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Arthur Eichengrün Der Mann, der alles erfinden konnte, nur nicht sich selbst
Arthur Eichengrün
Der Mann, der alles erfinden konnte, nur nicht sich selbst




Ulrich Chaussy

Herder Verlag
EAN: 9783451392160 (ISBN: 3-451-39216-X)
368 Seiten, hardcover, 14 x 22cm, Oktober, 2023

EUR 26,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Von Aspirin bis Zeppelin - die Biografie eines grossen Wissenschaftlers und Erfinders

Bei der Recherche über das Dorf Obersalzberg, den Wohnort und zweiten Regierungssitz Hitlers in der Nähe von Berchtesgaden, stößt Ulrich Chaussy Ende der achtziger Jahre auf Arthur Eichengrün. Wer war dieser völlig vergessene jüdische Nachbar Hitlers am Obersalzberg? In drei Jahrzehnten Recherche rekonstruiert Chaussy Eichengrüns Biografie und entdeckt einen der bedeutendsten Chemiker und Erfinder der Kaiserzeit und der Weimarer Republik wieder: Eichengrün ist Forscher, Erfinder und Unternehmer in Personalunion. Er synthetisiert Kokain, erfindet das weltweit meistgenutzte Antigonorrhoicum Protargol. Und wir verdanken ihm das Aspirin. Er erfindet den unbrennbaren Kinofilm, biegsame Schallplatten, revolutioniert mit seinem Cellon-Spannlack den Bau der stoffbespannten Flugzeuge und Zeppeline. Noch 1929 wird er mit einem Dr. h.c. als „Vater der Acetylcellulose“ geehrt. Ab 1933 gelten all seine Verdienste nichts mehr. Er verliert seine Firma, allen Besitz und wird aus der Geschichte herausgeschrieben. Plötzlich ist der assimilierte Patriot Eichengrün für Antisemiten von Hermann Göring, mit dem er in Berlin sieben Jahre unter einem Dach lebt, bis zum kleinsten Rädchen des Nazi-Apparates nur noch eines: Jude. Deportiert ins KZ Theresienstadt muß der große Chemiker erkennen, dass er eines nicht umformen und synthetisieren konnte: Eine Identität, die ihn vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten hätte schützen können. Eichengrün überlebt das KZ. An sein früheres Leben und seine Erfolge kann er nicht mehr anknüpfen. Chaussy nimmt den Leser mit auf seine Recherchen. Er erzählt das Leben eines ungewöhnlichen Menschen, seiner Familie und seiner Zeit. Und er erweckt ihn zum Leben: Eichengrün meldet sich in Zwischenrufen zu Wort. Chaussy schreibt Arthur Eichengrün, diesen großen Erfinder und Wissenschaftler, fulminant zurück ins kollektive Gedächtnis.
Rezension
Die Namen vieler jüdischer Wissenschaftler:innen, die im Deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik wegweisende Erfindungen und Entdeckungen gemacht machen, sind in der Öffentlichkeit gar nicht bekannt. Der Grund ist folgender: Die Nationalsozialisten haben ihre Namen getilgt, ihre Errungenschaften anderen Personen zugeschrieben und die Forscher:innen in die Emigration getrieben, verfolgt, in Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Erst seit der Jahrtausendwende wird sich zunehmend des Lebens und Werks der jüdischen Wissenschaftler:innen erinnert und es werden ihre Errungenschaften gewürdigt. In der Öffentlichkeit sind diese allerdings immer noch kaum präsent. Wer kennt gegenwärtig zum Beispiel Arthur Eichengrün (1867-1949), und weiß mit seinem Namen etwas zu verbinden?
Dabei zählt der Wissenschaftler zu den wirkungsmächtigsten Chemikern der Welt. Eichengrün erfand u.a. das weltbekannte Schmerzmittel Aspirin, worauf er in einem Schreiben an die I.G. Farben, verfasst in den Tagen seiner Haft im KZ Theresienstadt, und dem daraus entstandenen Artikel „50 Jahre Aspirin“ in der Zeitschrift „Die Pharmazie“ 1949 hinwies. Ebenfalls wurde von Eichengrün das Acetatgemisch Cellon erfunden, welches zum Beispiel bei der Außenhülle von Zeppelinen zum Einsatz kam und dafür sorgte, dass der Zelluloidfilm schwer entflammbar ist. 1908 gründete der Chemiker das Cellon-Laboratorium Dr. A. Eichengrün, 1909 wurde ihm das Patent auf Cellon zugesprochen. An mindestens 46 weiteren Patenten war der kreative Wissenschaftler beteiligt.
Bisher fehlte eine sein Leben und Werk würdigende Monographie. Eine solche hat Ulrich Chaussy (*1952) unter dem Titel „Arthur Eichengrün. Der Mann, der alles erfinden konnte, nur nicht sich selbst“ vorgelegt. Erschienen ist das Buch des preisgekrönten investigativen Journalisten und Sachbuchautors 2023 im Verlag Herder. Bekanntheit erlangte Chaussy neben seinen zahlreichen Radio-Features durch seine Recherchen zum Oktoberfestattentat 1980, seine Rudi Dutschke-Biographie (zuerst 1983/überarbeitet 2018) und sein zusammen mit Christoph Püschner verfasstes Buch „Nachbar Hitler“(1995/8. Aufl. 2017). Bei seinen Recherchen zum Obersalzberg stieß Chaussy auf auch auf Eichengrün, der von 1915 bis 1928 jeden Sommer mit seiner zweiten Frau und den beiden Kindern im Ferienhaus Mitterwurf auf dem Obersalzberg - in der Nachbarschaft des späteren Anwesens Hitlers – verbrachte.
Das chronologisch angelegte Sachbuch des Journalisten zeichnet sich aus durch fundierte Quellenrecherche, Berücksichtigung von Originalzitaten, sowie durch gute Lesbarkeit, die unterstützt wird durch produktive fiktive Statements des Chemikers in einzelnen Kapiteln, beginnend mit „hier wieder einmal Eichengrün“. Lehrkräfte der Fächer Chemie und Geschichte werden durch das vorliegende Werk motiviert, sich in ihrem Fachunterricht problemorientiert mit der Wissenschaftsgeschichte der Chemie oder mit vergessenen jüdischen Wissenschaftler:innen auseinanderzusetzen, beispielsweise in einem fächerübergreifen Projekt oder Kurs.
Fazit: Ulrich Chaussy leistet mit seinem Buch „Arthur Eichengrün“ einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an den Ausnahmechemiker und damit zum kollektiven Gedächtnis der Menschheit.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Hitlers außergewöhnlichster Nachbar
Bei der Recherche über das Dorf Obersalzberg, den Wohnort und zweiten Regierungssitz Hitlers in der Nähe von Berchtesgaden, stößt Ulrich Chaussy Ende der achtziger Jahre auf Arthur Eichengrün. Wer war dieser völlig vergessene jüdische Nachbar Hitlers am Obersalzberg? In drei Jahrzehnten Recherche rekonstruiert Chaussy Eichengrüns Biografie und entdeckt einen der bedeutendsten Chemiker und Erfinder der Kaiserzeit und der Weimarer Republik wieder: Eichengrün ist Forscher, Erfinder und Unternehmer in Personalunion. Er synthetisiert Kokain, erfindet das weltweit meistgenutzte Antigonorrhoicum Protargol. Und wir verdanken ihm das Aspirin. Er erfindet den unbrennbaren Kinofilm, biegsame Schallplatten, revolutioniert mit seinem Cellon-Spannlack den Bau der stoffbespannten Flugzeuge und Zeppeline. Noch 1929 wird er mit einem Dr. h.c. als „Vater der Acetylcellulose“ geehrt. Ab 1933 gelten all seine Verdienste nichts mehr. Er verliert seine Firma, allen Besitz und wird aus der Geschichte herausgeschrieben. Plötzlich ist der assimilierte Patriot Eichengrün für Antisemiten von Hermann Göring, mit dem er in Berlin sieben Jahre unter einem Dach lebt, bis zum kleinsten Rädchen des Nazi-Apparates nur noch eines: Jude. Deportiert ins KZ Theresienstadt muß der große Chemiker erkennen, dass er eines nicht umformen und synthetisieren konnte: Eine Identität, die ihn vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten hätte schützen können. Eichengrün überlebt das KZ. An sein früheres Leben und seine Erfolge kann er nicht mehr anknüpfen. Chaussy nimmt den Leser mit auf seine Recherchen. Er erzählt das Leben eines ungewöhnlichen Menschen, seiner Familie und seiner Zeit. Und er erweckt ihn zum Leben: Eichengrün meldet sich in Zwischenrufen zu Wort. Chaussy schreibt Arthur Eichengrün, diesen großen Erfinder und Wissenschaftler, fulminant zurück ins kollektive Gedächtnis.
Inhaltsverzeichnis
Der verschwundene Nachbar aus dem getilgten Dorf 7
Eichengrün - auf der Suche nach einem Unbekannten17
Eine Kindheit in der Kaiserzeit - im KZ erinnert 31
C. H. E. M. I. E.-eine Emanzipationsformel 50
Ausflug nach Berlin - Eichengrüns Lehrjahre 66
Abschied von Aachen - und der Religion 78
BAYER -der Aufstieg als Pharmazeut 87
ASPIRIN-ein Sieg, bitterer als jede Niederlage105
Amourfou-in den Alpen 136
Obersalzberg I-ein Bergdorf verwandelt sich 144
»Blitzlicht Bayer«-derGipfel-und der Bilderstürmer 149
Fotos, Bilder, Filme - der lange Abschied von Bayer 154
Berlin - Cellon kommt von Lonne 167
Obersalzberg II - mehr als eine Sommerfrische181
Im Krieg 1914-1918 - die Konjunktur der Chemiker194
Neustart nach dem Krieg - Cellon für den Frieden 203
»Diese Schlange im Gras« - Aufstieg und Fall des
Ed Edwards-Eichengrün 208
Die Rochade - Patchworkfamilie Eichengrün 213
Obersalzberg III - Fluchtpunkt Berchtesgaden 218
»Dem Ingenör ist nichts zu schwör« - Eichengrüns
Kunststoffuniversum 225
Cellon-Werke und »Celloner« - eine verschwundene Fabrikwelt
und ihre Menschen 232
Das Haberfeldtreiben - Abschied vom Obersalzberg 238
RoaringTwenties- Eichengrün und seine Kinder246
Cellon überall - Höhenflug vor dem Absturz 254
Kaiserdamm 34 - Nachbar Göring 259
Arisierung - vom Dableiben und Fortgehen 270
Göring, oder: die Kunst des Plünderns 281
Vergesst Eichengrün - Flucht nach München293
Berlin - Rückkehr ohne Ankunft 307
Globke, Klauer und die arische Erfinderehre - Denunziation
und Deportation ins KZ312
Der Schmerz bleibt - Rückkehr und Rehabilitierung 319
Das Ende in Bayern - und ein Vermächtnis 327
Der Kreis schließt sich - welche Wege Erinnerung geht 335
Stammbaum Arthur Eichengrün 342
Abbildungsverzeichnis 344
Anmerkungen347