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Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel
Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel




Franziska zu Reventlow

Lohrbär Verlag
EAN: 9783939529200 (ISBN: 3-939529-20-6)
12 Seiten, CD-Box, 12 x 13cm, November, 2020, CD, USB-Stick und Booklet

EUR 19,90
alle Angaben ohne Gewähr

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Umschlagtext
Franziska zu Reventlow war eine der schillerndsten Figuren in der Münchner Bohème Ende des vorletzten, Anfang des letzten Jahrhunderts – eigenwillig, ausschweifendes Liebesleben, ständig in finanziellen Nöten. Und alleinerziehende Mutter. Ihre Romane sind überwiegend autobiographisch geprägt, daneben schrieb sie literarische Beiträge für Zeitschriften und Zeitungen wie den »Simplicissimus«, »Die Gesellschaft« oder die »Neue Deutsche Rundschau«.



Reventlows Kurzprosa zeichnet sich aus durch überschäumenden Ideenreichtum, einen herrlich surrealen Humor und eine Frische und Lockerheit im Ton, dass man zuweilen kaum glauben möchte, dass die Texte bereits über hundert Jahre alt sind. Dabei sind die Kurzgeschichten und Erzählungen meisterlich durchkomponiert und von hintergründiger Melancholie und Tiefgründigkeit.



Elf hinreißende Kurzgeschichten, vielseitig und -stimmig präsentiert von Gunna Wendt, Rüdiger Hacker, Eva Sixt, Michael Haake und anderen; auf dem Fagott begleitet von Benedikt Dreher.



1 USB-Stick + 1 mp3-CD, ca. 260 Minuten
Rezension
Die tiefgründige Kurzprosa der Bohèmienne Franziska zu Reventlows (1871-1918) ist wenig bekannt - völlig zu Unrecht, wie dieses Hörbuch aus dem Lohrbär-Verlag zeigt. Die hintergründigen, manchmal komischen, bisweilen melancholisch anmutenden Episoden, bereichern den literarischen Fundus erheblich. Wie es sich für gute Geschichten gehört, eröffnet die Autorin schon in den ersten Sätzen eine ganze Welt, in der man sich dann für unterschiedlich lange Zeit aufhalten und dank der tadellosen Aufnahme prächtig amüsieren kann. Die kürzeste Geschichte ist 10 Minuten lang ("Der Tod"), die längste ("Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel", 51:15 Min.) eröffnet den Zyklus.
Neben der bereits erwähnten titelgebenden Geschichte enthält diese Ausgabe zehn weitere Stücke aus verschiedenen Veröffentlichungen zu Reventlows, außerdem musikalische Einlagen auf dem Fagott von Benedikt Dreher, die jeweils eine neue Geschichte eröffnen.
Die Leserinnen und Leser interpretieren die bisweilen bissigen Texte mit feinem Humor, haben dabei ein sehr angenehmes Sprechtempo, dem gut zu folgen ist. Viele Passagen gestalten sie stimmlich wunderschön aus, wobei dialogisch angelegte Geschichten (z.B. "Das gräfliche Milchgeschäft") auf mehrere Sprecher aufgeteilt sind, was die Produktion schon fast in die Nähe eines Hörspiels rückt. Einziger Kritikpunkt an der Aufnahme: Der Berliner Akzent in "Christus - Ein Interview" hätte etwas authentischer ausfallen dürfen.
Hervorzuheben ist insgesamt die liebevolle Aufmachung der CD-Box, die neben der mp3-CD auch einen USB-Stick mit den Titeln enthält, außerdem ein informativ gestaltetes Booklet mit einem kleinen Essay über die Autorin sowie den Viten der Sprecherinnen und Sprecher.

Für den Deutschunterricht dürften die Texte der Fin-de-siècle-Autorin noch weitgehend unentdeckt sein. Das könnte sich mit dieser Hörbuchfassung ändern. Sie bieten neben der inhaltlichen Bereicherung auch ein schönes Beispiel dafür, wie ein gutes Hörbuch gestaltet sein kann. Falls es die Unterrichtsgestaltung zulässt, könnten einzelne Geschichten dieses Hörbuchs im Rahmen einer Unterrichtsreihe über Literatur an der Schwelle zum 20. Jahrhundert bestens geeignete Beispiele sein.

Johannes Groß, www.lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Franziska zu Reventlow war eine der schillerndsten Figuren in der Münchner Bohème Ende des vorletzten, Anfang des letzten Jahrhunderts – eigenwillig, ausschweifendes Liebesleben, ständig in finanziellen Nöten. Und alleinerziehende Mutter. Ihre Romane sind überwiegend autobiographisch geprägt, daneben schrieb sie literarische Beiträge für Zeitschriften und Zeitungen wie den »Simplicissimus«, »Die Gesellschaft« oder die »Neue Deutsche Rundschau«.

Reventlows Kurzprosa zeichnet sich aus durch überschäumenden Ideenreichtum, einen herrlich surrealen Humor und eine Frische und Lockerheit im Ton, dass man zuweilen kaum glauben möchte, dass die Texte bereits über hundert Jahre alt sind. Dabei sind die Kurzgeschichten und Erzählungen meisterlich durchkomponiert und von hintergründiger Melancholie und Tiefgründigkeit.

Elf erzählerische Perlen. Zehn begeisterte Sprecherinnen und Sprecher und ein Fagottist, die die Texte so umsetzen, wie es – so meinen wir – auch der werten Frau Autorin selbst ge­fallen hätte.

Franziska zu Reventlow

Fanny Liane Wilhelmine Sophie Auguste Adrienne Gräfin zu Reventlow war eine der schillerndsten Figuren in der Münchner Bohème Ende des vorletzten, Anfang des letzten Jahrhunderts. Sie galt als „Skandalgräfin“ und wurde als „heidnische Madonna“ oder „moderne Hetäre“ bezeichnet. Entsprechend sind in den letzten Jahren weitaus mehr Biographien und Beschreibungen ihres turbulenten Lebens erschienen als Neuauflagen ihrer Werke. Das ist schade, denn sie war, was über den zuweilen recht reißerischen Titeln fast in Vergessenheit gerät, auch Schriftstellerin, eine mindestens ebenso bemerkenswerte. Als herausragendes Gegenbeispiel sei an dieser Stelle »Franziska zu Reventlow. Die anmutige Rebellin« von Gunna Wendt nachdrücklich genannt; eine psychologisch fundierte Biographie.

Daran, dass Franziska zu Reventlows literarisches Schaffen hinter ihrer Biographie ein wenig zurücksteht, hat sie selbst nicht unwesentlichen Anteil, da ihr Œuvre überwiegend autobiographisch gehalten ist. Überhaupt wollte sie eigentlich Malerin werden, das Schreiben hatte für sie zunächst eher therapeutischen Charakter. Über die Schreibversuche ihrer Jugendzeit äußerte sie später: „Weil ich nie jemand zum Anvertrauen hatte, habe ich, wenn es zu schlimm wurde, krampfhafte Versuche zum Gestalten meiner Gedanken gemacht und habe mich nie entschließen können, diese grausenerregenden Produktionen zu vernichten, weil sie ein Stück meines Lebens sind“. Über ihren ersten Roman »Ellen Olestjerne« (1903) schreibt sie, er sei „auch eine große innere Befreiung“. In dem Roman schildert sie ihre unglückliche Jugend, die strenge Erziehung in ihrer bis ins Mark preußischen Familie sowie in einem Mädchenpensionat, wo man sie allerdings nach nur einem Schuljahr wegen „nicht zu bändigender Widerspenstigkeit“ wieder ausschloss. 1893 überwarf sie sich mit ihrer Familie, verließ ihr Elternhaus und heiratete 1894 den Hamburger Juristen Walter Lübke, der ihr einen Aufenthalt in München finanzierte. Dort nahm sie Unterricht an der Malschule von Anton Ažbe, wo unter anderen Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky ihre künstlerische Ausbildung absolvierten. Denn wie gesagt: Eigentlich wollte sie Malerin werden.

Die Ehe hielt nicht lange und wurde aufgrund „fortgesetzter Untreue“ 1897 geschieden. Die „fortgesetzte Untreue“ hatte es ihr angetan. Der Münchner Stadtteil Schwabing war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Treffpunkt der künstlerischen Bohème, Maler, Literaten, Musiker – meist ohne -innen. Franziska zu Reventlows Leben war eine große Party: lange Nächte, freie Liebe; teilweise wohnte sie mit zweien ihrer zahlreichen Liebhaber gleichzeitig in einer Wohnung.

Einerseits. Auf der anderen Seite war ihr Leben maßgeblich bestimmt von Geldmangel und einer fragilen Gesundheit. Sie erlitt mehrere Fehlgeburten, unterzog sich alle paar Jahre einer Operation, versuchte sich unter anderem als Versicherungsagentin, Sekretärin, Aushilfsköchin, Schauspielerin, als Aktmodell, sogar als Gelegenheitsprostituierte, um sich und ihren Sohn (* 1897) durchzubringen – alleinerziehende Mutter zu sein, ist heute noch kein Leichtes; wie mag es sich um die vorletzte Jahrhundertwende angefühlt haben? Darüber hinaus finanzierte sie ihr Leben mit literarischen Übersetzungen und kleineren schriftstellerischen Arbeiten für Zeitschriften und Tageszeitungen.

Und mit Geldleihen. 1910 floh sie vor ihren Gläubigern und einem drohenden Gefängnisaufenthalt zusammen mit ihrem Sohn in die Schweiz, nach Ascona am Lago Maggiore, wo sich seit 1900 allerlei illustre Künstler, Schriftsteller und Anhänger verschiedenster alternativer Lebensformen ansiedelten – Theosophen, Lebensreformer, Vegetarier, Naturheiler, Nudisten.

In den meisten der auf diesem Hörbuch versammelten Geschichten taucht früher oder später das Wort „Selbstmord“ auf; das Thema schien Franziska zu Reventlow stark umgetrieben zu haben. Ihr letzter Roman »Der Selbstmordverein« erschien ironischerweise erst posthum. Franziska zu Reventlow starb jung, mit nur 47 Jahren, allerdings nicht durch Suizid, sondern an den Folgen eines Fahrradunfalls im Sommer 1918.

»Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel und andere Novellen« (1917) ist ihr letztes zu Lebzeiten erschienenes Buch, es ist eine Sammlung der erwähnten literarischen Arbeiten für Zeitungen und Zeitschriften, die über einen Zeitraum von 20 Jahren erschienen sind. Auch diese Texte sind zuweilen stark autobiographisch geprägt und gespickt mit Verweisen auf Personen, Orte und Begebenheiten. Die Personenbeschreibungen in der Titelgeschichte beispielsweise sind dergestalt, dass die Münchner Zeitgenossen die – in der Regel überspitzt dargestellten – Personen durchaus erkannt haben dürften. »Wir Spione« verweist eindeutig auf den „Monte Verità“ am Lago Maggiore. Nur sollte man sich dadurch nicht hinreißen lassen, alles, was geschrieben steht, für bare Münze zu nehmen.

Paradebeispiel: die beiden Gerichte.

»Das Jüngste Gericht« erschien in der Nummer 41 des ersten Jahrgangs der satirischen Wochenzeitschrift »Simplicissimus« vom 9. Januar 1897. Hierin kommen Petrus und der liebe Gott überein, besagtes Gericht nicht ohne Hinzuziehung eines Staatsanwalts halten zu können, der natürlich im Folgenden einiges durcheinanderbringt. Ein realer Staatsanwalt erkannte sich wohl wieder, und gegen Franziska von Reventlow sowie den Verleger des »Simplicissimus« Albert Langen wurde Anklage wegen Gotteslästerung erhoben (einen Paragraphen zur Staatsanwaltslästerung gab es nicht), die gesamte Auflage des Hefts wurde konfisziert. Acht Nummern später, am 6. März, setzte Reventlow die Satire mit der Kurzgeschichte »Das allerjüngste Gericht« fort, in der sie die Gerichtsverhandlung um »Das Jüngste Gericht« ausführlich schildert, nicht mit Spott spart und etliche Personen des Münchner öffentlichen Lebens mit spitzer Feder an der Nase vorführt, vorrangig natürlich das Gerichtswesen. Und was ist an dieser Geschichte wahr? Schlicht und einfach: nichts. Alles komplett erfunden. Die konfiszierte Auflage des »Simplicissimus« war bereits nach wenigen Tagen wieder freigegeben, die Anklage fallengelassen worden.

Vorsicht also vor Autobiographischem von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Ihr Geschäft ist die Fiktion. Und die Versuchung, etwas davon ins Autobiographische einfließen zu lassen, gar zu groß: Es findet sich immer jemand, der’s

glaubt. Was indes nicht bedeutet, dass die dergestalt fiktionalisierte Autobiographie nicht durchaus noch real werden könnte. Man nennt sie dann rückblickend „Prophezeiung“: Eindreiviertel Jahre später, im Oktober 1898, wurden gegen den Verleger Albert Langen, den Karikaturisten Thomas Theodor Heine und den Lyriker Frank Wedekind Haftbefehle wegen „Majestätsbeleidigung“ erlassen. Sie hatten Wilhelm II nach einer Pilgerfahrt des Kaiserpaares ins Heilige Land eine komplette Palästina-Nummer gewidmet, deren Ton wohl allzu großes Missfallen erregte: Alle drei wurden zu sechsmonatiger Festungshaft verurteilt, die Heine und Wedekind auf der Festung Königstein in Sachsen verbrachten. Langen konnte sich dem Zugriff der Polizei entziehen und verbrachte vier Jahre im Pariser Exil, ehe er nach einer Zahlung von 30.000 Mark nach Deutschland zurückkehren durfte.

Und schon haben die beiden Gerichte eine fast schon prophetische Aktualität. Neben den fortgesetzten Diskussionen darüber, was Satire darf und was nicht, wurde im Jahr 2016 unter dem Stichwort „Böhmermann-Affäre“ der Paragraph 103 des deutschen Strafgesetzbuchs noch einmal fulminant aus der juristischen Klamottenkiste gezogen. Man erinnert sich: Es ging um die das Vergehen „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“, einen Nachfolger des Paragraphen zur Majestätsbeleidigung.

Dass wir heute – mehr als 100 Jahre nach Ersterscheinen der Reventlow’schen Geschichten – nicht mehr alle Anspielungen und Seitenhiebe verstehen, liegt auf der Hand, tut aber der Qualität der Texte nicht den geringsten Abbruch; sie sind nach wie vor von spitzer Feder, sind brillant in ihren Handlungen, pfiffig aufgebaut, spannend erzählt und vom Sprachduktus her dergestalt unangestaubt, dass man mitunter an ihrem Alter zweifelt. Überhaupt fühlt man sich beim Hören der Texte zuweilen stark an die Gegenwart erinnert, sei es durch die beschriebenen Quarantäne-Maßnahmen bei Virus-Pandemien oder die Bart- und Anzugmode eines Hieronymus Edelmann.
Inhaltsverzeichnis
Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel

Das polierte Männchen

Der Herr Fischötter

Spiritismus

Der Tod

Das Jüngste Gericht

Das allerjüngste Gericht

Wir Spione

Das feindselige Gepäck

Christus - Ein Interview

Das gräfliche Milchgeschäft