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Kapitalismus und Todestrieb Essays und Gespräche
Kapitalismus und Todestrieb
Essays und Gespräche




Byung-Chul Han

Matthes & Seitz
EAN: 9783957578303 (ISBN: 3-9575783-0-2)
139 Seiten, kartoniert, 10 x 18cm, Oktober, 2019

EUR 12,00
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
„Was zwingt den Kapitalismus zur blinden Akkumulation? Hier kommt der Tod infrage. Der Kapitalismus beruht auf der Negation des Todes. Das Kapital wird akkumuliert gegen den Tod als absoluten Verlust. Der Tod bringt den Produktions- und Wachstumszwang hervor.“
Rezension
Ist der Kapitalismus eine destruktive Frucht der menschlichen Todesfurcht? Ist der Westen aufgrund seines Neoliberalismus und seiner Militärinterventionen verantwortlich für die weltweiten Fluchtbewegungen? Sind Selbstmordattentäter Narzissten? Sind Burn-out-Erkrankungen und Depressionen Folgen der freiwilligen Selbstausbeutung in der spätmodernen Leistungsgesellschaft? Sind die Quantified-Self-Bewegung und der Selfie-Kult Ausdruck eines verbreiteten Nihilismus? Leben wir in einem digitalen Totalitarismus, in dem das Smartphone als Überwachungsinstrument fungiert? Schafft der Zwang zur Transparenz im digitalen Panoptikum Vertrauen ab? Bedarf es einer Zeitrevolution, um der vollständigen Zerstörung der narrativen Zeitstruktur zu entgehen? Manipuliert der Konsumkapitalismus Emotionen? Bewirkt der digitale Kapitalismus eine Infantilisierung der Gesellschaft und letztlich ihre Atomisierung?
Alle diese Fragen lassen sich nach Byung-Chul Han (*1959) mit „Ja“ beantworten. Der ehemalige Professor für Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste Berlin gehört zu den wenigen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum, welche die digitale Revolution philosophisch-kritisch beleuchten. In seinem jüngst bei Matthes & Seitz erschienenen Buch „Kapitalismus und Todestrieb. Essays und Gespräche“ vertritt er die These: „Der Kapitalismus beruht auf der Negation des Todes. Das Kapital wird akkumuliert gegen den Tod als absoluten Verlust. Der Tod bringt den Produktions- und Wachstumszwang hervor.“(S. 12) Bei seiner Deutung des Wirtschafts- und Sozialsystems rezipiert Han insbesondere Sigmund Freuds kulturphilosophische Schrift „Das Unbehagen in der Kultur“ und Erich Fromms Ausführungen zur Nekrophilie. Angesichts der Destruktivität des digitalen Kapitalismus plädiert Han zu Recht für „eine digitale Anthropologie, eine digitale Erkenntnis- und Wahrnehmungstheorie […], eine digitale Sozialphilosophie und Kulturphilosophie“(S. 119). Philosophie begreift er dabei als eine kritische Reflexionsinstanz, die versucht gedanklich alternative Lebensformen zu entwerfen und zu prüfen.
Von diesem Impetus zeugen auch Hans unter dem Titel „Kapitalismus und Todestrieb“ veröffentlichten Texte, die bis auf den bisher ungedruckten ersten Essay zwischen Jahren 2012 bis 2017 überwiegend in überregionalen Zeitungen erschienen. So findet man in dem Buch in prägnanter Form Argumentationen und kritische Stichworte aus Hans bekannten Werken wie zum Beispiel „Was ist Macht?“(2005), „Gute Unterhaltung“(2006/2018), „Duft der Zeit“(2009), „Müdigkeitsgesellschaft“(2010), „Transparenzgesellschaft“(2012), „Im Schwarm“(2013) oder „Psychopolitik“(2014). Daher liefert die vorliegende Textauswahl „Kapitalismus und Todestrieb“ eine hervorragende, gut lesbare Einführung in sein philosophisches Denken. Philosophie- und Ethik-Lehrkräfte werden durch sie eingeladen, im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern die digitale Revolution zu problematisieren.
Fazit: Byung-Chul Hans „Kapitalismus und Todestrieb“ ist ein überaus empfehlenswertes Buch für alle, die die psychopolitischen Machtmechanismen des Neoliberalismus im digitalen Zeitalter philosophisch reflektieren möchten.

Dr. Marcel Remme, für lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Was wir heute Wachstum nennen, ist in Wirklichkeit ein Auswuchs, eine karzinomatöse Wucherung, die den gesellschaftlichen Organismus zerstört. Mit einer unerklärlichen, tödlichen Vitalität metastasieren und wuchern diese Auswüchse endlos weiter. Ab einem bestimmten Punkt ist die Produktion nicht mehr produktiv, sondern destruktiv. Der Kapitalismus hat schon längst diesen kritischen Punkt überschritten. Seine Destruktivkräfte bringen nicht nur ökologische oder soziale, sondern auch mentale Katastrophen hervor. Die verheerenden Auswirkungen des Kapitalimus legen die Annahme eines Todestriebes nahe. Nachdem Sigmund Freud den Todestrieb zunächst nur zögerlich eingeführt hat, bekennt er, dass er »nicht anders denken könne«, weil die Idee des Todestriebs über ihn eine solche Macht gewonnen habe. Auch das Denken über den Kapitalismus scheint inzwischen ohne die Annahme des Todestriebs nicht möglich zu sein.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt

Kapitalismus und Todestrieb 7
Warum heute keine Revolution möglich ist 26
Die Totalausbeutung des Menschen 33
Im digitalen Panoptikum 41
Transparent ist nur das Tote 49
Dataismus und Nihilismus 58
Quälende Leere 61
Der springende Mensch 69
Woher kommen die Flüchtlinge? 73
Wo die wilden Kerle wohnen 79
Wer ist Flüchtling? 88
Die Schönheit liegt im Fremden 94
Alles eilt 102
Gespräche
Der Eros besiegt die Depression 107
Der Kapitalismus liebt die Stille nicht 121

Anmerkungen 138
Textnachweise 140