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Das Geschenk des Orest Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535
Das Geschenk des Orest
Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535




Bernhard Jussen

Verlag C. H. Beck oHG
EAN: 9783406782008 (ISBN: 3-406-78200-0)
480 Seiten, Festeinband mit Schutzumschlag, 17 x 24cm, Mai, 2023, mit 43 großenteils farbigen Abbildungen

EUR 44,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
BERNHARD JUSSEN ENTSORGT DAS MITTELALTER - DAS MEISTERWERK ÜBER DIE NACHRÖMISCHE WELT

Dieses Buch ist eine Provokation. Konsequent wird der Abschied vom Epochendenken vollzogen - im konkreten Fall das "Mittelalter" zu Grabe getragen. An die Stelle dieser längst anachronistischen Prägung für 1000 Jahre Geschichte, die man als Epochenportion etikettieren und beruhigt in den Bücherschrank stellen kann, tritt ein neues Nachdenken über eine dynamische Phase des lateinischen Europas. Diese hat weit mehr mit der Entstehung der gegenwärtigen Zivilgesellschaften zu tun, als es sich die Erfinder des Epochenmodells vorgestellt haben.

Seit dem 18. Jahrhundert lud die Idee einer "antiken" römischen Hochkultur und ihrer intellektuellen "Wiedergeburt" 1000 Jahre nach ihrem "Untergang" die historische Fantasie zur Identifikation ein und stempelte die Zeit dazwischen zu einem "Mittelalter" ab - ein seltsames Konzept, das trotzdem bis heute wirkmächtig ist. Wie wenig diese Art, Vergangenheit zu deuten, heute noch erklären kann und wie sehr sie aktuellen Erklärungsbedarf geradezu blockiert, macht Bernhard Jussen in seinem reich bebilderten Buch deutlich. In sieben Großkapiteln gelingt ihm ein faktenreicher, frischer, gut erzählter Einstieg in eine Revision der Geschichte des lateinischen Europas.

Eine neue Deutung der Periode, die bislang als Mittelalter definiert wurde

Dieses Buch wird die Definition von 1000 Jahren neu justieren

Bernhard Jussen stellt scheinbar gesichertes Wissen auf den Prüfstand

Von der Geburt der Zivilgesellschaft

Mit 50 farbigen Abbildungen

Bernhard Jussen lehrt an der Goethe Universität Frankfurt am Main mittelalterliche Geschichte mit ihren Perspektiven in der Gegenwart. Im Verlag C.H.Beck ist von ihm ferner lieferbar: (Hrsg.) Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit (2004) sowie Die Franken. Geschichte, Gesellschaft und Kultur (2014).
Rezension
Epocheneinteilungen sind seit jeher problematisch und stets nur ein fragwürdiges Hilfsmittel historischer Darstellung. Dieses Buch bietet eine neue Deutung der Periode, die bislang als Mittelalter bezeichnet wurde und wird die Definition von 1000 Jahren neu justieren; der Autor stellt scheinbar gesichertes Wissen auf den Prüfstand: eine Revision der Geschichte des lateinischen Europas. Die Geschichte der römischen Mittelmeergesellschaften vom vierten bis sechsten Jahrhundert wurde zumindest bis in die 1960er Jahre ganz im Zeichen des «Untergangs des römischen Imperiums» gedeutet und mit «Völkerwanderung» und der Genese von «Germanenreichen» verbunden. Seit den frühen 1990er Jahren kam es zu einer Umdeutung der «römischen Welt» des vierten bis sechsten Jahrhunderts vom «Untergang» zur «Transformation» oder gar «Revolution». Das Hauptinteresse an diesen Jahrhunderten der «römischen Welt» gilt seither nicht mehr einer imperialen Großmacht, die samt ihrer «klassischen» Kultur und ihren zivilisatorischen Leistungen «untergegangen» ist und «barbarischen Königtümern» oder «Germanenreichen» weichen musste. Stattdessen gilt das Interesse der Genese jener «revolutionär» neuen Vorstellungswelten, die seit dem vierten Jahrhundert in christlichen, seit dem siebten auch in islamischen Institutionen manifest wurden. Es ist unübersehbar, dass die Deutung des historischen Moments «um 500» als «Transformation der römischen Welt» von anderen Erkenntnisinteressen und anderen Erklärungsbedürfnissen getrieben war als die im 18. Jahrhundert etablierte Erzählung vom Untergang.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Schlagwörter:
Anachronismus, Antike, Dynamik, Ehe, Epochen, Epochendenken, Epochenportion, Europa, Familie, Geist, Geschichte, Geschichtsschreibung, Historiografie, Kirche, Konflikte, Mittelalter, Papst, Spätantike, Verwandtschaft, Zeit, Zeitabschnitt

Pressestimmen:

„(Jussens) Kontextualisierungen sind oft brillant.“
Deutschlandfunk Kultur, Arno Orzessek
Inhaltsverzeichnis
Nach dem Eurozentrismus 9
Hinterlassenschaften, große Erzählungen, Medien und die Ordnung des historischen Materials

1. Das Grab der Turteltaube 25
Spuren einer epochalen Revolution

Du warst wirklich eine Turteltaube 31
Eine reiche Römerin inszeniert die neue Gesellschaft
Als die Ahnen entmachtet wurden 44
Die überlebenslange Monogamie und ihre Folgen für die Institutionengeschichte
Das Grab der Turtura und die Transformation der Totensorge 51
Auf dem Weg zum Jahrtausend der Turteltaube

2. Das Geschenk des Orest 63
Auf der verlorenen Suche nach Ausdrucksweisen politischer Autorität

Rom/Tiber, zum 1. Januar 530 68
Eine verlorene politische Welt im Kleinformat
Das Schicksal des Orest 76
Verlierer und Gewinner der Neuorientierung

3. Das echte Bild des Herrn 83
Die fränkischen Höfe befreien die Maler

Der letzte Reiter am Bosporus 95
Statuenpolitik in Neu-Rom
Das echte Bild Christi als politisches Emblem 111
Politische Bildsprache nach den Reitern
Die Lateiner bleiben unbeeindruckt 120
Auf Distanz zum Bild des Herrn
Mit dem Bronzepferd über die Alpen 142
Auf Sichtweite zum Triumph
Auf lange Sicht - Pfadabhängigkeiten 152
Sakralkönige, Kohärenzinseln, Ikonen im Westen und der Kultbild-Ablass-Reformation-Komplex

4. Die Zeichnung des allersüßesten Gozbert 163
Gedankliche Architekturen kultureller Grundorientierung

Poeten als Baumeister 166
Gedankengebäude eines Lebensentwurfs
«Orte» und «Bilder» einer büßenden Gesellschaft 173
Altäre, Totensorge und der Geldwert der Messe
Kloster ohne Klostermauern 184
Viele Gozberte, Familien ohne Ahnenkult, geschenktes Land und geopferte Kinder
Stichwort «Cluny» 199
Ein Blick auf das Ende der vorurbanen Gesellschaft

5. Der Hobel der Eintracht 203
Überzeugungsarbeit für Frieden durch Selbst-Regierung

Eintracht hobelt 213
Die Kommune mystifizieren
Im Schnelldurchgang 221
Schwurvereinigungen, Stadtkommunen, Symbolkämpfe

6. Das Dilemma der Hinterbliebenen 241
Zwischen ehelicher Treue, Verwandtschaft, Stand und Geschlecht

Das Jahrtausend der Turteltaube 247
Leitsemantiken des nachrömischen Lateineuropa
«Von der, die sich auf dem Grab ihres Mannes ficken ließ» 265
Ein Dilemma wird diskursmächtig
Die Großfamilie der dreimal verheirateten Anna 279
Die Wiederheirat wird bildwürdig und die Großfamilie heilig
Der Stammbaum wird diskursmächtig 298
Gebrauchsweisen des Stammbaums nach der Entmachtung der Ahnen
Semantische Nachbarschaften 318
Das Dilemma der Hinterbliebenen im Rückblick

7. Der Adam des jüngeren Holbein 321
Eine Ehescheidung, ein revolutionäres Bild und das Ende der Turteltaube

Von Ostendorfer zu Holbein, von Regensburg nach London 327
Die späte Karriere eines revolutionären Gemäldes
Negative Anthropologie im Kontext 330
London 1535
Konfliktstoff für nicht einmal eine Generation 352
Das Kampagnenbild zwischen Flugblatt und Tafelgeschirr Lateineuropa nach den Römern 361

Epilog

Dank 369
Literaturverzeichnis 371
Anmerkungen 412
Bildnachweis 471
Register geographischer Begriffe 473
Personenregister 475
Sachregister 478