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Coming In Spiritualität für Schwule und Lesben
Coming In
Spiritualität für Schwule und Lesben




Urs Mattmann

Kösel
EAN: 9783466366071 (ISBN: 3-466-36607-0)
240 Seiten, paperback, 14 x 21cm, Juli, 2002, Mit einem Vorwort von Richard Rohr

EUR 16,50
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
"In vielen Begegnungen kommt mir von lesbischen Frauen und schwulen Männern eine große Sehnsucht entgegen. Eine Sehnsucht von Menschen, die ihre Sexualität bejahen, eine relevante Form von Glauben suchen und einen spirituellen Weg gehen wollen. Dabei entstehen viele praktische Fragen. Ich will darauf eingehen und aufzeigen, was eine relevante christliche Spiritualität für Lesben und Schwule bedeutet und wie diese unser Leben befruchten kann."

Urs Mattmann
Verlagsinfo
Provokant und wegweisend

Dieses Buch ist eine Pionierleistung: Spiritualität für Schwule und Lesben – als Ausdruck
eines selbstbewussten Lebensstils. Das bewegende und aus großer persönlicher Authentizität sprechende spirituelle Praxisbuch wird Schwule, Lesben, ihre FreundInnen und Angehörige inspirieren, provozieren und vor allem mit vielen konkreten Impulsen begleiten. Immer geht es um die positive Haltung zu sich selbst, die ganzheitliche Wahrnehmung schwul-lesbischen Lebens und die Frage nach persönlichen Prioritäten in einer häufig immer noch diskriminierenden Umwelt. Das Buch leistet klärende Selbstreflexion und vertieft über Übungen, persönliche Anfragen, Meditationen und Gebete die Spiritualität von Einzelnen und Gruppen.
Inhaltsverzeichnis
7 Widmung und Danksagung

Kapitel Eins
9 Vorwort (Richard Rohr)

Kapitel Zwei
15 Einführung

Kapitel Drei
29 Spiritualität Queer

Kapitel Vier
47 Homosexualität als Potenzial

Kapitel Fünf
59 Konkrete Begabungen und Chancen von Schwulen und Lesben

Kapitel Sechs
75 Coming Out als Sakrament

Kapitel Sieben
93 Verwundete Heiler

Kapitel Acht
107 Sexualität als Kraftquelle

Kapitel Neun
129 Coming In

Kapitel Zehn
153 Der Christusweg für Schwule und Lesben

Kapitel Elf
169 Gemeinschaftsformen für Lesben und Schwule auf dem spirituellen Weg

Kapitel Zwölf
193 Ausblick – Wie geht es weiter?

Kapitel Dreizehn
207 Literaturliste

Kapitel Vierzehn
215 Adressen

Leseprobe
Einführung

Dieses Buch ist ein Pionierwerk. Noch nie wurde als deutsche Originalausgabe ein Buch veröffentlicht, das bewusst und deutlich auf das Thema christlicher Spiritualität von und für Schwule und Lesben eingeht und dabei eine zeitgemäße Mystik einbezieht. Theologische Bücher zum Thema Homosexualität wurden schon einige auf Deutsch publiziert. Mir geht es hingegen primär darum, die Zusammenhänge von christlicher Spiritualität und Homosexualität aufzuzeigen.
In den Gottesdiensten der Lesbischen und Schwulen Basiskirche in Basel (LSBK), die ich seit Jahren mitgestalte und in den Seminaren und Retraitenwochen meines »Projektes« C-QUEER – Schwule und Lesben in christlicher Spiritualität kommt mir von lesbischen Frauen und schwulen Männer eine Sehnsucht entgegen. Eine Sehnsucht von Menschen, die ihre Sexualität bejahen, eine relevante Form von Glauben suchen und einen spirituellen Weg gehen wollen. Dabei entstehen viele Fragen und praktische Anliegen.
Ich will dem entsprechen und aufzeigen, was eine relevante christliche Spiritualität für Lesben und Schwule bedeutet und wie diese unser Leben befruchten kann.
In diesem Buch gehe ich von einer offenen und tiefen christlichen Spiritualität aus. Obwohl ich selbst auch Erfahrungen und Wissen im Dialog mit anderen Religionen habe und mich vieles aus dem Bereich Esoterik neugierig macht, habe ich mich entschieden, meinen spirituellen Weg auf dem Boden des christlichen Glaubens zu gehen. Zum einen verstehe ich mich selbst als schwuler Mann in der Nachfolge Christi. Zum anderen denke ich, dass es bei aller Offenheit wichtig ist, sich für eine Ausrichtung zu entscheiden und diese zu vertiefen. Auch bin ich der festen Überzeugung, dass christliche Spiritualität homosexuellen Menschen viel zu bieten hat. In diesem Zusammenhang muss auch gesagt werden, dass trotz der sattsam bekannten sexualfeindlichen Geschichte des Christentums in keiner anderen der Weltreligionen so viel an Aufbruch, Dialog und Infragestellung in Bezug auf Homosexualität im Gang ist.Ich stelle dabei bewusst einen spirituellen und nicht einen theologischen Ansatz in den Vordergrund. Karl Rahner hat einmal gesagt, der Christ des 21. Jahrhunderts wird ein Mystiker sein oder er wird nicht sein. Ich möchte den christlichen Glauben für Schwule und Lesben, welche in der Kirche oft Ablehnung oder Verurteilung erlebt haben oder immer noch erleben, erfahrbar machen. Es geht mir dabei keineswegs um irgendwelchen Dogmatismus. Die christliche Spiritualität, die ich meine, hat viel mit eigener Erfahrung zu tun, die teilt und andere einlädt, eigene Erfahrungen zu machen: ein Weg, der gerade den Dualismus und das Ausgrenzen durchbricht.
Immer wieder gehe ich in die Kapelle der Hausgemeinschaft, in der ich lebe. Ich beziehe mich auf meine Lieblingsikone: Jesus steht neben einem Jünger und hält ihn. In dieser Ausrichtung bete ich auf meinem Meditationskissen. Ich bete unter Einbezug aller meiner Facetten. So auch als schwuler Mann. Ich schweige, ich rede. Ich bin da in voller Aufmerksamkeit und Hingabe. Ich beginne, dieses Bild von Christus in mir zu spüren. Christus spricht zu mir: »Ich, Christus, bin in dir als schwuler Mann ganz da. Deine Homosexualität ist in mir aufgehoben. Sie tränkt die Kraftquelle in deiner Tiefe. Sie beschenkt dich und die Welt. Sie weitet dein Bewusstsein.«
Dieses Buch handelt vom mystischen Weg als schwuler Mann, als lesbische Frau. Da geht es nicht darum, die gleichgeschlechtliche sexuelle Ausrichtung zu rechtfertigen, sondern ihren Sinn zu entdecken, sie in der Integration in die Spiritualität fruchtbar werden zu lassen.
In diese Einführung und Deutung von Spiritualität fließen für mich auch Erfahrungen anderer Religionen, aus der transpersonalen Psychologie (vor allem der Psychosynthese) und aus Meditationswegen (besonders Zen, Kontemplation) ein.
Obwohl ich selbst zwei Jahre in einem theologischen Seminar studiert habe, wurde ich rückblickend viel mehr in meinem Gottesverständnis und meiner Christuserfahrung durch meinen meditativen Weg bestärkt, den ich seit meinem 27. Lebensjahr in unterschiedlicher Intensität gehe. Auch meine fünfjährige Ausbildung in Psychosynthese, einer wichtigen Richtung transpersonaler Psychologie, hat wesentlich dazu beigetragen, dass ich besser erfassen kann, was Paulus sagte: »Nicht mehr ich lebe sondern Christus lebt in mir.« Diese Erfahrung und Benennung der Christuswirklichkeit in mir lässt mein Leben als schwuler Mann neu erscheinen.
Es ist mir auch ein Anliegen, in diesem Buch die äußerst reichhaltige und originelle schwul/lesbische spirituelle Literatur aus dem englischsprachigen Raum einfließen zu lassen. Denn wer das Literaturverzeichnis beachtet, wird feststellen, dass das Angebot an theologischen und erst recht spirituellen Büchern auf Deutsch für Lesben und Schwule äußerst kümmerlich ist. Im englischen Sprachraum sieht dies ganz anders aus. Mittlerweile erscheint dort im Durchschnitt etwa alle zwei Monate ein neues Buch mit spirituellen Anliegen für Lesben und Schwule. Der seit ca. 1970 (und noch intensiver seit ca. 1990) entstandene Schatz an guter Literatur ist daher sehr groß und das Niveau der Diskussion und Ansätze beachtlich. Ich will mit meinem Buch originelle und berührende Einsichten aus diesem Sprachraum bekannt machen – in der Hoffnung, dass bei uns einiges davon konkretisiert werden kann.
So wird im Buch »Gay Spirit« von Mark Thompson ein wichtiges Anliegen der spirituellen Bewegung von Schwulen und Lesben in vier Fragen wiedergegeben: Wer sind wir? Von wo kommen wir? Weshalb sind wir hier? Wohin gehen wir? ...
Faszinierend ist, wie sich in den letzten Jahrzehnten verschiedene lesbische und schwule Persönlichkeiten im spirituellen Bereich vor allem in Nordamerika und Großbritannien dazu geäußert haben. Besonders erstaunt und bewegt hat mich die Entdeckung, dass bereits vor 50 oder 100 Jahren Männer wie Walt Whitman, Gerald Heard, Edward Carpenter oder Harry Hay Visionen für Schwule und Lesben entwickelten. In neuerer Zeit stechen allein in der christlichen Bewegung von Schwulen und Lesben mehrere große Persönlichkeiten hervor: Schwule Männer wie John McNeill, Troy Perry, Chris Glaser und Lesben wie Carter Hayward, Elisabeth Stuart oder Virgina Ramey Mollenkott. Ich freue mich über die Vorarbeit und an der Bewegung, die hier im Gang ist und die mich gedrängt hat, in dieses Buch neben viel Eigenem, Fragmente und Facetten dieser Visionäre einzubringen.
Als Ansatz, der dabei zentral ist und mich sehr anspricht, möchte ich die Sichtweise von Homosexualität als Potenzial einbringen. Ich gehe davon aus, dass Homosexualität kein »Zufallsprodukt« ist, sondern dass damit besondere Berufungen, Qualitäten und Aufgaben für homosexuelle Menschen in ihrer Entfaltung und am Dienst an der Welt impliziert sind.
Ein wesentlicher Irrtum, den Gegner von Homosexuellen ebenso wie Teile der Schwulen- und Lesbenbewegung begehen, besteht in der Reduktion von Homosexualität auf Sex. Sicherlich: Lesbischer, schwuler Geschlechtsverkehr gehört dazu. Genital gelebte gleichgeschlechtliche Sexualität ist wichtiger Ausdruck unserer Persönlichkeit und kann für die Liebenden wunderschön und eine Kraftquelle sein. Aber es gibt noch eine zweite und dritte Ebene.
Die offensichtlich zweite Ebene besteht in der Wahrnehmung von Homosexualität als Liebesbeziehung. In der Lebenspartnerschaft zweier Menschen gleichen Geschlechts kann eine liebende Verbundenheit eingegangen werden, von denen die Stunden gemeinsamer körperlicher Liebe nur ein Bruchteil der verbrachten Zweisamkeit sind. Das Für-einander-Dasein beinhaltet Zärtlichkeit, Gespräch und bei manchen Paaren Meditation und andere Formen eines gemeinsamen spirituellen Weges.
Die dritte Ebene schließlich, welche noch am wenigsten Beachtung findet, sehe ich in Homosexualität als anderer Form von Bewusstsein. Diese spannende Chiffre von gleichgeschlechtlicher Liebe will in diesem Buch entdeckt werden.
Dennoch will ich deutlich noch einmal festhalten: In dieser Auseinandersetzung um unser Lesbisch- und Schwul-Sein ist das Erleben der Sexualität als einer Kraftquelle eingeschlossen, verbunden mit einem schöpferischen Umgang mit ihr. Denn zu oft verfällt vor allem die schwule Seite der Homosexuellenbewegung der in unserem Kulturkreis herrschenden Tendenz, Sexualität als einen Artikel der Konsumgesellschaft anzusehen: als ein Produkt, eine Handlung, die mich ekstatische Momente erleben lässt und die Wahl eines »echten« Partners in den Hintergrund schiebt; Hauptsache, dieser entspricht meiner Vorstellung von »sexuell attraktiv« und befriedigt mich geschlechtlich.
Hier steht ein Weg des Umdenkens und des neuen Handelns an, um Sexualität würdevoll und respektvoll zu leben und als Kraftquelle zu entdecken. Da habe ich auch Anfragen an den Umgang mit Sexualität, gerade in schwulen Kreisen – mit ihrem Jugendkult, der den der heterosexuellen Sexszenen übertrifft. Anfragen natürlich nicht im Sinne von »Verboten« oder »Moralisieren«, sondern von Einladen zu Wegen zu einer ganzheitlichen Sexualität.
Immer wieder werden in dieses Buch meine persönlichen Erfahrungen einfließen: mein Engagement als Leiter einer spirituellen Kommunität, mein Leben in einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft, mein Wirken in christlichen Homosexuellengruppen oder die vielen anderen Aspekte meines individuellen spirituellen Weges.
Ich schreibe dieses Buch nicht als neutraler Beobachter oder Theoretiker. Ich bringe meinen spirituellen Weg als schwuler Christ persönlich ein. Ich bin geprägt von diesem Weg, der verdichtet 1978 als Achtzehnjähriger begann, als ich anfing zu lernen, zu meiner geschlechtlichen Ausrichtung zu stehen und das erste Mal eine Schwulen- und Lesbentagung besuchte.
Im gleichen Jahr – ich denke nicht zufälligerweise – machte ich eine große spirituelle Erfahrung, die mich Christus ganz neu, kraftvoll und in großer Weite entdecken ließ und mich prägte.
Am 8. Oktober 1988 feierte ich mit meinem Partner die Einsegnung unserer Partnerschaft. Von diesem wichtigen Ritual zehren wir. Auch diese Erfahrung gehört zu meinem Buch. Überhaupt prägt mich die Beziehung zu meinem geliebten Lebenspartner Emanuel Grassi, seit wir uns 1986 kennen und lieben gelernt haben.
Neben der Tatsache, dass ich als Schwuler meinen spirituellen Weg immer wieder auf Christus beziehe, bin ich mir natürlich bewusst, dass ich als Mann schreibe. Ich weiß, dass es offensichtliche Unterschiede zu lesbischen Frauen gibt. Trotzdem existiert auch Verbindendes, und ich habe mich entschieden, so weit mir dies möglich ist, in diesem Buch die Situation von Lesben einzubeziehen. Ich habe selbst seit über zwanzig Jahren regen Kontakt zu lesbischen und bisexuellen Frauen, von denen ich viel über jene Gemeinsamkeiten und Unterschiede gelernt habe. Bei der Wortwahl achte ich darauf, ob ich von Frauen oder/und Männern rede. Wo angebracht, beziehe ich auch die Existenz von Bisexuellen ein.
Mich faszinieren die englischen Wörter »gay« und »queer« und ich gebrauche sie manchmal auch im deutschen Kontext. »Queer« wird ja in deutschsprachigen schwul/lesbischen Zusammenhängen immer häufiger verwendet. Anstelle von schwul oder lesbisch benutze ich somit im Buch immer wieder die Worte »queer« oder »Queers«. Diese Worte sind kurz, bündig und schließen Frauen und Männer ein. Wenn wir das Wort »Queer« übersetzen, dann stellen wir neben der schwul/lesbischen Bedeutung folgende Übersetzungsmöglichkeiten fest: ungewöhnlich, verschieden, merkwürdig, schräg. Es fällt auf, dass die letzteren Bedeutungen auch für Jesus sehr gut gepasst hätten. Schon von daher erhält für mich bereits das Wort »Queer« einen spirituellen Aspekt!

Besonders will ich anhand von praktischen Beispielen die Bedeutung von Meditationen, Feiern, Ritualen und Imaginationsübungen hervorheben. Anhand von Übungen sollen die beschriebenen Anliegen erlebbar werden.
Seit bald zwanzig Jahren bin ich für die Gestaltung von Gottesdiensten engagiert. Bereits 1979 besuchte ich zum ersten Mal einen Gottesdienst für Lesben und Schwule. Seit 1991 entwerfe und gestalte ich regelmäßig selbst solche Feiern für Queers. Zehn Jahre lang war ich zusätzlich aktiv in der Gestaltung von »Experimentellen Gottesdiensten« in Basel. Zudem organisiere ich seit 1997 regelmäßig Retraiten, Seminare und Workshops für Schwule und Lesben. Dies ermöglichte mir, meine Erfahrungen mit Meditationen, Feiern und Imaginationsübungen zu erproben, zu erweitern und jetzt in dieses Buch einfließen zu lassen.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch eine spirituelle Entwicklung in der Lesben- und Schwulenbewegung begünstigt. Eigentlich würde nicht nur eine Entwicklung, sondern ein Evolutionssprung anstehen! So oder so: Im deutschsprachigen Raum sind wir nicht am Nullpunkt. Verschiedene Großstädte haben bereits eine lesbisch/schwule Gottesdienstgemeinde und hie und da entstehen spirituelle Angebote.
Übrigens: Im Anhang finden Sie Buchhinweise und einen Überblick über bestehende spirituelle Angebote für lesbische Frauen und schwule Männer.

Ich fühle mich gedrängt, dieses Buch zu schreiben. Es ist an der Zeit. Nachdem schwule und lesbische Menschen im kirchlichen Umfeld in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren über theologische Diskussionen und Kämpfe um kirchliche Anerkennung gerungen haben, zeichnet sich nun ein neuer Evolutionsschritt ab. Schwule und Lesben machen selbst die Erfahrung von authentischem »Kirche-Sein«: »Wo zwei oder drei in meinem Namen beieinander sind, bin ich mitten unter ihnen.« Dieses In-mir-Sein, Unter-uns-Sein von Christus, der göttlichen Realität, verändert die Perspektive. Das spirituelle Wachstum jedes Einzelnen ist letztlich von kirchlichen Stellungnahmen – so wichtig sie vielleicht sein mögen – unabhängig.
In einigen mittel- und nordeuropäischen Ländern wurden unübersehbare Fortschritte erkämpft: Wir haben endlich mehr Rechte. – Und: Wir feiern immer mehr Partys – auch in der Öffentlichkeit. Das ist auszubauen. Doch darüber hinaus? Geht es wirklich allein darum, alle Rechte und viel Spaß zu haben? Ist es das dann? Ich bin überzeugt, dass wir weitergehen müssen: Wir sind eingeladen, unsere Sexualität als Kraftquelle am Dienst an uns und an der Welt zu feiern. Wir sind aufgefordert, unsere Begabungen und unser Bewusstsein im Zusammenhang unseres Schwul- und Lesbischseins zu entdecken und auszudrücken ...
Meine Hoffnung ist, dass ich Schwule und Lesben zu einem persönlichen spirituellen Weg inspirieren, herausfordern, anregen und unterstützen kann. Sicherlich können ebenso heterosexuelle Menschen von diesem Buch profitieren, indem sie dadurch homosexuelle Christen und Christinnen besser verstehen lernen und so ihren eigenen spirituellen Weg bereichern. Schlussendlich hoffe ich fest, dass mein Buch andere Queers im deutschsprachigen Raum herausfordert, zu schreiben und/oder die Spiritualität in bestehenden Gruppen zu vertiefen oder neue Gruppen und Organisationen ins Leben zu rufen.
Mein Anliegen ist, dass dieses Buch zum Träumen anregt, sodass aus diesen Träumen grundlegend neue Wege beschritten werden können.

»Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle
nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen,
Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben
und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen
die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.«
Antoine de Saint-Exupéry



Hinweise zum Aufbau der
Kapitel dieses Buches
Jedes Kapitel schließt mit »Fragen, Anregungen, Übungen, Gebete«.
Die Fragen sollen helfen, das Gelesene zu verarbeiten und auf das eigene Leben und dessen Ziele zu beziehen. Sie sollen einen eigenen Prozess der Reflexion und der Besinnung einleiten.
Bei den Anregungen handelt es sich um einfache Impulse zum Nachdenken und Nachspüren. Sie sollen anregen, die Anliegen des zurückliegenden Kapitels ins eigene Leben zu integrie-
ren, um so den Alltag zu prägen und die weitere Zukunft zu befruchten.
Die Übungen können geführte Meditationen, Rituale, Körper- oder Imaginationsübungen sein. Sie sind dazu da, das Thema des vorausgegangenen Kapitels im Herzen und auf der tieferen Bewusstseinsebene erfahrbar zu machen. Sie laden ein, sich für einen möglichen persönlichen Prozess zu öffnen oder ihn gar einzuleiten. Bei einem Teil der Übungen ist es nötig, die Augen zu schließen. Von daher empfiehlt es sich, die Übung vorher gut zu verinnerlichen oder sie auf Tonband aufzunehmen oder zusammen mit einer vertrauten Person zu machen. Wichtig ist auch, die Umgebung gut auf die Übungen abzustimmen. Praktisch heißt dies: Sich genug Zeit nehmen, das Handy ausschalten, sich nachher Notizen machen oder Tagebucheintragungen vornehmen.
Die Gebete laden ein, das Aufgebrochene in Fürbitten, Dank und Lob vor Gott zu bringen. Die Gebete verstehen sich nicht als abgeschlossen. Sie regen an, mit eigenen Worten weiter zu beten oder neue eigene Gebete vor Gott zu tragen. Bei den Gebeten gebrauche ich verschiedene Formulierungen, um die göttliche Wirklichkeit im Du anzusprechen. Durch meinen persönlichen Glaubensweg bedingt werde ich oft Begriffe aus der christlichen Spiritualität und Mystik gebrauchen.
Ich rege dazu an, beim Lesen und Verarbeiten des Buches eine leeres Heft und Schreibzeug bereit zu halten, um frei Notizen machen zu können.
Alle Fragen, Anregungen, Übungen und Gebete lassen sich im übrigen auch ausgezeichnet in Gruppenzusammenhängen (Workshops, Gottesdienste, Retraiten) gebrauchen.
Fragen
• Welches sind nach dem Lesen der Einleitung deine wichtigsten Erwartungen an dieses Buch?
• Was haben diese konkreten Erwartungen mit deinem alltäglichen Leben zu tun?
• Was für ein Gottesbild hast du zur Zeit?
•Verstehst du dich als ChristIn, steht dir eine andere der Weltreligionen näher? Hast du bisher spirituelle Wege jenseits der etablierten Religionen gesucht?
•Bist du bereit, dich auf einen persönlichen spirituellen Prozess, den dieses Buch vielleicht auslöst, einzulassen?


Anregungen
• Sinne einen Moment über dein bisheriges Erleben mit deinem Queer-Sein und deiner Spiritualität nach.
• Nimm dir Zeit, über die Sehnsüchte in deinem Leben nachzudenken und ihnen nachzuspüren. – Vielleicht schreibst du sie auch auf einer Liste auf.


Übung
Lichtmeditation
Diese Meditation soll dir helfen, dich der spirituellen Dimension dieses Buches zu öffnen. Es lädt zu einem Prozess im Bezug auf den persönlichen Glauben und die sexuelle Orientierung ein. Es geht um entscheidende Lebensfragen, Bewusstseins- und Lebensschritte. Diese Übung dient dazu, dich empfänglich zu machen und bewusst Christus für diesen Weg einzuladen.
Setzte dich an einen ruhigen Ort bequem, aufgerichtet und in einer guten Haltung hin. Nun lies nochmals den Buchtitel, das Inhaltsverzeichnis und eventuell die Einführung. Dann lege das Buch zur Seite und schließe die Augen. Nimm deinen Atem wahr, atme ruhig und regelmäßig in die Tiefe.

Sieh dich in deiner Situation als schwuler Mann oder lesbische Frau. Nimm deine Homosexualität war. Nun sei dir auch bewusst, dass du ein spirituelles Wesen bist. Gönne dir Zeit, dies alles wahrzunehmen.

Ebenso sieh nun vor dir in der Fantasie das vorliegende Buch.

Nun siehst du in deiner Imagination oberhalb von dir ein Licht. Es ist das klare, weiße, heilende und liebende Licht von Christus. Stelle dir vor, wie dieses Licht durch deinen Scheitel in dich eindringt und deinen ganzen Körper vom Kopf mit seinen Sinnesorganen über das Becken mit deinen Geschlechtsorganen bis in die Zehenspitzen erfüllt. In deiner Vorstellung gehe Schritt um Schritt durch deinen Körper durch. Du hast genug Zeit, sodass dieses Licht deinen ganzen Körper und dein Wesen erfassen kann.

Du nimmst nun wieder das Buch wahr und siehst es vor dir. Auch es wird von diesem Licht erreicht und durchstrahlt. Sei dir bewusst, dass dieses Buch durch das Licht von Christus mit dir verbunden ist.

Öffne dich nun und bekunde die Bereitschaft, dass Christus dich auf deinem Weg als Lesbe oder Schwuler führt, dir neue Türen auftut, dein Verständnis von Sexualität, Schwul-Sein, Lesbisch-Sein, Glaube und Spiritualität weitet und vertieft.

Sei dir bewusst, dass dieses Licht von Christus immer da ist. Beim Lesen und Verarbeiten des Buches wie auch in jeder anderen Lebenssituation. In diesem Bewusstsein öffne langsam deine Augen, sei wieder ganz im Raum und strecke und recke dich mit deinem Körper.
Gebet
Kosmischer Christus, ich bin in dir, du bist in mir.
Begleite mich auf diesem Abschnitt meines Lebens.
Zeige mir neu die Größe meines Menschseins,
den Reichtum meines Schwul-Seins, Lesbisch-Seins
und öffne mich neuen Erfahrungen meiner Spiritualiät.
Ich danke dir für deine umfassende Liebe,
die mich umgibt, hält und durchdringt.