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Handbuch Medienpädagogik, Band 3: Medienerziehung Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft
Handbuch Medienpädagogik, Band 3: Medienerziehung
Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft




Dieter Spanhel

Klett-Cotta
EAN: 9783608940893 (ISBN: 3-608-94089-8)
330 Seiten, paperback, 14 x 22cm, 2006, mit zahlreichen Abbildungen, Schaubildern und Diagrammen, Sach- und Personenregister

EUR 25,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Schöne neue Medienwelt - auch für Kinder?

Massenmedien, Computer, Internet und Handy prägen den Alltag unserer Kinder und Jugendlichen. Wie wirkt sich dies auf ihre Entwicklung aus? Welche Aufgaben in Erziehung und Bildung stellen sich, wenn die Sozialisation durch die Medien immer größere Bedeutung gewinnt, vor allem gegenüber Familie und Schule? Wird es gelingen, die Medien-Erziehung in die Alltags-Erziehung einzubetten? Denn die Medien sind zu einem der wichtigsten Sozialisationsfaktoren der modernen Welt geworden.

Für die heutige Mediengesellschaft werden hier erstmals Theorie und Praxis der Medienerziehung mit Hilfe eines systemtheoretischen Ansatzes und an Hand konkreter Beispiele entwickelt und für die Praxis aufbereitet.

Das Handbuch Medienpädagogik richtet sich an Studierende aller Lehrämter, Erzieherinnen, Lehrpersonen aller Schulformen, Sozialpädagogen, Dozenten und Referendare an Universitäten und weiteren Bildungseinrichtungen.

Dieter Spanhel lehrte als Professor für Allgemeine Pädagogik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Zahlreiche Publikationen liegen u.a. zu folgenden Themen vor: Systemtheoretische Pädagogik; Spiel- und Medienforschung; Medienpädagogik; Neue Medien in der Lehrerausbildung; E-Learning.
Rezension
Eine Theorie der Medienerziehung stellt nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der breiten wissenschaftlichen Disziplin der Medienpädagogik dar. Aber angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung der Medien und der Informations- und Kommunikationstechniken für den Entwicklungsprozess der Kinder und Jugendlichen ist es sinnvoll und notwendig, alle damit zusammenhängenden Fragen und Probleme und die sich daraus ergebenden Erziehungsziele und -aufgaben in einer eigenen Theorie der Medienerziehung zusammenzufassen. Auch angesichts der Komplexität der Medienproblematik kann nur ein eigenständiges Konzept von Medienerziehung den Eltern und professionellen Pädagogen begründete Orientierungshilfen für ihre alltägliche Erziehungspraxis in einer immer stärker von Medien, Kommunikations- und Informationstechniken geprägten Lebenswelt geben!

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schöne neue Medien – auch für Kinder?
Massenmedien, Computer, Internet und Handy prägen den Alltag unserer Kinder und Jugendlichen. Welche Auswirkungen und Probleme für Erziehung und Bildung sind damit verbunden? Wie können Gefährdungen vermieden, welche Chancen genutzt werden? Was muß in Familien, Krippen, Kindergärten, Schulen und Jugendarbeit konkret getan werden?

Der Autor begründet hier erstmals systematisch eine Theorie und Praxis der Medienerziehung unter den Bedingungen der heutigen Mediengesellschaft.
– Welche Bedeutung haben die Medien in und für die menschliche Selbstverwirklichung?
– Welche Aufgaben haben wertorientierte Medienerziehung und Medienbildung?
– Wie verläuft eigentlich die Mediensozialisation unserer Kinder und Jugendlichen?

Dieter Spanhel entwickelt den systemtheoretischen Ansatz an konkreten Beispielen, um die Themen Erziehung, Bildung, Sozialisation durch die Medien einsichtig und einprägsam zu veranschaulichen. Er präsentiert und kritisiert ausführlich die Konzepte und die praktische Umsetzung der Medienerziehung. Heute und in Zukunft muß es gelingen, die Medien-Erziehung in die Alltags-Erziehung einzubetten. Denn die Medien sind zu einem der wichtigsten Sozialisationsfaktoren der modernen Welt geworden.

Der Band richtet sich an Studierende aller Lehrämter, Erzieher, Lehrpersonen aller Schulformen, Sozialpädagogen, Dozenten und Referendare an Universitäten und weiteren Bildungseinrichtungen.

Handbuch Medienpädagogik

»The medium is the message«: Die Medien sind in ihrer wachsenden Bedeutung für den einzelnen und die Gesellschaft, aber auch für Erziehung und Bildung nicht mehr zu überschätzen. So ist es nur folgerichtig, die Medienpädagogik in Theorie und Praxis in einem »Handbuch Medienpädagogik« erstmals umfassend, fundiert und mit wissenschaftlichem Anspruch zu präsentieren:

Band 1: Medienpädagogik - Grundlagen, Forschung und Lehre (2008)
Band 2: Mediendidaktik - Medien in Lehr- und Lernprozessen verwenden (bereits erschienen)
Band 3: Medienerziehung - Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Medienbereich
Band 4: Informatische Bildung - Digitale Medien in der Schule (2007)
Band 5: Medien in Bildungseinrichtungen - Entwicklung von Erziehungs- und Bildungsprofilen (2008)

Dieter Spanhel lehrte als Professor für Allgemeine Pädagogik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg. Zahlreiche Publikationen liegen zu seinen Arbeitsschwerpunkten vor: Pädagogische Handlungstheorie; Systemtheoretische Pädagogik; Spiel- und Medienforschung; Pädagogische Evaluationsforschung; Medienpädagogik; Neue Medien in der Lehrerausbildung; E-Learning.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung

1 Begriffliche Grundlagen für ein Konzept der Medienerziehung (theoretischer Aspekt)
1.1 Systemtheoretische Betrachtungsweise als Grundlage
1.2 Der Entwicklungsprozess bei Heranwachsenden als primärer Bezugsrahmen für Medienerziehung
1.3 Der Medienbegriff als zweiter Bezugsrahmen für die Medienerziehung
1.4 Der anthropologische Zusammenhang zwischen Medien und Erziehung als dritter Bezugsrahmen für Medienerziehung

2 Die Kontexte der Medienerziehung im Entwicklungsprozess (empirischer Aspekt)
2.1 Aufwachsen in der Mediengesellschaft
2.2 Der Prozess der Mediensozialisation

3 Aufgaben und Ziele der Medienerziehung (normativer Aspekt)
3.1 Medienbildung als Ziel der Medienerziehung
3.2 Aufgaben der Medienerziehung
3.3 Kinder- und Jugendmedienschutz als flankierende Maßnahmen

4 Konzepte zur praktischen Umsetzung der Medienerziehung in den pädagogischen Institutionen (pragmatischer Aspekt)
4.1 Grundlagen institutionalisierter Medienerziehung
4.2 Medienerziehung in der Schule
4.3 Medienerziehung im Kindergarten
4.4 Außerschulische Kinder- und Jugendmedienarbeit
4.5 Vernetzung als Chance: Kooperation zwischen schulischer und außerschulischer Medienarbeit

Literatur
Personenregister
Sachregister

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LESEPROBE

Einleitung

Wenn von Medienerziehung die Rede ist, zeigen sich viele Eltern verunsichert und fordern verbesserte Jugendschutzbestimmungen. Kindergärtnerinnen, Lehrkräfte oder Erzieher dagegen betrachten Medienerziehung in erster Linie als eine Aufgabe des Elternhauses. Jedes Mal, wenn über spektakuläre Gewalttaten von Jugendlichen berichtet wird, schiebt man den Medien die Schuld zu. Dann werden regelmäßig schärfere gesetzliche Maßnahmen gegen Gewaltdarstellungen in den Medien verlangt. Hilfen zur Prävention oder Verminderung der Gewaltwirkungen sucht man zuerst bei der Psychologie. Der Medienerziehung traut man offensichtlich wenig zu, und niemand möchte diese Aufgabe gern übernehmen.

Die Schwierigkeiten beginnen schon damit, dass Eltern und Berufserzieher oft wenig Einblick in die Medienwelten ihrer Kinder und Jugendlichen haben. Diese verfügen immer früher über eine umfangreiche Medienausstattung in ihrem eigenen Zimmer. Damit werden sie von den Medienpräferenzen ihrer Eltern unabhängig, sind aber dann auch mit der Vielfalt an Medienangeboten weitgehend allein gelassen. Ergebnisse aus empirischen Studien zeigen allerdings, dass nur bei einem kleinen Teil der Kinder und Jugendlichen Probleme im Umgang mit den Medien oder schwerer wiegende Folgen eines exzessiven Medienkonsums auftreten. Der größte Teil lässt sich viel weniger von den Medien vereinnahmen, als manche Politiker, Verbandsvertreter oder Wissenschaftler dies in ihren Horrorszenarien über die Auswirkungen eines übermäßigen Medienkonsums glauben machen wollen. Beobachten wir Kinder oder Jugendliche in alltäglichen Lebenssituationen, dann erkennen wir sehr schnell, wie souverän sie mit Handy, Walkman, Digitalkamera oder Gameboy umgehen. Und ebenso selbstbewusst und zielsicher treffen schon die Jüngeren zu Hause ihre Auswahl aus den unüberschaubaren Angeboten im Fernsehen, Rundfunk und Internet oder beim Kauf oder Überspielen von Videos, Musik-CDs oder CDROMs mit Computerspielen. In vielen Situationen, wo es um den Einsatz oder die Nutzung von Medien geht, wenden sich Erwachsene hilfesuchend an die jungen Leute. Lehrkräfte berichten: Wenn sie im Rahmen von Maßnahmen zur schulischen Medienerziehung Befragungen bei den Schülern über ihren Medienkonsum, ihre Vorlieben oder Nutzungsgewohnheiten durchführen wollen, sträuben sich vor allem die älteren Schüler vehement dagegen, weil sie das als einen Eingriff in ihre Privatsphäre ansehen.

Damit stellen sich einige grundlegende Fragen:

- Brauchen wir überhaupt eine Medienerziehung, wenn die Heranwachsenden in Sachen Medien kompetenter als ihre Erzieher sind?

- Gibt es für die Medienerziehung eine tragfähige Basis, wenn die Eltern und Berufserzieher gar keinen richtigen Einblick in die Medienwelten der Heranwachsenden gewinnen können?

- Fällt Medienerziehung in den primären Zuständigkeitsbereich der Eltern oder ist sie auch eine Aufgabe aller öffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, vom Kindergarten bis zur Berufsschule und zum Gymnasium?

In öffentlichen Verlautbarungen, z. B. in dem Orientierungsrahmen zur Medienerziehung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung von 1995 ist dies längst keine Alternative mehr: Es wird dort als selbstverständlich angesehen, dass sich alle pädagogisch Verantwortlichen gemeinsam um dieses Anliegen kümmern müssen. Aber trotz vieler Appelle, Initiativen, Modellversuche und Projekte in den vergangenen zehn Jahren ist dies in der Realität noch längst keine Selbstverständlichkeit. Noch immer werden Verantwortlichkeiten hin und her geschoben, und in vielen Köpfen von Eltern und Berufserziehern ist die Medienerziehung neben anderen drängenden pädagogischen Anliegen oder Erziehungsproblemen nur ein nachrangiges oder überhaupt kein Thema. Dies mag damit zusammenhängen, dass in der alltäglichen Erziehungspraxis, vor allem im familiären Bereich, Probleme im Umgang mit den Medien nicht als ein isoliertes Phänomen auftreten. Wenn Eltern sich überhaupt um eine gute Erziehung ihrer Kinder bemühen und jederzeit für sie da sind, um ihnen Schutz und Geborgenheit zu gewähren, ihre Sorgen und Probleme ernst nehmen, gemeinsam mit ihnen den Alltag gestalten und ihnen auch Aufgaben und Verantwortung übertragen, dann implizieren diese Bemühungen vielfach auch Medienerziehung: Medien sind so sehr in alle Bereiche unserer Alltagswelt verwoben, dass bei vielen Erziehungsfragen unausweichlich Aspekte der Medien ins Spiel kommen, ohne dass den Eltern dabei jedes Mal bewusst wird, dass sie jetzt gerade Medienerziehung betreiben.

In diesem Sinne betont MOSER, dass Medienerziehung gar kein Spezialwissen erfordere:

»[…] es geht dabei um die Anwendung allgemeinpädagogischer Prinzipien und Grundsätze auf die Problematik der Medien. Mit anderen Worten: Insofern die Medien Teil eines umfassenden Lebenszusammenhanges sind, reicht es erst einmal aus, die pädagogischen Regeln des Alltagsverstandes und der praktischen Lebensklugheit, wie sie für viele andere Probleme des Heranwachsens als Maximen beigezogen werden, auf die Frage der Medienerziehung anzuwenden.« ( MOSER 2001, S. 189)

Nach seiner Auffassung geht es in der Erziehung darum, den Heranwachsenden Vorstellungen eines »guten Lebens« und einer »lebenswerten Zukunft« zu vermitteln. Diese normativen Ansprüche könnten dann auch als Maßstäbe für eine kritische Beurteilung des Medienverhaltens der Kinder und Jugendlichen dienen. Dagegen besteht in der Medienpädagogik Einigkeit darüber, dass Medienerziehung möglichst frühzeitig in der Familie ansetzen müsste. Die Frage ist nur, welche konkreten Hilfen oder Konzepte zur Medienerziehung im Rahmen von Maßnahmen zur Elternbildung oder Elternberatung vermittelt werden sollten. Eltern benötigen auf jeden Fall mehr Informationen über die rasch sich wandelnden und ausdifferenzierenden Medienwelten der Heranwachsenden. Sie müssten insbesondere ein klares Bewusstsein von der pädagogischen Bedeutung der Medien erhalten, von ihren positiven oder negativen Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess ihrer Kinder, auf ihr Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen, Werten und Handeln, auf die damit verbundenen Chancen und Gefahren. Sie sollten erkennen und verstehen lernen, auf welche Weise Kinder und Jugendliche Medien aktiv nutzen, um ihre Alltags- und Freizeitwelt zu gestalten, sich ihre eigene Wirklichkeit zu schaffen, sich Vorbilder, Wertorientierungen und Problemlösungen zu holen, sich in Stimmungen und Gefühle zu versetzen, sich zurückzuziehen oder Kontakte zu knüpfen, sich auszudrücken, Probleme zu bearbeiten oder vor den Anforderungen der Wirklichkeit zu .iehen. Mit diesem Wissen und Bewusstsein können Eltern ihre Kinder auch in einer stark von Medien geprägten Alltagswelt zu einem »guten Leben« erziehen.

Für professionelle Pädagoginnen und Pädagogen stellt sich dagegen die Frage der Medienerziehung ganz anders dar. In den pädagogischen Institutionen (Schule, Kindergarten, Jugendarbeit) müssen die Erziehungs- und Bildungsaufgaben, die sich aus dem Bereich der Medien und der Informations- und Kommunikationstechniken ergeben, zielgerichtet und systematisch angegangen werden. Das erfordert eigene Maßnahmen und Methoden, ein spezifisches berufliches Selbstverständnis und professionelle Handlungskompetenz. Wenn jedoch ein solches spezielles Erziehungsproblem als eigenständige Aufgabe postuliert wird, stellt sich sofort die Frage nach dem Verhältnis zu den vielfältigen anderen Erziehungs- und Bildungsaufgaben der Erziehungsinstitutionen. In der Folge der raschen gesellschaftlichen Veränderungen werden ihnen immer neue Aufgaben aufgebürdet. Das Problem ist, wie sie so miteinander verknüpft werden können, dass ein einheitlicher Bildungsprozess bei den Heranwachsenden optimal gefördert werden kann. Eine zentrale Frage ist dann, wie die Medienerziehung so mit den anderen Erziehungs- und Bildungsaufgaben verbunden werden kann, dass sie von den Lehrkräften und Erzieherinnen nicht als zusätzliche Belastung gesehen wird.

Mit der Klärung dieser Fragen werden sich die folgenden Ausführungen befassen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Medienforschung in den vergangenen Jahren eine Fülle an empirisch gesicherten Erkenntnissen hervorgebracht hat: Sie betreffen die breite Palette an Medienangeboten und ihre möglichen positiven oder negativen Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess der Kinder und Jugendlichen, deren Medienverhalten, Medienpräferenzen und Nutzungsgewohnheiten, aber auch ihre Medienkompetenzen, die sie im Medienumgang eigenständig aufbauen.

Darüber hinaus gibt es inzwischen eine Vielzahl an praktischen Erfahrungen mit Medienerziehung. Erprobte und teilweise auch wissenschaftlich evaluierte Programme, Modelle, Projekte, Handlungsformen für eine Erfolg versprechende nachhaltige Umsetzung der Medienerziehung in pädagogischen Institutionen liegen vor. Damit wären eigentlich gute Voraussetzungen für die Entwicklung eines umfassenden Konzepts von Medienerziehung gegeben. Deshalb ist es erstaunlich, dass es noch keine ausgearbeitete Theorie der Medienerziehung gibt. Keine der neuesten Veröffentlichungen zur Medienpädagogik mit einem einführenden oder grundlegenden Charakter geht explizit auf eine solche Theorie der Medienerziehung ein.

Unter dem Titel »Medienpädagogik« werden meist andere Fragestellungen behandelt: So kommt z. B. in der »Einführung in die Medienpädagogik« von R. VOLLBRECHT (2001) der Begriff Medienerziehung überhaupt nicht vor. Dort geht es um die »Entwicklungslinien der medienpädagogischen Debatte«, um »Medienkompetenz als bildungstheoretisches Konzept« bzw. als »Vermittlungsproblem«, um »medienpädagogische Aufgabenfelder« ( VOLLBRECHT 2001, S. 5 – 7).

Ein weiteres Beispiel liefert die Einführung in die Medienpädagogik von BARSCH/ERLINGER (2002). In einem Abschnitt »Medienpädagogik und Medienerziehung« (S. 20 f.) wird die gemeinsame Aufgabe von Medienpädagogik und -erziehung darin gesehen, den Kindern Distanzierungsmöglichkeiten zu den Medieninhalten zu bieten. Diese Aufgabe wird der Schule zugeschrieben und dort der Deutschunterricht als Kernfach der Medienerziehung angesprochen (S. 22 – 53).

Eine Ausnahme stellt das inzwischen zum Standardwerk gewordene Bändchen von G. TULODZIECKI dar: »Medienerziehung in Schule und Unterricht«, erstmals 1988, in dritter Au.age 1997 unter dem Titel »Medien in Erziehung und Bildung« erschienen. Dort geht es explizit um die Konzepte, um Ziele und Bedingungen von Medienerziehung, insbesondere aber um eine differenzierte Darstellung ihrer Aufgabenbereiche in Schule und Unterricht. Die Hauptintention des Buches ist die Entwicklung und Begründung praktischer Handlungsanleitungen für die schulische Medienerziehung.

Aus diesen einführenden Überlegungen wird schon deutlich, dass sich die Medienpädagogik als wissenschaftliche Disziplin mit einem breiten Spektrum an Fragestellungen zu befassen hat. Zugleich ist sie als Handlungswissenschaft mit einer Vielzahl an praktischen Aufgaben konfrontiert. In der Literatur werden sie systematisch unter den Aspekten von Medienerziehung, Mediendidaktik und Medienkunde gefasst. Wissenschaftlich begründete Handlungsorientierungen und -möglichkeiten zur Lösung dieser praktischen Aufgaben müssen unter den erschwerten Bedingungen rasanter Entwicklungen im Bereich der Medien sowie der Informations- und Kommunikationstechniken und eines raschen gesellschaftlichen Wandels entwickelt und erprobt werden.

In diesem komplexen Problemfeld der Medienpädagogik ist eine klare Positionierung der Medienerziehung mit ihren spezi.schen Anliegen, Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und Grenzen besonders wichtig, damit die nachfolgenden Ausführungen richtig verstanden, eingeordnet und in ihrer praktischen Bedeutsamkeit eingeschätzt werden können. Ich schließe mich hier der Position von D. BAACKE an. Er hat eine »Vermessung des Feldes« der Medienpädagogik vorgenommen und darin die Stellung und Bedeutung der Medienerziehung folgendermaßen gekennzeichnet:

»Medienpädagogik umfaßt alle sozialpädagogischen, sozialpolitischen und sozialkulturellen Überlegungen und Maßnahmen sowie Angebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die ihre kulturellen Interessen und Entfaltungsmöglichkeiten, ihre persönlichen Wachstums- und Entwicklungschancen sowie ihre sozialen und politischen Ausdrucks- und Partizipationsmöglichkeiten betreffen, sei es als einzelne, als Gruppen oder als Organisationen und Institutionen. Diese kulturellen Interessen und Entfaltungsmöglichkeiten, Wachstums- und Entwicklungschancen, sozialen und politischen Ausdrucks- und Partizipationsmöglichkeiten werden heute beein.ußt und mitgestaltet durch expandierende Informations- und Kommunikationstechniken mit Wirkungen auf das Rezeptionsverhalten gegenüber Programmmedien (Radio, Fernsehen), auf Arbeitsplätze, Arbeitsverhalten und Arbeitschancen; auf Handlungsmöglichkeiten und Verkehrsformen im öffentlichen und privaten Leben. Daher stellt Medienpädagogik heute diese Informations- und Kommunikationstechniken mit ihren sozialen, politischen und kulturellen Implikationen in den Fokus ihrer Betrachtung. Mediendidaktik (Einsatz von Mediengeräten, vom Overheadprojektor bis zum Computereinsatz in Lehr-/Lernprozessen) sowie Medienerziehung und Medienalphabetisierung bzw. Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit dem Ziel, die audiovisuellen Codes und neuen Zeichenwelten neben Schrift und Sprache entziffern und benutzen zu können, bis zu Übungen in aktiver Mediengestaltung und Mediennutzung stellen Teilbereiche der Medienpädagogik dar.« ( BAACKE 1997, S. 5)

Das Anliegen des Buches

Eine Theorie der Medienerziehung stellt nur einen relativ kleinen Ausschnitt aus der breiten wissenschaftlichen Disziplin der Medienpädagogik dar. Aber angesichts der kaum zu überschätzenden Bedeutung der Medien und der Informations- und Kommunikationstechniken für den Entwicklungsprozess der Kinder und Jugendlichen ist es sinnvoll und notwendig, alle damit zusammenhängenden Fragen und Probleme und die sich daraus ergebenden Erziehungsziele und -aufgaben in einer eigenen Theorie der Medienerziehung zusammenzufassen. Auch angesichts der Komplexität der Medienproblematik kann nur ein eigenständiges Konzept von Medienerziehung den Eltern und professionellen Pädagogen begründete Orientierungshilfen für ihre alltägliche Erziehungspraxis in einer immer stärker von Medien, Kommunikations- und Informationstechniken geprägten Lebenswelt geben!

Das Anliegen dieses Buches ist daher explizit darauf gerichtet, einen umfassenden theoretischen Bezugsrahmen für die alltägliche Praxis der Medienerziehung in pädagogischen Institutionen bereitzustellen. Dieser Bezugsrahmen soll dazu beitragen, dass professionelle Pädagogen medienerzieherische Fragen als Teil ihres beruflichen Selbstverständnisses anerkennen und für solche Fragen sensibel werden. Er soll ihnen helfen, die erforderliche Diagnosekompetenz zu erwerben, um die Chancen und Probleme der Heranwachsenden im Umgang mit Medien erkennen und pädagogisch einschätzen zu können. Er soll ihnen das nötige Grundlagen- und Handlungswissen vermitteln und sie zum Aufbau eines Handlungsrepertoires befähigen, damit sie die Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Bereich der Medien und der Informations- und Kommunikationstechniken erfolgreich bewältigen können.

Ein solcher Bezugsrahmen für die Theorie und Praxis der Medienerziehung ist an einige grundlegende Voraussetzungen gebunden, die bisher im medienpädagogischen Diskurs vernachlässigt wurden. Als Reaktion auf die rasanten Medienentwicklungen haben sich Erziehungswissenschaft und Erziehungspraxis in den letzten Jahrzehnten zuerst stets um mögliche Erziehungsprobleme und Gefährdungen der Heranwachsenden beim Umgang mit einem neuen Medium gekümmert. Erst in einer zweiten Phase wurden dann auch die pädagogischen Möglichkeiten und Chancen des neuen Mediums entdeckt und häufig in großer Euphorie für den Erziehungs- und Bildungsbereich nutzbar gemacht. R. MERKERT (1992) hat diese Entwicklungen beispielhaft erläutert und gezeigt, wie erst in einer dritten Phase die Pädagogik in Theorie und Praxis ein kritisch-distanziertes und ausgewogenes Verhältnis zu den jeweils neuen Medien gewinnen konnte.

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© Klett-Cotta Verlag