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Der Ursprungsmythos Vernunft
Zur philosophiehistorischen Genealogie des griechischen Wunders
Helmut Heit (Hrsg.)
Königshausen & Neumann Verlag
EAN: 9783826032899 (ISBN: 3-8260-3289-6)
284 Seiten, kartoniert, 16 x 24cm, Mai, 2007
EUR 39,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Ausgangspunkt dieses Buches ist eine altbekannte Frage: Warum fing in der griechischen Antike die Philosophie an? Antworten auf diese Frage setzen ein Konzept von Philosophie im Unterschied zu mythischen oder nicht-griechischen Denkformen voraus. Eine Durchsicht einschlägiger Literatur zeigt allerdings, dass ein solches Konzept nicht zuletzt deshalb höchst strittig ist, weil die Antike imGuten wie im Schlechten zur je aktuellen Selbstvergewisserung dient. Davon ausgehend rekonstruiert der Autor systematisch Ansätze zur Erklärung des griechischen Wunders von der Geschichtsphilosophie Hegels bis zu kommunikationstheoretischen Modellen der Gegenwart. Trotz der umfassenden Ablehnung Hegels dominiert die ungeliebte interpretatio hegeliana auch heute die philosophiehistorischen Texte: Die Entstehung der Philosophie erklärt sich letztlich aus der conditio humana. Alle Menschen streben nach Philosophie und in Griechenland wurde dieses Streben (aufgrund bestimmter Bedingungen) erstmals realisiert. Gegenüber solchen ursprungsmythischen Deutungen sollte die antike Transformation, in Anlehnung an Nietzsche und Foucault, nicht vom Resultat her, sondern genealogisch als Ereignis verstanden werden. Anhand einer Deutung Platons, insbesondere seiner ambivalenten Stellung zum Mythos, schlägt der Autor vor, die Entstehung der Philosophie als Ausdruck einer Krisenerfahrung zu verstehen.
Rezension
Warum in Griechenland die Philosophie begann, gehört zu den interessantesten geistesgeschichtlichen Fragen, die sich schon der Soziologe Max Weber 1920 stellte. In der Philosophiegeschichte wurden auf diese Fragestellung unterschiedliche Antworten gegeben. Sie reichen von einer Charakterisierung der Griechen als besonders geniales Volk, als Reinkarnation des Weltgeistes gemäß Hegel, über marxistisch geprägte Erklärungen bis hin zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Helmut Heit setzt sich in seiner nun als Buch erschienenen philosophischen Dissertation „Der Ursprungsmythos der Vernunft. Zur philosophiehistorischen Genealogie des griechischen Wunders“ kritisch mit diesen Erklärungsmustern auseinander. Dabei untersucht er auch die in der Philosophiehistorie und auch in der Schule durch Wilhelm von Nestles gleichnamiges Buch „Vom Mythos zum Logos“(1940) verbreitete These über die Genesis griechischer Philosophie.
Anhand von profunden Studien zum Verhältnis von Mythos und Logos bei Platon gelingt es Heit unter Rekurs auf Karl Reinhardts klassische Abhandlung „Platons Mythen“(1927) die Unzulänglichkeit der Abgrenzung des schwäbischen Philologen aufzuzeigen: „Platon negiert die traditionellen Mythen, weil und insofern er ihnen die Fähigkeit zur positiven Steuerung der sozialen Verhältnisse abspricht. Und er greift dort selbst auf Mythisches zurück, wo sich auch der Logos als unzulänglich dafür erweist.“(S. 254) Demnach hat es, so Heit im Gegensatz zu Nestle, keinen „vollständigen Übergang vom Mythos zum Logos gegeben“(S. 256). Aufgrund seiner Untersuchung kommt Heit in seinem Buch zu dem Resultat: „Die von verschiedenen Philosophiehistorikern vorgenommene Gleichsetzung von griechischer Philosophie mit der Vernunft ist Ausdruck einer ursprungsmythischen Legitimationsideologie. Sie operiert mit einer naiv naturalistischen Erkenntnistheorie, einer anachronistisch-eurozentristischen Anthropologie und einer evolutionistischen Geschichtsauffassung.“(S. 256) Gegenüber solchen einer genauen Analyse nicht standhaltenden Positionen – dieses gilt auch Werner Jaegers Griechenapologetik in seiner „Paideia“ – betont Heit, dass die griechische Philosophie ein Produkt der „aus einer konkreten Krisenerfahrung geborene[n] Suche nach Gewissheit“(S. 256) sei.
Fazits: Das von Heit im Verlag „Könighausen & Neumann“ publizierte Buch zur Genese der griechischen Philosophie leistet einen fundierten Beitrag zur differenzierten Betrachtung der Philosophiegeschichte und der Historiografie der Philosophiegeschichte.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Die Aporie des Anfangs 7
I: Der Streit um das 'griechische Wunder' 16
1: Die Aktualität der Antike 20
2: Die traditionelle Rekonstruktion des 'griechischen Wunders' 28
3: Die Kritik an der traditionellen Philosophiehistorie 56
Resümee I: Genesis und Geltung 83
II: Der Ursprungsmythos der Vernunft 90
4: Vom Weltgeist zum griechischen Volksgeist (Hegel) 98
5: Von der am höchsten begabten Rasse zu den genialen Griechen (Zeller, Nestle, Röd) 129
6: Von der archaischen Produktionsweise zur funktionalen Vergesellschaftung 140
7: Von der oralen Welt Homers zur literalen Polis 168
Resümee II: Alle Menschen streben nach Wissen 185
III: Zur Genealogie der Abgrenzung vom Mythos 192
8: Der antike Streit um die tradierten Mythen 194
9: Platons epistemologische Abgrenzung vom Mythos 217
10: Platons ethische Abgrenzung vom Mythos 236
Resümmee III: Platons Stellung zu den Mythen 252
Schlussbemerkung 256
Literatur- und Quellenverzeichnis 257
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