auf europäischem Schauplatz, aber mit globaler Wirkung geführt wird. Der Autor zielt damit weder auf eine Parteinahme noch auf einen Appell. Vielmehr geht es ihm um den »Maulwurf Krieg«, um dessen zähes und oft unterirdisches Überleben, um das, was er aus Menschen macht und zu welchem Eigenleben er imstande ist.
Was der Autor, nach ikonischem Vorbild, im Schilde führt: eine Fibel. Für diese formuliert er einfache Geschichten und unterlegt sie mit Bildmontagen und Filmsequenzen. Zehn Jahre war der Autor alt, als er – auf der Schulbank und mit dem Finger auf der Landkarte – deutsche Panzer auf der Fahrt nach Stalingrad verfolgte. In der ganzen Zwischenzeit bis zu seinem 91. Geburtstag im Februar 2023 hat dieser »Chronist der Gefühle« die Kostümierungen des Krieges immer wieder studiert: Krieg ist sterblich, aber er stirbt nicht schnell. Wie können wir auf seine Zumutungen antworten?
»Die Unmöglichkeit, nicht zu weinen«, das ist eine unserer Stärken, heißt es in der sechsten und letzten Station des Buches. Das Versteinerte und der Charakterpanzer in uns sind eine Täuschung. Tränen in unseren Augen machen blind, aber auch hellsichtig. Wir Menschen sind für den Krieg ungeeignete Geschöpfe. Doch unsere Schwäche enthält eine Hoffnung.
Inhaltsverzeichnis
Station 1 7
»Der Krieg ist wieder da«
Station 2 19
Die Utopie der Panzerung
Station 3 29
Kaukasische und ukrainische Geschichten /
»Das Staunen der Tiere«
Station 4 63
»Der American Civil War ist nicht tot« /
Was wissen wir, was auf unserer Erde im Unter
grund an unerledigten Kriegen bis heute wühlt?
Station 5 75
Nebel des Krieges
Station 6 93
Die menschliche Natur und der bittere Krieg /
Im Zoo der Aggressionen / »Die Fähigkeit, zu trauern«