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Als Odysseus staunte
Die griechische Sicht des Fremden und das ethnographische Vergleichen von Homer bis Herodot
Raimund Schulz
Reihe: Studien zur Alten Geschichte
Vandenhoeck & Ruprecht
EAN: 9783946317685 (ISBN: 3-946317-68-5)
391 Seiten, hardcover, 16 x 24cm, Juli, 2020
EUR 50,00 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Raimund Schulz, Als Odysseus staunte
Die Griechen waren große Entdecker. Sie haben revolutionäre Methoden entwickelt, um die Vielfalt der Menschen in der Welt zu erklären. Weshalb war das so und wieso war ihr Denken in dieser Hinsicht richtungsweisend?
Griechische Autoren haben eine Form des ethnographischen Argumentierens entwickelt, die weit über die Antike den Blick auf das Fremde prägte. Raimund Schulz erklärt dieses Phänomen erstmals in seinem historisch-politischen Kontext. Er konzentriert sich auf die Anfangsphase von Homer bis Herodot, in der sich die entscheidenden Faktoren ausbildeten und ihren stilgebenden Höhepunkt erreichten.
Der Autor
Raimund Schulz ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld.
Rezension
Wie nahmen die Griechen fremde Ethnien wahr? Welche Rolle kam dabei dem Staunen zu? Entwickelten sie schon Konzepte von Ethnizität? Wie erklärten die Griechen sich Wandel und Vielfalt der Welt? Welche Modelle des ethnographischen Vergleichens elaborierten sie? Wie kontrastierte Homer Kyklopen und Phäaken? Welcher Elemente bediente sich Aischylos bei seinem Vergleich von Persern und Athenern? Wie wurden Fremde auf Vasenbildern dargestellt? Welche Rolle spielten die Perserkriege für die Ausbildung von Identitäten? Wie wurde das Verhältnis von Physis (Natur) und Nomoi (menschlichen Ordnungen) bestimmt? Formulierten die Hippokratiker in ihrer Schrift „Über Winde, Wasser und Ortslagen“ eine humangeographische Theorie? Welche Kriterien zog Herodot in seinen „Historien“ zum Vergleich der Ägypter mit anderen Völkern heran?
Fundierte Antworten auf diese Fragen findet man in dem Werk „Als Odysseus staunte. Die griechische Sicht des Fremden und das ethnographische Vergleichen von Homer bis Herodot“ von Raimund Schulz (*1962), erschienen beim Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in der Reihe „Studien zur Alten Geschichte“. Der Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld ist ein Unikat in seiner wissenschaftlichen Zunft, verfügt er doch über ein Referendariat, mehrjährige Schulerfahrung und zudem war er Ausbilder für Geschichte an einem Studienseminar. Seine schulpraktischen Erfahrungen zeigen sich u.a. in der guten Lesbarkeit seiner Standardwerke, die nicht nur an Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch an die historisch interessierte Öffentlichkeit gerichtet sind: „Athen und Sparta“(2003, 3. Aufl. 2008), „Kleine Geschichte des antiken Griechenland“(2008), „Feldherren, Krieger und Strategen. Krieg in der Antike von Achill bis Attila“(2012, 3. Aufl. 2018) und das Meisterwerk „Abenteurer der Ferne. Die grossen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike“(2016, 2. Aufl.) (vgl. meine Rezension unter https://lbib.de/Abenteurer-der-Ferne-Die-grossen-Entdeckungsfahrten-und-das-Weltwissen-der-Antike-105885). Dem Althistoriker kommt insbesondere das Verdienst zu, die lange Zeit vernachlässigte antike Ethnographie in ihrer Bedeutung für die besondere kulturelle Entwicklung der Griechen, insbesondere für die Genese ihres Weltwissens, in den Fokus seiner Forschung gerückt zu haben.
Sein Forschungsschwerpunkt spiegelt sich auch in seinem jüngsten Buch zur griechischen Ethnographie von Homer bis Herodot wider. Hervorgegangen ist es aus dem Bielefelder Sonderforschungsbereich „Praktiken des Vergleichens. Die Welt ordnen und verändern“, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seine Monographie basiert auf umfangreichen Quellenstudien, auf literarischen, historiographischen, ethnographischen, geographischen und archäologischen. In „Als Odysseus staunte“ gelingt es Schulz hervorragend zu elaborieren, wie die Griechen von ca. 700 bis 400 vor Christus ihre Begegnung mit fremden Ethnien kognitiv verarbeiteten und wie sie versuchten, die erfahrene Vielfalt in ihre Weltsicht zu integrieren. Dazu entwickelten sie u.a. ein Konzept des Vergleichens, das sich an den Prinzipien der „Gleichheit“, des „Gegensatzes“ und der „Mischung“ orientierte.
Beim Vergleichen der unterschiedlichen Nomoi der Ethnien verzichtete Herodot im Unterschied zu den ionischen Naturphilosophen auf ein einziges Erklärungsmodell. Deshalb wird der Geschichtsschreiber von Schulz zu Recht nicht als Vater, sondern als erster Höhepunkt griechischer Ethnographie gewürdigt. Durch diese wohlbegründete Rehabilitierung des Kulturdenkers Herodot hebt sich Schulz positiv von der vielfach in der Alten Geschichte verbreiteten kritischen Sicht auf den Historiographen ab. Zudem entlarvt er den (populärwissenschaftlichen) „Griechen-Barbaren-Topos“ als einen ethnographischen Mythos. Lehrkräfte werden durch die sehr gute Monographie des Althistorikers geradezu eingeladen, sich in ihrem problemorientierten Fachunterricht oder in einem fächerübergreifenden Projekt zum Umgang mit Alterität mit der griechischen Perspektive auf andere Ethnien, mit den „interpretationes Graecae“ auseinanderzusetzen.
Fazit: Wer sich für das antike Weltbild und insbesondere für die griechische Ethnographie interessiert, wird das exzellente Buch von Raimund Schulz „Als Odysseus weinte“ mit großem Gewinn und Begeisterung lesen.
Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Als Odysseus staunte
Keine andere Kultur der Antike hat sich so intensiv mit der Fremde beschäftigt wie die Griechen, keine andere Kultur wagte es, so schonungslos Selbstkritik durch den Mund selbst ihrer Gegner zu formulieren und keine andere Kultur entfaltete so viel Energien, die verwirrende Vielfalt der Menschen mit der eigenen Rolle in der Welt abzugleichen. Griechische Autoren haben auf diese Weise eine Form des ethnographischen Argumentierens entwickelt, die weit über die Antike den Blick auf die Fremde prägte; hierzu gehörte auch das Vergleichen unterschiedlicher Ethnien nach festen Kriterien. Die vielfältige Form des ethnographischen Denkens reagierte dabei immer auch auf praktische Bedürfnisse und Erfordernisse von Welterkundung und Identitätssuche. Das Buch erklärt diese Phänomene erstmals in ihrem historisch-politischen Kontext. Es konzentriert sich auf die Anfangsphase von Homer bis Herodot, in der sich die entscheidenden Faktoren ausbildeten und ihren stilgebenden Höhepunkt erreichten.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
Einleitung 11
Sehen und Staunen 11
Topoi und Traditionen 15
Austausch und Kontaktzonen („middle grounds“) 20
Ethnizität und Selbstfindung 26
Formen der Fremdwahrnehmung 29
Mobilität und Kontaktfähigkeit 31
Empirie und Vergleichen 34
Ziel und Aufbau des Buches 37
1. Odysseus an fernen Küsten – Die Geburt der griechischen Ethnographie aus der Praxis maritimer Erkundung 43
1.1 Ausgangspositionen 43
1.2. Die epische Codierung von Fernerfahrungen 47
1.3 Irrfahrten als Spiegel ethnographischer Praxis – Beobachtung und Erstkontakt 51
1.4 Ethnographisch-geographische Realien und wundersame Ausschmückungen 55
1.5 Vergleichen und Kontrastieren – Die interpretierende Ordnung der Beobachtung 59
1.6 Episierung und Idealisierung, aber keine Utopie 63
1.7 Totenreich und paradiesische Inseln im Okeanos 71
1.8 Die Nord-Süd-Achse der Welt: Hyperboreer und Aithiopen 77
1.9 Welterkundung in den südöstlichen Gewässern – Die Irrfahrt des Menelaos 80
1.10 Zusammenfassung 84
2. In die Tiefe des Raumes – Ethnographische Motive und Weltsichten in der Zeit kolonisatorischer Weitung (ca. 700-550 v. Chr.) 88
2.1 Die Herausforderung von Landnahme und Ansiedlung 88
2.2 Herakles – Der Held als brutaler Weltwanderer 94
2.3 Aristeas und die Welt des Nordens 98
2.4. Die territoriale Weite – Völker im westlichen Sibirien 103
2.5 Arimaspen und Greife 105
2.6 Der Wandel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse 107
2.7 Das lyrische Bild der Thraker 110
2.8 Der bewunderte und gefürchtete Nachbar – Die Lyder 114
2.9 Bausteine werden zusammengesetzt – Die Milesier über Natur, Welt und Mensch 119
2.10 Gegensätze, Ähnlichkeiten und Mischungen 123
2.11 Die räumliche Ordnung – Die Erdkarte Anaximanders und die Kugelgestalt der Welt 129
2.12 Zusammenfassung – Erste Antworten auf den Wandel und die Vielfalt der Welt 131
3. Zwischen Konfrontation und Bewunderung – Die Begegnung mit den Persern 135
3.1 Der Aufstieg einer Weltmacht 135
3.2 Die Expedition von Skylax von Karyanda 136
3.3 Der Periplus als Rechenschaftsbericht und die Wunder Indiens 139
3.4 Die „Vielwisserei“ der Sammler und Forscher – Hekataios, Xenophanes und die Pythagoreer 145
3.5 Von der Kooperation zur Konfrontation- Der Krieg mit der Supermacht 153
3.6. Die „Perser“ des Aischylos 155
3.7 Der antithetische Vergleich zwischen Griechen und Persern 162
3.8 Perser und Griechen als gleichrangige Gegenspieler 166
3.9 Das Perserbild zwischen Degradierung und Bewunderung 168
3.10 Ethnographisches Interesse an den Fremden? Literatur, Vasenbilder und persische Fresken 172
3.11 Denk- und Ausdrucksformen zwischen Alterität und Identität 181
3.12 Hellenen und Barbaren – Die Rolle der Perserkriege bei der Ausbildung bipolarer Identitäten 185
3.13 Zusammenfassung 193
4. Das Wunder des Menschen – Ethnographisches Denken und Vergleichspraktiken im Spannungsfeld von Naturwissenschaft, Medizin und Politik 195
4.1 Das Verhältnis von menschlichen Ordnungen („nomoi“) und Natur („physis“) – Die Sophisten 195
4.2. „Physikoi“ und hippokratische Ärzte 199
4.3 Klima, Natur und Mensch in der Schrift „Über die Umwelt“ 202
4.4. Die „ethnographische“ Analyse einzelner Völker – Makrokephalen und Skythen 211
4.5 Zusammenfassung
5. Eine neue Sicht der Welt – Vielfalt und Wandel der Völker in den „Historien“ Herodots: (1) Methodische Grundlagen und die Großethnien des Ostens 221
5.1 Perserkriege als Weltgeschichte – Herodot von Halikarnassos 221
5.2 Die Vielfalt der Welt und der „nomos“ der Völker 231
5.3 Typen und Funktionen des ethnographischen Vergleichens 238
5.4 Geschichte und Ethnographie der Lyder 242
5.5 Die Perser und ihre „nomoi“ 251
6 Viefalt und Wandel der Völker in den „Historien“ Herodots: (2) Der Süden und Norden (Ägypten und Skythien) und die Randvölker der Welt 263
6.1 Ägypten – Das Museum der Einzigartigkeit 263
6.2 Die ägyptischen „nomoi“ und der Rest der Welt 270
6.3 Die „historische Perspektive“ – Die ägyptischen Herrschergebiete 278
6.4 Das Panorama einer kriegerischen Welt – Der Skythenlogos 288
6.5 Die skythischen „nomoi“ (im engeren Sinne) 297
6.6 „Mischung“ mit Risiken – Skythisch-griechischer Kulturkontakt und die Folgen 301
6.7 Die wundersamen Randvölker – Zwischen Gottesnähe und tierischer Fremdheit 310
6.8 Goldene Zeit und Rationalisierung der „heiligen“ Randvölker 315
6.9 Ist Homer überholt? 323
Zusammenfassung und Ausblick 327
Literaturverzeichnis 344
1. Fragmentsammlungen, Quellenausgaben und -sammlungen, Übersetzungen und Kommentare 344
2. Sekundärliteratur 346
Danksagung 383
Register 384
Namen und ethnographische Bezeichnungen 384
Orte und geographische Bezeichnungen 388
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