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Gandhi und Jesus Das Ende des Fundamentalismus
Gandhi und Jesus
Das Ende des Fundamentalismus




Wolfgang Sternstein

Gütersloher Verlagshaus
EAN: 9783579064758 (ISBN: 3-579-06475-4)
368 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, 2009

EUR 19,95
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Gandhi und Jesus sind Brüder im Geist, ungeachtet der Distanz in Zeit, Raum und Kulturkreis, die sie trennt. Das ist die These dieses Buches. Aus Gandhis religiösem Denken ergibt sich eine ganz neue Sicht des Lebens und der Lehre Jesu. Diese stimmt auf weite Strecken mit den Ergebnissen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft (die Gandhi nicht kannte) überein, geht aber in entscheidenden Punkten darüber hinaus. Die wichtigste der zahlreichen Gemeinsamkeiten von Gandhi und Jesus ist ihre Absage an jede Art von Fundamentalismus und dessen Grundlage, den absoluten Wahrheitsanspruch.

Dr. Wolfgang Sternstein, geboren 1939, ist Friedensforscher und Friedensaktivist mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er lebt in Stuttgart.
Rezension
Der religiöse Fundamentalismus ist - nach Meinung des Verfassers dieses Buchs - keine Randerscheinung in den abrahamitischen Religionen. Er hat seine Wurzeln vielmehr im absoluten Wahrheitsanspruch dieser Religionen selbst. Von Gandhis religiösem Denken aus (vgl. Teil 1 des Buchs) ergibt sich für den Autor eine völlig neue Sicht des Lebens und der Lehre Jesu von Nazareth (vgl. Teil 2 des Buchs), die weithin mit den Erkenntnissen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft übereinstimmt, aber auch darüber hinaus geht: Gandhi und Jesus bedeuten das Ende des Fundamentalismus, den der Autor als Flucht vor der existenzbedrohenden Realität in einen kollektiven Wahn definiert.

Thomas Bernhard, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
In Kraft und Demut müssen wir dem Hass mit Liebe begegnen. (Martin Luther King)

•Ein erhellendes Buch von einem der überzeugendsten Aktivisten der Ökologie- und Friedensbewegung
Was haben Gandhi und Jesus gemeinsam? Moralisches und geistiges Vorbild zahlloser Menschen der eine, Religionsstifter einer der größten Weltreligionen der andere, eint sie der gewaltfreie Kampf für die Armen und Unterdrückten gegen die Inhaber von Macht und Gewalt. Auch wenn sie in unterschiedlichen Zeiten, Lebensräumen und Kulturen gelebt haben, sind sie Brüder im Geist in ihrer Absagen an jede Form von Fundamentalismus.

Wolfgang Sternstein folgt den Spuren zweier großer historischer Gestalten und reflektiert ihre religiösen Einsichten, Lehren und Praktiken. Ein kluges Buch nicht allein für »Friedensbewegte«, sondern für alle, die über den Zustand unserer Welt besorgt sind.

Wolfgang Sternstein
Dr. Wolfgang Sternstein, geboren 1939 in Braunschweig, ist Friedensforscher und Friedensaktivist mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Über sein Leben berichtet er in seiner Autobiografie mit dem Titel "Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit". Er lebt in Stuttgart, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9

I. Der Absolutheitsanspruch der abrahamitischen Religionen 16

Gotthold Ephraim Lessing 18
Karl Barth 22
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. 26
Hans Küng 29
Mahatma Gandhi 39

Erster Teil
Mahatma Gandhi

II. Gandhi und das Christentum 46


Vernunft und Glaube 57

III. Bibelkritik 62

Jahwe und sein auserwähltes Volk 65
Wo bleibt das Positive? 67
Der »heilige Rest«
im ersttestamentlichen Gottesbild 72
Das Zweite Testament 75
Einwände 79
Eine religionsgeschichtliche Anmerkung 82
Die Bibel – ein heiliges Buch? 87

IV. Gandhis Weg zu Gott 89

Das ontologische Paradox 97
Existenzielle Hermeneutik 100

V. Gott ist die Wahrheit 109

Gott ist anders als wir 109
Gott ist keine Person und ist eine Person 116
Gott ist weder männlich noch weiblich noch sächlich 118
Gott ist Existenz, Wissen und Glückseligkeit (Sat, Chit, Ananda) 119
Gott ist allgegenwärtig, allwissend und allmächtig 120
Gott ist einer, es gibt keinen zweiten 124
Gott ist Wahrheit und Liebe (Satja und Ahimsa) 125
Die drei Filter 134
Noch einmal: Wer oder was ist Gott? 135

VI. Die Wahrheit ist Gott 138

Die vier Dimensionen der Wahrheit 141
Gott und Satan 143
War Gandhi ein Mystiker? 150
Karma und Wiedergeburt 151

VII. Satjagraha 156

VIII. Sarwodaja 175


Der Lebensbaum als Symbol des Gottesreiches 186

Zweiter Teil
Jesus von Nazareth


IX. Historisch-kritische Theologie 190

Vorbemerkung zur Methode 190
Ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung 194

X. Tendenzen 203

Die Vergegenwärtigungstendenz 203
Die Überlagerungstendenz 205
Die Erfüllungstendenz (Schrift beweis) 208
Die Anpassungstendenz 210
Die Steigerungstendenz 216
Die Abschwächungstendenz 219
Die Harmonisierungstendenz 220

XI. Das Leben Jesu 222

XII. Die Botschaft Jesu von der Gottesherrschaft 235


Jesus und Johannes der Täufer 236
Gottesherrschaft oder Messiasherrschaft? 239
Die Messiasherrschaft 241
Die Gottesherrschaft 245

XIII. Was hat Jesus über die Gottesherrschaft gelehrt? 248

Die ganzheitliche Interpretation der Reich-Gottes-Botschaft Jesu 249
War Jesus bei Verstand? 256
Die Gerichtspredigt Jesu 259
Für wen hielt sich Jesus? 262

XIV. Die Ethik Jesu: Die Bergpredigt 270

Die Seligpreisungen 275
Vom Salz der Erde und vom Licht der Welt 277
Vom Gesetz und den Propheten 278
Vom Töten und von der Versöhnung 279
Vom Ehebruch 280
Von der Vergeltung und von der Liebe zu den Feinden 281
Von der falschen und der rechten Sorge 286
Richtet nicht … 288
Warum redete Jesus in Gleichnissen? 289
War Jesus politisch? 291
Jesus als religiöser »Weltlehrer« 292

XV. Die Auferstehung Jesu 297

XVI. Die Erhebung Jesu zum Gott (Apotheose) 313


Die Jerusalemer Urgemeinde 315
Die »Hellenisten« 316
Paulus 318
Die Synoptiker 330
Das Johannesevangelium 331
Die Apokalypse des Johannes 333
Der arianische Streit 336
Das Ende des Fundamentalismus 339

XVII. Was bedeutet Jesus für Gandhi? 342

XVIII. Glanz und Elend des Christentums 348

XIX. »Notwendige Abschiede« 356

XX. Glaubensbekenntnis 365




Vorwort
Wenn ich mich frage, von welcher Literatur wir hier in Europa,
die wir uns fast ausschließlich von den Gedanken der
Griechen und Römer sowie eines semitischen Volkes, des
jüdischen, ernährten, das so bitter nötige Korrektiv herleiten
können, um unser inneres Leben vollkommener, inhaltsreicher,
umfassender, genau gesagt wahrhaft menschlicher
zu gestalten – zu einem Leben, nicht allein auf dieses
Leben beschränkt, sondern zu einem verklärten und ewigen
Leben –, ich würde einmal mehr auf Indien zeigen.
Friedrich Max Müller
Religion steht für das Höchste und das Niedrigste im Menschen.
Sie befähigt zum selbstlosen Dienst am Nächsten, zur
tätigen Hilfe für Schwache und Kranke, zur Feindesliebe, ja
sogar zur Hingabe des Lebens für die eigene Überzeugung oder
für andere. Sie befähigt aber auch zu den furchtbarsten Verbrechen
und unmenschlichsten Grausamkeiten, denn sie vermittelt
den Tätern ein gutes Gewissen, da Gott angeblich auf ihrer
Seite steht, ihnen derartige Handlungen womöglich sogar gebietet.
Solche Zweideutigkeit scheint jeder Religion eigen zu sein.
Gleichwohl fragt man sich, ob das zwangsläufi g so sein muss,
weil im Wesen der Religion selbst begründet. Meiner Meinung
nach ist das keineswegs der Fall, wie ich am Beispiel zweier
herausragender religiöser Gestalten – Gandhi und Jesus – hoffe
zeigen zu können. Religion, wie ich sie verstehe, ist nicht nur
frei von Hass und Gewalt, Lüge und Betrug, sie ist vielmehr
geeignet, derartige Verhaltensweisen, die unser Zusammenleben
vergift en, zu überwinden und eine Welt zu schaff en, in der
10
wir einander und der außermenschlichen Natur menschlich
begegnen. So selbstverständlich das für viele klingen mag, ist
es nicht. Bereits ein fl üchtiger Blick in die Bibel, die vielen
Christen nach wie vor als Heilige Schrift und Wort Gottes gilt,
zeigt, dass nahezu jede Menschenrechtsverletzung und jedes
Verbrechen unter Berufung auf die Bibel gerechtfertigt werden
kann und in der Geschichte der Christenheit auch gerechtfertigt
wurde. Wer sich durch die vielfältigen kirchlichen Sprachregelungen
nicht einlullen lässt, erkennt erschreckend viel Unheiliges
in der Heiligen Schrift.1 Gleichwohl verbreiten die
christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaft en dieses Buch
in Millionenaufl age in der ganzen Welt ohne jeden kritischen
Kommentar. Eine Bibelausgabe, welche die Erkenntnisse der
historisch-kritischen Bibelforschung, der Religionswissenschaft
, der Religionssoziologie und Religionspsychologie einbezieht,
ist aber längst überfällig. Keine Frage, ein solches Unternehmen
würde unter Th eologen und Laien eine wahre Flut
von Kontroversen auslösen. Doch das macht nichts. Kontroversen
schaden nicht, solange sie im Rahmen einer konstruktiven
Streitkultur ihren Platz finden. Meinungsverschiedenheiten
sind doch das Salz des Lebens, denn ohne
Meinungsverschiedenheiten gibt es weder einen Erkenntnisnoch
einen Glaubensfortschritt. Doch gibt es eine unerlässliche
Bedingung für die fruchtbare Arbeit an einer kritischen Bibelausgabe:
Es darf keine Tabus geben, es darf keinen absoluten
Wahrheitsanspruch für das Christentum, für die Bibel, die Dogmen
oder die Bekenntnisse geben.2 Das Ergebnis eines solchen
Diskussionsprozesses wird selbstverständlich stets ein vorläufi
ges sein. Der Erkenntnisfortschritt wird weitergehen und sich
1 Siehe Gerd Lüdemann: Das Unheilige in der Heiligen Schrift . Die andere Seite
der Bibel. Stuttgart 1996.
2 Die kommentierte Bibelausgabe von Hubertus Halbfas u.a. erfüllt diese Aufgabe
keinesfalls.
11
in weiteren kritischen Ausgaben niederschlagen. Das wäre ein
Zeichen für eine lebendige Religion.
Dass bis heute noch keine kritische Bibelausgabe vorliegt, ist
ein schweres Versäumnis. Es ist einer der Hauptgründe für die
wachsende Entfremdung zwischen der Th eologie und den Kirchengemeinden
und es ist einer der Gründe dafür, dass mit der
Bibel so viel Unfug getrieben wird. Seit den 70er-Jahren des
vergangenen Jahrhunderts ist der religiöse Fundamentalismus3
in den abrahamitischen Religionen4 auf dem Vormarsch.5
Fromme Juden, Christen und Muslime nehmen die hebräische
Bibel (das Erste6 Testament) und das Zweite Testament sowie
den Koran wörtlich und beziehen die darin enthaltenen Endzeitprophezeiungen
auf die Gegenwart, wie es die messianischen
Apokalyptiker früherer Zeiten auch schon getan haben.
Für sie ist die Bibel oder der Koran Gottes zeitlos gültiges Wort,
an dem nicht gezweifelt werden darf. Ihr Blick ist gebannt auf
das Palästina unserer Tage gerichtet, jenen winzigen Flecken
Erde an der Ostküste des Mittelmeeres, wo nach ihrer Überzeugung
die in der Bibel, namentlich in der Off enbarung des
Johannes, vorausgesagten Ereignisse der Endzeit ihren Anfang
nehmen werden. Sie interpretieren den Nah-Ost-Konfl ikt im
3 Eine brauchbare Defi nition des Fundamentalismus bietet der Politologe
Th omas Meyer: »Fundamentalismus ist eine willkürliche Abschließungsbewegung,
die als immanente Gegentendenz zum modernen Prozess der generellen
Öff nung des Denkens, des Handelns, der Lebensformen und des Gemeinwesens
absolute Gewissheit, festen Halt, verlässliche Geborgenheit und
unbezweifelbare Orientierung durch irrationale Verdammung aller Alternativen
zurückbringen soll.« Th omas Meyer: Fundamentalismus. Aufstand gegen
die Moderne, Hamburg 1989, S. 18.
4 Judentum, Christentum und Islam werden unter der Bezeichnung abrahamitische
Religionen zusammengefasst, weil sie sich alle drei auf Abraham als
ihren Stammvater berufen. Insgesamt gehören ihnen nominell mehr als die
Hälft e der 6,45 Milliarden Erdbewohner an.
5 Gilles Kepel: Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf
dem Vormarsch, München 1994.
6 Ich verwende die Bezeichnungen Erstes und Zweites Testament statt Altes
und Neues Testament, um jeden diskriminierenden Beiklang zu vermeiden.
12
Hinblick auf die Bibel und kommen zu dem Ergebnis, die Endschlacht
bei Harmagedon, einem mythischen Ort im Norden
Israels, von dem in der Johannesapokalypse die Rede ist,7 stehe
nahe bevor. Für sie weisen die angeblich sichtbaren Zeichen
der Endzeit darauf hin, dass die islamischen Völker sich rüsten,
um Gottes »auserwähltes Volk« zu vernichten. Auf diese Weise
zwingen sie angeblich Gott, in den Lauf der Geschichte einzugreifen
und die Welt in einer kosmischen Katastrophe untergehen
zu lassen, um sie durch eine neue zu ersetzen, in der
seine Auserwählten im Reich des Messias ein Leben in paradiesischer
Fülle genießen. Für die islamischen Fundamentalisten
gilt das Gleiche, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Für sie
repräsentieren die USA den großen und Israel den kleinen Satan,
die Allah in der schon bald anbrechenden Endzeit vernichten
werde.8
Als aufgeklärter Zeitgenosse ist man geneigt, derlei Spekulationen
als absurde Wahnvorstellungen von Sektierern abzutun.
Das wäre indes eine verhängnisvolle Fehleinschätzung,
denn auf Grund ihres Potenzials an Wählerstimmen sowie ihrer
intensiven Lobby- und Missionstätigkeit beeinfl ussen sie
massiv die Wahlen politischer Amtsträger und die Regierungspolitik
in den USA, Israel, Iran und zunehmend auch in anderen
Staaten.
So abwegig die fundamentalistischen Endzeitspekulationen
auch erscheinen mögen, so haben sie doch einen realen Kern.
Seit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 hat sich der
Nah-Ost-Konfl ikt und die Bedrohung durch so genannte Atomwaff
enstaaten verschärft und ausgeweitet. Eine nüchterne Analyse
der weltpolitischen Lage kommt deshalb zu ähnlichen Resultaten
wie die religiösen Fundamentalisten, nur mit dem
7 Offb 16,16.
8 Viktor und Viktoria Trimondi: Krieg der Religionen. Politik, Glaube und
Terror im Zeichen der Apokalypse, München 2006, Kapitel 12–17.
13
»kleinen« Unterschied, dass nach einem atomaren Weltkrieg
nicht die Neuschaff ung der Welt bevorsteht, sondern ein atomar
verseuchter blauer Planet still die Sonne umkreist, wie es
in einem Friedenslied aus den 80er-Jahren des vergangenen
Jahrhunderts heißt. Das schließt eine »Neuschaff ung« der Welt
indes keineswegs aus. Die Natur hat unendlich viel Zeit. Für sie
sind eine Million Jahre so viel wie für uns ein Tag. Die radioaktive
Strahlung wird nach einigen Millionen Jahren auf der
Erde so weit abgeklungen sein, dass eine neue Evolution einsetzt,
denn Algen und Bakterien überleben auch die stärkste
Strahlung.
Der religiöse Fundamentalismus hat folglich eine durchaus
reale Grundlage. Er ist vor allem deshalb so gefährlich, weil er,
statt die Kräft e der Menschen zu mobilisieren, um das drohende
Verhängnis abzuwenden, es nach Art einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung herbeiführt, vielleicht sogar aktiv
fördert, um auf diese Weise der ewigen Seligkeit teilhaft ig zu
werden. Es handelt sich also um die Flucht vor der existenzbedrohenden
Realität in einen kollektiven religiösen Wahn.
Keine Frage, die Bedrohung unserer Existenz durch Atomwaff
en und Umweltkatastrophen ist real. Wenn wir, grob gesprochen,
das 19. Jahrhundert als das Jahrhundert des Kampfes
der europäischen Nationen um die Weltherrschaft , und das
20. Jahrhundert als das Jahrhundert des Kampfes der kapitalistischen,
kommunistischen und faschistischen Weltanschauungsgemeinschaft
en um die Weltherrschaft begreifen, so zeichnet
sich für das 21. Jahrhundert als neues Paradigma der
»Kampf der Kulturen« um die Weltherrschaft ab.9 Zu den »Playern
« in diesem globalen Spiel gehören die USA, Europa, Russland,
die islamische Welt, China und Indien. Es geht dabei um
so profane Dinge wie Zugang zu Rohstoff reserven, zu Märkten
9 Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen, München 1996.
14
und um sichere Transportwege. Von den Kämpfen der Vergangenheit
unterscheidet sich die gegenwärtige Situation vor allem
dadurch, dass die wichtigsten Spieler auf diesem Feld
Atommächte sind, der Einsatz dieser Waff en in regionalen oder
globalen Kriegen folglich absehbar ist. Es ist das Wissen um
die atomare Bedrohung der Menschheit und allen höheren Lebens
auf der Erde, das den Endzeitspekulationen so gewaltigen
Auft rieb verleiht.
Huntington weist mit Recht auf die zentrale Rolle hin, die
der Religion bei der Herausbildung einer kulturellen Identität
zukommt. Sie erweist sich zugleich als ein unerschöpfl iches
Arsenal, um daraus Waff en für den Propagandakrieg im Innern
der kriegführenden Staaten und nach außen zu besorgen.
Die gemäßigten Kräft e im Judentum, Christentum und Islam
sollten sich der Herausforderung durch den Fundamentalismus
stellen. Glücklicherweise gibt es heute schon eine Anzahl von
Initiativen, die den Dialog an Stelle des »Krieges der Religionen
« fördern wollen. Dazu gehört das verdienstvolle »Projekt
Weltethos« von Hans Küng oder die »Weltkonferenz der Religionen
für den Frieden« und viele mehr.10 Es liegt an uns, ob
sich daraus eine breite Bewegung für den interkonfessionellen,
interreligiösen und interkulturellen Dialog, die dem religiösen
Fundamentalismus Paroli bieten kann, entwickelt.
Viktor und Viktoria Trimondi haben eine Analyse der messianisch-
apokalyptischen Bewegungen in den abrahamitischen
Religionen vom Standpunkt einer der Aufk lärung und dem
Humanismus verpfl ichteten Wissenschaft vorgelegt. Das hat
meine uneingeschränkte Zustimmung. Ich halte es jedoch für
10 In diesem Zusammenhang verdienen die Arbeiten von John H. Hick, Paul
F. Knitter und Perry Schmidt-Leukel Erwähnung. Auf das opulente Werk
von Schmidt-Leukel: Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische
Th eologie der Religionen, Gütersloh 2005, gehe ich nicht näher ein, da es im
Ansatz mit dem meinen übereinstimmt.
15
wünschenswert, ja für notwendig, eine solche Analyse auch von
einem religiösen Standort aus zu versuchen. Davon handelt
dieses Buch. Eines seiner Ergebnisse lautet: Der religiöse Fundamentalismus
ist keine Randerscheinung in den abrahamitischen
Religionen. Er hat seine Wurzeln vielmehr im absoluten
Wahrheitsanspruch dieser Religionen selbst, so wie die gift ige
Pfl anze des Antisemitismus ihre Wurzeln nicht zuletzt im
christlichen Antijudaismus hat. Es geht folglich nicht allein um
den Fundamentalismus, es geht auch um den absoluten Wahrheitsanspruch
der abrahamitischen Religionen selbst. De te fabula
narratur!11
Zum Aufb au des Buches: Im ersten Kapitel werden die Positionen
einiger namhaft er Autoren im Hinblick auf den absoluten
Wahrheitsanspruch der abrahamitischen Religionen skizziert.
Darauf folgt ein erster Teil, der sich vor dem Hintergrund
der biblischen Gottesvorstellung mit Gandhis Gotteserfahrung
und ihren Konsequenzen für sein Leben und Wirken befasst.
Aus Gandhis religiösem Denken ergibt sich eine völlig neue
Sicht des Lebens und der Lehre Jesu von Nazareth. Sie stimmt
auf weite Strecken mit den Ergebnissen der historisch-kritischen
Bibelwissenschaft , die Gandhi nicht kannte, überein,
geht aber an entscheidenden Punkten darüber hinaus. Sie wird
im zweiten Teil der Studie dargestellt.
11 Übersetzt: Von dir handelt die Geschichte!
16
I. Der Absolutheitsanspruch
der abrahamitischen Religionen
Wer im endgültigen Besitz der Wahrheit ist, kann nicht mehr
mit dem Andern richtig reden, – er bricht die echte Kommunikation
ab zu Gunsten seines geglaubten Inhalts.
Karl Jaspers
In diesem Kapitel steht der absolute Wahrheitsanspruch der
abrahamitischen Religionen zur Diskussion. Damit ist der von
Juden, Christen und Muslimen erhobene Anspruch gemeint,
ihre Religion sei jeweils die einzig wahre, weil von Gott geoffenbarte
Religion. Dieser Anspruch unterscheidet die abrahamitischen
Religionen von den Religionen des Ostens, dem Hinduismus,
Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus. Von
den meisten Christen wird er im Zeitalter einer nicht nur wirtschaft
lichen, sondern auch gesellschaft lichen und kulturellen
Globalisierung nur noch verhalten vorgetragen, doch gibt es
»glaubensstarke«, d.h. zum Fundamentalismus und Fanatismus
neigende Minderheiten, die ihn nach wie vor mit Entschiedenheit
geltend machen. Selbst die großen Kirchen wollen, ungeachtet
ihrer Bemühungen um einen interreligiösen Dialog, auf
ihn nicht verzichten. Wie viel Unheil dieser Anspruch in der
Geschichte anrichtete und bis heute verursacht, übersteigt jede
Vorstellungskraft , wurden doch in seinem Namen Kriege geführt
und Kreuzzüge unternommen, Andersgläubige als Ketzer
zwangsbekehrt, gefoltert und verbrannt. Die Menschenopfer,
die auf dem Altar dieses blutdürstigen Götzen dargebracht wurden,
zählen Millionen und Abermillionen.
Das Th ema ist gewiss nicht neu. Es ist so alt wie die Aufk lärung
im 18. Jahrhundert, wenn nicht noch älter. Damals ent-
17
brannte der Streit zwischen den Anhängern der Off enbarungsreligion
und den Anhängern der Vernunft religion. Die ersteren
beriefen sich auf die Bibel als Quelle absoluter Wahrheit, die
letzteren auf die Vernunft als Quelle einer Religion, die Gott
als Schöpfer des Universums betrachtet. Gott habe die Welt
nach den Gesetzen der Vernunft eingerichtet. Er habe sie geschaff
en wie ein Uhrmacher das Uhrwerk, das, einmal in Gang
gesetzt, seinen von den Naturgesetzen vorgezeichneten Gang
gehe.
Wesentliche Bestandteile der Vernunft religion waren der
Aufruf zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen
sowie die scharfe Wendung gegen obskuren Aberund
Wunderglauben, wie er in Europa im Mittelalter bis weit
in die Neuzeit vorherrschte und zum Teil bis heute – denken
wir an den Endzeitglauben religiöser Fundamentalisten oder
die Verwerfung der Darwinschen Abstammungslehre durch
amerikanische »Kreationisten« – anzutreff en ist.
Der Streit Off enbarungsreligion contra Vernunft religion ist
heute weitgehend überholt, nicht überholt ist indes der off ene
oder verdeckte absolute Wahrheitsanspruch für die eigene Religion.
Sich damit auseinanderzusetzen, ist auch heute noch so
notwendig wie eh und je. Die Religionen, die diesen Anspruch
erheben, schützen sich vor kritischen Fragen, indem sie sie als
Folge der Sünde betrachten oder gar mit dem Bannfl uch der
Gotteslästerung belegen. Wer diesen Bannfl uch nicht auf sich
ziehen will, schweigt lieber still.
Nun sind es bekanntlich die Kinder, deren unverdorbene
Seelen sie aussprechen lässt, was jeder sieht, aber nicht zu sagen
wagt: »Der Kaiser ist ja nackt!« Zu dieser Sorte Fragen gehört
auch die folgende: Es gibt drei Religionen, die sich durchaus
unterscheiden, von denen aber jede den Anspruch erhebt, die
von Gott geoff enbarte absolute Wahrheit zu sein. Da kann etwas
nicht stimmen: Entweder ist nur eine von ihnen absolut
18
wahr und die anderen sind unwahr, oder alle drei sind, ungeachtet
ihres Anspruchs, unwahr, oder, dritte Möglichkeit, wir
verabschieden die Vernunft und erklären: Bei Gott ist alles
möglich, warum nicht auch das? Die Experten fürchten nichts
so sehr wie diese Art von Kinderfragen. Sie haben sich längst
darauf verständigt, dass jeweils ihre eigene Religion die einzig
wahre ist! Sie beantworten die Kinderfragen deshalb wie Oberlehrer
die Fragen heller Schülerinnen und Schüler: »Falsch!
Setzen! Sechs!«
Gotthold Ephraim Lessing
Lessing (1729–1781) war so ein aufmüpfi ger heller Kopf. Er
legte sich gern mit den Th eologen seiner Zeit an, unter denen
der Hamburger Hauptpastor Goetze herausragte. Der Streit eskalierte
und hatte zur Folge, dass Herzog Karl von Braunschweig
als oberster Dienstherr seinem scharfzüngigen Wolfenbütteler
Bibliothekar ein Veröff entlichungsverbot erteilte.
Lessing sah sich genötigt, zu seinem Metier als Dichter zurückzukehren,
um, wie er an Elise Reimarus schrieb, zu erproben,
»ob man mich nicht auf meiner alten Kanzel, auf dem Th eater
wenigstens, noch ungestört will predigen lassen«.12 Es ist weit
mehr dabei herausgekommen als eine Predigt auf dem Th eater,
nämlich das dramatische Stück »Nathan der Weise«.
Herzstück dieses Dramas ist die »Ringparabel«. Von der
Handlung, die in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge spielt, brauchen
wir für unseren Zweck nur so viel zu wissen: Der freigebige,
ja verschwenderische Sultan Saladin ist mal wieder in
Geldverlegenheit, weil er sich vorgenommen hat, die Bettler im
12 Gotthold Ephraim Lessing: Werke in einem Band. Hg. von Gerhard Stenzel,
Salzburg o.J., S. 431.
19
Lande reich zu machen. So versucht er, einen Juden, der im
Volk nicht nur als überaus reich, sondern auch als nicht minder
weise gilt, in eine Falle zu locken, um an dessen Geld zu kommen.
Er legt ihm die Frage vor, welche der Religionen Judentum,
Christentum und Islam, die alle drei den Anspruch erheben,
von Gott geoff enbart und folglich absolut wahr zu sein,
denn die wahre sei. Nathan ist in der Klemme. Sagt er die jüdische,
gilt er dem Muslim als Gotteslästerer und ist seinen
Reichtum, vielleicht sogar sein Leben los. Das Gleiche gilt,
wenn er das Christentum zur einzig wahren Religion erklärt.
Nennt er aber den Islam die einzig wahre, so verrät er den Glauben
seiner Väter, kann folglich nicht mehr als weise gelten und
wird aus seiner Religionsgemeinschaft ausgestoßen. In der
kurzen Bedenkzeit, die ihm der Sultan gewährt, kommt ihm
die rettende Idee: »Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen
ab.«13 – Das ist Lessing! Statt auf die Kanzel oder das Katheder
zu stürmen und pathetisch der Weisheit letzten Schluss
zu verkünden, kommt die Wahrheit, die er mitzuteilen hat,
gleichsam im Bettlergewand eines Geschichtchens daher, mit
dem ein alter Jude seinen Kopf aus der Schlinge zieht. Er beginnt
das Gespräch mit dem Sultan mit folgenden Worten:
»Vor grauen Jahren
lebte ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft , vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug …«
13 Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise, 3. Aufzug, 6. und 7. Auft ritt.
20
Es ist also nicht die magische Kraft des Rings allein, die bewirkt,
seinen Träger vor Gott und Menschen angenehm zu machen.
Er muss auch selbst etwas dazu beitragen, indem er ihn in dieser
Zuversicht trägt.
»Was Wunder,
Dass ihn der Mann im Osten darum nie
Vom Finger ließ und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Vom seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings das Haupt, der Fürst des Hauses werde …
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, – so wie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz
Die andern zwei nicht teilten, – würdiger
Des Ringes, den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte zu versprechen.«
Als der gute Vater sein Ende nahen fühlt, kommt er in Bedrängnis.
Was tun? Schließlich kommt ihm eine rettende Idee. Er gibt
einem Schmied den Auft rag, zwei weitere Ringe nach dem
Muster des ersten herzustellen. Dieser löst die Aufgabe so meisterhaft
, dass selbst der Vater den echten von den falschen Rin-
21
gen nicht zu unterscheiden weiß. Er ruft jeden seiner Söhne
zum vertraulichen Gespräch und gibt jedem seinen Segen und
einen Ring. Kaum ist der Vater tot, kommt jeder der drei Söhne,
zeigt seinen Ring und erhebt den Anspruch, Fürst des
Hauses zu sein. Da es nicht gelingt, den echten Ring ausfi ndig
zu machen, kommt die Sache vor den Richter. Der erklärt sich
für unzuständig, doch fällt ihm ein, der echte Ring habe ja die
»geheime Kraft , vor Gott und Menschen angenehm zu machen
«. Er fragt daher die Brüder, welcher von den anderen
beiden geliebt werde. Sie schweigen jedoch, worauf der Richter
erklärt, der echte Ring habe off enbar seine Kraft verloren oder
womöglich sei keiner der Ringe echt. Er gibt ihnen den Rat,
jeder möge seinen Ring als den echten betrachten und sich
dementsprechend verhalten:
»Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanft mut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hilf! Und wenn sich dann der Steine Kräft e
Bei euern Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der
Bescheidne Richter.«
Es bedarf keines weiteren Wortes zu erklären, was Lessing uns
durch die Gestalt des Nathan sagen will: Der Streit um die Wahrheit
ist fruchtlos, ja zerstörerisch. Worauf es ankommt, ist die
22
Verwirklichung der Gottes- und Menschenliebe im täglichen
Leben. Ein alter Hut? – Mitnichten! Lessings »Predigt« vom
Glauben, der sich im Leben durch Verständnis, Liebe und Güte
gegenüber Andersdenkenden, Andersgläubigen und Andersseienden
bewährt, ist so aktuell wie eh und je. Ein Blick auf den
religiösen Fundamentalismus jeglicher Herkunft genügt, um
das zu verdeutlichen. Das gilt in besonderem Maße für die Situation
in Palästina, wo sich die Anhänger dieser Religionen
um das »Heilige Land« stritten und streiten. Zu allen Zeiten
haben die Religionen als Vorwand gedient für den Kampf gegen
die »Ungläubigen« und nicht selten zur Durchsetzung handfester
Macht- und Wirtschaft sinteressen. Im Zeitalter der Globalisierung,
in dem sich der »Zusammenprall der Kulturen«
(Samuel Huntington) und der »Krieg der Religionen« (Viktor
und Viktoria Trimondi) abzeichnet, wächst die Gefahr, dass
Religion zur Ideologie verkommt.14
Karl Barth
Der absolute Wahrheitsanspruch blieb auch nach Lessing und
den Aufk lärern keineswegs auf fundamentalistische Kreise beschränkt.
Karl Barth (1886–1968), ein weithin bekannter Th eologe,
der mit Rudolf Bultmann (1884–1976) die protestantische
Th eologie der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik prägte,
verstieg sich in seinem monumentalen, Fragment gebliebenen
Werk »Kirchliche Dogmatik« zu folgender Behauptung: »Kein
gefährlicherer, kein revolutionärerer Satz als dieser, dass Gott
Einer, dass Keiner ihm gleich ist! … Wird dieser Satz so ausgesprochen,
dass er gehört und begriff en wird, dann pfl egt es
14 Unter Ideologie verstehe ich die Instrumentalisierung von Religion, Philosophie
oder Wissenschaft im Dienst materieller Interessen.
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immer gleich 450 Baalspfaff en miteinander an den Leib zu
gehen.«15
Karl Barth war ein bedeutender Th eologe, der unzweifelhaft
viel geleistet hat als einer der führenden Männer der Bekennenden
Kirche im Widerstand gegen den Nationalsozialismus,
doch fragt man sich unwillkürlich, was an der Botschaft , »dass
Gott Einer, dass Keiner ihm gleich ist«, so überwältigend Neues
und Christliches sein soll, haben doch das Judentum und
der Islam diesen Gedanken weit überzeugender vertreten und
dem Christentum nicht ohne Grund eine latente Vielgötterei
vorgeworfen.
Doch es kommt noch schlimmer. Die Anspielung auf die
Bibelstelle von den 450 »Baalspfaff en«16 macht unmissverständlich
klar, »wes Geistes Kind da spricht«. Die biblische Geschichte
erzählt vom Propheten Elija, der auf dem Berg Karmel im
Namen des »wahren« Gottes Jahwe das Todesurteil über 450
Baalspriester verkündet und vollstrecken lässt. Diese furchtbare
Bluttat – wenn sie denn historisch ist, woran man zweifeln darf
– wird angeblich durch ein Gottesurteil gerechtfertigt. Elija
spricht zum Volk auf dem Karmel: »Man gebe uns zwei Stiere.
Sie (die Baalspriester) sollen sich einen auswählen, ihn zerteilen
und auf das Holz legen, aber kein Feuer anzünden. Ich werde
den andern zubereiten, auf das Holz legen und kein Feuer
anzünden. Dann sollt ihr den Namen eures Gottes anrufen,
und ich werde den Namen des Herrn anrufen. Der Gott, der
mit Feuer antwortet, ist der wahre Gott. Da rief das ganze Volk:
Der Vorschlag ist gut.«17 Natürlich gelingt es den 450 Baalspriestern
nicht, durch Wunderkraft das Opferfeuer zu entzünden.
Sie werden von Elija auch noch verspottet. Ihm aber gelingt
es mit Jahwes Hilfe leicht. Das Feuer verzehrt nicht nur
15 Karl Barth: Kirchliche Dogmatik, Bd. II, 1, Zürich 1948, S. 500.
16 1 Kön 18.
17 1 Kön 18,23 f.