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Zwischen Antisemitismus und Islamophobie
Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost
Die acht englischsprachigen Beiträge wurden von Sonja Hinte übersetzt
John Bunzl, Alexandra Senfft (Hrsg.)
VSA-Verlag
EAN: 9783899652819 (ISBN: 3-89965-281-9)
256 Seiten, paperback, 14 x 21cm, 2008
EUR 19,80 alle Angaben ohne Gewähr
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Umschlagtext
Gibt es einen "Neuen Anti-Semitismus"? – und was ist darunter zu verstehen? Gibt es das Phänomen der "Islamophobie" (speziell in Europa) – und wie kommt es zum Ausdruck?
Feindbilder lösen sich oft von realen Konflikten ab und entwickeln eine eigene Dynamik, besonders wenn der Konflikt lange andauert und Erklärungs- bzw. Rechtfertigungszwänge entstehen, die durch eine Projektion des Konflikts in eine weit zurückliegende Vergangenheit ideologisch überhöht werden. In einer Epoche, die von einem "Clash of Civilizations" geprägt sein soll, versucht dieses Buch "wissenschaftliche" Antworten auf Fragen zu geben, die seit dem Beginn der Al-Aqsa-Intifada (2000) und nach 9/11 (2001) weltweit leidenschaftlich und oft demagogisch-polemisch "diskutiert" werden.
Der Band umfasst einerseits Texte, die einen stärkeren Europa-Bezug haben und sowohl Antisemitism(en) als auch Islamophobie(n) im Kontext von Migration, Integration und Multikulturalismus behandeln, andererseits aber auch Beiträge, welche ähnliche Phänomene im Kontext des Konflikts um Israel/Palästina diskutieren und sich folglich mit Perzeptionen von Betroffenen und Beobachtern im Nahen Osten befassen. Während sich bisher die meisten Publikationen entweder dem "Neuen Antisemitismus" oder dem "Islam" bzw. der "Islamophobie" gewidmet haben, wird hier eine Betrachtung versucht, die beide Phänomene zueinander in Beziehung setzt, ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede aufzeigt.
Die HerausgeberInnen
John Bunzl ist Politologe an der Universität Wien und Nahost-Spezialist des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP). Letzte Buchveröffentlichung als Autor und Herausgeber (gemeinsam mit Benjamin Beit-Hallahmi): Psychoanalysis, Identity and Ideology. Critical Essays on the Israel/Palestine Case (2002).
Alexandra Senfft, Islamwissenschaftlerin, war 1988 Nahostreferentin der Grünen-Fraktion im Bundestag, dann UN-Beobachterin in der Westbank und bis 1991 UN-Pressesprecherin im Gazastreifen. Seit 1994 schreibt sie für DIE ZEIT, SZ, taz u.a. Sie war Vorstandsmitglied des deutsch-israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten e.V. Letzte Buchveröffentlichung: Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte (Berlin 2007).
Die Autorinnen und Autoren:
Daniel Bar-Tal (Tel Aviv), John Bunzl (Wien), Matti Bunzl (Chicago), Alexander Flores (Bremen), Sander Gilman (Atlanta), Omar Kamil (Leipzig/Kairo), Herbert Kelman (Boston), Brian Klug (London), Elisabeth Kübler (Wien), Alexander Pollak (Wien), Aviezer Ravitzky (Jerusalem), Michael Rothberg (Urbana-Champaign), Alexandra Senfft (Osten), Paul Silverstein (Portland).
Rezension
Die Angst vor »Überfremdung« geht um, vor einer Übernahme westlicher (also vorrangig christlicher) Werte durch andere Kulturen – zwischen einer realen Gefahr durch Extremismus und einer eingebildeten Bedrohung durch Menschen anderer Kulturkreise, die man nicht kennt, wird dabei meist nicht mehr unterschieden. Spätestens seit dem 11. September 2001 (Nine-Eleven) spürt man auch in Europa deutlich so etwas wie eine Islamophobie; überhaupt scheinen sich die Feindbilder seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verändert und verlagert zu haben, alte Feindbilder vergehen, neue Feindbilder entstehen: Ist an die Stelle der alten sowjetischen Bedrohung die Bedrohung durch "den" Islam getreten? - Dieser Band beleuchtet solche Fragestellungen unter einer spezifischen Perspektive: zum einen, indem aus europäischer und nahöstlichen Perspektive nachgefragt wird, zum anderen, weil bewußt Antisemitismus und Islamophobie zusammen gesehen werden.
Dieter Bach, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
Einleitung 13
Europa
Alexander Pollak
Antisemitismus 17
Probleme der Definition und Operationalisierung eines Begriffs
Elisabeth Kübler
»Des Juden laue Verteidiger« 33
Antisemitismus, Philosemitismus und Pluralismus im demokratischen Europa
Matti Bunzl
Zwischen Antisemitismus und Islamophobie 53
Überlegungen zum neuen Europa
Brian Klug
Die Sicht auf Israel als »Jude der Welt« 75
Paul A. Silverstein
Der Zusammenhang von Antisemitismus und Islamophobie in Frankreich 88
Sander L. Gilman
Exkurs über die Parallelen zwischen Judentum und Islam in der Diaspora 120
Nahost
John Bunzl
Spiegelbilder – Wahrnehmung und Interesse im Israel-Palästina-Konflikt 127
Alexander Flores
Arabischer Antisemitismus in westlicher Perspektive 145
Omar Kamil
Die arabischen Intellektuellen und der Holocaust 160
Epistemologische Deutung einer defizitären Wahrnehmung
Michael Rothberg
Der Holocaust, Kolonialfantasien und der Israel-Palästina-Konflikt 177
Multi-direktionale Erinnerung
Daniel Bar-Tal
Das Bild der Araber in der israelisch-jüdischen Gesellschaft 195
Aviezer Ravitzky
Das jüdische Volk und der Kampf der Kulturen 228
Herbert C. Kelman
Antisemitismus und Zionismus in der Debatte der Palästinafrage 238
Persönliche Reflexionen
Die Autorinnen und Autoren 251
Vorwort
Nach einer Lesung aus meinem Buch »Schweigen tut weh. Eine deutsche
Familiengeschichte«, in dem ich mich mit der NS-Vergangenheit
meiner Großeltern auseinandergesetzt habe, kam ein älterer Herr auf
mich zu, der sich rege an der Diskussion beteiligt hatte. Er bedankte
sich für meine Arbeit und kam dann auf die von mir vorgetragenen Auszüge
aus meinem letzten Kapitel zu sprechen. Ich hatte darin über die
Funktion von Feindbildern und Sündenböcken, über gesellschaftliche
Polarisierungen sowie über die Dynamik von Schuldzuweisungen und
Schuldabwehr nachgedacht. Warum ich neben Antisemitismus und Rassismus
auch Islamophobie erwähnte hätte?, fragte der Herr. In diesem
Punkt könne er mir nicht zustimmen, fuhr er sogleich fort, und bevor
ich antworten konnte, belehrte er mich auch schon über die Gefahren
des Islam. Während er auf mich einsprach, zog er mit einer missionierend
wirkenden Geste eine ältere Ausgabe des »Spiegel« aus seiner Tasche
– »Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung«, lautete der Titel,
den er mir provokativ vor die Nase hielt. Das Titelbild zeigte einen türkischen
Halbmond über dem Brandenburger Tor. Meine Versuche, ihn
zu bremsen und zu differenzieren, prallten an seiner Erregung ab. Ich
hatte den Eindruck, hier fand eine Übertragung statt: Die NS-Vergangenheit
scheinbar bearbeitet, hatte dieser Mann ein neues Feindbild geschaffen
– die Muslime und den Islam. Es erübrigt sich fast zu erwähnen,
dass er auch die »multikulturelle Gesellschaft« in Deutschland für
gescheitert erklärte.
Diese Szene weist auf eine Reihe komplexer Zusammenhänge hin, mit
denen wir es in der aktuellen Debatte zu tun haben: die nationalsozialistische
Vergangenheit, Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit.
Eine ebenfalls bedeutende Rolle spielen der Nahostkonflikt
als Projektionsfläche, der 11. September und andere islamistische
Terroranschläge, das Terrornetzwerk al-Qa’ida, Ehrenmorde, die Beschneidung
junger Mädchen, Schändungen jüdischer Friedhöfe, die Holocaust-
Leugnung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, Angriffe
gegen Menschen anderer Hautfarbe, Desintegrationsängste und
soziale Probleme. Das ist Stoff genug für hitzige Debatten und scharfe
Kontroversen, in denen verschiedene Themenkomplexe wild durcheinandergewürfelt
werden und in denen vor allem unterschiedliche Narrative
emotional aufeinanderstoßen. Zu einem wirklichen Dialog zwischen
den konträren Sichtweisen kommt es selten, vielmehr scheinen
die öffentlich geführten Auseinandersetzungen zu weiteren Spannungen
und Spaltungen zu führen – auf der einen Seite die, für die Islam gleich
Terror und Unterdrückung bedeutet, auf der anderen jene, die in der
»jüdischen Weltverschwörung«, in Israel und den USA die Ursache allen
Übels erkannt haben wollen. Deutsche Juden werden für die israelische
Politik gegenüber den Palästinensern verantwortlich gemacht
und deutsche Muslime für die terroristischen Anschläge in London,
Madrid oder New York, das heißt, sie werden nicht als Deutsche, sondern
als Fremde betrachtet.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. November 2007
klagte Esther Shapira, die Regisseurin des Films »Der Tag, als Theo
van Gogh ermordet wurde«, gegen die »heimliche Armee« der »heiligen
Krieger«, womit sie sich der Spiegel-These von der stillen Islamisierung
anschloss: »Die liberale Tradition meiner Heimatstadt will ich mir
von Anhängern totalitärer Ideologien nicht kaputtmachen lassen – und
mag weder den Anblick rechter Skins in Springerstiefeln wortlos hinnehmen
noch den von Frauen, die im Stoffkäfig durch die Stadt geführt
werden.« Mit anderen Worten: Islamismus ist Faschismus, eine Gleichsetzung,
die unter dem Begriff »Islamofaschismus« die Runde macht.
Aussagen wie diese und Bücher, die gegen »den Islam« aufbegehren, haben
Konjunktur. Besonders schamlos prügelte die 2006 verstorbene italienische
Journalistin Oriana Fallaci auf die Muslime ein, die sie in ihren
Schmähschriften – zuletzt »Die Kraft der Vernunft« – mit allen erdenklichen,
negativen Vorurteilen versah: sie seien schmutzig, irrational, antisemitisch,
vermehrten sich wie die Ratten usw. Die Autorinnen Ayan
Hirsi Ali und Necla Kelek kämpfen gegen die Beschneidungen junger
Frauen und gegen Ehrenmorde, und sie haben Recht, diese Probleme
auf den Tisch zu legen und zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen.
Die Tatsache jedoch, dass ihnen so viel Gehör geschenkt wird, hat
meines Erachtens oft weniger mit ihrem Einsatz für die Rechte
muslimischer Frauen als mit ihrer simplifizierten Pauschalabrechnung mit
dem Islam zu tun. Aus ihrer Sicht sind alle Musliminnen, gleichgültig in
welchem Land, welchem historischen und politischen Kontext und in
welcher Tradition sie sich bewegen, unterdrückt. Eine derartig schlichte
Eindeutigkeit kommt bei vielen LeserInnen offenbar gut an, weil sie
sich mit den Ambivalenzen nicht auseinandersetzen müssen.
Im selben Fahrwasser bewegt sich auch der Autor von »Die zweite
Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein«, Ralph Giordano. Sein
Feldzug gegen den Bau einer Zentralmoschee in Köln erzeugte einigen
Medienwirbel. Die einen begrüßten seinen Vorstoß gegen den Islam in
Deutschland, die anderen waren über seine polemischen und mit großem
Pathos vorgetragenen Äußerungen eher erschrocken. Giordano
hatte gesagt, die geplante Moschee sei »kein Ausdruck muslimischen
Integrationswillens, sondern ein Zentrum integrationsfeindlicher Identitätsbewahrung
und Symbol eines Angriffs auf unsere demokratische Lebensform.«
Ist jeder Ausdruck von Religiosität gleich Extremismus? Erinnert
sei auch an die Debatte um das Kopftuch, das für manche nichts als ein
Symbol für Rückständigkeit und archaische Verhaltensweisen ist, obwohl
es auch hier unterschiedliche Sichtweisen gibt und geben kann.
Wankt die »Festung Europa«, weil sich die Mehrheiten ihrer Bewohner
von den MigrantInnen in ihren demokratischen Grundrechten bedroht
sehen? Woher kommt dieser Anpassungsdruck, demnach kulturelle
Vielfalt oft all zu schnell als Gefahr und nicht vor allem erst einmal
als Bereicherung wahrgenommen wird?
In der Süddeutschen Zeitung vom 12./13. Januar 2008 verglich Marcia
Pally, Professorin für Multicultural Studies an der New York University,
die Situation der Muslime in den USA mit denen in Europa.
Ihr Fazit: amerikanische Muslime haben es insgesamt einfacher und
sind besser integriert. »In den Vereinigten Staaten haben wir es mit einer
Verkettung günstiger Umstände zu tun. Die Vertrautheit mit dem
Anderssein reduziert das Bedürfnis, Anpassung zu fordern, und senkt
die Barrieren, die einer Integration im Weg stehen.
Dagegen wird in Europa die Forderung nach Anpassung noch immer
sehr stark betont, und ein weniger durchlässiges wirtschaftliches und
politisches Leben erschwert die Integration. Weniger Integration führt
wiederum im Gastland zu weniger Vertrautheit mit dem Andersartigen.
Auf Seiten der Zuwanderer entsteht mehr Groll, der zu größerem Desinteresse
an Wirtschaft und Politik, zu Gewalt und zum Beharren auf
symbolischen Unterschieden führen kann – in einer Gesellschaft, die
diesen ablehnend gegenübersteht, weil sie sich angesichts des Andersartigen
unwohl fühlt.«
Beim Vergleich zwischen Juden in den USA und in Europa fällt das
Bild ähnlich aus. Während amerikanische Juden sehr viel sichtbarer am
wirtschaftlichen, politischen und intellektuellen Leben teilnehmen, sind
jüdische Einrichtungen in Europa und vor allem in Deutschland noch
immer keine Selbstverständlichkeit. Das jüdische Leben spielt sich weiterhin
vorwiegend hinter verschlossenen Türen ab. Synagogen und Thora-
Schulen stehen unter Polizeischutz, und Juden können sich über 60
Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg weiterhin nicht sicher fühlen.
Viele Medien schüren die aufgeheizte Atmosphäre durch ihre klischeehafte
und oft geradezu Panik machende Berichterstattung. Sie greifen
jegliche negative Nachricht auf und stilisieren Einzelereignisse zu
Gemeinplätzen: Die stillen Töne der Gemäßigten, das gewaltfreie Alltägliche
und die Normalität von Koexistenz bleiben dabei meist unbeachtet,
sodass ein verzerrtes Bild entsteht.
Die Angst vor »Überfremdung« geht um, vor einer Übernahme westlicher
(also vorrangig christlicher) Werte durch andere Kulturen – zwischen
einer realen Gefahr durch Extremismus und einer eingebildeten
Bedrohung durch Menschen anderer Kulturkreise, die man nicht kennt,
wird dabei meist nicht mehr unterschieden. »Der Andere« bewegt sich
außerhalb der eigenen Vorstellungswelt und entzieht sich so der Kontrolle
– das Bedürfnis, zu kontrollieren oder abzuspalten wächst. Doch
Integration fängt bei jedem selbst an. Dazu gehört, die eigenen Anteile
im »Anderen« zu erkennen und die inneren und äußeren Ambivalenzen
auszuhalten. Der israelische Psychologe Dan Bar-On hat gesagt,
erst der Dialog mit sich selbst öffne die Möglichkeit zu einem Dialog
mit Menschen anderer Kulturen. In Zeiten wirtschaftlicher und sozialer
Unsicherheit neigen Menschen dazu, sich in Nischen zurückzuziehen
und sich scheinbar zu entlasten, indem sie ihre Ängste und Aggressionen
unbewusst auf »die Anderen« übertragen. Doch einseitige
Sichtweisen und Feindbilder vermitteln nur scheinbar Sicherheit – die
Vorwort 11
Gefahr gesellschaftlicher Konfrontationen und gewalttätiger Auseinandersetzungen
wächst.
Islam, Islamismus und terroristischer Extremismus sind bekanntlich
nicht ein und dasselbe, und es gibt auch nicht den einen Islam, ebensowenig
wie es ein Juden- oder ein Christentum gibt. Dennoch geraten
diese Begriffe in der öffentlichen Auseinandersetzung immer wieder
durcheinander, sei es zwecks Instrumentalisierung, aus Ignoranz oder
aufgrund persönlicher Befindlichkeiten. Islamophobie und Antisemitismus
sind biegsame Begriffe, die je nach Betrachter andere Konnotationen
haben können – und deren falsche Anwendung auch zur Abwertung
dieser Begriffe führen kann. Der Ausdruck Islamophobie entstand
Ende der 1980er Jahre, doch erst seit den Terroranschlägen vom 9. September
2001 gehört er zum allgemeinen Sprachgebrauch. Islamophobie
heißt, dass Muslime undifferenziert und pauschal als Muslime, wegen
ihrer Religion, verurteilt werden. Manche verstehen darunter allerdings
das Diktat, mit der muslimischen Welt keinen kritischen Dialog über
bestimmten Ideologien und Ausprägungen des Islam führen zu dürfen.
Dabei bedeutet die Auseinandersetzung mit einer Phobie doch gerade,
zwischen den realen und den eingebildeten Ängsten zu unterscheiden:
Konstruktive Kritik ist nötig und juristische Schritte sind dort geboten,
wo es um die Verletzung von Menschenrechten bzw. um Verbrechen
geht. Dort, wo jedoch ungerechtfertigt angeklagt und verurteilt wird,
gilt es, der hetzerischen Rhetorik Einhalt zu gebieten.
Der Begriff Antisemitismus ist ebenfalls dehnbar – manche verstehen
darunter Vorurteile gegen Semiten im allgemeinen, also nicht nur
Juden, sondern auch Muslime. Antisemitismus liegt vor, wenn Juden
als Juden angeklagt und kategorisch abgelehnt werden. Wie die Autor-
Innen in diesem Band zeigen, versteckt sich Antisemitismus oft hinter
einer Kritik am Zionismus oder an Israel. Antisemitismus, Antizionismus
und Israelkritik verschwimmen mitunter zu einer schwammigen
Masse an Diskriminierung und Rassismus. Gleichwohl muss eine kritische
Betrachtung der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern
oder Kritik am Zionismus nicht zwangsläufig antisemitisch sein.
»Durch die Augen eines Antisemiten betrachtet sind Juden prinzipiell
fremdartig, mächtig, verschlossen, hinterlistig und parasitär«, sagt der
britische Philosoph Brian Klug. »Opposition gegen Israel oder seine
12 Alexandra Senfft
Regierung ist antisemitisch, wenn diese oder andere Variationen dieser
Fantasie verwendet werden – genau wie Kritik an Arabern rassistisch
ist, wenn sie sich am Bild des Arabers als einem gerissenen, lügnerischen
und entarteten Menschen oder als einem hasserfüllten Terroristen, für
den das menschliche Leben keinen Wert hat, orientiert.«
Diverse Studien haben nachgewiesen, dass der Antisemitismus wieder
zugenommen bzw. neue Formen angenommen hat. Islamophobie
und Xenophobie sind diesen Umfragen nach derzeit jedoch das noch
größere Problem. Andere Untersuchungen kommen zu dem Schluss,
dass der Antisemitismus die größte Gefahr darstellt. Festzuhalten ist,
dass gegen andere Menschengruppen generell zunehmend diskriminiert
wird, dazu gehören auch Homosexuelle, Behinderte, Obdachlose usw.
Oft geht eine Abwertung Hand in Hand mit einer anderen, d.h. dass es
Kombinationen von Diskriminierung gibt.
Das Anliegen dieses Buches ist es, den Antisemitismus und die Islamophobie
als zwei gesonderte Phänomene zu untersuchen, die gleichwohl
viel miteinander zu tun haben. Die genannten komplexen Begriffe
und komplizierten Sachverhalte sollen differenziert analysiert und in ihren
jeweiligen Kontext gesetzt werden, um die Dynamik zu verstehen,
die sich hinter den zunehmend rassistischen Entwicklungen verbirgt.
Mit diesem Buch soll der Debatte eine solide Grundlage hinzugefügt
werden, die helfen soll, die wahren Gefahren von den eingebildeten zu
unterscheiden und einen konstruktiven Dialog zu fördern.
Osten, im März 2008 Alexandra Senfft
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